DAS FÜNFTE BUCH

VOM WAHREN CHRISTENTUM.

 

Welches handelt:

I. Vom wahren Glauben und heiligen Leben.

II. Von der Vereinigung der Gläubigen mit Christo, ihrem Haupte.

III. Von der heiligen Dreieinigkeit; von der Person und Amt Christi,

und von den Wohltaten des heiligen Geistes.

 

ERSTER TEIL.

 

VOM WAHREN GLAUBEN UND HEILIGEN LEBEN.

 

DAS ERSTE KAPITEL. (5.B./1.T./1.K.)

 

VON DER UNVOLLKOMMENHEIT

DES HEILIGEN CHRISTLICHEN LEBENS

UND ÜBRIGEN GEBRECHEN DER GLÄUBIGEN.

 

Inhalt.

1) Es ist beides sehr schwer, sowohl christliche Lehren zu pflanzen, als ein heili-ges Leben aufzurichten. 2) Wider beide wütet der Teufel durch dreierlei Art Leu-te. 3) Indem 1. etliche schwärmen, sie seien schon ganz vollkommen und können nicht mehr sündigen. 4) Zwar, der Rechtfertigung nach, sind wir vollkommen in Christo; aber mit der Erneuerung hat man lebenslang zu tun. 5) Welches Arndt mit Schriftstellen bestätiget, und selbst gelehrt. 6) Diese Lehre von der Unvoll-kommenheit treibt zum Gebet. 7) Sie ist in der Schrift gegründet. 8) Dawider streitet Johannes nicht, 1 Joh. 3,9. 9) 2. Andere sagen: Es sei unmöglich, fromm zu leben. Diese Gottlosen verstehen weder die Kraft des Verdienstes, noch das Reich Christi. 10) Da Christus als König in seinen Gläubigen herrschet; 11) wie im Gegenteil der Satan in den Gottlosen. Sollte Christus in uns nicht vielmehr herrschen, der uns den Geist der Kraft gegeben? 12) Einige Sprüche von der Vollkommenheit sind von der Lehre zu verstehen. 13) 3. Gibt es boshafte Läste-rer und Verächter der Lehre von der Gottseligkeit.

 

Gleichwie es über alle Maßen schwer ist, falsche Lehre und Abgötterei umzu-stoßen, und aus dem Herzen der Menschen zu vertreiben, und dagegen die seligmachende Lehre des Evangelii zu pflanzen; also ist es auch ein überaus schweres Werk, das unchristliche, ungöttliche Leben zu zerstören, und die wahre Buße und Bekehrung aufzurichten.

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2. Wider beide wütet und tobet der Teufel, Welt und Fleisch. Etliche schwärmen und sagen: Sie seien schon vollkommen, und können nicht mehr sündigen, miss-brauchen dazu die heilige Schrift und andere erbauliche Bücher, wie der Satan, welcher auch Gottes Wort missbrauchet, und sich in einen Engel des Lichts ver-stellen kann, 2 Kor. 11,14. Andere sagen: Es sei unmöglich, also zu leben; das sind die Gottlosen, so die Buße hassen und nicht leiden können. Die Dritten lästern es aus lauter Bosheit und Neid, wie die Pharisäer Christum lästerten, damit ja seine Lehre und sein heiliges Leben von dem Volk nicht angenommen, sondern in Verdacht gezogen und verworfen würde.

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3. Die Ersten sind Schwärmer und unleidliche Fantasten, welche der Teufel in diesen letzten Zeiten erwecket, die wahre Buße zu verhindern, welche sich durch das ganze Leben eines Christenmenschen erstrecket, bis in den Tod hinein, als-dann ist er gerechtfertigt von der Sünde, wenn er nämlich das sündliche Fleisch abgelegt hat. Daher sich nie ein Heiliger Gottes gerühmet hat, dass er voll-kommen sei, und nicht mehr sündigen könne.

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4. Zwar in Christo sind wir alle vollkommen, wenn er uns seine Heiligkeit durch den Glauben zurechnet und schenket; aber was der Gläubigen Leben betrifft, da mangelts weit. Denn auch in den Gläubigen und Wiedergebornen noch viele überbleibende Sünden, Gebrechen und Mängel gefunden werden, darüber sie täglich seufzen, dieselben bereuen und Gott abbitten, Ps. 19,13. Wer kann mer-ken, wie oft er fehlt? Verzeihe uns die verborgenen Fehler. Denn ob wir schon die neue Geburt, und die tröstliche Kindschaft Gottes empfangen haben durch den Glauben, so geschiehet doch die Erneuerung nicht gänzlich auf einmal; sondern der heilige Geist reiniget, erneuert und heiliget sein Haus von Tag zu Tag, und schmücket das Gnadenkind Gottes täglich je mehr und mehr mit seinen Gaben, und heilet seine Gebrechen. Darum St. Paulus befiehlt, dass die, so durch den Glauben sind gerecht worden, die Sünde nicht sollen herrschen lassen in ihrem sterblichen Leibe, Röm. 6,12. Klaget auch darüber, dass die Sünde noch in ihm wohne und nehme ihn oft gefangen, widerstrebe dem Geist seines Ge-müts, Röm. 7,18.23. Warnet auch die Gläubigen, wo sie nach dem Fleisch leben werden, so werden sie sterben, wo sie aber die fleischlichen Lüste durch den Geist Gottes dämpfen werden, so werden sie leben, Röm. 8,1. seq. Und daselbst spricht er: Es ist nichts verdammliches an denen, die in Christo Jesu sind, die nicht nach dem Fleisch wandeln, sondern nach dem Geist. Da bekennet er, dass in den Gläubigen beides sei, Fleisch und Geist, d. i. fleischliche Lüste und Be-gierde, so die Wiedergebornen plagen. Ja es ermahnet der Apostel die Korinther, und spricht: Lasset uns von aller Befleckung des Fleisches und Geistes uns reinigen, und fortfahren mit der Heiligung in der Furcht Gottes, 2 Kor. 7,1. Und Gal. 5,17. beschreibt er den Streit des Fleisches und des Geistes, wie diese beide wider einander sein. Davon auch St. Petrus sagt: 1 Epist. 2,11. Enthaltet euch von fleischlichen Lüsten, so wider die Seele streiten.

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5. Was sagt der wiedergeborne heilige David: Herr! so du willst Sünden anrech-nen, wer wird vor dir bestehen? Ps. 130,3. Herr! gehe nicht ins Gericht mit dei-nem Knecht, denn vor dir ist kein Lebendiger gerecht, Ps. 143,2. Der Gerechte fällt siebenmal, sagt der weiseste König, Spr. 24,16. Und der Herr zu Petro: Wenn dein Bruder siebenmal des Tages an dir sündiget etc. Luk. 17,4. Und der Evangelist Joh. 1 Epist. 1,8. So wir sagen, wir haben keine Sünde, so betrügen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns. Daher spricht St. Paulus Phil. 3,2. Nicht, dass ichs schon ergriffen habe, oder schon vollkommen sei. Diese Lehre von der Unvollkommenheit des christlichen Lebens habe ich vielfältig beschrieben in meinem ersten Buche vom wahren Christentum, als in der Vor-rede, und im 16. Kapitel. Item Kap. 11. Das 19. Kap. vom Erkenntnis des menschlichen Elends streitet ganz wider die Vollkommenheit. Das 40. Kapitel hat viele herrliche Lehren davon. Lies das ganze 41. Kapitel, da wirst du Bericht genug finden wider diese Schwärmer.

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6. Ist demnach die tägliche Buße und die stetige Kreuzigung des Fleisches sowohl, als der tägliche Streit des Fleisches und Geistes, welchen die heilige Schrift von den Gläubigen fordert, diesen Schwärmern ganz zuwider. Diese Lehre von der Unvollkommenheit gibt Ursache, andächtig zu beten wider den Teufel, Welt und Fleisch, wie der Herr seine Jünger und uns alle lehret: Wachet und betet, dass ihr nicht in Anfechtung fallet, denn der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach, Matth. 26,41. Ja, was sagt St. Paulus: 2 Kor. 11,29. Wer ist schwach, und ich werde nicht schwach? Wer wird geärgert, und ich brenne nicht? So ich mich ja rühmen will, so will ich mich meiner Schwachheit rühmen.

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7. Eine große vermessene Sicherheit ist es, sich der Vollkommenheit rühmen, und ohne Sünden sein wollen, da doch vor Gott niemand unschuldig ist, wie Moses sagt, 2 Mos. 34,7. Und der Pred. am 7,21. Es ist kein Mensch auf Erden, der nicht sündiget. Darum spricht der Ps. 7,21. Herr, um Vergebung der Über-tretung und Zudeckung der Sünden, um Nichtzurechnung der Missetat, werden dich alle Heiligen bitten zu rechter Zeit.

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8. Dass aber St. Joh. 1 Epist. 3,9.10. spricht: Wer aus Gott geboren ist, der tut nicht Sünde, denn sein Same bleibet bei ihm, und kann nicht sündigen, denn er ist von Gott geboren. Daran wirds offenbar, welche die Kinder Gottes und des Teufels sind; da machet er einen Unterschied unter Gottes und des Teufels Kindern. Diese haben Lust zu allen Sünden, das ist ihre Freude und Kurzweil. Gottes Kinder aber haben keine Lust zur Sünde, sondern hüten sich davor, beten dawider, und wenn sie aus Schwachheit straucheln, gereut es sie von Herzen; denn Gottes Same ist in ihnen, Gottes Wort und Geist, der läßt sie nicht in Sün-den verharren.

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9. Die Andern, so sich die Unmöglichkeit lassen abschrecken, haben kein rechtes wahres Erkenntnis Christi, verstehen das Leiden, Sterben, Auferstehung Christi nicht recht. Lassens dabei allein bewenden, dass Christus für ihre Sünden ge-storben; wollen aber nicht wissen, dass die Frucht des heiligen Todes und der Auferstehung Christi in uns wirken müsse, dass wir der Sünden sollen absterben und in Kraft der Auferstehung Christi von Sünden auferstehen, wie diese Lehre vom Apostel Paulo gewaltig getrieben wird, Röm. 6,7.8.12.13.14. Item an die Galater und Epheser. Sie verstehen auch das Reich Christi nicht, welches er aufrichtet und bauet in der Gläubigen Herzen. Er führet sein Reich nicht wie irdische Könige, welche äußerlicher Weise mit sichtbarer Gewalt über ihr Land und Leute herrschen, sondern Christus herrschet, regieret, sieget, lebt in seinen gläubigen Gliedern, da hat er seine Herrschaft im Geist und Glauben, und ist das Haupt seiner Gemeine, welche er, als seinen geistlichen Leib, mit allerlei geist-licher Fülle, Kraft, Licht und Leben erfüllet.

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10. Sollte nun das Haupt in seinen Gliedern nicht wirken? Sollten wir von seiner Fülle nichts empfangen? St. Paulus wünschet ja, Eph. 3,19. dass wir mögen erfüllet werden mit allerlei Gottes-Fülle; welches er Phil. 1,11. also ausredet: Erfüllet mit Früchten der Gerechtigkeit. Wer nun Christum Jesum will recht er-kennen lernen, der muß ihn auch erkennen als einen regierenden, herrschenden König, der sein Reich in seinen gläubigen Gliedern hat. Und das macht den Unterschied unter den Heiden und Christen, wie dasselbe St. Paulus deutlich erkläret: Eph. 4,17.18.20.21. So sage ich nun und zeuge in dem Herrn, dass ihr nicht mehr wandelt, wie die andern Heiden wandeln, in der Eitelkeit ihres Sinnes, welcher Verstand verfinstert ist, und sind entfremdet von dem Leben, das aus Gott ist. Ihr aber habt Christum nicht also gelernt, so ihr anders von ihm gehört habt, und in ihm gelehrt seid, wie in Jesu ein rechtschaffenes Wesen ist. Darum ist nun die Gnade Gottes erschienen allen Menschen, und züchtiget uns, dass wir sollen verleugnen das ungöttliche Wesen, und die fleischlichen Lüste, und züchtig, gerecht und gottselig leben in dieser Welt, Tit. 2,11.12.

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11. Und in Summa, was bedarfs viel Worte? Bedenke doch, wie der Teufel sein Werk hat in den Kindern des Unglaubens, und hat sein Reich in seinen Gliedern, dawider wir täglich beten und streiten; sollte nun Christi Reich in den Gläubigen nicht vielmehr sein, und herrschen im Glauben, Liebe, Hoffnung, Demut, Geduld, Gebet, Gottesfurcht? Dazu uns unser ewiger König seinen Geist gegeben hat, der unserer Schwachheit aushilft, und vertritt uns mit unaussprechlichem Seuf-zen, Röm. 8,26. Hier wird zugleich der Vollkommenheit und der Unmöglichkeit widersprochen.

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12. Dass aber St. Paulus Eph. 4,13. schreibt, dass wir alle hinankommen sollen zu einerlei Glauben und Erkenntnis des Sohnes Gottes, und ein vollkommener Mann werden, ist nicht vom Leben zu verstehen, sondern von der vollkommenen Lehre, so uns zur Seligkeit führet; dass uns nichts verhalten ist, sondern aller Rat Gottes geoffenbaret, wie wir sollen selig werden; auf dass wir uns nicht verführen lassen, wie sich der Apostel selbst erkläret; dass wir nicht mehr Kinder sein sollen, und uns wiegen lassen von allerlei Wind der Lehre. So spricht er auch, Kol. 8,21. Wir ermahnen alle Menschen mit aller Weisheit, auf dass wir darstellen einen jeglichen Menschen vollkommen in Christo Jesu. Das ist, wir lehren, wie allein in Christo Jesu die vollkommene Gerechtigkeit, ein vollkommener Weg zur Seligkeit sei. Desgleichen 2 Tim. 3,16.17. Alle Schrift von Gott eingegeben, ist nütze zur Lehre, zur Strafe, zur Besserung, zur Züchtigung in der Gerechtigkeit; dass ein Mensch Gottes sei vollkommen, zu allen guten Werken geschickt; das ist, Gottes Wort ist eine vollkommene Lehre und Weg zur Seligkeit, und macht den Menschen geschickt zu allen guten Werken so Gott gefallen, dass man keine neue Lehre oder Werke dazu erdenken oder dazu tun darf.

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13. Die Dritten, so die Lehre von wahrer Buße und christlichem Wandel aus lau-ter Bosheit und Mutwillen lästern und verachten, die lästern das heilige Leiden Christi und schmähen den Geist der Gnaden und Nachfolge des Exempels Christi, die mögen sich bedenken, was sie dem Herrn Christum antworten wollen, da er spricht: Wer mir folgen will, der verleugne sich selbst, und nehme sein Kreuz auf sich täglich, und folge mir nach, Luk. 9,23. Item, wer zu mir kommt, und hasset nicht sein eigenes Leben, der kann mein Jünger nicht sein, Luk. 14,26. Item: Lernet von mir, ich bin sanftmütig und von Herzen demütig, Matth. 11,29. Item, was sie dem Apostel Petro wollen antworten, da er spricht: Christus hat uns ein Exempel gelassen, dass wir sollen nachfolgen seinen Fußstapfen, 1 Petr. 2,21. Auch dem Evangelisten Johanni, da er spricht: Wer da sagt, dass er in ihm bleibe, der soll auch wandeln, gleichwie er gewandelt hat, 1 Joh. 2,6. Gefällt ihnen nun dies nicht, so wird ihnen am Tage des Gerichts das gefallen müssen: Ich habe euch noch nie erkannt, weichet alle von mir, ihr Übeltäter, Matth. 7,20.

 

Hier kann gebraucht werden das Gebet, so im andern Buch zu Ende des 4. Kapi-tels gefunden wird.

 

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