DAS NEUNUNDDREISSIGSTE KAPITEL. (1.B./39.K.)

 

DASS DIE LAUTERKEIT DER LEHRE DES GÖTTLICHEN WORTS

NICHT ALLEIN MIT DISPUTIEREN UND VIELEN BÜCHERN ERHALTEN WERDE, SONDERN AUCH MIT WAHRER BUSSE UND HEILIGEM LEBEN.

 

Inhalt.

1) 2) Die reine Lehre muß wieder die Ketzer verteidiget werden, wie vor Zeiten; 3) also auch jetzt. Doch ist es in großen Missbrauch geraten. 4) 1. Die Prophe-ten, Christus, die Apostel haben nicht nur wider die falsche Lehre, sondern auch wider das gottlose Leben geeifert. 5) 2. Die Erkenntnis Christi bestehet nicht in Worten, sondern in der Kraft. 6) 3. Ohne ein heiliges Leben kann die reine Lehre nicht erhalten werden. 7) 4. Christus ist unser Weg mit seiner heiligen Lehre und unschuldigem Leben. 8) 5. Sicherheit und Hoffart ist der Acker und Same der Ketzerei. 9) 6. Die Früchte des Lebens beweisen einen wahren oder falschen Christen. 10) 7. Der wahre Glaube ist durch die Liebe und gute Früchte tätig.

 

Halte an dem Fürbilde der heilsamen Worte, die du von mir gehöret hast von dem Glauben und von der Liebe in Christo Jesu. Diese gute Beilage bewahre durch den heiligen Geist, der in uns wohnet. 2 Tim. 1,13.14.

 

Die reine Lehre und Wahrheit des heiligen christlichen Glaubens muß notwendig wider die Rotten und Ketzer verantwortet und verteidigt werden, nach dem Exempel der heiligen Propheten, welche wider die falschen und abgöttischen Propheten im alten Testament heftig geprediget haben, ja nach dem Exempel des Sohns Gottes, welcher wider die Pharisäer und Schriftgelehrten zu Jerusa-lem ernstlich disputieret. Item: nach dem Exempel Johannis des Evangelisten, welcher sein Evangelium wider die Ketzer Ebionen und Cerinthum, und seine Offenbarung wider die falsche Kirche der Nikolaiten und anderer geschrieben.

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2. So sehen wir auch, wie St. Paulus den Artikel von der Rechtfertigung des Glaubens, Röm. 3,21. seq. Kap. 4,1. seq. von den guten Werken, 2 Kor. 9,8. seq. von der Auferstehung der Toten, 1. Kor. 15,1. seq. von der christlichen Freiheit, Gal. 5,1. seq. und dergleichen so heftig verteidiget wider die falschen Apostel, welchem Exempel auch die heiligen Bischöfe und Väter der ersten Kirche emsig nachgekommen und gefolget, und wider die heidnische, abgöttische Religion und andere Ketzer, so aus ihnen selbst aufgestanden waren, viele und wohlge-gründete Streitbücher geschrieben. Zu dem Ende auch die Hauptconcilia von den christlichen Kaisern angeordnet sind, wider die Erzketzer. Arium, Macedonium, Nestorium und Eutychen. Was auch zu unserer Zeit dem Papsttum und andern Sekten durch des teuren Mannes Dr. Martin Luthers Streitschriften für Abbruch getan worden, ist der ganzen Welt bekannt.

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3. Es bleibet demnach billig dabei, dass man wider die Ketzer und Rotten schreiben, predigen und disputieren muß, zur Erhaltung der reinen Lehre und wahren Religion, wie der Apostel Paulus befiehlt, dass man strafen und über-winden soll die Widersprecher, Tit. 1,9. Allein dasselbe ist zu unserer Zeit gar in einen Missbrauch geraten, also, dass über dem vielen heftigen Disputieren, Streitpredigten, Schreiben und Widerschreiben, des christlichen Lebens, der wahren Buße, der Gottseligkeit und christlichen Liebe gar vergessen ist; gleich als bestünde das Christentum nur im Disputieren und Vermehrung der Streit-bücher, und nicht vielmehr darinnen, dass das heilige Evangelium und die Lehre Christi in ein heiliges Leben verwandelt werde.

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4.1) Denn sehet an das Exempel der heiligen Propheten und Apostel, ja des Sohnes Gottes selbsten, sie haben nicht allein wider die falschen Propheten, falsche Apostel und Abgötterei heftig gestritten, sondern sie haben auch heftig auf die Buße und auf ein christliches Leben gedrungen, und mit gewaltigen Strafpredigten dargetan, dass durch die Unbußfertigkeit und gottloses Leben werde die Religion und der Gottesdienst zerstöret, und die Kirche verwüstet, Land und Völker mit Hunger, Krieg und Pestilenz gestraft werden, wie die Erfahrung bezeugt hat. Was prediget der Prophet Jesaja 5,6. anders: Weil in dem Weinberge des Herrn keine Trauben zu finden, sondern eitel Heerlinge, so wollte Gott der Herr den Weinberg wüste liegen lassen. Das ist ja eine ernstliche Drohung, dass die Gottlosigkeit eine Ursache sei, dass Gott sein Wort von uns nehme. Was prediget der Herr Christus anders: Joh. 12,35. Wandelt im Licht, dieweil ihrs habt, damit euch die Finsternis nicht überfalle? Was ist im Licht wandeln anders, als Christo im Leben nachfolgen? Und was ist mit der Finsternis überfallen werden anders, als die reine Lehre des Evangeliums verlieren? Dass ist auch offenbar, dass niemand ohne wahre Buße und heiliges Leben kann mit dem Licht der Wahrheit erleuchtet werden. Denn der heilige Geist, der die Herzen erleuchtet, fliehet die Gottlosen, für und für aber gibt er sich in die hei-ligen Seelen und macht Propheten und Gottesfreunde, Buch der Weish. 7,27. Die Furcht des Herrn ist der Weisheit Anfang, sagt Ps. 111,10. so ist die Gottlosigkeit der Torheit und Blindheit Anfang.

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5. 2) So bestehet die wahre Erkenntnis und Bekenntnis Christi und reiner Lehre nicht allein in Worten, sondern auch in der Tat und heiligem Leben, wie St. Paulus sagt: Tit. 1,16. Sie sagen: Sie erkennen Gott, aber mit den Werken verleugnen sie es; sintemal sie sind, an welchen Gott einen Gräuel hat, und gehorchen nicht, und sind zu allen guten Werken untüchtig. Da hören wir, dass Christus und sein Wort mit dem gottlosen Leben ja so hart verleugnet wird, als mit Worten, da abermal St. Paulus spricht: 2 Tim. 3,5. Sie haben einen Schein der Gottseligkeit aber die Kraft verleugnen sie. Und was kann das für eine Erkenntnis Christi sein, welche man nie mit der Tat erwiesen hat? Wer Christi Demut, Sanftmut, Geduld und Liebe nie im Herzen empfunden noch ge-schmecket hat, der kennt Christum nicht recht. Wie sollte er ihn denn in der Not bekennen? Wer Christi Lehre bekennet, und sein Leben nicht, der bekennet Christum nur halb; und wer Christi Lehre predigt, und sein Leben nicht, der predigt Christum nur halb. Viel ist von der Lehre geschrieben und gestritten, aber wenig von dem Leben. Und obwohl mit den Streitbüchern der Lehre möchte gedient sein, so ist doch der wahren Buße und christlichem Leben wenig damit gedient worden. Denn Lehre ohne Leben, was ist es? Ein Baum ohne Früchte. Wahrlich, wer Christo im Leben nicht folget, der folget ihm auch in der Lehre nicht; denn das Hauptstück von der Lehre Christi ist: Liebe von reinem Herzen, von gutem Gewissen und von ungefärbtem Glauben, 1 Tim. 1,5. Daher kommt nun, dass mancher so artig weiß von streitigen Artikeln zu reden und zu dispu-tieren, dass es großes Ansehen hat; im Herzen aber ist er ein böser Mensch, voll Hoffart, Neid und Geiz, dass kein Basilisk ärger sein kann. St. Paulus setzt wahr-lich nicht ohne Ursache Glauben und Liebe zusammen, 2 Tim. 1,13. sondern will damit anzeigen, dass Lehre und Leben übereinstimmen sollen.

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6. 3) Ob wir gleich nicht sagen, dass durch unser Vermögen und Frömmigkeit die Seligkeit erlangt werde; denn wir werden durch Gottes Macht bewahret zur Seligkeit, 1 Petr. 1,5. so ist doch offenbar, dass durch ein gottloses Leben der heilige Geist ausgestoßen werde, samt allen seinen Gaben, unter welchen die Gaben des Glaubens, Erkenntnis, Verstand und Weisheit nicht die geringsten sind; wie kann denn ohne ein heiliges Leben die Wahrheit der reinen Lehre erhalten werden? Darum freilich die Gottlosen, so Christo nicht folgen, nicht können mit dem rechten Licht erleuchtet werden. Und im Gegenteil, die im Licht wandeln, d. i. Christo im Leben folgen, die erleuchtet auch das wahre Licht, Joh. 1,9. welches ist Christus, und bewahret sie vor allem Irrtum. Daher der alte, heilige und geistreiche Taulerus sagt: Wenn ein Mensch sich Gott ergibt und lässet, und saget ab seinem Willen und Fleisch, so fängt der heilige Geist an, ihn zu erleuchten und recht zu lehren, weil er Gott in seinem Herzen den rechten Sabbat und Ruhetag hält, und feiert von seinen bösen Lüsten, Willen und Wer-ken. Dies soll verstanden werden vom Stande nach der Bekehrung, und von der täglichen Erleuchtung und Vermehrung der neuen Gaben nach der Bekehrung.

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7. 4) Nicht ohne Ursache spricht auch der Herr: Joh. 14,6. Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben; und nennet sich erstlich den Weg, darum, dass er uns den Weg gezeigt hat; wie aber? Nicht allein mit seiner heiligen Lehre, sondern auch mit seinem unschuldigen Leben. Dies sein Leben nun ist nichts anders, als wahre Buße und Bekehrung zu Gott, die uns zur Wahrheit und zum Leben führet, darinnen das ganze Christentum bestehet, darinnen alle Bücher und Gebote begriffen sein, an welchem Buch des Lebens Christi wir unser Leben lang zu studieren haben, nämlich an wahrer Buße, am lebendigen, tätigen Glauben, an der Liebe, Hoffnung, Sanftmut, Geduld, Demut, Gebet und Gottesfurcht, am rechten Wege zur Wahrheit und zum Leben, welches alles Christus selbst ist. Er ist aber der schmale Weg, und die enge Pforte, Matth. 7,14. die ihrer Wenige finden, und das einige Buch des Lebens, welches ihrer Wenige studieren; und ist doch alles darin begriffen, was einem Christen notwendig ist, also, dass wir sonst kein Buch mehr zu unserer Seligkeit bedürfen. Darum auch die heilige Schrift in wenige Bücher verfasset ist, auf dass wir sehen sollen, dass das Christentum nicht in unzähligen Büchern bestehe, sondern im lebendigen Glauben, und in der Nachfolge des Herrn Christi. Davon auch Pr. Sal. 12,12.13. spricht: Bücher-schreiben ist weder Maß noch Ende. Die Summe aller Lehre ist: fürchte Gott, und halte seine Gebote.

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8. 5) Was ist es auch, dass der Feind Unkraut säet unter den Weizen, weil die Leute schliefen. Matth. 13,25. Nichts anders, als weil sie in Unbußfertigkeit und Sicherheit einen Sündenschlaf halten, und in der Liebe dieser Welt ersoffen sein, mehr aufs Zeitliche, als aufs Ewige achten, so streuet der Feind allgemach den Samen der falschen Lehre aus; ja auf den Acker der Hoffart säet der Feind Rotten, Sekten und Spaltungen. Denn durch Hoffart haben beide Engel und Menschen das wahre Licht verloren, Jes. 14,10. seq. 1 Buch Mos. 3,6. Aus Hoffart hat aller Irrtum seinen Ursprung. Wäre der Satan und Adam in dem de-mütigen Leben Christi geblieben, es wäre nie eine Verführung in die Welt ge-kommen. Darum St. Paulus wohl sagen mag: Eph. 5,14. Wache auf, der du schläfest, so wird dich Christus erleuchten; anzuzeigen, dass die Erleuchtung nicht geschehen kann, es sei denn, dass man dem Sündenschlaf Urlaub gebe, das ist, der Unbußfertigkeit, Sicherheit und Gottlosigkeit. Darum stehet Apost. Gesch. 2, 37. Tut Buße, so werdet ihr empfahen die Gaben des heiligen Geistes. Und Joh. 14,17. Die Welt kann den heiligen Geist nicht empfahen. Was ist aber die Welt anders, als eitel gottloses Leben?

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9. 6) Was ist es auch, dass der Herr spricht: Matth. 7,20. An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen? Nichts anders, als dass aus den Früchten des Lebens müssen wahre und falsche Christen erkannt werden, nicht aus vielem Herr, Herr schreien. Denn mit dem Schein der wahren Lehre decken sich die falschen Christen, als mit einem Schafpelz, da sie doch im Herzen nichts weniger sein, als wahre Christen. Wiewohl niemand aus dem bösen Leben urteilen soll von der Lehre, gleich als müßte die Lehre auch falsch und böse sein, weil das Leben böse ist, wie die Wiedertäufer und Papisten von unserer Lehre urteilen, welches unrecht ist; denn es folgt keineswegs, dass die Lehre müsse unrecht sein, obgleich die Leute dawider handeln mit ihrem gottlosen Leben, sonst müßte Christus und die Apostel auch unrecht gelehrt haben, weil auch viele böse Leute zu ihrer Zeit waren. Ist derowegen das böse Leben keine Probe der Lehre, sondern der Person, ob einer ein falscher oder wahrer Christ sei, der da anders lehret und lebt, der da recht glaubet, und wider den Glauben handelt; da sagt der Herr Christus nein dazu: Es sind falsche Christen, es sind böse unfruchtbare Bäume, darum sie ins Feuer gehören, Matth. 7,19.

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10. 7) Und endlich, so ist das der wahre Glaube, der durch die Liebe tätig ist, Gal. 5,6. dadurch der Mensch eine neue Kreatur wird, dadurch er neu geboren wird, dadurch er mit Gott vereiniget wird, dadurch Christus in uns wohnet, Eph. 3,17. in uns lebet und wirket, dadurch das Reich Gottes in uns angerichtet wird, dadurch der heilige Geist unser Herz reiniget und erleuchtet, Eph. 4,23. Davon viele herrliche Sprüche zeugen: 1 Kor. 6,17. Wer dem Herrn anhanget, der wird ein Geist mit ihm. Was heißt, ein Geist mit Christo werden, als gleiches Sinnes, Herzens und Gemüts mit Christo sein? Das ist ja das neue, heilige, edle Leben Christi in uns. Item: 2 Kor. 5,17. Ist jemand in Christo, der ist eine neue Kreatur. Was heißt in Christo sein? Nämlich nicht allein an ihn glauben, sondern auch in ihm leben. Item: Hos. 2,19. Ich will mich mit dir verloben in Ewigkeit, ja im Glauben will ich mich mit dir vertrauen. Was ist dies anders, als dass ein Mensch mit Christo ganz geistlich vereiniget wird, also dass, wo der Glaube ist, da ist Christus; wo Christus ist, da ist ein heiliges Leben im Menschen; wo Christi Leben ist, da ist seine Liebe, wo die Liebe ist, da ist Gott selbsten, denn Gott ist die Liebe, da ist auch der heilige Geist. Da muß notwendig alles beisammen sein, und hanget aneinander, wie ein Haupt mit den Gliedern, und wie eine Ursache, daraus die Wirkung und Früchte folgen müssen; wie solchen Zusammenhang und Einigkeit des christlichen Glaubens und Lebens St. Petrus beschreibt, 2 Epist. 1,5. seq. Reichet dar in eurem Glauben die Tugend, in der Tugend Be-scheidenheit, in der Bescheidenheit Mäßigkeit, in der Mäßigkeit Geduld, in der Geduld Gottseligkeit, in der Gottseligkeit brüderliche Liebe, in der brüderlichen Liebe gemeine Liebe. Wo solches reichlich bei euch ist, wird es euch nicht faul noch unfruchtbar sein lassen in der Erkenntnis unsers Herrn Jesu Christi. Welcher auch solches nicht hat, der ist blind, und tappet mit der Hand, und ver-gißt der Reinigung der vorigen Sünden. Da sagt St. Petrus ausdrücklich: Bei welchem solche Einigkeit des christlichen Glaubens und Lebens nicht ist der kennet Christum nicht recht, der hat den Glauben verloren und wandelt in der Finsternis; denn das ist der rechte Glaube, durch welchen der ganze Mensch in Christo lebendig und erneuert wird, dass er in Christo lebt und bleibt, und Christus in ihm etc.

 

Gebet um rechtschaffene Lehre der Kirche. (Siehe im Paradiesgärtlein.)

 

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