DES SECHSTEN BUCHS DRITTER TEIL.

 

DARINNEN ENTHALTEN:

HERRN JOHANN ARNDTS ZWEIFACHES BEDENKEN

ÜBER DIE DEUTSCHE THEOLOGIE,

WAS DERO KERN UND INHALT,

UND WIE HOCH DASSELBE BUCH ZU HALTEN SEI ETC.

 

ERSTES BEDENKEN.

 

Allen, die Christum und sein heiliges Wort lieb haben, Gottes Erkenntnis, Friede und Freude in dem heiligen Geist.

Christliche und liebe Brüder! es ist weltkundig, dass innerhalb siebenzig Jahren viele hundert Bücher von der christlichen Religion, Lehre und Glauben, von unterschiedlichen Parteien geschrieben sind; also, dass eines Menschen Leben nicht genug ist, dieselben alle zu erschöpfen. Was aber dem christlichen Leben und der wahren Buße damit gedient sei, die vor allen Dingen sollte getrieben, und ohne Unterlaß geprediget werden, gibt die Erfahrung, und hat das Ansehen, als ob der Satan solche vieljährige Unreinigkeit in der Lehre erregt habe. Die wahre Buße und das christliche Leben, in welchem das wahre Christentum bestehet, zu verhindern, wo nicht gar zu vertilgen, wie leider am Tage ist. Denn man sehe die Welt an, ob sie nicht von Tage zu Tage ärger wird, weil man sich gar auf Streitsachen, auf Schreiben und Wiederschreiben begibt. Dagegen im Anfang des Christentums mehr auf die Buße und auf ein heilig christliches Leben gedrungen worden ist, auf dass Christi Lehre ins Leben verwandelt würde. Wie es denn sein soll bei den wahren Christen; derowegen es augenscheinlich ist, dass, damit man verhoffet jetzt die reine Lehre und christliche Religion zu erhal-ten, dadurch verlieret man sie immer mehr und mehr; sintemal man die wahre Buße und das christliche Leben läßt also verlöschen, dass man fast nicht mehr weiß, was rechte Buße ist, und das neue Leben, welches ist das edle Leben.

----------

2. Derowegen ein großer Fehler ist, dass man sich bemühet die reine Lehre allein mit Schreiben und Disputieren in den Schulen und Kirchen zu erhalten, und des christlichen Lebens vergisset, da doch die reine Lehre nicht bleibet oder bleiben kann bei den Unbußfertigen, welche Christo der ewigen Wahrheit, und dem ewigen Licht mit ihrem Leben widerstreben. Das heißt mit Worten für die Lehre streiten, und mit der Tat und Leben dawider streiten. Jenes sollte man tun, und dieses nicht lassen, sonst wird mit der einen Hand gebaut, und mit der andern eingerissen. Und zwar 1) was hat das Licht für Gemeinschaft mit der Finsternis? und wie stimmet Christus mit Belial? 2 Kor. 6,14.15. Das ist: wie sollte Christi Lehre da rein bleiben, da der Teufel das Leben regieret? oder wie sollte daselbst die reine Lehre Christi bleiben, da Christus selbst nicht bleibet und sein Leben? Wären wir rechte Christen, nicht mit Worten, sondern mit der Tat und Wahrheit, das ewige Leben würde uns bald erleuchten, und im Glauben und Lehre einig machen. Unmöglich ist es, dass diejenigen mit dem Geist und Licht der ewigen Wahrheit können erleuchtet werden, welche dem Herrn Christo nicht folgen in ihrem Leben.

----------

3. 2) Denn der Herr hat wahrlich nicht umsonst gesagt: Joh. 8,12. Ich bin das Licht der Welt, wer mir nachfolget, wandelt nicht in Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben. Dies Nachfolgen ist von Christi Leben zu verstehen, und dies Licht des Lebens, so die wahren Nachfolger Christi haben werden, ist das Licht der Erkenntnis Gottes und der reinen Lehre, über welche man sich so viele Jahre her gestritten hat, da jeder Teil seine Lehre für die ewige Wahrheit, d. i. für Christum selbst ausgegeben, dass man wohl siehet, wie die Weissagung Christi erfüllet sei: hie ist Christus, da ist Christus. Matth. 24,24. Wo ist aber Christus, ohne daselbst, da nicht allein sein Wort und Lehre, sondern auch sein Leben ist? Man hält billig das Wort und Sakrament für Kennzeichen der Kirche, aber mit demselben decken sich viele falsche Christen, die viele Worte und Sakramente gebraucht haben, aber nicht um ein Haar besser geworden sind; darum muß man notwendig auch das dritte Kennzeichen hinzu tun, nämlich die Liebe, welche nichts anders ist, denn das edle Leben Christi. Daran, spricht der Herr, wird man erkennen, dass ihr meine Jünger seid, Joh. 13,35.

----------

4. 3) Was ist es nun, dass man so heftig streitet für Christi Lehre, und vergisset seines Lebens? Denn der Herr hat uns nicht allein befohlen, von ihm seine Lehre zu lernen, sondern auch sein Leben. Lernet von mir, spricht er, denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig. Matth. 11,29. Als wollte er sagen, an diesen beiden Tugenden fangt an, und leget denselben Grund, und bauet euer ganzes Leben darauf. Hätte man nun so heftig Christi Leben dem Volke eingebildet, als heftig man für die Lehre gestritten, es ginge in allen Ständen besser zu. Gute und gründliche Streitbücher muß man haben, und es machen sich diejenigen wohl um die Kirche verdient, die falsche Lehre mit Grund göttlichen Worts widerlegen, ihr Lob wird auch wohl bleiben. Aber man muß es gleichwohl nicht allein auf Bücherschreiben setzen, sondern es muß auch das Volk zu wahrer Buße getrie-ben werden, und die, so andere lehren, müssen selbst das Leben Christi an sich nehmen, auf dass sie nicht andern den Weg zum Leben zeigen, und selbst nicht darauf wandeln. So müßte es auch mit dem Schreiben sein Maß haben, denn die große Menge der Bücher ist wider die Art des neuen Testaments, welches nicht in auswendigen Buchstaben bestehet, sondern im Geist, der Geist aber ist Christi Leben, welches in der wahren Christen Herz geschrieben ist. Was plaget man sich denn mit den unzähligen vielen Büchern, gleich als wenn der heilige Geist gar gestorben wäre, der die Herzen lehret und erleuchtet?

----------

5. 4) Nicht vergeblich hat auch St. Paulus befohlen, Tit. 3,9. dass er sich des Streits über dem Gesetz entschlagen sollte; davon beide St. Paulus und Titus auch hätten können große Streitbücher schreiben; aber nein, er befiehlt den Lehrern der Kirche, einen Ketzer zu meiden, wenn er zwei- oder dreimal ver-mahnet ist, und setzet Ursache, denn sie sind in verkehrtem Sinn gegeben. Daraus abzunehmen ist, dass den Rotten und Sekten mit Schreiben wenig Abbruch getan wird, aber mit heiligem Leben, wahrer Buße, kräftigem Gebet möchten sie überwunden und getilgt werden. Denn der Teufel fragt viel nach Schreiben und Disputieren, wenn keine Kraft des Lebens, Tugend und Gebet dabei ist. Der Teufel hat nie einen scharfsinnigen Disputanten geflohen, aber einen heiligen Mann hat er oft geflohen. Wird man nun nicht vom Leben Christi anfangen, und von wahrer Buße, und in Christi Fußstapfen treten, so wird nimmermehr das wahre Licht, die reine Lehre, bei uns erhalten; wir werden auch nimmermehr in der Lehre einig werden, und stritten wir uns auch bis an den jüngsten Tag. Ja, je weiter die wahre Buße und das edle Leben Christi von uns ist, je weiter und mehr wird die reine Lehre, wahrer Glaube, der heilige Geist und das ewige Leben von uns weichen, bis wir endlich das ganze Christentum gar verlieren, wo es nicht bei den meisten Haufen allbereit verloren ist. Denn es helfen keine Bücher zur Erhaltung reiner Lehre, wo das Leben nichts taugt, und wider die Lehre streitet, sintemal die Weisheit fliehet den Gottlosen, für und für aber gibt sie sich in die heiligen Seelen, und machet Propheten und Gottes Freunde, Weish. 7,27. Ja, ich will noch mehr sagen: Die wahren Schäflein Christi, die Christi im Leben folgen, in der Tat und Wahrheit, die läßt Christus, der einige gute getreue Hirte, nicht verführet werden; darum sie auch der vielen unzähligen Streitbücher nicht bedürfen, sie haben an wenigen und kurzen genug, und brauchens nur zum Zeugnis ihres Herzens, denn sie haben das rechte Buch im Herzen, den heiligen Geist, welcher in ihren Herzen von Christo zeuget, und sie vor allem Irrtum bewahret, so lange sie auf den Wegen des Herrn wandeln, d. i. im Leben Christo folgen. Die Herzen der Menschen sollten unsere Bücher sein, nicht mit Tinten geschrieben, sondern mit dem lebendigen Geist Gottes, 2 Kor. 3,3. das möchte ihnen besser helfen zur Seligkeit, denn wenn die Welt voller Bücher geschrieben würde. Wäre nun wahre Buße und das Leben Christi in uns, so würde auch das wahre Licht darauf folgen, dass wir außerhalb der heiligen Bibel weniger Bücher bedürften.

----------

6. 5) Denn es hat uns ja unser einiger Hoherpriester den heiligen Geist ver-heißen, der uns in alle Wahrheit leiten solle. Nun verwerfen wir diesen unsern himmlischen Doktor, indem wir unsere ganze Sache, und den Streit wider falsche Lehre, auf so unzählig viele Bücher setzen, dass wir über derselben großen Menge sterben möchten, und das ist unsere Strafe. Darum die Klage Gottes im Propheten, Jer. 2,13. nicht unbillig auf uns könne gedeutet werden: Mich, die lebendige Quelle, verlassen sie, und graben ihnen hie und da Brunnen, die kein Wasser geben. Das ist: es sind Menschen, die mich im innern Grund ihres Herzens nicht suchen, sondern nur auswendig; und was in ihr Herz kommt, ist alles von außen wie ein Regen oder zufälliges Wasser, das faulet und stinket, und in dem Grunde haben sie nichts, denn es quillet nicht aus dem Grunde des Herzens hervor; behelfen sich mit Büchern und vielen Schriften, und eitel aus-wendigen Gottesdienst, und im innersten Grunde des Herzens, da es heraus-springen soll, ist nichts. So sind geartet beide falsche Propheten und falsche Christen; denn dasselbe Wasser, weil es nicht aus der lebendigen Quelle ent-springet, bleibet nicht bei den Menschen, sondern fährt hin, wie es hergekommen ist; darum dürstet niemand darnach, denn es ist nicht lebendiges Wasser aus dem innersten Grunde des Herzens, aus der Geist- und Liebesquelle entsprun-gen, sondern ist eine auswendige Pfütze und faules, zusammengeflossenes Wasser. Weil wir nun den Geist und Brunnen der Wahrheit verlassen, und auf so viele Bücher fallen, auch ganz und gar vom Leben Christi abweichen, dass nichts mehr vom wahren Christentum fast übrig ist, denn der bloße Name, wie kann doch denn das wahre Licht bei uns bleiben? Und gehet uns wegen der vielen Bücher, wie St. Paulus spricht: 2 Tim. 3,7. Lernen immerdar und können nimmer-mehr zur Erkenntnis der Wahrheit kommen. Denn je mehr Bücher, je mehr Ler-nens. Und das heißt: immerdar Lernende.

----------

7. 6) Nun aber ist die Wahrheit einig, und was einig ist, bedarf ja nicht vieler Bücher; und weil nun die Wahrheit einig ist, so muß auch zu dem einigen ein einiger Weg sein. Die einige Wahrheit aber ist Christus selbst, und er selbst ist auch der einige Weg dazu. Dieser einige Weg ist nun sein Leben, wer diesen Weg gehet, der kommt zu der einigen Wahrheit, d. i. zu Christo selbst, wie der Herr Christus, Joh. 14,6. spricht: Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Da meldet der Herr, dass er selbst die Wahrheit sei, und sei der Weg dazu. Gingen wir nun diesen Weg, und folgten dem Herrn Christo im Leben nach, wir bedürften nicht viel Bücher und Wegweiser, und wäre uns das einige Leben Christi anstatt vieler tausend Bücher, und Christus, das ewige Licht, würde uns bald erleuchten, und im Glauben einig machen.

----------

8. 7) Denn St. Paulus spricht nicht ohne Ursache: Eph. 5,14. Wache auf der du schläfest, so wird dich Christus erleuchten. Da meinet er also: Dass die, so nicht aufwachen vom Schlaf dieser Welt, von der Weltsucht, von der Weltliebe, von dem Sündenschlaf, von der Fleischeslust, Augenlust, hoffärtigem Leben, von Geiz etc. dieselben können nicht erleuchtet werden, sondern bleiben in Finster-nis, und fahren mit dem falschen Propheten in die ewige Finsternis. Darum ist es nichts, dass man falsche Lehre mit einem falschen Leben will vertreiben. O nein, kein Teufel treibt den andern aus, es ist ja das falsche Leben ja sowohl ein Teufel als die falsche Lehre, darum wird keines das andere vertreiben; ja, je mehr das falsche Christentum zunehmen wird, je mehr wird auch falsche Lehre zunehmen. Denn der Feind wird auf das falsche Leben, als auf bequemen Acker, wohl wissen falsche Lehre zu säen.

----------

9. 8) Sehet das Exempel der Korinther an, da sie nicht mehr folgen dem demüti-gen Leben Christi und seinen Fußstapfen, sondern fingen an sich ihrer Gaben zu erheben, und einer über den andern zu steigen, da kamen Spaltungen unter sie, und sie waren nicht mehr geistlich, sondern fleischlich, und hätten bald Christum verloren; denn einer war paulisch, der andere apollisch, der dritte kephisch, und das machten ihre hohen Gaben, denen die Korinther nachstrebten. Paulus war hoch im Erkenntnis, Apollo mächtig in Sprachen, Kephas oder Petrus gewaltig in Wundern, also, dass sein Schatten Kranke heilete, und Teufel austrieb. Denen wollten die Korinther nach, und erhub sich immer einer über den andern in seinen Gaben, und diese Hoffart brachte Spaltungen. Welche hohe Erkenntnis hatten, waren paulisch; welche begabt waren mit mancherlei Sprachen, waren apollisch; welche die Gaben hatten Wunder zu tun, waren kephisch. Wo war aber da Christus? Ebenermaßen wie unsere Gelehrte jetzo, welche nur darauf denken, wie einer den andern in Gaben übertreffe. Denen müßte man tun, wie St. Paulus den Korinthern, der führte sie herunter in das demütigste Leben Christi, und sprach: Kommt, ich will euch einen bessern Weg zeigen: Wenn ich mit Engel- und Menschenzungen redete, und hätte allen Glauben, alle Erkenntnis, wüßte alle Geheimnis, und hätte die Liebe nicht, so wäre ich nichts, und wäre mir alles nichts nütze, 1 Kor. 13,1. seq. Darum, wer hoch in der Lehre sein will, der richtet bald Spaltungen und Ketzerei an. Wer aber hoch in der Liebe ist, richtet keine Ketzerei an. Das heißt: Das Wissen bläset auf, aber die Liebe bessert, 1 Kor. 8,1.

----------

10. 9) Sehet das Exempel Kornelii an, Ap. Gesch. 10. wollte derselbe die reine seligmachende Lehre haben, er mußte in wahrer Buße, in Fasten und Tränen Gott darum bitten, da ward ihm Petrus gesandt, der predigte ihm Christum. Und solches zeuget St. Lucas von andern Völkern mehr. Ja, sehet St. Pauli Exempel an, sollte er mit dem ewigen Licht erleuchtet werden, und mit den andern Aposteln, die er verfolget, einig werden im Glauben, so mußte er niedergeschla-gen werden, und treten in das demütige Leben Christi. Ja, alle Propheten und Apostel haben diesen Weg wandeln müssen. Sollten die Apostel von oben herab den Geist Christi empfangen, mußten sie das Leben Christi an sich nehmen, ab-sagen allem, was sie hatten, und sich selbst verleugnen. Das war Christo nach-gefolget, und darauf folgte das wahre Licht.

----------

11. 10) Nicht vergeblich spricht der Herr: Joh. 8,31. So ihr bleiben werdet in meiner Rede, so seid ihr meine rechte Jünger, und werdet die Wahrheit er-kennen. Dies Bleiben in der Lehre Christi ist nicht allein von der Lehre zu ver-stehen, sondern fürnehmlich vom Leben. Denn die bleiben nicht in der Lehre Christi, die mit ihrem Leben von seiner Lehre abweichen. Daraus ist offenbar, dass die, so nicht im Leben Christo folgen, die können auch die Wahrheit nicht erkennen. Ja, der Teufel, der die ganze Welt verführet, verblendet der Gottlosen Sinn, dass sie nicht sehen können das helle Licht des Evangelii, Off. Joh. 12,9. 2 Kor. 4,4. und hinwieder kann er niemand verführen, der im Leben und Wegen Christi wandelt. Ja, wäre auch der Teufel selbst nebst Adam in diesem wahren demütigem Leben Christi geblieben, es wäre nie keine Verführung in die Welt gekommen. Man sagt, man solle auf die Lehre sehen, und nicht auf das Leben. Der Herr Christus spricht: Nein, sondern an ihren Früchten sollt ihr sie erkennen, Matth. 7,16.20. denn anders lehren und anders leben, ist eben das falsche Christentum. Denn soll es recht sein, und kein falsches Wesen, so muß das Leben eben das sein, was die Lehre ist, und die Lehre muß auch das Leben sein, so viel einem Menschen aus Gnaden möglich; oder es ist ein falsch phari-säisches Wesen, Finsternis und nicht Licht. Und das meinet der Herr: Ihr seid meine rechten Jünger, so ihr bleibet in meiner Rede. Darum spricht er: Matth. 23,2.3. Auf Mosis Stuhl sitzen die Pharisäer, alles, was sie euch heißen, das tut; aber nach ihren Werken sollet ihr nicht tun. Da zeiget der Herr an, dass die Phari-säer anders gelehret und anders gelebt haben, darum konnten sie Christum, das wahre Licht, nicht erkennen, und wurden vom Herrn achtmal verflucht.

----------

12. 11) Darum sehet an alle Ketzerei und falsche Propheten, ob sie in den We-gen und Leben Christi gewandelt haben? Wahrlich nicht, sondern in den Wegen des Teufels. Warum sollte uns sonst der Herr auf ihr Leben gewiesen haben, dass wir sie an ihren Früchten erkennen sollten? Denn unmöglich ist es, dass jemand könne das Licht des Lebens haben, der dem Herrn Christo nicht folget. Es sagt Bernhardus: Die Ströme der Gnaden fließen unter sich, nicht über sich. Wie sollte nun die Gnade des rechten Erkenntnisses unsers Gottes und der rei-nen wahren seligmachenden Lehre bei den Menschen bleiben, die nicht im de-mütigen Leben Christi, sondern in den Wegen des Luzifers wandeln.

----------

13. 12) Der Turm zu Babel ist eine gewaltige Vorbildung ins neue Testament und bedeutet den geistlichen Stand, 1 Mos. 11,4. Denn wie jene einen so hohen Turm bauen wollten, der in den Himmel reichen sollte; also will ein jeder Geist-loser mit seinen Büchern jetzt einen Turm im Himmel bauen, darauf man hinein steigen solle. Wie aber jenes aus eigener Klugheit vorgenommen, also auch dieses; und wie dort der Bauleute Sprache verwirret ward, also hat jetzt Gott der geistliches Bauleute Sprache verwirret, dass keiner den andern verstehet, daher ist man zerstreuet in so vielen Sekten, wie dort in vielen Sprachen und Zungen. Wie aber dort die törichten Leute gezwungen werden abzustehen von dem fürwitzigen und unnötigen Gebäude; also werden auch die geistlichen Bauleute von ihrem Gebäude, von Büchern und vielen Streitschriften erbauet, abstehen müssen, und einen andern Weg suchen, wollen sie sich nicht selber neben ihren Zuhörern um ihre Seligkeit bringen. Derowegen ist hohe Zeit, dass wir den le-bendigen oder den tätigen und wirksamen Glauben, und das edle Leben Christi in so vieler Herzen eingepflanzet, anfahen, so viele Bücher und Buchstaben mit Tinte auf Papier geschrieben sein, das wäre apostolisch und nicht babylonisch.

----------

14. Wie du nun, lieber Leser, das edle Leben Christi an dich nehmen sollst, und den lebendigen, tätigen Glauben, ja Christum durch den Glauben in dir alles sollst wirken lassen, das wird dich dieses Buch lehren, und dir den rechten Weg dazu zeigen. Du mußt es aber nicht einmal, sondern oft durchlesen, und auf den tiefsinnigen Verstand, der doch im Geist leicht und lieblich ist, gute Achtung geben; denn je mehr du es lesen wirst, je besser es sich selbst erklären wird. Wenn aber dies Buch und seine Lehre in dein Leben wird verwandelt werden, als eine Blume in seine Frucht, so wirst du bekennen müssen, dass es das rechte wahre lebendige Christentum sei, und sei kein edlers, köstlichers und lieblichers Leben, denn eben dieses Leben Christi. Ich habe zwar eine kurze Erklärung über dies Buch angefangen, mich selbst darinnen zu üben, und wo es nützlich und notwendig sein wird, will ichs gerne mitteilen. Es ist seit Anno 34. in unserer deutschen Sprache nicht gedruckt, dass es beinahe untergegangen wäre. Sol-cher alten kurzen Bücher, die zu einem heiligen Leben führen, liegen viele im Staube verborgen, wie Joseph im Kerker; denn wahrlich vor Zeiten auch Leute gewesen sein, und diejenigen, so im Leben Christi gewandelt haben, sind stets die Erleuchtetsten gewesen, derer Exempel hernach die Mönche, Einsiedler und Carthäuser missbraucht haben. Wie aber Joseph durch einen Traum aus seinem Gefängnis erlöset, also werden durch göttliches Eingeben solche Bücher ge-sucht, gefunden, geliebt und hervorgezogen. Da aber Joseph aus seinem Ge-fängnis erlöset ward, hatte er einen alten knechtischen Rock an.

----------

15. Also tritt dieser alte deutsche christliebende Theolog auch hervor in einem alten groben deutschen Baurenrock, d. i. in einer alten groben deutschen Spra-che, und lehret die Lehre Christi ins Leben verwandeln, oder wie Christus in uns leben, und Adam in uns sterben soll, besonders wie der Mensch mit Gott solle vereiniget werden, welches ist des Menschen Vollkommenheit, und der End-zweck der ganzen Theologie. An dieser Einigkeit liegt alles, denn diese Ver-einigung mit Gott ist die neue Kreatur, die neue Geburt, der Glaube, Christus in uns durch den Glauben, Christi Leben in uns, Christi Einwohnung, des heiligen Geistes Erleuchtung, das Reich Gottes in uns, dies ist alles eins. Denn 1. wo der wahre Glaube ist, da ist Christus; denn Christus und der Glaube sind nicht geschieden. 2. Wo nun Christus ist, da ist auch sein Leben, denn Christus und sein Leben sind nimmermehr geschieden. 3. Wo nun Christi Leben ist, da ist eitel Liebe, denn Christi Leben ist nichts denn Liebe. 4. Wo Christi Liebe ist, da ist der heilige Geist. 5. Wo aber der heilige Geist ist, da ist das Reich Gottes, welches ist Friede und Freude in dem heiligen Geist, Röm. 14,17. 6. Hat nun ein Mensch eins, so hat er alles, hat er aber eins nicht, so hat er keins. Denn hat er von Christi Leben nichts, so hat er nichts von Christo, vom Glauben und von der neuen Geburt. 7. So aber Christus in dir wohnet und lebet, und wirket, so ist alles das Gute, so du tust, nicht dein, sondern deines einwohnenden Königes in dir, als in seinem neuen Jerusalem, und hast dir nichts zuzuschreiben, verdienest auch nichts damit, denn es ist nicht dein, denn es kommt alles, was gut ist, von Gott in uns, nicht von uns in Gott, dass er unser Schuldiger würde; das ist die rechte und wahre Theologie, so dieser Theolog lehret. Und wenn ihn unsere jetzige zarte deutsche Zunge also sollte hören reden, sollte sie ihn wohl nicht kennen, und ihn verwerfen; darum um der jetzigen wohlklingenden und lieb-kosenden Welt willen, die mehr auf Zierlichkeit der Rede stehet, denn auf den Geist Gottes und auf ein heiliges Leben, habe ich ein wenig seinen Rock ver-bessert, und seine Zunge erleichtert. Wie aber unter der schweren Zunge Mosis ein gewaltiger Geist war, also ist es hie auch. Dieser Joseph lehret aber dich nicht mit des Potiphars Weibe buhlen, d. i. mit dieser Welt, 1 Mos. 39,12. sondern er lehret dich die Welt verlassen, und das höchste Gut suchen, denn die bei ihrem Christentum das Zeitliche suchen, ihren Geiz füllen, treiben fleischliche Lust, Augenlust, hoffärtiges Leben, die buhlen mit des Potiphars Weibe, welche Joseph bei dem Rock ergriff, er aber ließ das Kleid fahren, und floh von ihr. Also meinet jetzt die weltlustige, hoffärtige und fleischliche Welt auch, der himmlische Joseph, welcher ist Jesus Christus, soll weltlicher Weise mit ihnen buhlen, und sie greifen nach ihm, ein jeder hoffärtiger, welt- und geldsüchtiger Scribent will ihn haben, und spricht: Hie ist Christus, Matth. 24,23. Ein jeder falscher welt-süchtiger Christ greift nach ihm, und spricht: Ich bin auch ein Christ. Aber nein, der himmlische Joseph läßt ihnen sein Kleid, d. i. den äußerlichen Buchstaben, Schein, Namen und Titel, er aber fliehet von ihnen, und wird von ihnen nicht ergriffen, es sei dann, dass sie in das Leben und Fußstapfen Christi treten, und darinnen wandeln.

----------

16. Damit du aber, lieber Christ! vom Verfasser dieses Buchs Bericht haben mögest, so stehen in dem alten deutschen Exemplar, Anno 20 zu Wittenberg gedruckt, diese Worte: Dies Büchlein hat der allmächtige ewige Gott in den Sinn gegeben einem weisen, verständigen, wahrhaftigen, gerechten Menschen, seinem Freund, der da vor Zeiten gewesen ist ein deutscher Herr, ein Priester und Custos im deutschen Herren Hause zu Frankfurt, und lehret vielfältigen lieblichen Unterschied göttlicher Wahrheit, und besonders, wie, wo und wodurch man erkennen möge die wahrhaften, gerechten Gottesfreunde, und auch die ungerechten freien, falschen Geister die der heiligen Kirche gar schädlich sind. Hiemit, lieber Leser, nimm auf diesmal für gut, verstehe mich recht, urteile auch nicht zu früh. Ich befehle dich der Gnade Gottes, und bitte Gott für mich.

 

 

EIN ANDERS UND NEUERES BEDENKEN.

 

An alle Liebhaber der wahren Gottseligkeit.

 

In Publizierung dieser und anderer meiner Bücher, christliebender und gutherzi-ger Leser! ist nicht meine Meinung, dass ich dadurch meinen Nutzen oder Ehre zu suchen begehre, viel weniger, dass ich nach jetzigem Gebrauch der Welt mit unnötigen Büchern wolle helfen erfüllen, sondern dass ich männiglich zu dem einigen Buch des Lebens, unserm Herrn Jesu Christo, führen möge, das rechte wahre christliche Leben und Gottseligkeit von ihm zu erlernen, wie er uns, Matth. 11. befohlen hat: Lernet von mir! und Kap. 16.: Will mir jemand folgen, der ver-leugne sich selbst, und nehme sein Kreuz auf sich, und folge mir nach.

----------

2. Ohne dies Nachfolgen und Verleugnen seiner selbst kann niemand Christi Jünger, Liebhaber, oder auch ein wahrer Christ sein. Dasselbe aber, was es sei, und wie es geschehen müsse, lehren diese Bücher ganz geistreich und augen-scheinlich. Wirst demnach freilich dir dieselbe nicht lassen missfallen, oder mein Vornehmen tadeln, bist du anders ein Liebhaber Christi und der wahren Gott-seligkeit.

----------

3. Du wirst in diesem Buch nicht viel Streit, unnützes Geschrei, unartige Affekten, oder stachlichte Reden finden, sondern lauter reine Liebe, Verlangen nach dem höchsten ewigen Gut, Absagen und Verschmähen der eiteln Welt, Aufopferung deines eigenen Willens, die Kreuzigung und Tötung deines Fleisches, die Gleich-förmigkeit mit Christo in Geduld, Sanftmut, Demut, Kreuz, Trübsal und Ver-folgung. Summa, wie du dir selbst, und der Welt absterben, und Christo leben sollest.

----------

4. Es ist bis daher viel von der christlichen Lehre disputieret, gestritten und geschrieben, wenig aber vom christlichen Leben; jenes lasse ich in seinem Wert, und strafe nichts als den Missbrauch, wie ich zur andern Zeit wider die streit-, zank-, wort- und windsüchtige Theologie geschrieben, und wider das viele unnütze und unnötige Bücherschreiben und Disputieren, damit dem wahren Christentum nicht viel gedienet ist. Die heiligen Propheten und Apostel setzen allezeit Lehr und Leben zusammen; und haben beides mit einander fleißig ge-trieben. Denn was ist doch Lehr und Leben? Ein Baum ohne Früchte, ein Brunn ohne Wasser, Wolken ohne Regen? Was ist doch wahre Buße, als Änderung des adamischen Lebens und Bekehrung von der Welt zu Gott. Was ist wahre Reue und der Glaube anders, denn der Welt absterben, und Christo leben.

----------

5. Es ist eine große Geduld und Langmut Gottes, dass er manchem Ort so lange sein Wort lasset, da doch so große Unbußfertigkeit und Sicherheit im Schwange gehet, und gar überhand genommen hat; werden wir aber nicht rechtschaffene Buße tun, so wird Gott sein Wort und die reine Lehre von uns nehmen, und wenn wir gleich in den Streitbüchern und Disputationen säßen bis über die Ohren. Mancher meinet, er habe Christum wohl erkannt, wenn er von der Person Christi viel disputieren kann, und lebt doch nicht in Christo, der verführt sich selbst. Denn wer Christi Demut, Sanftmut und Geduld in seinem Herzen nicht hat, noch empfindet, der kennet Christum noch nicht recht, hat ihn aber auch nie recht ge-schmecket; und wer Christi Lehre prediget, und sein edles Leben nicht, der predi-get Christum nicht ganz, sondern nur halb.

----------

6. Darum der heilige Apostel Paulus Lehre und Leben Christi zusammen setzet: 2 Tim. 1,13. Halt an dem Fürbilde der heilsamen Worte, die du von mir gehört hast, vom Glauben und von der Liebe zu Christo. Und der heilige Apostel Petrus, 1. Epist. Kap. 1. bezeuget: So wir im Glauben, in Geduld, in Gottseligkeit und der Liebe, wandeln, dass wir uns nicht lassen unfruchtbar sein in der Erkenntnis Jesu Christi. Da lehret uns der Apostel, dass die Erkenntnis Christi mehr bestehe in der Übung, dass nämlich Christus in uns lebe, und wir in ihm, als in der Wissen-schaft und Theorie.

----------

7. In dem lebendigen oder wirksamen und tätigen Glauben, und in der Nach-folgung des heiligen Lebens Christi bestehet auch das wahre lebendige Er-kenntnis Christi. Christus ist die ewige Liebe des Vaters, und Gott ist die Liebe selbst; wie kannst du nun Gott und Christum recht erkennen, so du niemals die Liebe in deinem Herzen geschmecket hast?

----------

8. Solches lehren dich diese Bücher, wie du nämlich das edle Leben Christi an dich nehmen, und den lebendigen Glauben, ja Christum durch den Glauben in dir sollst leben lassen, und alles wirken; und wenn du dieselbe durch öfters Lesen und stetige Übung in dein Leben verwandeln wirst, wie eine Blume verwandelt wird in ihre Früchte, so wirst du bekennen müssen, dass es das rechte wahre lebendige Christentum sei, und sei kein edlers, köstlichers Leben, denn das heilige Leben Christi, wirst auch bekennen müssen, dass ein Christ müsse eine neue Kreatur sein, oder er gehöret Christum nicht an, wie St. Paulus spricht: 2 Kor. 6. Ist jemand in Christo, der ist eine neue Kreatur.

----------

9. An dieser Erneuerung in Christo, an dieser geistlichen, himmlischen, göttlichen Wahrheit ist alles gelegen, dieselbe ist der Endzweck der ganzen Gottesgelehrt-heit, und des ganzen Christentums. Dies ist die Vereinigung mit Gott, 1 Kor. 6. die Vermählung mit unserm Himmels-Bräutigam Jesu Christo, Hos. 2. der le-bendige Glaube, die neue Geburt, Christi Einwohnung in uns, Christi edles Leben in uns, des heiligen Geistes Früchte in uns, die Erleuchtung und Heiligung des Reichs Gottes in uns. Dies ist alles eines, denn wo der wahre Glaube ist, da ist Christus mit aller seiner Gerechtigkeit, Heiligkeit, Verdienst, Gnade, Vergebung der Sünden, Kindschaft Gottes, Erbe des ewigen Lebens, d. i. die neue Geburt, die da kommt aus dem Glauben an Christum.

----------

10. Denn Christus und der Glaube vereinigen sich mit einander also, dass alles, was Christus ist, unser wird durch den Glauben; wo aber Christus wohnet durch den Glauben, da wirket er auch ein heiliges Leben, und das ist das edle Leben Christi in uns; wo aber Christi Leben ist, da ist eitel Liebe, und wo die Liebe ist, da ist der heilige Geist, und wo der heilige Geist ist, da ist das ganze Reich Gottes. Hat nun ein Mensch eines, so hat er alles, hat er aber eines nicht, so hat er keines; denn hat er von Christi heiligem, edlem und neuem Leben nichts, so hat er nichts von Christo, vom Glauben und von der neuen Geburt; so aber Christus in dir wohnet, lebet und wirket, so ist alles das Gute, so du tust, nicht dein, sondern deines einwohnenden Königs in dir, Eph. 3. Gottes Kraft ist es, die in uns wirket. Darum hast du dir es nicht zuzuschreiben, wie denn dieses der deutschen Theologie einiger Zweck und Ziel ist, dass der Mensch alles, was gut ist, nicht ihm selbst, sondern Gott zuschreiben soll; vielweniger verdienest du etwas damit, weil es nicht dein ist, sondern Gottes, von welchem alles kommt, was gut ist, nämlich aus Gott in uns, nicht aus uns in Gott, dass er unser Schuldi-ger würde.

----------

11. Zum andern ist aus diesem Buch zu ersehen, dass die wahre Erleuchtung und lebendige Erkenntnis Christi, ohne wahre Buße und Bekehrung zu Gott, ohne Nachfolgung des heiligen Lebens Christi, ohne wahre Gottseligkeit, ohne Verschmähung der Welt, nicht erlanget werden könne. Denn

 

Zum 1. was hat das Licht für Gemeinschaft mit der Finsternis? 1 Kor. 6. Unbuß-fertigkeit ist Finsternis, darum hat das Licht der wahren Erkenntnis Christi mit derselben keine Gemeinschaft. Ist demnach unmöglich, dass diejenigen mit dem Geist und Licht der ewigen Wahrheit können erleuchtet werden, die in der Fin-sternis der Unbußfertigkeit leben. Denn

 

Zum 2. also spricht der Herr: Joh. 12. Wandelt im Licht, dieweil ihrs habt, auf dass euch die Finsternis nicht überfalle, und Joh. 8. Ich bin das Licht der Welt, wer mir nachfolget, wandelt nicht in Finsternis, sondern wird das Licht des Le-bens haben. Dies Nachfolgen ist von Christi Leben zu verstehen, und das Licht des Lebens, so die Nachfolger Christi haben werden, ist das Licht des wahren Erkenntnisses Gottes; daraus ist offenbar, dass die nicht können mit dem Geist und Licht der ewigen Wahrheit erleuchtet werden, die Christo im Leben nicht folgen.

 

Zum 3. spricht die Weisheit Gottes: Kap. 7. Der heilige Geist fleucht die Ruch-losen, für und für aber gibt er sich in die heiligen Seelen, und machet Propheten und Gottes Freunde. So nun der heilige Geist, unser einiger und himmlischer Doktor, der uns in alle Wahrheit leitet, das einzige Licht, so unsere Finsternis erleuchtet, die Gottlosen fliehet; wie können sie denn erleuchtet werden? Darum will der Herr sagen: Die Welt kann den heiligen Geist nicht empfangen, verstehe, wegen ihrer Unbußfertigkeit; darum Gott, Jer. 2. klaget: Mich, die lebendige Quelle, verwerfen sie, und graben hie und da Brunnen, die kein Wasser geben.

 

Zum 4. spricht St. Paulus: Ephes. 5. Wache auf, der du schläfest, so wird dich Christus erleuchten. Derohalben diejenigen, so nicht aufwachen von dem Sün-denschlafe dieser Welt, von der Augenlust, Fleischeslust und hoffärtigem Leben, die können von Christo nicht erleuchtet werden.

 

Zum 5. spricht St. Petrus: Act. 2. Tut Buße, so werdet ihr empfangen die Gaben des heiligen Geistes. Derohalben kann der Geist Gottes, der die Herzen erleuch-tet, ohne Buße nicht empfangen werden.

 

Zum 6. Alle Propheten und Apostel haben müssen die Welt verschmähen, und sich selbst verleugnen, absagen allem, was sie gehabt, haben sie wollen erleuch-tet werden, und den heiligen Geist von oben herab empfangen.

 

Zum 7. spricht St. Bernhardus: Die Ströme der Gnaden fließen unter sich und nicht über sich. Wie sollte denn die Gnade des Lichts und Erkenntnisses Gottes zu den Menschen kommen, die nicht im demütigen Leben Christi wandeln, son-dern in den Wegen des Luzifers.

----------

12. Summa, die Vereinigung mit Christo durch den lebendigen Glauben, die Erneuerung in Christo durch die Tötung des alten Menschen, ist der Zweck und das Ziel dieser Schriften. Denn so viel der Mensch ihm selber abstirbt so viel lebt Christus in ihm; so viel die böse Natur abnimmt, so viel nimmt die Gnade im Menschen zu; so viel das Fleisch gekreuziget wird, so viel wird der Geist leben-dig gemacht; so viel die Werke der Finsternis im Menschen gedämpfet werden, so viel wird der Mensch erleuchtet; so viel der äußere Mensch verweset und getötet wird, so viel wird der innere Mensch erneuert; so viel die eigenen Affekten und das ganze fleischliche Leben im Menschen stirbt, als eigene Liebe, eigene Ehre, Zorn, Geiz, Wollust, so viel lebt Christus in ihm; je mehr die Welt von Men-schen ausgehet, als Augenlust, Fleischeslust, hoffärtiges Leben, je mehr Gott, Christus, und der heilige Geist in den Menschen eingehen und ihn besitzen; und hinwieder, je mehr die Natur, das Fleisch, die Finsternis, die Welt im Menschen herrschen, je weniger Gnade, Geist, Licht, Gott und Christus im Menschen ist, dabei prüfe sich ein jeder; darum kann er ohne wahre Buße nicht recht erleuchtet werden.

----------

13. Solcher alten kurzen Bücher, die zu einem heiligen Leben führen, liegen viele im Staube verborgen, wie Joseph im Kerker. Denn wahrlich vor Zeiten auch Leute gewesen sind, die einen Hunger und Durst nach Christo gehabt haben, mehr denn jetzt die alte und kalte Welt, und die, so dem edlen und heiligen Leben Christi in Einfalt, Lauterkeit des Herzens, und in reiner Liebe nachge-wandelt haben, sind stets die Erleuchtetsten gewesen. Wie aber Joseph durch einen Traum aus seinem Gefängnis erlöset ward, also werden durch Gottes Eingeben solche Bücher gesucht, gefunden, geliebt und hervorgezogen. Und gleichwie Joseph, als er aus seinem Gefängnis erlöset ward, einen alten knechtischen Rock an hatte, also tritt dieser alte deutsche Theolog auch hervor in einem groben deutschen Bauernrock, d. i. in einer alten groben Sprache, in welcher er doch sehr hohe, geistreiche und liebliche Dinge lehret, nämlich Christi edles Leben an sich nehmen, die Lehre Christi in das Leben verwandeln, wie Christus in uns leben, und Adam in uns sterben soll. Und wenn ihn unsere jetzige zarte deutsche Ohren also sollten hören reden, sollten sie ihn wohl nicht kennen, und ihn mit seiner Sprache und Lehre verwerfen. Darum, um der jetzigen wohl-klingenden und liebkosenden Welt willen, (die mehr auf die Zierlichkeit der Rede siehet denn auf den Geist Gottes, und auf ein heiliges Leben,) habe ich ihm ein wenig seinen Rock verbessert, und seine schwere Zunge erleichtert, auf dass der geistreiche Verstand ein wenig besser hervorleuchte. Denn gleichwie unter der schweren Zunge Mosis ein gewaltiger Geist verborgen war, also ist es hie auch.

----------

14. Dieser Joseph aber lehret dich nicht mit des Potiphars Weibe, d. i. mit dieser Welt buhlen, sondern er lehret dich, die Welt verschmähen, und das höchste Gut suchen. Denn die in ihrem Christentum das Zeitliche mehr suchen als Christum selbst, mehr lieben die Augenlust, des Fleisches Lust, und hoffärtiges Leben denn das Reich Gottes, die buhlen mit des Potiphars Weibe, welche Joseph bei dem Rock ergreift, er aber ließ das Kleid fahren, und flohe von ihr. Also meinet jetzt die hoffärtige, wollüstige und fleischliche Welt auch in allen Ständen, der himmlische Joseph, Christus Jesus, soll weltlicher Weise mit ihr buhlen. Ein jeder hoffärtiger, geld- und weltsüchtiger Bauchdiener greift nach ihm, will ihn halten, und spricht: Hie ist Christus! ich bin auch ein Christ! aber nein, der himmlische Joseph läßt ihnen sein Kleid, d. i. den äußerlichen Buchstaben, Schein, Namen und Titel, er aber fliehet von ihnen, und wird von ihnen nicht ergriffen; es sei denn, dass sie von Herzen Buße tun, das edle demütige Leben Christi an-nehmen, und darinnen wandeln.

----------

15. Ob dir nun das erste Buch dunkel und unverständlich wird vorkommen, so wird dirs doch das andere erklären. Wirst auch in meinem Buch vom wahren Christentum und Paradiesgärtlein hierüber gute und nützliche Auslegung finden. Dahin ich dich so lange will gewiesen haben, bis ein mehreres erfolget. Unter-dessen nimm hiemit vorlieb, und bitte Gott für mich.

 

- Zum nächsten Kapitel -