DAS DREIUNDZWANZIGSTE KAPITEL. (1.B./23.K.)

 

EIN MENSCH, DER IN CHRISTO WILL WACHSEN UND ZUNEHMEN,

MUSS SICH VIELER WELTLICHEN GESELLSCHAFT ENTSCHLAGEN.

 

Inhalt.

1) Ein Christ soll sich der vielen weltlichen Gesellschaft entschlagen; 2) denn die Seele ruhet nirgends besser, als in Gott. 3) Das ist der Sabbat des Herzens. 4) Was das Herz nicht beruhiget und bessert, dessen soll man sich entschlagen. 5) Unnütze Worte verwunden die Seele. 6) Bewahre deinen Mund und Gewissen, und kehre zu Christo ein. 7) Gebrauche die Welt mit Furcht und Demut; 8) das schafft Ruhe und Trost im Gewissen. 9) Das Gewissen ist des Menschen Himmel und Hölle. 10) Bei göttlicher Traurigkeit, 11) und Abgeschiedenheit von der Welt, redet Gott mit der Seele.

 

Wie lieblich sind deine Wohnungen, Herr Zebaoth! Mein Leib und Seele freuen sich in dem lebendigen Gott. Ps. 84,2.3.

 

Allzu vieler und öfterer weltlicher Gesellschaften mußt du dich äußern und ent-ziehen. Denn gleichwie dem menschlichen Leibe nicht besser ist, als wenn er in seinem Hause ist, also ist der Seele nicht besser, als wenn sie in ihrem eigenen Hause ist, das ist, in Gott ruhet, daraus sie geflossen ist, da muß sie wieder ein-fließen, wenn ihr wohl sein soll.

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2. Eine Kreatur ruhet nicht besser, als in dem, daraus sie geworden ist, ein Fisch im Wasser, ein Vogel in der Luft, und ein Baum im Erdreich. Also die Seele in Gott, wie der Ps. 84,4. spricht: Der Vogel hat ein Haus funden, und die Schwalbe ihr Nest etc. und wie es nicht gut ist, dass man die Jungfrauen und Kinder viel spazieren gehen lässet, 1 Mos. 34,1. also ist es auch nicht gut, dass du deine Gedanken und Worte viel lässest unter andere Leute spazieren gehen; behalte sie im Hause deines Herzens, so werden sie nicht von den Leuten geärgert.

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3. In den Vorhöfen unsers Gottes grünen die Pflanzen des Herrn, wie Cedern auf dem Libanon, Ps. 92,14. Was sind die Vorhöfe unsers Gottes? Es sind die inner-lichen, geistlichen Feiertage des Herzens, der innerliche geistliche Sabbat, und der blühende Libanon in der Wüste, in der Einsamkeit des Geistes. Suche den-selben, so kannst du dich selbst erforschen, und Gottes Wunder und Wohltaten betrachten.

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4. Mancher hat Lust, kluge und spitzige Dinge zu lesen und zu erforschen, da-durch doch das Herz mehr geärgert als gebessert wird. Was nicht Ruhe des Herzens und Besserung mit sich bringt, das soll nicht gehört, geredet, gelesen oder gedacht werden. Denn die Bäume des Herrn sollen immerdar wachsen und zunehmen in Christo. St. Paulus hat sich gehalten als einer, der nichts mehr wüßte, denn Jesum Christum den Gekreuzigten, 1 Kor. 2,2. Darum die Heiligen Gottes sich immer beflissen haben, in der Stille mit inniger Andacht göttlich zu leben, und den himmlischen Gemütern gleich zu werden, und in Gott zu ruhen; das ist die höchste Ruhe der Seelen. Darum einer von denselbigen gesagt: So oft ich unter den Menschen bin, komme ich minder denn ein Mensch wieder heim. Denn die Menschheit stehet in dem Gleichnis Gottes, darum Gott den Menschen also beschrieben, dass ein Mensch ein Bild sei, das ihm gleich sei, 1 Mos. 1,26. Je ungleicher Gott, je minder Mensch; je mehr sich aber der Mensch zu Gott wendet, je gleicher er Gott wird. Soll sich aber der Mensch zu Gott wenden, so muß er sich von der Welt abwenden. Ein jegliches Sämlein bringt eine Frucht, die ihm gleich ist. Also ist der Same Gottes in dir, der heilige Geist, und das Wort Gottes, so wirst du sein ein Baum der Gerechtigkeit, eine Pflanze zum Lob und Preis Gottes, Jes. 61,3.

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5. Manchmal wird ein Wort geredet, oder man redet es selbst, das einem ein Stachel wird im Herzen, welcher die Seele verwundet. Darum ist niemand sicherer und ruhiger, als wenn er daheim ist, und auch seine Gedanken, Worte und Sinne in dem Hause seines Herzens behält. Man lieset von Diogenes, dem Philosophen, da ihn einer vexiert hat mit dieser Schlußrede: Was ich bin, das bist du nicht; ich bin ein Mensch, darum bist du kein Mensch; hat er gesagt: Der Schluß ist nicht recht; fange von mir an, so ist er recht.

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6. Will einer wohl reden lernen, so lerne er zuvor wohl schweigen; denn viel waschen heißt nicht wohl reden. Will einer wohl regieren, der lerne zuvor wohl untertänig sein; denn niemand kann wohl regieren, der Gott nicht selbsten unter-tänig und gehorsam ist. Will einer Ruhe und Friede im Herzen haben, so be-wahre er seinen Mund wohl, und befleißige sich eines guten Gewissens. Denn ein böses Gewissen ist die größte Unruhe; doch findet auch ein böses Gewissen seine Ruhe in Christo, durch Wiederkehrung und Buße. Gleichwie das Täublein Noah nirgends fand, da es möchte ruhen, ohne in der Arche, darum kam es wieder, 1 Mos. 8,9. Die Arche ist Christus und seine Christenheit, die nur eine Tür und Fenster hat, das ist die Buße, dadurch man zu Christo eingehet. Und wie das Täublein bald wieder kam zu der Arche, also mußt du bald wieder einkehren in dein Herz zu Christo, von den vielen Wassern dieser Welt; oder du wirst keine Ruhe finden.

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7. Bist du nun unter den Leuten, und mußt die Welt gebrauchen, so tue es mit Furcht und Demut, ohne Sicherheit, und sei wie ein junges Bäumlein, an den Stab der Demut und Gottesfurcht gebunden, dass nicht ein Sturmwind aufstehe, und dich zerbreche. Wie oft wird mancher betrogen, der allzusicher die Welt gebrauchet; wie dem Meer nicht zu trauen ist, also ist auch der Welt nicht zu trauen; denn die auswendige Ergötzlichkeit und der Trost der Welt kann bald in ein Ungestüm verkehrt werden, und die Weltfreude kann bald ein böses Ge-wissen machen.

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8. O wie ein gutes Gewissen behielte der, der keine vergängliche Freude suchte, und sich nimmer mit dieser Welt bekümmerte! O wie ein ruhig und friedsames Gewissen hätte der, der allein göttliche Dinge betrachtete, und all seine Hoffnung auf Gott setzte! O wie großen und süßen Trost würde der von Gott haben, der sich nicht auf der Welt Trost verließe! Wie mancher Mensch würde oft seine Bekehrung, Besserung und heilige Andacht bei sich selbst finden, die er bei an-dern Leuten verlieret. Denn in deinem Herzen findest du das, welches du außer demselben verlierest. Ein Bäumlein wächst nicht besser, als in seinem eigenen Grunde und Erdreich. Also der innere Mensch wächst nicht besser, als im innern Grunde des Herzens, da Christus ist.

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9. Freude und Traurigkeit hat des Menschen Gewissen; brauchst du es zu gött-lichen innerlichen Dingen, so wird dein Gewissen deine inwendige Freude; brauchest du es zu äußerlichen weltlichen Dingen, so wird es deine inwendige Traurigkeit und Herzeleid, 2 Kor. 7,10.

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10. So oft sich eine andächtige Seele um der Sünden willen betrübt, so oft be-weint sie sich heimlich; da findet sie den Tränenbrunnen und Tränenquellen, mit denen sie sich alle Nacht, im Glauben und Geist durch den Namen Jesu wäschet und reiniget, 1 Kor. 6,11. auf dass sie heilig und würdig sei, einzugehen in das verborgene Allerheiligste, da Gott heimlich mit ihr reden kann.

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11. Und weil Gott ein verborgener Gott ist, Jes. 45,15. muß ihm die Seele heim-lich werden, mit welcher er reden soll. Ps. 85,9. Ach, dass ich hören sollte, dass Gott der Herr redete. Ps. 34,5.7. Da ich den Herrn suchte, antwortete er mir, und errettete mich aus aller meiner Furcht. Da dieser Elende rief, hörete der Herr, und half ihm aus allen seinen Nöten. Ps. 5,4. Herr, frühe wollest du meine Stimme hören, frühe will ich mich zu dir schicken, und darauf merken. Sie wird aber um so viel heimlicher, so viel sie von der Welt abgeschieden ist. Wie der Erzvater Jakob, da er von seinen Kindern und Freunden abzog, redeten Gott und die Engel mit ihm, 1 Mos. 32,24. sq. Denn Gott und die Engel liebten eine heilige Seele über die Maßen, und lassen sie nicht allein.

 

Gebet um die Bewahrung vor der Befleckung der Welt.

 

Du hast mich, o Jesu! von dieser gegenwärtigen argen Welt errettet und abge-sondert, dass ich mich nicht derselben gleich stellen, noch mitlaufen und mit-machen, sondern vielmehr mich durch Erneuerung meines Sinnes verändern, der Welt absterben und gekreuziget werden solle. Ach gib, dass ich dir stets folge, wo du hingehest, auf dich allein, und keinen Menschen, sehe, mich auch in keine eitle Gesellschaft begebe, die Freude der Welt und ihre Lust, welche ewige Un-lust und Unruhe bringt, verschmähe, und mich begnügen lasse, dass ich in der heiligen Dreieinigkeit, der Engel und Auserwählten Gemeinschaft sei und bleiben werde, Amen.

 

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