DAS SECHSUNDDREISSIGSTE KAPITEL. (2.B./36.K.)

 

VON DEM NUTZEN, FRUCHT UND KRAFT DES GEBETS,

UND WAS UNSER GEBET MÜSSE FÜR EINEN GRUND HABEN.

 

Inhalt.

1) Der erste Grund unsers Gebets ist Gottes Gnade in Christo. 2) Diese Gnade macht uns lebendig, das empfinden wir im Gebet. 3) Ohne Gebet ist kein Trost, keine Gnadengabe, kein Segen im Beruf. 4) Gebet schützet wider die boshaften Verfolger, 5) die ferne sind von Gottes Gesetz. 6) Gebet macht uns himmlisch, entzündet uns in Gottes Liebe, wehret vielen Sünden und Unglück. 7) Es gibt noch mehr Gründe des Gebets. 8) Der zweite Grund unsers Gebets ist Gottes Gnadengegenwart. 9) Dies soll uns reizen, allezeit und allenthalben mit Gott zu reden. 10) Der dritte Grund unsers Gebets ist Gottes Wahrheit. 11) Gott hat Mosis, Elias, Davids etc. Gebet erhöret; 12) das hat er allen Elenden zugesaget. 13) Der vierte Grund unsers Gebets ist Gottes ewiges Wort. 14) O Trost! unser Glaube und Gebet hat einen ewigen Grund, 15) den die Pforten der Hölle nicht überwältigen werden. 16) Ja die Kraft und Früchte des Gebets sind nicht zu zählen.

 

Darum lasset uns hinzu treten mit Freuden zu dem Gnadenstuhl, auf dass wir Barmherzigkeit empfahen, und Gnade finden, auf die Zeit, wenn uns Hilfe not sein wird. Hebr. 4,16.

 

Höre meine Stimme nach deiner Gnade, Ps. 119,149. Das ist das erste Funda-ment unsers Gebets, Gottes Gnade. Dieselbe aber ist in Christo unserm Herrn, der ist voll Gnade und Wahrheit, und von seiner Fülle müssen wir alle nehmen, Joh. 1,16. Darum ist er unser Gnadenthron, Röm. 3,25. dahin wir das Angesicht unsers Glaubens wenden sollen in unserm Gebet, gleichwie die Kinder Israel ihr Angesicht im Gebet nach dem Gnadenstuhl wenden mußten. Darum uns der Herr in seinem heiligen Namen Erhörung zusagt, Joh. 16,23. wie auch die heili-gen Propheten also gebetet haben. Dan. 9,17. Erhöre uns, Herr! um des Herrn willen.

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2. 1) Der heilsame Nutzen aber unsers Gebets, wie der heilige David sagt: Ps. 119,149. Erquicke mich nach deinen Rechten, oder wie es in seiner Sprache lautet: mache mich lebendig. Denn aus Gottes Gnade kommt freilich das Leben. Ohne Gottes Gnade ist ein Mensch lebendig tot, und wir mußten ewig unter dem Zorn Gottes bleiben. Was hilft uns unser Leben ohne Gottes Gnade? Daher Ps. 63,4. spricht: Herr! deine Güte ist besser denn Leben. Diese lebendigmachende Kraft kommt auch zu uns durch Christum. Darum ist er Mensch worden, und hat unser Fleisch und Blut an sich genommen, dass durch sein lebendigmachendes Fleisch auch wir lebendig würden. Solche Lebenskraft empfinden wir im Gebet und durchs Gebet. Gleichwie alle die gesund wurden, die den Herrn Christum anrühreten, denn es ging eine lebendige Kraft von ihm aus, und heilete sie alle, sagt Lukas Kap. 6,19. Also, wenn unsere Seele krank, traurig und betrübt ist, und wir rühren den Herrn Christum an mit unserm Gebet und Glauben, so gehet eine Lebenskraft von ihm aus, die uns erquicket, wie manche betrübte Seele empfin-det.

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3. Lernet demnach hie, 1) dass kein betrübtes Herz kann erquicket, getröstet und erfreuet werden, ohne das liebe Gebet, wie wir auch am Herrn Christo selbst sehen in der heiligen Passion, Matth. 26,39. Darum ist dem lieben Gott zu dan-ken, dass er uns das liebe Gebet zur Arznei unsers traurigen Herzens gegeben hat. Darum uns der Herr selbst hat lehren beten, Matth. 6,9. 2) Und weil der heilige David spricht: Erhöre mich nach deiner Gnade, Ps. 119,149. erinnert er uns, dass das liebe Gebet ein Mittel sei, dadurch viele Gaben der Gnade Gottes zu uns kommen, als Vermehrung des Glaubens, der Liebe, der Geduld, der Erkenntnis Gottes, der Andacht, Friede und Freude des Herzens, welches alles herrliche Gnadengaben sind, himmlische Kräfte und Schätze, besser denn Himmel und Erden. Item starke Kraft und Sieg wieder die Welt, den Teufel und alle unsere Feinde, welche geistliche Stärke allein im Gebet besteht, wodurch David und alle Heiligen ihre Feinde überwunden haben; wie wir sehen an Mose, Elia, Josaphat und andern, dass sie ihre Stärke und Sieg im Glauben und im Gebet geführet haben. 3) Es hat auch ein jeder des lieben Gebets hoch vonnöten in seinem Beruf, Amt und Stande, demselben recht vorzustehen, dass es glück-lich hinausgehe; und in Summa, dass er Gott um seinen heiligen Geist, Trost und Beistand in allen Nöten anrufe, weil wir auf dem wilden Meer dieses Lebens täg-lich in Gefahr schweben. Darum spricht David ferner:

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4. 2) Meine boshaftigen Verfolger wollen mir zu, d. i. streiten wider mich, und sind ferne von deinem Gesetze, Ps. 119,150. Da ist nun beten vonnöten. Denn was der Satan selbst nicht kann, dazu gebraucht er sein Werkzeug, boshafte Leute, die Tag und Nacht darauf denken, wie sie andern mögen beikommen. Vor sol-chen boshaften Leuten ist keiner sicher. Dawider ist die beste Arznei, ein Lob-psalm zu Gott gesungen, wie Ps. 18,4. stehet: Ich will den Herrn loben und anrufen, so werde ich von allen meinen Feinden errettet. Und Ps. 25,1.2.3. Nach dir, Herr! verlanget mich. Mein Gott! laß mich nicht zu Schanden werden, dass sich meine Feinde nicht freuen über mich. Denn keiner wird zu Schanden, der dein harret, aber zu Schanden müssen sie werden, die losen Verächter.

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5. Es ist aber wohl zu merken, was der heilige David spricht: Sie sind ferne von dem Gesetze. Das sind alle, die andere Leute verfolgen, sie sind ferne von Gottes Wort, und von der heiligen Furcht Gottes. Sind sie aber ferne von Gottes Wort, so ist auch Gott ferne von ihnen. Darum ist ihr Fall nahe, und ihr Unglück wird plötzlich kommen. Ein gläubiges gottesfürchtiges Herz aber nahet sich zu Gott durchs Gebet.

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6. 1) Und indem wir nun unsere Herzen täglich zu Gott erheben, und also täglich mit ihm umgehen, kommen wir Gott immer näher vergessen allgemach der Erde und der Welt, und werden aus irdischen Menschen geistlich und himmlisch, wie vor Zeiten Moses, da er mit Gott vierzig Tage und Nächte Gespräch hielte, bekam er ein glänzend Angesicht, 2 Mos. 34,29. 2) Und gleichwie wir die Sitten und Tugenden dessen lernen, mit dem wir stets umgehen, und haben mit nie-mand mehr Lust umzugehen, als dessen wir gewohnt sind: also durchs tägliche stetige Gebet lernen wir die Sitten und Sprache des Himmels, und werden mehr und mehr in der Liebe Gottes angezündet. 3) Ja das liebe Gebet wehret vielen Sünden und ist ein Präservativ wider zukünftiges Unglück und Anfechtung, wie der Herr sagt: Wachet und betet, dass ihr nicht in Anfechtung fallet, Matth. 26,41. Und wenn uns dann etwas begegnet, so wissen wir, dass es eine Schickung sei des Allmächtigen, und lassen gerne seinen Willen an uns vollbringen in aller Geduld, und bitten um Linderung des Kreuzes.

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7. Herr, du bist nahe, und deine Gebote sind eitel Wahrheit, Ps. 119,151. Hie setzet der heilige David den andern und dritten Grund und Fundament unsers Gebets: Gottes Gegenwart und Gottes Wahrheit.

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8. Gottes Gegenwart tröstet uns in unsern höchsten Nöten, Jes. 41,10. Fürchte dich nicht, ich bin mit dir, weiche nicht, ich bin dein Gott etc. Darum können wir ihn auch an allen Orten getrost anrufen. Es spricht wohl der Herr: Wenn du beten willst, so gehe in dein Kämmerlein, und schließ die Tür nach dir zu, und bete zu deinem Vater im Verborgenen, und dein Vater, der ins Verborgene siehet, wird dirs vergelten öffentlich, Matth. 6,6. Aber damit bindet er das Gebet an keinen gewissen Ort, sondern er redets nur wider die Heuchler, die nur zum Schein öffentlich beten.

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9. Vom heiligen Erzvater Jakob lesen wir, dass er gegen Abend aufs Feld gegan-gen sei zu beten, 1 Mos. 24,63. Ja vom Herrn Christo selbst lesen wir, dass er allein auf einen Berg gegangen sei zu beten, und die ganze Nacht im Gebet verharret, Luk. 6,12. Also können wir auch an allen Orten und zu allen Zeiten beten, sonderlich wenn wir allein sein, und vom menschlichen Gespräch ge-müßiget. Und soll uns dieses eine Anmahnung sein, dass wir mit Gott ein Ge-spräch anstellen, und stets daran gedenken, was David sagt: Herr! du bist nahe. Ist nun der Herr nahe, so können wir ja nichts Bessers tun, als mit ihm reden, Jes. 55,6. Rufet ihn an, weil er nahe ist, Ps. 145,18. Der Herr ist nahe allen, die ihn anrufen.

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10. So stärket auch Gottes Wahrheit unser Gebet mächtiglich. Denn wir wissen, Gott hats 1) befohlen: Ps. 50,15. Rufe mich an. Er hat 2) Erhörung zugesaget, Jes. 65,24. Ehe sie rufen, will ich hören, wenn sie noch reden, will ich antworten. Er hats 3) auch in der Tat geleistet. Er hats befohlen, verheißen und geleistet. Sehet an die Exempel Mosis, Samuelis, Davids, Josuä, des Cornelii in der Apostel Geschichte, dessen Gebet und Almosen sind vor Gott kommen. Ap. Gesch. 10,4.

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11. Dieser Exempel ist die Schrift voll. Und wenn du gleich gedenken möchtest: Ja, wenn ich Moses, Elias, David, Josua wäre? Antwort: Es sind gleichwohl Men-schen gewesen, wie Jak. 5,17. sagt.

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12. Wer ist Cornelius in der Apostel Geschichte? Ein Heide. Wer ist Manasse? Der größte Sünder. Gott hat den Elenden Erhörung zugesagt, Ps. 34,7. Da dieser Elende rief, hörete der Herr, Ps. 102,18. Er wendet sich zum Gebet der Ver-lassenen, und verschmähet ihr Gebet nicht, Ps. 9,19. Die Hoffnung der Elenden wird nicht verloren sein ewiglich.

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13. Zuvor weiß ich, dass du deine Zeugnisse ewiglich gegründet hast, Ps. 119,152. Dies ist ein gewaltiger Spruch, und stärket mächtig unser Gebet und Glauben, und ist der vierte unbewegliche Grund unsers Gebets. Gottes Wort und Verheißung hat einen ewigen Grund, nämlich Gott selbst, und seinen lieben Sohn Jesum Christum: auf denselben ist Gottes Wort und unsere Seligkeit ge-gründet, ehe der Welt Grund geleget ist, Eph. 1,4. Was einen ewigen Grund hat, das kann nichts Zeitliches umstoßen. Dahin St. Paulus Röm. 8,38. siehet: Dass weder Hohes noch Tiefes, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Engel noch Fürstentum, uns von der Liebe Gottes scheiden kann.

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14. Ist nun das nicht ein großer Trost, dass unser Glaube, unser Gebet, einen ewigen Grund, ja einen ewigen Ursprung hat. Das soll uns erfreuen, so oft wir daran gedenken, wie Jes. 28,16. spricht: Siehe, ich lege in Zion einen Grund-stein, einen köstlichen Eckstein, der wohl gegründet ist. Wer glaubet, der fleucht nicht. Oder wie es St. Petrus ausleget: Der wird nicht zu Schanden werden, 1 Petr. 2,6. Und St. Paulus, 1 Kor. 3,11. Es kann kein anderer Grund geleget werden, außer welcher gelegt ist, Jesus Christus. Und abermal: Der feste Grund Gottes bestehet, und hat dies Siegel: Gott kennet die Seinen, 2 Tim. 2,19.

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15. Diesen Grund werden die Pforten der Hölle nicht überwältigen, Matth. 16,18. Das ist die Grundfeste unsers Heils, Seligkeit und Glaubens, die fester ist als Himmel und Erde.

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16. Denn das Gebet ist ein Gespräch mit Gott, ein Himmelsschlüssel, eine Blume des Paradieses, ein freier Zugang zu Gott, ein Hausgenosse Gottes, eine Er-kennerin der Heimlichkeiten Gottes, eine Offenbarerin der Geheimnisse Gottes, eine Erbitterin der Gaben Gottes, ein geistliches Wohlleben, eine himmlische Lieblichkeit, ein Honigseim der Lippen, eine Ernährerin der Tugenden, eine Überwinderin der Laster, eine Abbittung der Schuld, eine Arznei der Seelen, eine Hilfe der Schwachheit, eine Giftjägerin der Sünde, eine Säule der Welt, eine Versöhnung des Volks, ein Same des Segens, ein Garten der Glückseligkeit, ein Baum der Lieblichkeit, des Glaubens Vermehrung, der Hoffnung Enthältnis, eine Mutter der Liebe, eine Regel der Gerechtigkeit, eine Erhalterin der Beständigkeit, ein Spiegel der Klugheit, eine Meisterin der Mäßigkeit, eine Stärke der Keusch-heit, eine Zierde der Heiligkeit, eine Entzündung der Gottseligkeit, ein Licht der Wissenschaft, eine Kammer der Weisheit, eine Zuversicht des Gemüts, eine Arznei der Kleinmütigkeit, ein Fundament des Friedens, eine Freude des Her-zens, ein Jauchzen des Gemüts, ein Gefährte dieser Pilgrimschaft, ein Schild des christlichen Ritters, eine Richtschnur der Demut, eine Vorgängerin der Ehrbar-keit, eine Speise der Geduld, eine Hüterin des Gehorsams, ein Brunn der Ruh-samkeit, eine Nachfolgerin der Engel, eine Vertreiberin der Teufel, der Traurigen Trost, der Gerechten Freudigkeit, der Heiligen Fröhlichkeit, der Unterdrückten Helferin, der Elenden Erquickerin, der Müden Ruhe, des Gewissens Schmuck, der Gnadengaben Zunehmung, des Dankopfers Geruch, der Gütigkeit Anregerin, der Mühseligkeit Linderung, des Todes Milderung, des ewigen Lebens Vorge-schmack, der ewigen Seligkeit Begierde.

 

Gebet um Gottes Gnade und Barmherzigkeit, welche ist das Fundament unsers Gebets. (Siehe im Paradiesgärtlein.)

 

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