DAS SECHSTE BUCH

VOM WAHREN CHRISTENTUM.

 

Darinnen enthalten:

 

I. Die Wiederholung und Verantwortung der Lehre vom wahren Christentum.

 

II. Neun Sendschreiben an gute Freunde, die Bücher vom wahren Christentum betreffend.

 

III. Zwei Bedenken über Tauleri deutsche Theologie, was dero Kern und Inhalt, und wie hoch solches Buch zu halten sei.

 

ZUSCHRIFT.

 

DENEN EHRENFESTEN, HOCHACHTBAREN UND HOCHWEISEN HERREN BÜRGERMEISTERN, RAT UND SCHÖPPEN DER LÖBLICHEN UND BERÜHM-TEN STADT DANZIG. MEINEN GROSSGÜNSTIGEN UND BESONDERS GE-EHRTEN HERREN UND FREUNDEN.

Gleichwie der heilige Apostel Paulus, Kol. 3,8. seq. und sonst an vielen andern Orten die Gläubigen ermahnet, alle Untugend und Bosheit abzulegen, und den alten Menschen mit seinen Werken auszuziehen, und den neuen anzuziehen, der erneuert wird zu dem Erkenntnis, nach dem Ebenbilde deß, der ihn er-schaffen hat, da nicht ist Grieche oder Jude etc. das ist, da Gott keine Person ansiehet, und niemand einen Vorzug hat, sondern alles und in allen Christus; also gebühret auch gottesfürchtigen Lehrern der Kirche, nachdem das Erkenntnis Christi durch den Glauben gepflanzt ist, und das Fundament gelegt, (daß nämlich in Christo Jesu allein unsere Gerechtigkeit und Seligkeit bestehe,) dass auf dies Fundament auch die Gottseligkeit erbauet werde, welches St. Paulus auch an ermeldetem Orte nennet anziehen herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld; über alles aber anziehen die Liebe, die da ist das Band der Vollkommenheit, und dass der Friede Gottes in unsern Herzen regieren solle. Dasselbe aber komme nicht her aus eines Menschen eigenem Vermögen, Wür-digkeit oder Ansehen, sondern es sei alles und in allem Christus, der solches Vermögen gebe, der in allem solches wirke, tue und verrichte, als das Haupt in seinen Gliedern und Wirkungen. Und dann sei niemand unter den Christen zu hoch, zu heilig, zu ansehnlich; denn so er nicht werde Christum in ihm alles sein und wirken lassen, so sei er untüchtig, wie er 2 Kor. 13,5. sagt. Darum auch St. Paulus sich selbst zum Exempel vorstellt, Phil. 3,12. und spricht: Nicht dass ich es schon ergriffen habe, oder schon vollkommen sei; ich jage ihm aber nach, ob ich es ergreifen möchte, nachdem ich von Christo Jesu ergriffen bin. Meine Brüder! ich schätze mich selbst noch nicht, dass ichs ergriffen habe; eines aber sage ich, ich vergesse, das dahinten ist, und strecke mich nach dem, was da-vornen ist, und jage nach dem vorgesteckten Ziel, nach dem Kleinod, welches vorbildet die himmlische Berufung Gottes in Christo Jesu. Welches alles erstlich von dem wahren Erkenntnis Christi im Glauben zu verstehen ist, dass wir die große Gnade unserer Gerechtigkeit und Seligkeit in Christo mögen recht er-kennen, (denn das heißt von Christo recht ergriffen sein,) und dass wir in sol-chem Erkenntnis immer mögen völliger werden. Darnach, dass wir auch in dem Lauf des christlichen Lebens und der Gottseligkeit mögen täglich zunehmen, und unsers himmlischen Berufs wahrnehmen, dass uns Christus unser Herr erlöset hat von aller Ungerechtigkeit, und ihm selbst gereiniget hat ein Volk zum Eigen-tum, das fleißig wäre zu guten Werken. Solches alles aber muß der Herr Christus in seinen Gläubigen wirken, wie St. Paulus spricht: Alles und in allem Christus, anzudeuten, dass die Gläubigen allein des Herrn Christi Werkstatt sein, denn in den Ungläubigen wirket er nicht. Derselben Wirkungen des Herrn Christi in den Gläubigen sind nun mancherlei, so beide die Geheimnis des Glaubens, ewigen Lebens, und die Gottseligkeit betreffen, wie solches die Exempel der heiligen Schrift und anderer gottesfürchtigen Lehrer bezeugen. Es werden aber auch solche Wirkungen Christi von unserm eigenen Fleisch und Blut, vom Satan und von der Welt so schändlich verhindert; und wenn man sich denselben nicht ernst-lich widersetzet durch Gottes Gnade, so kann das göttliche Licht nicht einleuch-ten, und der Mensch in Christo nicht wachsen und zunehmen. Solches habe ich nach Vermögen in meinem Buch vom wahren Christentum traktieret und ge-handelt; ist aber von Unverständigen übel ausgelegt, und mit schweren unver-antwortlichen Injurien belegt, die ich Gott dem Herrn zu richten befehle; mir aber und allein den wahren Gläubigen ist von Gott gegeben, nicht allein an Christum zu glauben, sondern auch um seinetwillen zu leiden. Habe demnach solches Buch recapitulieren und verantworten müssen, und bin gewiß, dass solches die unfehlbare Wahrheit, und das rechte wahre lebendige Christentum ist. Wer nun demselben widerstrebt, und der Wahrheit nicht gehorchen will, der fahre hin, und brauche des Satans Handwerk, das Lästern so lange, bis er seinen Lohn em-pfängt. E. E. und Herrlichkeit aber habe ich dieses Buch zuschreiben wollen, weil deroselben Glauben und Liebe zu Gottes Wort, und wahre Gottseligkeit von vielen gerühmt wird, auch vernommen, dass in deroselben löblichen und weltbe-rühmten Stadt viele fromme und gottesfürchtige Christen sein, so die Wahrheit und Gottseligkeit lieb haben; welchen ich von Herzen wünsche, dass sie neben E. E. und Herrl. mögen im Glauben und in der Liebe zunehmen, dass sie lauter und unanstößig sein bis auf den Tag Christi, erfüllet mit Früchten der Gerechtig-keit, die durch Jesum Christum geschehen in ihnen, zur Ehre und Lobe Gottes; E. E. und Herrl. dem gnädigen, allmächtigen Schutz Gottes, zur glücklichen Re-gierung und guten friedlichen, löblichen Wohlstande treulich empfehlend.

 

Geschrieben zu Zell im Herzogtum Lüneburg, am 10. Juni 1620.

 

E. E. und Herrl. Freund und dienstwilliger

Johann Arndt,

General-Superintendent des Fürstentums Lüneburg.

 

 

VORREDE AN DEN CHRISTLICHEN LESER.

 

Inhalt.

1) Arndt hat in vier Büchern vom christlichen Leben geschrieben, 2) und gezeigt, wie solches von innen heraus, aus dem Herzen fließen muß. 3) Das haben et-liche unrecht aufgenommen, und auf mancherlei Weise verlästert. 4) Dawider hat er sich erklärt in zwei Büchern, deren eines ein Lehr- und Trostbuch etc. (so man das fünfte Buch sonst nennet); 5) das andere eine Verantwortung der ersten drei Bücher vom wahren Christentum, (heißt sonst das sechste Buch.)

 

Nachdem, freundlicher lieber Leser, nun in die hundert Jahre unser heiliger christlicher Glaube, und die reine evangelische Lehre, nach der Richtschnur des heiligen göttlichen Worts, erläutert, gereinigt und genugsam erklärt, auch durch die beiden öffentlichen, herrlichen und löblichen Bekenntnisse der Augsburgi-schen Confession und Formulae Concordiae, von vielen Irrtümern gesäubert ist, zu welchem ich mich noch jederzeit bekannt habe, und noch bekenne; und aber dabei oft beklagt habe das gottlose Leben der jetzigen Welt, bei welchem der christliche Glaube nicht bestehen kann; als habe ich vor etlichen Jahren vier Bücher vom wahren Christentum geschrieben, in welchen ich das innerliche und auch das äußerliche christliche Leben abgemalt habe.

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2. Denn, obwohl das vornehmste Stück des wahren Christentums ist die reine Lehre, so habe ich doch dieselbe nicht besonders behandeln wollen, wie solches reichlich und zum Überfluß durch andere geschehen, und noch täglich ge-schiehet, sondern ich habe nur das christliche Leben vorgenommen. Dieweil aber dasselbe von innen aus dem Herzen fließen muß, so habe ich notwendig das böse Herz angreifen und berichten müssen, wie dasselbe erkannt und geändert werden müsse, auf dass aus dem guten Schatz des Herzens etwas Gutes möge hervorgebracht werden.

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3. Das haben etliche unrecht aufgenommen, 1) als wenn die Rechtfertigung des armen Sünders darauf gebaut wäre. 2) Weil wir nichts Gutes tun können, es wirke es denn Gott in uns, wie St. Paulus spricht: Dass wir etwas taugen, das ist von Gott; sind etliche auf die einwohnende angefangene Gerechtigkeit gefallen, als wäre Christi Verdienst nicht genug zu unserer Gerechtigkeit. 3) Weil gesagt ist, Christus müsse in uns leben, wie St. Paulus spricht, sind etliche auf die wesentliche Gerechtigkeit Gottes in uns gefallen. 4) Weil Gott im Menschen müsse seine Wohnung haben, und ihn bewegen, sind etliche auf Enthusiasterei gefallen. 5) Weil die Nachfolge des heiligen Lebens Christi ist erfordert worden, sind etliche auf die Vollkommenheit gefallen. 6) Weil diese Bücher nicht für die Ungläubigen, sondern für die Gläubigen geschrieben sind, haben ihnen etliche eingebildet, als würden die Mittel verworfen. 7) Weil die neue Geburt, und der inwendige neue geistliche Mensch, dem alten Menschen muß entgegen gesetzt werden, haben etliche eitel Geist wollen daraus machen, wie vor Zeiten etliche Schwärmer getan haben; und was der unartigen Calumnien mehr sein.

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4. Dawider habe ich mich notwendig erklären und beweisen müssen, dass, ob-wohl diese Punkten alle, und noch viel mehrere, zu einem christlichen Leben gehören, so müsse man doch dieselbe recht verstehen und unterscheiden. Zu dem Ende habe ich zwei Bücher geschrieben, unter welchen das erste ist, das Lehr- und Trostbuch vom Glauben und heiligen Leben; in welchem ich die Voll-kommenheit des christlichen Lebens, dem neuen Menschen, des neuen Men-schen geistliche Speise, den Glauben, Vergebung der Sünden, die Gerechtigkeit vor Gott, und deroselben Früchte, das Gebet, die Vereinigung mit Gott, das Geheimnis der heiligen Dreieinigkeit, und deroselben Gnadenwirkungen in den Gläubigen, habe beschrieben.

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5. In diesem andern Buch aber habe ich notwendig eine ganze Wiederholung der Bücher vom wahren Christentum machen, und die Notwendigkeit derselben Lehre beweisen, confirmieren, und von den Verleumdungen retten müssen. Wollest hiemit, gutherziger Leser! vorlieb nehmen, und dich nicht lassen irre machen; der Herr aller Herzen Kündiger wird einen jeden nach seinem Herzen richten und vergelten.

 

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