DES SECHSTEN BUCHS ZWEITER TEIL.

 

DARINNEN ENTHALTEN:

 

NEUN SENDSCHREIBEN DES HERRN JOHANN ARNDTS,

IN WELCHEN ER DIE REINE LEHRE

DER BÜCHER VOM WAHREN CHRISTENTUM

WIDER ALLERHAND FALSCHE AUFLAGEN GERETTET,

UND DEREN EIGENTLICHEN ZWECK

ZU ERKENNEN GEGEBEN HAT.

 

DAS ERSTE SENDSCHREIBEN (6.B./2.T./1.S.)

 

DES HERRN JOHANN ARNDTS AN HERRN DR. WOLFGANG FRANTZIUM,

PROFESSOR DER THEOLOGIE ZU WITTENBERG.

 

Ehrwürdiger, hochachtbarer und hochgelehrter Herr Doktor, günstiger, vielgelieb-ter Herr und werter Freund! Dass E. E. mir diese Freundschaft bezeuget, und die Calumnien, so zu Danzig wider mein Buch vom wahren Christentum ganz böslich ausgesprengt, mir wohlmeinend wissend gemacht, auch dawider ein wahrhaft und gründliches Schreiben abgehen lassen, tue gegen dieselbe mich herzlich bedanken, mit freundlichem Erbieten, solche brüderliche Treuherzigkeit, bestem Vermögen nach, hinwieder zu verschulden. Und weil ich vermerke, dass vielen Leuten solche schädliche Nachrede allbereit eingebildet sein solle, so habe ich in deutscher Sprache auf E. E. brüderliches Schreiben antworten wollen, damit jedermann diese meine Entschuldigung lesen könne, ob E. E. belieben möchte, dieselbe als eine Apologiam und Errettung meiner Unschuld zu publizieren. Und ist zwar nicht ohne, dass ich vorlängst vermerket, dass sich die Welt wider solche eifrige Schriften heftig gesperret und aufgelehnet, sonderlich junge Leute, die nicht Gewohnheit haben, und geübte Sinnen, zum Unterschied des Guten und Bösen, Hebr. 5,14. Weil ich aber ein freudiges Gewissen habe vor dem Herrn, aller Herzen Kundiger, auch ein treueifriges Intent, der großen beharrlichen Un-bußfertigkeit und Gottlosigkeit der Welt, durch solche meine Bücher, zu wider-sprechen, (ob Gott etlichen, wo nicht vielen, Gnade zur Buße hiedurch geben wollte,) als habe ich viele solcher Ungewitter darüber ausgestanden, und in großer Geduld vorüber gehen lassen. Denn ich wohl vermerkt, dass etwas hierüber müßte gelitten sein, sonderlich giftige Fersenstiche, weil der alten Schlange dadurch auf den Kopf getreten ist. Unterdessen habe ich erfahren, dass diese meine Schriften bei hohen und niedrigen Standespersonen, durch Gottes Gnade, vielen Nutzen geschaffet haben, derowegen auch etliche bei mir um Schutzschriften wider die Calumnianten angehalten; habe mich aber bis hieher durch nichts bewegen lassen, weil ich gewiß bin, dass, wer in Christo leben will, und dem heiligen Geist die Herrschaft in seinem Herzen gönnet, und nicht dem Fleisch oder Satan; denselben wird sein eigenes Gewissen überzeu-gen, dass es also ist und sein muß, und nicht anders, als die Bücher melden; will er anders nicht mit einem Schein- und Heuchel- oder gefärbten Glauben ins Verderben fahren. Ach mein lieber Herr Doktor! sollte man nicht eifern wider die Bosheit, die nun so groß ist, dass sie in den Himmel steiget und schreiet, darauf entweder eine blutige und giftige Sündflut, oder das Feuer zu Sodoma, oder der Hunger zu Samaria und Jerusalem gehöret? Niemand will den Abgrund aller Bosheit, die Erbsünde recht erkennen lernen; niemand will erkennen, dass die Bosheit, so im Herzen ist, und heraus gehet in die Tat, Werke sein des Satans, und dass der böse Geist selbst da ist, wo seine Werke sind; niemand will ab-lassen von seinen bösen Gedanken, wie der Prophet Jes. 55,7. erfordert. Jeder-mann zärtelt und spielet mit seinen Sünden, da sie doch ein so heftig groß einge-wurzeltes Gift ist, dass sie mit eisernen Griffen und spitzigen Diamanten in die Tafeln des Herzens geschrieben sein, Jer. 17,1. Wahrlich, der Zorn Gottes wird sich mit schlechter Heuchelbuße nicht lassen abwenden. Wo ist das zerbrochene Herz? Wo sind die heißen Tränen? Wo ist das einsame Vögelein auf dem Dache, das da wachet und seufzet? Wo ist jemand, der wider den Riß stünde, und sich zur Mauer mache wider den Zorn Gottes? Das wäre besser, als dass man un-schuldige Leute und Bußprediger mit sektierischen, ketzerischen Namen be-flecket, und um sich wirft mit Enthusiasterei, Weigelianern, Osiandristen, Schwenkfeldisten, Papisten. Mit solchen Teufelslarven wird man bei weitem nicht das Reich Gottes frommen Leuten aus den Herzen reißen. Oder meinen sie, dass Christus zur rechten Hand Gottes sein Reich nicht mehr auf Erden habe in den Herzen der Gläubigen? Meine geringen Bücher, als äußerliche Zeugnisse des inwendigen Reichs Gottes, könnten leichtlich aus den Händen der Menschen gerissen werden; aber das inwendige Zeugnis des Geistes läßt sich so leicht nicht ausreißen, es wäre denn, dass der Geist Christi, der von ihm zeuget in den Gläubigen, kraftlos oder ohnmächtig worden wäre. Und was plaget man sich doch mit der Enthusiasterei? Kann man auch derselben beschuldiget werden, wenn man mit der Schrift sagt: Werdet voll Geistes, erfüllet mit aller Gottesfülle? Eph. 5,18. Sind denn die Propheten und Aposteln Enthusiasten gewesen, da sie voll Gottes und voll Geistes worden sind, da sie mit Kräften aus der Höhe ange-tan, und mit dem heiligen Geist getauft worden? Luk. 24,39. War St. Stephanus auch ein Enthusiast, als er vor dem Rat zu Jerusalem voll heiligen Geistes ward, und sahe den Himmel offen, und die Herrlichkeit Gottes? Ap. Gesch. 7,55.56. Haben nicht alle Christen solche Verheißung, da der Herr spricht: Wir werden zu ihm kommen, und Wohnung bei ihm machen? Joh. 14,23. Item: Wie vielmehr wird mein himmlischer Vater den heiligen Geist geben allen, die ihn darum bitten? Luk. 11,13. Haben wir nicht die herrlichen Mittel dazu, das Wort Gottes, das Gebet, das herzliche Verlangen nach Gott? davon in meinem Lehr- und Trostbuch das 4. Kapitel vom Wort Gottes zu lesen ist. Ist das Enthusiasterei, wenn gelehrt wird, man soll täglich in sich selbst gehen, sein Elend bedenken, die zukünftige Herrlichkeit betrachten, sich in Gott erfreuen? Sagt nicht der Prophet: Ihr Übeltäter, gehet in euer Herz? Jes. 46,8. Der heilige David wird ein Enthusiast sein, da er im 5. Ps. v. 4. spricht: Frühe will ich mich zu dir schicken und darauf merken. Was sind alle Betrachtungen und Herzensgespräche Au-gustini, und anderer Heiligen Gottes auch zu dieser Zeit? Aber weil solche heilige Übungen der Andacht vergessen und verloschen sein, muß es bei den unge-lehrten Sophisten Enthusiasterei heißen. Was sagt aber der Herr? Gehe in dein Kämmerlein, schleuß die Tür nach dir zu, und bete im Verborgenen, Matth. 6,6. Was ist die Zukunft des Reichs Gottes, darum wir täglich bitten? Was hat man denn an dieser Lehre zu lästern? Was plagt man sich denn auch mit den Weigelianern? Soll denn die apostolische Regel nicht mehr gelten: Prüfet alles, das Gute behaltet, 1 Thess. 5,21. Was gehen mich des Weigels Irrtümer an, darüber ich gegen vornehme Leute oft geklaget, dass er wider die Schrift die zugerechnete Gerechtigkeit spöttisch ausmachet, dadurch Abraham vor Gott ist gerecht erkannt; und St. Paulus will von keiner andern Gerechtigkeit wissen, als von der, die dem Glauben wird zugerechnet, Phil. 3,9. Von der Person und menschlichen Natur Christi hat Weigel einen gefährlichen Irrtum; item von der Auferstehung unsers Fleisches, wider 1 Kor. 15. und was der unschriftmäßigen Händel mehr sein mögen, denn ich seiner Schriften wenige gelesen. Mit Osiandri Irrtum habe ich weniger als nichts zu tun, wie mein Lehr- und Trostspruch vom Glauben, von Vergebung der Sünden, von der Gerechtigkeit des Glaubens, neben andern meinen Schriften, überflüssig bezeugen. Wider den Schwenkfeld habe ich die Kraft des göttlichen Worts in ermeldetem Buch deutlich genug asseriert, und die Lehre vom inwendigen neuen Menschen aus der Schrift ausgeführet. Man wolle doch um Gottes willen bedenken die Grundsätze meiner Bücher vom wahren Christentum: Nämlich den unergründlichen Sündenfall, das verlorne Bild Gottes, die neue Kreatur, das Leben Christi in den Gläubigen, den Streit des Fleisches und Geistes, das zerbrochene Herz, die Nachfolge des Beispiels Christi, und mögen sich meine Lästerer wohl bedenken, was und wen sie lästern, oder mögen die Gegenlehrer beweisen, dass, die Christum ange-hören, ihr Fleisch nicht kreuzigen sollen samt den Lüsten und Begierden, Gal. 5,24. und der nicht eine neue Kreatur sein müsse, der in Jesu Christo sein will, 2 Kor. 5,17. und dass die, so zu Christo kommen sollen, sich nicht selbst verleug-nen, und ihr eigen Leben hassen dürfen, Luk. 9,24. Matth. 10,33. Item, dass die auch den Namen Gottes des Herrn wohl anrufen können, die nicht abtreten von der Ungerechtigkeit. Item, dass ohne göttliche Traurigkeit eine Reue zur Seligkeit könne gewirket werden, 2 Kor. 7,10. und dass die Liebe der Welt bei Gottes Liebe stehen könne, 1 Joh. 2,15. und dass der ein wahrer Christ sein könne, der die Früchte des Geistes nicht habe. Dieweil sie meine Bücher verwerfen, so müssen sie auch meine Principia verwerfen, und weil dieselbe bei ihnen falsch sein müssen, so muß ja die Antithesis bei ihnen wahr sein. Meine Postille, Psalter, Katechismus und Auslegung der Passion sind öffentliche Zeugnisse und Verantwortungen meiner Unschuld wider meine Lästerer, welche ich dem ge-rechten Gericht Gottes befehle, und mit ihnen nicht weiter zu streiten gedenke. E. E. wolle keinen Verdruß haben über meinem langen Schreiben, unterwerfe sol-ches deroselben hochverständigen Zensur, und bitte auf meine Unkosten die Bekanntmachung zu befördern. Erbiete mich zu allen möglichen brüderlichen Diensten, und befehle E. E. dem gnädigen Schutz des Allerhöchsten. Gegeben Zell, den 29. März 1620.

 

DAS ZWEITE SENDSCHREIBEN. (6.B./2.T./2.S.)

 

Gottes Gnade, und mein Gebet zuvor, ehrenfester, günstiger Herr und Freund! Dass ihr wegen meiner Bücher Anfechtung habt, ist mir leid; ich bitte aber, ihr wollet nicht zu sehr eifern, sondern an den 27. Psalm denken. Ich für meine Person muß der tollen Heiligen lachen, dass sie ihr Geist in Harnisch gejagt hat. Ist mein Werk aus Menschen, so wird es nicht bestehen; ist es aber aus Gott, so werden sie es nicht dämpfen können, Ap. Gesch. 5,38.39. Wenn ich nach Art ihres kalten Maulgeschwätzes geschrieben hätte, nach der Weltart, so hätten sie das ihre lieb. Nun es aber wider die Welt ist, so hassen sie es, aber ohne alle Ursache und Verstand. Ich habe in meinem Buch den Abgrund der Bosheit menschlicher Herzen angegriffen, und dagegen die Änderung und Besserung derselben gezeiget, nämlich die Wiedergeburt. Wer es nun nicht will leiden, und sein eigenes Herz daraus nicht will prüfen und erkennen lernen, noch herzgründ-liche Buße tun, demselben steht es frei. Ich habe aus christlicher Liebe mitteilen wollen, was mir Gott gegeben, und weiß, dass es die Wahrheit ist, die den Men-schen zu seiner Selbsterkenntnis, zur innerlichen Herzensbuße und Besserung führet. Sollte ich darum nicht etwas leiden? Ja ich freue mich dessen, und will tausendmal lieber mehr leiden, als dass ich mein Pfund vergraben sollte. Wenn nun den Calumnianten etliche Reden in meinem Buch ungereimt vorgekommen wären, so sollten sie mein Gemüt und Meinung aus meinen andern Schriften zuvor erkundigt haben, ehe sie mich lästern. Gestehe ihnen demnach nicht, dass sie mir aus verbittertem Herzen etwas aufdichten, das mir nie in den Sinn ge-kommen, und mein Wort ihres Gefallens, nach ihrem Verstand, deuten und zwacken. Ich will vor Gott das Meine verantworten, sie sehen zu, wie sie ihre Lästerungen verantworten wollen. Es haben meine Bücher einen unbeweglichen Grund und Fundament, welcher ist Christus, mit seinem Verdienst und Wohl-taten; derselbe ist kräftig und lebendig in allen seinen Gliedern. Daraus entspringt das Zeugnis des Gewissens aller Gläubigen, dass sie die Wahrheit bekennen müssen, dieselben lieben und annehmen, zu ihrer Bekehrung und Seligkeit, und ist eben das innerliche Zeugnis des heiligen Geistes, davon St. Paulus redet, Röm. 8,16. und 1 Joh. 5,10. Wer an den Sohn Gottes glaubet, der hat das Zeug-nis bei ihm. Darum wird es so leicht nicht aus den Herzen der Gläubigen gerissen werden, obgleich die Flattergeister darwider schmähen und lästern. Die wahre Buße ist nicht ein Maulgeschwätz so wenig als der wahre Glaube; wo nun der-selbe ist, da wird er sich nicht von solchen leichten Winden lassen wegblasen, sondern wird überwinden. Es bestehet das Reich Gottes nicht in Worten, sondern in der Kraft, 1 Kor. 4,20. Auch ist die wahre Theologie nicht ein zänkisches Maul-geschwätz, sondern eine wirkliche, lebendige, kräftige Gabe und Erleuchtung Gottes, Bewegung des Herzens durch den heiligen Geist, welche ein jeder wahrer Christ selbst empfindet und prüfet, dass es sei die Kraft Gottes in ihm. Von einer solchen Erleuchtung des Geistes Gottes, welcher in dem Glauben wirket und tätig ist, reden meine Bücher, dessen sind die guten Herren nicht gewohnt, haben keine Praxis und geistliche Erfahrung. Hätten sie aber dies Zeugnis des heiligen Geistes in ihnen selbst, so würden sie nicht also lästern und schmähen, sondern der Geist der Wahrheit würde sie anders leiten. Darum schmerzt mich ihre ungeistliche Geistlichkeit, denn sie offenbaren mit ihrem Schmähen ihr Herz: Gott gebe, dass sie das Urteil des Herrn nicht treffen möge: Herr! haben wir nicht in deinem Namen geweissaget? Matth. 7,22. Mit welchen Worten der Herr strafet alle die, so die Frucht und lebendige Kraft des göttlichen Worts nicht allein nicht erkennen, sondern auch andern, die es erkannt haben, aus den Herzen reißen wollen. Was mögen doch diese Leute für ein Wort Gottes haben? Soll es nur ein tönend Erz, oder klingende Schelle sein? 1 Kor. 13,1. Aber dieses ist in meinem Lehr- und Trostbuch genugsam ausgeführet. Sind demnach diese geringen Bücher in vielen weltberühmten Städten nachgedruckt; als anfänglich zu Jena, darnach zu Straßburg, und jetzt zu Mömpelgard und andern Orten. Dass aber diese hohen Geister sich dawider aufblähen, muß ein böser Wind sein, der sie angewehet hat; und tröste mich damit, dass ich lauter allein das wahre Christentum, welches nicht im äußerlichen Schein und Worten bestehet, sondern in der neuen Geburt, gesucht habe, auch nichts anders, als das wahre Erkenntnis menschlichen Elendes, welches der Tausendste nicht erkennet, noch wegen der angebornen Blindheit seines Herzens erkennen kann, auch nicht anders, als die wahre herzgründliche Bekehrung zu unserm Herrn Jesu Christo, und die wirkliche Nachfolgung seines heiligen Lebens, in allen meinen Schriften lehre, bezeuge und bekenne, nach Inhalt göttlichen Worts, und mir keines einigen Irrtums, sie haben Namen wie sie wollen, bewußt bin; wie ich weiter hievon an einen vornehmen Theologen und Professoren zu Wittenberg geschrieben habe. Wer sich nun nicht will zu Christo, zu seinem Erkenntnis, und auf den Grund seines eigenen Herzens führen lassen, der bleibe in seiner Blindheit und Hoffart. Ich habe das Meine getan, und will Gott die Lästerer be-fehlen, der wird sie richten. In meinem Herzen und Gewissen bin ich frei und gesichert, dass sie mir Unrecht und Gewalt tun. Ich muß aber auch erfahren, was des Satans Engel sei, der die mit Fäusten schläget, die Christum lieb haben, 2 Kor. 12,7. Ich habe mich in meinem Lehr- und Trostbuch genugsam verantwortet, auch in meinem Schreiben nach Wittenberg. Begehre mich in keinen weitläufigen Streit einzulassen; ich habe wohl mehr zu tun, und kann die Zeit besser anlegen. Der getreue, wahrhaftige und allein weise Gott, zu dessen Ehre alle meine Sa-chen gerichtet sein, wird meine Ehre wohl retten; dem habe ichs befohlen. Gegeben Zell, am 4. Mai Anno 1620.

 

DAS DRITTE SENDSCHREIBEN (6.B./2.T./3.S.)

 

AN HERRN DR. JOHANN GERHARD, DAMALS SUPERINTENDENT ZU HELD-BURG, NACHGEHENDS ABER PROFESSOR DER THEOLOGIE ZU JENA.

 

Euer E. freundlichem Gesuch zu willfahren, habe ich nicht umhin gekonnt, die von mir so oft verlangten übrigen drei Bücher, welche ich von dem wahren Christentum geschrieben, als das andere, dritte und vierte, endlich zu übersen-den, dass sie wenigstens zu einem Privatgebrauch dienen könnten. Und weil es ja E. E., laut ihres Schreibens, für eine besondere Wohltat und Geschenk halten wollen, so sollen sie ihm hiemit verehret sein, damit ich durch etwas Geringes einen großen Dank bei ihm verdienen möge. Es machen es E. E. nach Art der Liebhaber, welche auch das allergeringste Geschenk, wenn es nur von lieber und gewogener Hand kommt, hochzuschätzen pflegen. Es soll aber dieses ein Privat- und Hausgeschenk sein, dass sie nicht durch öffentlichen Druck herauskomme. Denn ich sehe, dass die Ausfertigung des ersten Buchs einigen mißfiele, deren Urteile und Gedanken ich gerne höher achte, als meine eigene, auch nicht übel nehme, dass man mir deswegen einen Missfallen bezeigen oder gar gehässig werden will, weil ich ja mir selber mit aller meiner Arbeit nicht gefallen kann. Man siehet zu Basel eine Grabschrift über den weiland sehr berühmten Mann, An-dreas von Bodenstein, welche der vortreffliche Theodor Zwinger, desgleichen ich, da ich den freien Künsten noch oblag, an Gelehrtheit nicht gesehen, verfertiget, davon ich etliche Zeilen im Gedächtnis behalten habe, die also lauten:

 

Non omnibus, nec omnia mihi? /

Placuere: quinam ego omnibus? /

Non omnibus /

Non Eremita Spagyrus – etc. /

Num tu viator omnibus? /

Deo placere cura. Abi.

 

d. i. Wie nicht allen, also auch mir, gefällt nicht alles; wie sollte ich denn allen gefallen können? Nicht allen gefällt der einsiedlerische Alchimist etc. Und du Wandersmann wolltest allen gefallen? Sorge nur, wie du Gott gefallen mögest. Gehe fort.

Und also bin ich auch gesinnet; genug, dass ich Gott durch Christum gefalle. Indessen haben einige Leute in ihren an mich gegebenen besondern Schreiben bekennet, dass, nachdem sie mein geringes Buch gelesen, sie nicht wenig in der Gottseligkeit zugenommen haben. So nun hiedurch ein desto größerer Eifer zur Gottseligkeit in ihnen erwecket, auch einige Fußstapfen zur Nachfolge des Le-bens Christi ihnen gezeiget, und ihr Leben nach dem Exempel Christi eingerich-tet worden, so habe ich Gott, der solches getan, dafür zu danken. Denn ja dies der Christen Hauptzweck sein soll, also zu leben, wie der gelebt hat, an welchen sie glauben. Dannenhero ich nicht etwa geschrieben habe den noch unbekehrten Heiden, die die Salbung des Kreuzes nicht empfangen haben, und daher auch keine besonderen Regungen des heiligen Geistes empfinden, sondern den Christen, bei welchen die Bekehrung ihren täglichen Wachstum und Stufen machen und haben muß, als womit das Brautbette, und der Busen des Herzens, dem Seelenbräutigam Christo, durch den heiligen Geist, und die tägliche Übung der Gottseligkeit und Buße, je mehr und mehr eröffnet, und der innere Mensch zur Erlangung desto größern Lichts und der Geistesgaben, von Tage zu Tage erneuert wird. Welches, so man von dem Stande vor der Bekehrung, oder dem Werk der Bekehrung selbst, oder dero erstem Grade verstehen wollte, man sehr irren, und an die Klippen der Synergisten anstoßen würde. Von welchen Graden oder Stufen die Bekehrung und Erneuerung die liebenswürdige Disputation E. E. de Praedestinatione, d. i. von der Gnadenwahl, aus unserm Chemnito sehr nett und mit allem Fleiß handelt. Wie viele Beweistümer solcher Stufen der Be-kehrung und des geistlichen Wachstums findet man sowohl beim Augustino, als Bernhards, sonderlich in Libro Amorum, oder in der Erklärung des Hohenlieds Salomonis, von dem Kuß des Bräutigams? Also bezeuget auch der Tuicensis im Buch de Providentia ausdrücklich, und spricht: Ich empfinde in mir selbst etwas Göttliches, ein Licht und Flämmlein, so mich beweget etc. Diese Dinge, welche mit der bösen Gewohnheit der Schreibbegier nichts gemein haben, könnten mich zur Ausfertigung meiner übrigen Bücher gar wohl aufmuntern; allein, wie gesagt, ich mag anderer Urteilen, das ich aufs glimpflichste gebe, gerne weichen. Wobei man aber die Schriften so vieler Scribenten recht könne erkennen, davon habe ich an E. E. allbereit geschrieben, und werden Sie wohl und weise tun, wenn Sie dabei betrachten, wie der innerliche Mensch werde aufgerichtet, hingegen der äußerliche zernichtet, ingleichen die Salbung und Gabe des Geistes erwecket. Derowegen setze ich anjetzt dasjenige hinzu, welches das vornehmste und innerste Stück der Theologie ist: nämlich, dass man alle Art zu lehren und zu schreiben dahin anwenden müsse, dass man den Menschen in sich kehre, den Abgrund seines Elends zu erkennen, dadurch ihn zu Jesu Christo, dem Gnaden-schatze hinweise, wie nämlich derselbe inwendig ins Herz mit Glauben müsse gefasset und verwahret werden. Denn inwendig ist das Reich Gottes mit allen seinen Gütern; inwendig ist der Tempel Gottes; inwendig ist der wahre Gottes-dienst; inwendig ist das rechte Bethaus im Geist und in der Wahrheit; da ist die Schule des heiligen Geistes; da ist die Werkstatt der einigen Dreieinigkeit, daraus Ächzen und Seufzen, Lehren, Tröstungen, Rat, Weisheit, Verstand, das ge-sammte Tugendchor und die ganze Gesellschaft guter Werke hervorgeht, näm-lich aus der Gnadenquelle, die sich in einer gläubigen Seele hervortut, und da-raus entspringet. Von welchem herrlichen Stück und Kern der zur Übung ge-brachten Theologie, ich in meinem ganzen dritten Buche deutlicher und weit-läuftiger gehandelt habe.

Dieweil ich nun diese meine Bücher E. E. als ein Geschenk zu eigen gebe, so muß ich mit wenigem erinnern, wohin bei deren Ausfertigung mein Ansehen gerichtet sei. Ich hoffe aber, er werde mir diese Freiheit nicht übel nehmen, weil ich außer E. E. sonst niemanden habe, der hierinnen mit mir gleich gesinnet sei, und sich um die Erneuerung des neuen Menschen rechtschaffen bekümmere. Das erste Buch bahnet und öffnet den Weg zum innern Menschen; das andere führet etwas näher zu demselben, nämlich zum Geschmack der geistlichen Dinge, durch die Geduld des Kreuzes; das dritte lehret den Menschen in sich und in sein Innerstes einkehren, und zeiget, dass das Reich Gottes inwendig in uns sei; das vierte aber leitet durch die große Welt, und durch das Buch der Natur, Gott, als den Urheber und Schöpfer der Natur, in das Innerste der menschlichen Herzen. Denn der Mensch, als ein kurzer Begriff des ganzen Weltkreises, die kleine Welt, ist der Hauptzweck und Mittelpunkt der großen Welt, darinnen Gott und die Natur alles zusammenträgt, wie solches des Menschen selbst eigenes Gewissen bezeuget. Siehe da drei große Zeugen, die inwendig reden, und den Menschen inwendig überzeugen! Es benimmt aber diese Lehre gar nichts der Reinigkeit des Glaubens, so in den symbolischen Büchern der Augsburgischen Confession enthalten ist, dazu ich mich mit E. E. beständig bekenne, so ich auch, wenn es nötig ist, wider alle Irrtümer, sie mögen Namen haben, wie sie wollen, zu verteidigen bereit bin; vielmehr zeiget sie die Übung und den Gebrauch unsers Bekenntnisses; sie macht den rechten Saft und Kraft des innern Lebens daraus; sie führet uns auf den inwendigen Menschen, und macht ihn Christo gleichförmig, dass Christus eine Gestalt in uns gewinne, d. i. dass wir innerlich in Christo werden wieder geboren, und er in uns lebe, uns inwendig, als unser Leben, lebendig mache, als das Wort des Lebens inwendig in uns rede, als das Seelen-licht inwendig leuchte, als unser geistlicher König und Erzbischof der Seele sein Reich und Priestertum inwendig verwalte, weil ja das Reich Gottes nicht bestehet in Worten, sondern in der Kraft; welche geistliche Frucht, wenn sie von dem äußerlichen Bekenntnis nicht in meine Seele dringet, so ist zu besorgen, dass sie nicht recht könne gesättiget werden. Von andern will ich nicht urteilen. Indem ich aber hieran gedenke, ängste ich mich im Herzen, und gehe in mich, bedenkend, wie weit ich noch von dem Hafen entfernt sei. Denn andere richte ich nicht, strafe sie auch nicht, und lehre sie nicht, sondern ich habe dieses mit ängstlichen Sorgen und Meditieren, bloß zu meiner eigenen Wohlfahrt, untersuchen wollen. Nachdem mir aber Gott ein solches Pfund verliehen, mußte ich befürchten, dass, wenn ich die von mir verlangten Bücher E. E. versagen wollte, Gott mich wegen des vergrabenen Pfundes strafen würde. Wenn nun der Herr, unser Gott, der-maleinst von mir, seinem geringsten Knecht, sein mir anvertrautes Pfund mit Wucher wieder fordern wird, so will ich vor dessen Angesicht nur E. E. als einen großen und reichen Wucher (weil ich nicht anders kann) darstellen. Denn ich zweifle nicht, E. E. werden, nach den Ihnen von Gott geschenkten lehrreichen Gemüts- und Verstandesgaben des heiligen Geistes, diesen Handel besser ausführen, obschon viele Lästerungen denselben zu begleiten pflegen. Glaubet mir, der ichs selbst erfahren habe. Indessen hoffe ich, es werden die schweren Anfechtungen, die E. E. (wie aus Dero Schreiben erhellet,) so viele schlaflose Nächte verursachen, durch diese meine Gedanken etwas gemildert werden. Denn die, auf welche E. E. in ihrem Schreiben zielen, handeln die Sache nicht recht ab, und treiben dabei nicht die reine Lehre, sondern verwandeln mehren-teils die Werke des innern Menschen, welche aus einem freiwilligen Geist und innerlichen Sabbat herrühren, in lauter Gesetzwerke und knechtische Gebote, und machen sie verdienstlich, indem sie des Geistes der Liebe und der Kind-schaft vergessen haben. Kinder verrichten ihre Geschäfte aus Trieb innerlicher Liebe, die Knechte aber aus Trieb und Hoffnung einer Belohnung, Kinder lieben den Vater freiwillig, und um sein selbst willen, weil er der Vater ist; die Knechte aber um des Lohns willen. Welche demnach auf die Belohnung sehen, die lieben nicht Gott, als einen Vater, sondern sich selbst, und sind von der Natur der Kinder weit entfernt; daher machen sie sich auch verlustig der ihnen aus Gnaden zugedachten Erbschaft, davon ich in meinem zweiten Buche mit Fleiß gehandelt habe, in dem Kapitel von der edlen Tugend der Liebe, als Dero Adel darinnen bestehet, dass sie nicht verdienstlich ist. Endlich mag vielleicht wohl etwas sein, daran E. E. noch kein völliges Vergnügen haben, besonders in dem dritten Buche, als welches durchgehends von dem innern Menschen handelt; so ge-stehe ich gerne, dass ich noch nicht alle die verborgenen Dinge oder tiefen Geheimnisse begreifen könne, welche einige Theosophi und Gottesgelehrte der Seele und ihrem innersten Grund zuschreiben. Man weiß ja, dass etliche Blumen im Frühlinge, andere im Sommer, noch andere im Herbst, ja einige auch gar im Winter beim Schnee hervorblühen; also bin ich auch noch so weit nicht ge-kommen, dass ich die Tiefe der Seelen, wie sie Taulerus heißt, sollte begriffen haben. Andere nennen es das göttliche Dunkel, so durch jenes Dunkel, in welches sich Moses (Exod. 20,21.) hinzu gemacht hat, sei vorgebildet worden. Denn weil Gott ein Licht ist, welches keine Kreatur begreifen kann, so muß auch unser Sinn und Verstand bei diesem aufgehenden unaussprechlichen Lichte nur verdunkelt stehen, gleichwie das helle Mittagslicht den Nachteulen eine Dunkel-heit ist. So ist demnach dieses Dunkel das unaussprechliche Licht. Denn, gleich-wie beim Aufgang der Sonne die Sterne verdunkelt werden, also, wenn das göttliche Licht in der Seele leuchtet, so gehen alle Kräfte der Seele unter, auf dass Gott allein in dem Gemüte leuchte, wie die Sonne allein mitten am Himmel leuchtet. Aber diese hohen Sachen überlasse ich andern, und bin mit den mittel-mäßigen zufrieden. Mich vergnüget, wenn ich nur meinen Jesum rechtschaffen liebe, welches alle Wissenschaft übertrifft. Aus diesem Brief werden E. E. meine Meinung verhoffentlich vollkommen verstanden haben. Ich wünsche nächst herzlichem Gruße in Christo, dass E. E. alle Traurigkeit des Gemüts möge fahren lassen, sich in dem Herrn freuen, die Welt und den Teufel verachten, die Anfech-tung mit Geduld und Glauben überwinden, in der alleinigen Liebe Christi stille und ruhig lebe. Denn dieses ist unser Reichtum, unsere Freude und Lust, unser Paradies, der Himmel und alles. Gegeben zu Braunschweig etc.

 

DAS VIERTE SENDSCHREIBEN (6.B./2.T./4.S.)

 

AN HERRN M. ANTON BUSCHER, PASTOR ZU WILHALDI IM STADE.

 

Heil von der Quelle des Heils! Ehrwürdiger Herr, in Christo geliebter Bruder. Euer E. Schreiben ist mir recht angenehm gewesen, teils wegen der Liebe zur reinen Theologie, teils wegen des Geistes der Unterscheidung; in dem ich ersehe, dass E. E. den Kern von der Schale, und die Spreu von dem Weizen wohl zu unter-scheiden weiß. Der Herr vermehre in mir seine ihm reichlich mitgeteilte Gaben, und ich zweifle nicht, er werde sich das apostolische (2 Tim. 1,6.) Erwecken alle Tage zu Gemüte führen. Ich habe ganze Wagen voll Lästerungen erleiden müssen; allein meine, obwohl gering verfaßten Bücher haben, durch Gottes Gnade, an vielen, auch entfernten Orten so großen Nutzen geschaffet, dass über dessen Freude alle solche Lästerungen ich nicht einmal fühle. Es schreiben dann und wann einige gottselige Männer an mich, deren Gottseligkeit (weil sie durch meine geringe Schriften guten Wachstum bekommen,) mich nicht wenig erfreuet: daher ich andere unrechte Urteile gar leicht verachten kann. Was des Weigeli Schriften betrifft, so ist, nach meinem Bedenken, viel Ungereimtes in denselben enthalten, und das, so ich nicht irre, der heiligen Schrift entgegen ist; besonders was er schreibt von der Auferstehung und Verklärung unsers Fleisches; inglei-chen von dem Fleische Christi, und viele andern Dinge mehr. Indessen aber habe ich sie darum nicht ganz und gar verworfen, sondern vielmehr gedacht an die Worte Pauli: (1 Thess. 5,21.) Prüfet alles etc. Ich habe auch wohl zuweilen etwas, so mich dünkte, zur gottseligen Andacht gut zu sein, meinen Schriften eingerücket, aber doch solches vorher gesäubert. Wenn mich meine stets an einander hangende Arbeit nicht hinderte, so könnte ich auch wohl zugleich etwas aus meinem Kopf hervorbringen; dessen ich zwar zuweilen einen Versuch tue, allein mein Alter, als welches an sich Krankheits genug ist, am meisten unter meinen gehäuften Amtsgeschäften, hält meine Feder zurück; denn ich gehe nun, durch Gottes Gnade, ins vier und sechzigste Jahr, und bin durch Arbeit fast ganz entkräftet. Empfehle mich demnach E. E. andächtigem Gebet, und grüße Ihn, nebst seinen Herrn Collegen, in Christo freundlich. Er lebe wohl. Geschrieben zu Zelle, d. 19. Febr. 1619.

 

DAS FÜNFTE SENDSCHREIBEN (6.B./2.T./5.S.)

 

AN DEN DURCHLAUCHTIGSTEN FÜRSTEN UND HERRN, HERRN AUGUST DEN JÜNGERN, HERZOGEN ZU BRAUNSCHWEIG UND LÜNEBURG.

 

Durchlauchtigster etc.

Des Dr. Crameri Bibel, und was er etwa für Gedanken über die Offenbarung Johannis mag gehabt haben, ist mir nicht zu Gesichte gekommen. Sein Beden-ken über meine Bücher nehme ich wohl auf. Er irret aber hierin, dass er meinet, das wahre Erkenntnis Christi schaffe nicht auch sofort eine Nachfolge Christi. Es ist ja das Erkenntnis Christi, als ein Geschenk, oder Baum, die Nachfolge aber dessen Frucht. Nach dieser Art hätte man erfahren müssen. Und wird noch einmal die Zeit kommen, da man über die Akademien in Deutschland klagen wird, dass sie diese hohe und seligmachende Gabe ohne Exempel gelehret haben. Denn es bestehet ja das Christentum in zwei Stücken: 1) In der Lehre Reinigkeit; 2) in des Lebens Heiligkeit. Beides hat Christus gelehret; beides haben die Apostel fortgepflanzet; denn sobald der Apostel Paulus den Grund des Glaubens gelegt, ist er sofort in allen seinen Briefen auf die Übung der Gottselig-keit gegangen. Den ersten Teil haben bisher unsere Lehrer auf den Akademien überflüßig getrieben; ich aber und andere, welches ich mit ihrer Erlaubnis sage, haben den andern Teil, als die Frucht, gewiesen, und davon gehandelt. Denn meine Bücher lehren nichts anders, als was Christus sagt: Matth. 5. Selig sind, die da geistlich arm sind; selig sind die Sanftmütigen; selig sind die reines Her-zens sind etc. Was ist aber dies anders, als das Leben Christi, in welchem er uns hat vorgeleuchtet? Darnach ist es ein großer Irrtum, wenn man vermeinet, dieses könne ohne vorhergehenden seligmachenden Glauben von den Christen ge-leistet werden. Aber ich muß so lange inne halten, bis ich die ganze Disputation werde durchgelesen haben, welches in wenigen Tagen geschehen soll; da ich sie alsdann, nebst den übrigen Sachen, Euer Durchlaucht mit untertänigem Dank wieder zurückschicken will.

 

DAS SECHSTE SENDSCHREIBEN. (6.B./2.T./6.S.)

 

EXTRAKT EINES ANDERN ANTWORTSCHREIBENS VOM 29. JANUAR 1621.

AN OBGEMELDETEN HERZOG AUGUST DEN JÜNGERN.

 

Durchlauchtigster

Euer Fürstl. Gnaden habe ich zwar am gestrigen Sonntage mit dem eilenden Boten geantwortet, damit er nicht ganz ledig zurück käme; nachdem er aber, wegen der allzustrengen Kälte, noch über Nacht allhie hat verbleiben müssen, habe ich dieses meinem vorigen hinzu tun, und auf das von mir gefaßte Beden-ken des Dr. Cramers völliger antworten wollen. Es irret sich der gute Mann, dass er meinet, als habe ich in meinen Büchern Christum unsern Heiland nur als ein Exempel, nicht aber als eine Gabe und Geschenk, vorgetragen; denn das Gege-nteil kann man lesen im 5. Kapitel des ersten Buchs, vom Glauben, ingleichen Kapitel 19. und Kap. 21. von dem wahren Gottesdienste, wie auch Kap. 34., hauptsächlich aber im zweiten Buch, Kap. 1. 2. 3. 6. 8. 9. 10. In diesen Kapiteln habe ich Christum, als das höchste, beste und größte Geschenk Gottes des Vaters, also beschrieben, erläutert und gepriesen, dass ich mich von Herzen erfreuen würde, wenn ich sollte sehen, dass dies beste Geschenk von jemanden also, oder auch noch mehr, sollte gepriesen und erläutert sein. Denn diese meine einzige Lust, Freude und Wonne ist. Hiezu kommt auch das 3. Kap. des dritten Buchs von dem seligmachenden Glauben und dessen Eigenschaften. Wenn nun hievon die vornehmsten Kapitel besonders sollten gedruckt werden, sollte das allertröstlichste Buch daraus erwachsen, welches mit allen andern, sie mögen aus neuen (unter welche er auch mich verächtlich zählet) oder alten Scribenten zusammen getragen sein, einen Wettkampf anstellen möchte. Welches ich doch ohne eiteln Ruhm will gesagt haben, weil ich eine gerechte Sache habe; dannen-hero Herr Dr. Cramer meines Namens wohl hätte schonen mögen. Allein ich muß es geschehen lassen; die Wahrheit redet das Wort für mich. Es hat aber dieser sonst hochgelehrte Mann die Absicht und den Zweck meiner Bücher nicht be-griffen, welcher dieser ist: Erstlich habe ich die Gemüter der Studenten und Prediger wollen zurückziehen von der gar zu disputier- und streitsüchtigen Theologie, daraus fast wieder eine Theologia Scholastica geworden ist. Zum andern habe ich mir vorgenommen, die Christgläubigen von den toten Gedanken ab- und zu den fruchtbringenden anzuführen. Drittens, sie von der bloßen Wissenschaft und Theorie zur wirklichen Übung des Glaubens und der Gottselig-keit zu bringen; und viertens, zu zeigen, was das rechte christliche Leben sei, welches mit dem wahren Glauben übereinstimmet, und was das bedeute, wenn der Apostel sagt: Ich lebe, aber doch nun nicht ich, sondern Christus lebet in mir; (Gal. 2,20.) welches alles zu erklären mehr erfordert, als das bloße Exempel Christi. Derowegen dieses nicht die Absicht meiner Bücher ist, wie sich der Hr. Doktor träumen läßt, dass ich, nach Art der Mönche, Christum nur als ein Exem-pel wollte vorgestellet haben, sondern dass der Glaube an Christum müsse aufwachsen und seine Früchte bringen, damit wir nicht in dem Gerichte Gottes als unfruchtbare Bäume erfunden werden. Darnach hat der sonst gelehrte Mann nicht begriffen, was der heilige Bernhardus mit diesem schönen Spruche hat andeuten wollen: Man wird Christum eher ergreifen, wenn man ihm nachfolget, als wenn man von ihm lieset. Denn er meinet, Christo nachfolgen, sei nur so viel, als seinem Exempel folgen. Es begreift aber die Nachfolge Christi in sich, den Glauben an Christum, und alles, was zum Glauben gehöret, nämlich all sein Vertrauen, Trost, Hoffnung und Heil auf Christum setzen, ihn aufrichtig lieben, bekennen, sein Kreuz ihm geduldig nachtragen etc. Wie es also der Heiland selber erkläret: (Matth. 16,24.) Wer mir will nachfolgen, der nehme sein, d. i. mein Kreuz auf sich. Nun bedenke ein jeder redlicher Biedermann, ob Christus allein durch Lesen könne ergriffen werden. Denn so wir wissen, dass Christus sei unsere Gerechtigkeit, Weisheit und Erlösung etc. 1 Kor. 1,30. so müssen ja die Übungen des wahren Glaubens notwendig bewerkstelliget werden. Und so wir erkennen, dass Christus nichts sei, als lauter Liebe, Demut, Sanftmut, Geduld etc. so wird gewiß niemand, der solches nur lieset, Christum ergreifen, sondern er muß auch ihm Christi Exempel lassen belieben, seine süßeste Liebe schmecken, seine Gerechtigkeit umfassen, und ihm im Glauben zueignen und ausüben, was Christus befohlen und verheißen hat. Ach! ich besorge, gnädiger Fürst und Herr, ich sorge, sage ich, dass viele große Theologen weniger von Gott haben, als man meinet, dass sie haben. Aber genug hievon.

 

DAS SIEBENTE SENDSCHREIBEN (6.B./2.T./7.S.)

 

AN HERRN DR. BALTHASER MENTZER, PROFESSOREN DER THEOLOGIE ZU GIESSEN.

 

Meinen herzlichen Gruß in Christo Jesu! Wohlehrwürdiger, Hochachtbarer und Hochgelehrter etc. Euer E. sage ich unsterblichen Dank für das nämlich an mich abgelassene sehr freundschaftliche Schreiben, in welchem der Schwenkfeldi-schen Irrtümer halben einige Meldung geschehen. Gewiß sind dergleichen Irrtümer nicht gering, nämlich von der heiligen Schrift, von der Erfüllung des Gesetzes, von der Person Christi, von den beiden Sakramenten, und dem evangelischen Predigtamte, welches insgesamt teils in der Augsburgis. Con-fession, teils in der Formula concordiae, nachdem die reine Lehre auf festen Fuß gesetzet, öffentlich verdammt und verworfen worden. Ich meines Orts habe, nach dem von Gott mir verliehenen Pfund, in meinen evangelischen Predigten, welche im öffentlichen Druck sind, von der Frucht und Kraft der heiligen Schrift, als welche das lebendige Wort Gottes ist, an unterschiedlichen Stellen gehandelt, und mit vielen Gründen aus dem Munde Christi gelehret, dass dieser unvergäng-liche Same, wenn er nur einen guten Acker findet, nicht fruchtlos sei. So habe ich auch wider den vollkommenen Gehorsam des Gesetzes, davon auch heut zu Tage einige Schwärmer träumen, hin und wieder, in Ansehung des verlornen Ebenbildes Gottes, und der aufs äußerste verderbten menschlichen Natur, deut-lich und mit allem Fleiß geredet. Die reine Lehre von der Person Christi habe ich nach der Richtschnur der Formula concordiae, gar nicht schläfrig verteidiget. Von den beiden Sakramenten habe ich mein Bekenntnis nach unsern symbolischen Büchern, sowohl in meiner Postille, als in der Katechismus-Erklärung, nicht ohne Eifer abgestattet. Was aber das evangelische Predigtamt betrifft, so habe ich auch unterschiedlicher Orten die Christgläubigen beständig davon unterrichtet, dass es der heilige Geist, durch seine schwachen Werkzeuge, kräftig verrichte, und dass solche Kraft nicht an den Personen liege. Ja, ich habe gar, um einiger Laßdünkel böse Nachrede zu vermeiden, ein Buch herausgegeben, darinnen ich die meisten Stücke kürzlich wiederhole, und ein rechtgläubiges Bekenntnis an-füge von der hochheiligen Dreieinigkeit, von der Person Christi, des Haupts der Kirche, mit seinen gläubigen Gliedmaßen, dass ich das gänzliche Vertrauen habe, ich werde allen reinen, der Augsburgischen Confession zugetanen Lehrern Genüge getan haben. Denn ich bin ja durch Gottes Gnade so unbedachtsam und unvorsichtig nicht, dass ich in so vielen Jahren nicht sollte gelernt haben, das Gold von dem Kote zu unterscheiden; da, so niemand, insonderheit ich, die Wohlfahrt der Seele mir höchsten Fleißes angelegen sein lasse. Dass aber einige mich gar in bösen Verdacht ziehen wollen, dessen Ursache ist, dass sie meine Bücher von dem wahren Christentum nur obenhin gelesen haben, und daher auf die Gedanken geraten, als wenn ich die Übung des christlichen Le-bens, auf welches ich so sehr dringe, ohne Absicht auf die hiezu benötigten Mittel, als da sind das Wort Gottes und die heiligen Sakramente, triebe; in welchem Stücke aber sie sich sehr betrogen finden. Denn weil man nicht eher von einem Baum kann Früchte haben, er sei denn vorher gepflanzet; daher fordere ich auch alsdann mit allem Ernst die Früchte der Gerechtigkeit, des Glaubens, und der wahren Bekehrung oder Buße, nachdem man die Wahrheit aus dem Wort Gottes erkannt hat. Das wahre Christentum bestehet nicht nur in der Lehre, und in Untersuchung und Widerlegung der Streitigkeiten und Irrtümer, wiewohl ihrer viele sich einbilden, sondern auch in der Gottseligkeit, in der Besserung des Lebens, in wahrhaftiger und ernster Buße und dero Früchten, in Erkenntnis der Sünden, sonderlich der Erbsünde, als einer abscheulichen, sehr tiefen und gänzlichen Verderbung der menschlichen Natur, und aller dero Kräfte, ohne welcher genauen Erkenntnis keine wahre Buße oder Bekehrung, auch keine Besserung der so gar sehr verderbten Begierde des Herzens entspringen, noch das Bild Gottes jemalen neu aufgerichtet werden kann. Nachdem nun diese verborgene und innerliche Bosheit erkannt, welche unter Tausenden kaum einer recht erkennet: so muß alsdann gezeigt werden die Schwach- und Unvermögen-heit menschlicher Kräfte, welche aus der angebornen Verderbnis, aus diesem aber die Eitelkeit des ganzen fleischlichen Lebens der Menschen herfließet. Dar-nach muß man den Glauben an Christum weisen, und die Eigenschaften des Glaubens erklären, deren vornehmste ist, dass er, mit Ausschließung aller Krea-turen und menschlichen Verdienste, allein hange an der Gnade Gottes, und dem Verdienste Christi; die andere aber, dass er den Menschen nach dem Ebenbilde Gottes erneuere. Hierauf nun muß die Nachfolge des Lebens Christi vorgestellet werden, welche durch Wirkung des heiligen Geistes allein genug ist, die Gott-seligkeit auszuüben und zu lieben. Endlich muß man auch dringen auf die ernst-liche Betrachtung des göttlichen Worts, und dessen fleißiges Nachdenken, in-gleichen, wie unser Heiland befiehlt: (Luk. 8,15.) die Bewahrung des göttlichen Samens in einem reinen Herzen. Daher entsprießen letztlich die guten Werke und Früchte der Rechtfertigung, nämlich von den Bäumen, die recht gepflanzet und neu zugerichtet worden. Ist demnach der Gärtner auslachenswert, wie heutiges Tages die meisten sind, welche wollen Früchte haben, und wollen durch das Gesetz erzwingen, was doch ein Werk göttlicher Gnaden und des heiligen Geistes ist. Indem ich nun dieses treibe, und das andere Stück des wahren Christentums abhandle, bloß zu dem Ende, dass der gemeine Mann zum wenigsten im christlichen Leben recht unterrichtet, und von den sehr verderbten Sitten abgebracht werde, so muß ich von unverständigen Leuten, wider mein Verschulden, ein Enthusiaste und Schwenkfelder heißen. Denn wenn ich lehrete, dass die Bekehrung des Menschen ohne Mittel, nämlich ohne das Wort Gottes geschähe, so hätten diese Unverständigen zu schmähen und zu lästern Ursache; nun ich aber gottselig lehrte, dass Gott sei in dem Worte, und durch das Wort wirke, auch durchs Wort in uns wohne, durchs Wort mit uns vereiniget werde, durchs Wort die Herzen erleuchte, tröste, Seufzer erwecke, das Feuer der An-dacht hege, Seelengespräche eingebe, Herzensfreude und einen süßen Vorge-schmack des ewigen Lebens empfinden lasse, so fangen die solcher Sachen unerfahrnen Leute, aus bloßer Unwissenheit des geistlichen Lebens an, mich zu lästern, und der Enthusiasterei zu beschuldigen; damit sie sich aber selbst verraten, dass sie den Nutzen und die Kraft des Worts nicht verstehen, noch einige Gemeinschaft mit Gott haben. Sie bedenken nicht, dass das rechte Christenleben sei geistlich, welches nicht könne gelehret, gefördert und getrieben werden, es sei denn dass der Grund vorher dazu gelegt worden, und zwar durch das geoffenbarte Wort Gottes, durch Christi Verdienst und Exempel, durch die Wirkung des heil. Geistes, durch den vorleuchtenden Glauben und die Recht-fertigung. Denn was hat man nicht für Sprüche heil. Schrift, welche die Lehre des Glaubens und der Gottseligkeit mit einander verknüpfen? (1 Tim. 6,3.) Gewißlich sobald die Apostel den Grund der Lehren geleget, kommen sie also fort auf das christliche Leben und die Gottseligkeit, als Früchte des heil. Geistes, welche, so sie versäumet werden, ist alle diejenige Mühe und Arbeit verloren, die, obgleich noch so eifrig, zur Erhaltung reiner Lehre angewandt wird. Es muß demnach bei der Reinigkeit der Lehre zugleich die Wiedergeburt getrieben werden, ohne welche alles theologische Wissen unfruchtbar ist daraus keine Frucht der wahren Buße hervorkommen kann. Der Bau der Seele, und die Verbesserung der alten eingewurzelten Bosheit, erfordert eine große Übung der Gottseligkeit, ein Exempel und geistliche Klugheit. Dannenhero setzet der Apostel (2 Tim. 3,16.) Lehre und Besserung zusammen, ohne welche beide Stücke die wahre Kirche keinesweges kann erbauet werden.

Ich schreibe darum hievon so weitläuftig, damit E. E. mich desto eigentlicher verstehen, und ich desto deutlicher möge dartun, dass ich gegen die Kirche nicht gesündiget habe; sondern dass meine harte Censores und Richter vielmehr anzuklagen sein, weil sie meinen, man habe in der Kirche sonst mit nichts, als nur mit Disputieren zu tun. Es seien demnach E. E. gänzlich versichert, dass ich von meiner Jugend an bis in das graue Alter, (denn ich bin, durch Gottes Gnade, nunmehr fast aus meinem fünf und sechzigsten Jahre ausgetreten) keinem einzigen Irrtum, der wider die Augsburgische Confession und die Formula con-cordiae laufen, oder dem Wort Gottes zugegen sein sollte, zugetan gewesen, und dass ich deswegen aus meinem Vaterlande, dem Fürstentum Anhalt, ver-trieben worden, weil ich denen, so in Glaubenslehren mit uns streitig sind, nicht beipflichten konnte. Gleichwie ich nun vorhin in meinen Büchern vom wahren Christentum öffentlich bezeuget habe, also bezeuge ich auch noch jetzo, dass ich solche meine Bücher, und die alten deutschen Redensarten, daran ich mich ergötze, nicht anders wolle verstanden haben, als nach dem Wort Gottes, dem Glauben an Christum, und ohne Verletzung des Grundes der Rechtfertigung, so aus Gnaden geschieht. Meine Censores und Beurteiler aber ermahne ich, dass sie auch zugleich mit mir in diese Fechtschule treten, und den Atheismum zu vertreiben mit mir sich bemühen; dabei sie doch nichts desto weniger ihre Controversien treiben können, ob sie schon das zerfallene Christentum wieder aufrichten, sich zugleich werden angelegen sein lassen. Beides erfordert die heilige Schrift, beides hat Christus gelehret, beides haben die Apostel fortge-setzet. Was ist aber für Aufrichtigkeit und theologische Klugheit bei denen zu finden, die aus einer Begierde zu widersprechen, und was recht gerecht ist, zu verkehren, ihrem Glaubensgenossen und Bruder eines anmachen wollen? Ich weiß, dass alles, was ich geschrieben, mit dem Grunde des Glaubens überein-stimme, wenn nur die Lästerung davon bleibet. Was noch übrig, kann E. E. aus meiner Repetitione Apologetica das ist: Wiederholung und Verantwortung der Lehre vom wahren Christentum, ersehen. Ergebe E. E. dem allwaltenden Gott, nebst herzlichem Wunsche, dass E. E. bis ins späte Alter vergnüglich leben mö-gen. Zelle, den 29. Octbr. Anno 1620.

 

DAS ACHTE SENDSCHREIBEN (6.B./2.T./8.S.)

 

HERRN JOHANN ARNDTS, AN HERRN DR. PETRUM PISCATORUM, THEOLOGIAE PROFESSOREM ZU JENA.

 

Heil in unserm einigen Heilande! Ehrwürdiger, Hochachtbarer und Hochgelehrter, Hochzuehrender Herr! Ich habe vor etlichen Wochen mein Buch vom wahren Christentum Ew. Ehrw. zugesandt, damit ich dero Gutachten und Privat-Censur darüber bekäme, aus welchem Unterricht ich mich von mancherlei Argwohn losmachen, und in der künftigen Edition dieses und jenes genauer prüfen und examinieren könnte. Da ich aber durch anhaltende Bekümmernisse, desgleichen durch den weiten und beschwerlichen Weg verhindert und abgehalten bin, auch seltene Posten und Gelegenheit dorthin habe, so habe ich die Sache nicht nach Wunsch treiben können. Auch habe ich besorget, ich möchte E. Ehrw. oder dem ganzen Collegio derer Herrn Theologorum beschwerlich sein. Indeß aber, da ich sehe, es sei mir der gelehrten Theologorum Gutachten und Rat nötig, so nehme ich zu E. Ew. wiederum meine Zuflucht, ob ich gleich, wie Gott weiß, ungerne Mühe und Verdruß mache, und bitte von Herzen, mir guten Rat zu erteilen, wie ich den falschen Argwohn, den man wider mich gefasset, ablehnen möge. Ich will aber in diesem Briefe mit E. Ehrw. erstlich von der Sache selbst, hernach von meinen eigenen Umständen handeln, damit man das ganze Werk genauer könne einsehen, und verlasse mich hierin auf E. Ehrw. sonderbare Leutseligkeit und Frömmigkeit. Ich führe drei Fundamenta an, damit mein Sinn und Reinigkeit in dem Artikel vom freien Willen, davon man hier mit mir handelt, wider die Synergie kund werde: 1. Habe ich aus dem Text meines Buchs über 20 Örter aufgezeich-net, welche meine Meinung eröffnen, und wider die Synergie streiten. 2. Die Redensarten meines Buches, die anstößig scheinen möchten, erkläre ich nach meines Herzens aufrichtiger Meinung, und hoffe nicht, dass man aus einer bloßen Redensart wider den Sinn des ganzen Buches einen Irrtum erzwingen könne. Ich erbiete mich dasjenige, was nicht bedachtsam genug geredet ist, nach E. Ehrw. Gutbefinden, in der künftigen Auflage des Buchs zu verbessern. 3. In einigen von den ersten Kapiteln des andern Buchs, davon ich den Anfang über-schicke, sonderlich im 6. Kapitel, vernichte ich gänzlich die menschlichen Kräfte in der Bekehrung, und zwar so deutlich, dass ich den menschlichen Kräften an, und vor sich selbst weder vor noch in und nach der Bekehrung, das geringste zuschreibe. Denn ich weiß und lehre, dass die Gnade Gottes allein in uns zur Seligkeit wirke und tue, nach dem Zeugnis der apostolischen Worte: Nicht ich, sondern die Gnade Gottes in mir. Hernach beweise ich die Gerechtigkeit des Glaubens aus Gnaden, mit vielen Gründen, in denen ersten Kapiteln eben dieses Buchs, und zeige deutlich, dass in der Gerechtigkeit des Glaubens aus Gnaden unser höchster und einiger Trost bestehe. Diese 3 Gründe, die ich mit meinen Worten aufgezeichnet, und meinem Schreiben beigeleget habe, wollen E. E. belieben durchzulesen, und mir guten Rat und Instruktion mitzuteilen; und er-suche sie zugleich, sie wollen mir nicht übel deuten, dass ich nach meiner vorigen Bitte so lange verzogen, wiederum an sie zu schreiben, woran sicherlich meine Trübsalen Schuld sind. Ich rufe den großen Gott, den Herzenskündiger zum Zeugen an, dass ich nichts geschrieben habe aus einem Gemüt, das von der wahren Religion der Augsburgischen Confession, und der Formula Concor-diae abtrete, oder gesinnet sei, falsche Meinungen auszustreuen, weniger zu verteidigen, die mit den symbolischen Büchern unserer Kirche streiten. Ich habe ein Mittel erfinden wollen wider die entsetzliche Bosheit dieser unserer verderb-ten Zeit, und einen Weg zu zeigen, wie auch die Wiedergebornen nach der Bekehrung durch den Geist Gottes, die angeborne Verderbnis des Herzens bändigen und zähmen könnten. Und ich schreibe nicht sowohl denen, die noch stehen in dem Stande vor der Bekehrung, als denen, welche Christum schon durch den Glauben erkannt haben und doch heidnisch leben. Diese ermahne ich, dass sie die fleischlichen Lüste durch den h. Geist ablegen und töten. Diesen zeige ich die Belohnung der Gottseligkeit und der Furcht des Herrn, nämlich die Erleuchtung des Geistes und die Vermehrung der geistlichen Gaben Gottes. Diesen erkläre und recommendiere ich die Natur des Glaubens, der die Herzen reiniget, und den ganzen Menschen erneuert. Diesen preise ich an die kräftige Wirkung der göttlichen Gnade, dadurch die Wiedergebornen gestärket und gefördert werden, dass sie die Werke des Fleisches kreuzigen und töten, Christo im Leben nachfolgen, und in Christo immer heiliger leben können. Diesen Zweck habe ich mir vorgenommen, bei dem so großen Verfall der Gottseligkeit und der Furcht Gottes, und bei der so freien Ausübung der Laster, damit nicht der Herr komme, und das Erdreich mit dem Banne schlage, wie der Prophet Malachias weissaget. Ich komme nun auf den andern Punkt meines Briefes. Ich diene der Gemeine Christi schon 24 Jahre her, bin von Jugend auf in der wahren Religion erzogen, habe viel Elend erfahren, viel betrübte Verfolgung von denen Dissen-tierenden erduldet, bin aus meinem Vaterlande, dem Fürstentum Anhalt, ver-stoßen, als die gegenseitige Partei überhand nahm, da ich 7 Jahre unter mancherlei Nachstellung der Calvinisten in meinem Vaterlande gelehret, und wider die Anhaltische Bilderstürmerei geschrieben hatte. Als ich von da ausge-stoßen, bin ich nach Quedlinburg berufen worden, meine Schafe folgeten mir häufig aus der Nachbarschaft nach und verlangten von mir mein Amt, und ich habe auch sowohl denen zu Quedlinburg, als diesen 9 Jahre gedient. Da nun E. Edler Rat zu Braunschweig meine Treue erkannte, haben sie mich hieher an die Hauptkirche berufen, daran ich bereits 8 Jahre diene. Ich kam hieher, da ein Aufruhr war, und täglich sehr zunahm, da denn des Magistrats Ansehen ganz darnieder lag. Ich habe mich höchlich verwundert über die beweinenswerte Verwirrung der Republique, denn es schien, als wollte alles zu Grund und Boden gehen. Da ich in die Stadt kam, hub ich an von der Würde der Obrigkeit nach meinem Vermögen öffentlich zu lehren, darnach von den Strafen derer Aufrührer, endlich erwies ich mit den bewährtesten Gründen, dass alles Unternehmen des Pöbels wider den Rat, (man möchte es gleich beschönigen, wie man wollte,) nichts als lauter Aufruhr sei. Ob nun gleich viele auf einen andern Weg gebracht sind, so, dass die Anzahl der Aufrührischen allmählig weniger ward, so habe ich doch entsetzlichen Haß, sowohl bei den offenbaren, als heimlichen Feinden des Magistrats, deren eine große Menge war, mir zugezogen. Als diese die Sache selbst nicht öffentlich und geradezu konnten verwerfen, so wandten sie allen Fleiß an, dass sie mich der Religion halben beim gemeinen Volke verdächtig machten, damit sie eine gerechte Sache wider mich hätten. Als sich der Aufruhr durch wunderbare Gerichte Gottes geleget hatte, und Ruhe werden wollte, so aber sehr kurz war, so bin ich kurz vor der Stadt unvermuteten Überfall und Belagerung, nach Halberstadt von einem hochansehnlichen Rat berufen worden. Ich gab ihnen den Rat, dass, weil es ein ansehnlicher Ort wäre, sie möchten dieses Amt E. Ehrw. durch ihren Syndicum antragen, weil man daselbst mit den Jesuiten und Reformierten, deren mehr und mehr einschlichen, vieles zu schaffen hätte. Da aber E. Ehrw. diesen Brief ausschlugen, sind sie wieder an mich gekommen. Ich aus Verdruß der langwierigen Lästerungen und des Neides, gab mein Jawort, und versprach ihnen meine Dienste, doch so ferne wenn E. E. Rat hieselbst einwilligen würde. Was E. E. hiesiger hochansehnlicher Rat für Mühe angewandt, mich von meiner Zusage los zu machen, und sie zu vernich-ten; das kann E. Ehrw. klärlich ersehen aus dieser einigen letzten Schrift, (denn sie haben einigemal geschrieben,) davon ich die Copei mitschicke. Als ich nun meine Dimission gar nicht erlangen konnte, und der Rat meinete, es könnte die Gemeinde in diesen Troublen meines geringen Dienstes nicht ohne Schaden entbehren, so bin ich wider Willen gezwungen worden, nach Halberstadt mein Weigerungsschreiben einzusenden, aber nicht ohne meinen großen Schaden. Denn alsbald ging die elende Belagerung an, die uns alle Tage dräuete, und wollte Gott, dass wir sie nicht von neuem zu besorgen hätten! Bei dieser Kriegs-unruhe ist alle Zucht und Ehrbarkeit aufgehoben, und aller Gottlosigkeit und Bosheit die Tür und Tor aufgetan worden. Die wahre Buße ist in einen leeren Schein und Heuchelei verstellet; Haß, Neid, Mord hat die Oberhand, so gar, dass ich beginne, meines Lebens müde zu werden. Die christliche Liebe ist gar ver-loschen, und wo diese nicht ist, da ist auch Gott nicht, der die Liebe selbst ist. Durch diesen Verfall des wahren Christentums bin ich bewogen worden, von der Liebe zu schreiben, bei welcher Gelegenheit ich auf solche Gedanken geraten bin, woraus diese meine Bücher erwachsen sind, darüber mir, ich weiß nicht, was für Böses beigemessen wird, weil ich aus Unbedacht einige Redensarten und Erinnerungen gebraucht habe. Wenn E. E. dieser meiner Arbeit nicht eine gelin-dere und billigere Censur verleihen wird, so scheinet es, dass ich von dem un-sinnigen Pöbel, der vor aller Gottesfurcht einen Abscheu hat, wenn der Lärmen recht angehet, nichts gewisses zu gewarten habe, als ins Elend verstoßen zu werden. Ja der Rat selbst, dessen Ansehen ich durch meine Predigten mich eifrigst bemühe zu erhalten, wird zu tun haben, dass er sich mainteniere. Denn die Bürger werden hier ganz entkräftet durch die achtjährigen Blessuren, und sind von neuem ungeduldig wider den unschuldigen Rat. Ich wollte zwar das Exilium (wenn nicht die Religion selbst darunter litte,) mit allen Freuden an-nehmen, damit ich aus diesen Nöten, die voll Furcht und Neid sind, los käme; aber es kann ein jeder leicht ermessen, was das für ein Elend sei einem Theo-logen, wegen falschen Verdachts eines Irrtums in der Religion, verjagt werden. E. Ehrw. weiß den Unterschied unter theologischen Disputationen und unter Er-mahnungen, welche zum Volke zur Besserung des Lebens gerichtet werden. In jenen wird das Allergeringste accurat und genau in den Glaubensartikeln unter-suchet; in diesen wird ohne Subtilität, wie es am leichtesten zu begreifen ist, das Hauptsächlichste vor Augen gelegt, was die Besserung des Lebens betrifft. Ich kann Lutherum zum Zeugen anführen, der anders redet, wenn er disputiert, anders, wenn er die Laster strafet. Es stehen einige Örter in der Kirchenpostille, von den guten Werken und von der Gnadenwahl, die er gebraucht, die Buße und Lebensbesserung einzuschärfen, welche ich gewiß mich nicht unterstehen wollte, mit eben den Worten vorzutragen. Aus dieser vielleicht allzuweitläuftigen und verdrießlichen Erzählung wird E. Ehrw. den Zustand meiner Sache erkennen, welche zu dem Ende geschiehet, damit E. E. von mir gelinder nach Dero be-sondern Leutseligkeit und Gottseligkeit urteile, und mir eine solche Censur widerfahren lasse, die mein Leiden und Verfolgung mäßigen und lindern möge. Die Wahrheit der wahren Religion liegt mir so ans Herz, als jemanden auf der ganzen Welt, und ich verteidige keine falsche Meinung; nur dahin bemühe ich mich, dass mit der wahren christlichen Religion auch ein christliches Leben übereinstimme. Werden E. E. sich diesmal gegen mich in meinem Elende gütig erzeigen, so werden Sie mich Ihnen zu einer unsterblichen Freundschaft ver-bindlich machen, die ich bei allen Rechtschaffenen öffentlich werde zu rühmen haben. Von mir kann ich E. E. nichts anders versichern, als was einem redlichen Diener Jesu Christi in Lehr und Leben gebühret. Unser Syndicus würde in dieser Sache selbst geschrieben haben, wie er mir oft angeboten; er ist aber in wichti-gen Angelegenheiten der Republik jetzt verreiset. Es würde auch zum Behuf meiner Sache dienlich sein, wenn mein anderes Buch auf ihrer Akademie ge-druckt würde, welches ich deßwegen gerne E. E. Censur vor der Auflage über-geben möchte. Denn obgleich hier die ersten Blätter, die ich schicke, gedruckt sind, so wollte ich doch die darauf gewandten Kosten gerne verschmerzen, und hoffe, das Buch würde abgehen, wenn man den Inhalt der Kapitel, den ich schicke, ansehen wird. Es lebe wohl auf späte Jahre; wenn es also gefällig ist, so will ich ehestens das Buch von neuem rein abgeschrieben schicken. Gegeben zu Braunschweig den 14. Jan. in dem fatalen 1607. Jahr, welches ich E. E. glücklich und gesegnet zu sein wünsche.

 

DAS NEUNTE SENDSCHREIBEN (6.B./2.T./9.S.)

 

DES HERRN JOHANN ARNDTS, GLEICHFALLS AN DEN HERRN DR. PETRUM PISCATORUM, PROFESSOREN DER THEOLOGIE ZU JENA.

 

Heil und Friede! Ehrwürdiger und hochberühmter Herr! Desselben Brief habe ich mit Freuden empfangen und gelesen, und daraus Euer Ehrw. große Leutseligkeit und Gottseligkeit ersehen, dafür ich höchlich verbunden bin; werde auch nicht unterlassen, solches bei allen Rechtschaffenen zu rühmen, und mich bemühen, dass es E. Ehrw. niemals gereuen möge, solche Liebe und Treue an mir bewie-sen zu haben. Übrigens, da ich die Sache tiefer einsehe, missfällt mir nunmehro selbst die Redensart: Eine evangelische Zerknirschung. Ich meinte zwar, sie könnte entschuldiget werden, so ferne durch die inbrünstige Betrachtung des Leidens und Todes unsers Heilandes die göttliche Traurigkeit erwecket wird, welche wirket eine Reue, die niemanden gereuet. Weil aber der Tod Jesu Christi, soferne er den Zorn Gottes und die Sünden anzeiget, selbst eine Gesetzpredigt ist, welche dergleichen Zerknirschung oder Traurigkeit wirket; so wird vorge-dachte Redensart billig verworfen. Doch scheint Luther einigermaßen hiezu geneigt zu sein, Tom. I. Jen. Germ. von der Buße wider die Päpstler; da aber hiedurch der Unterschied unter Gesetz und Evangelium scheint verdunkelt zu werden, so mag vielmehr die Reue ganz allein ein Werk des Gesetzes bleiben. Was die Reformierten hievon glauben, ist nicht unbekannt. E. Ehrw. tun so wohl, und schicken mir ehestens Ihre Disputation. Es stehet allerdings von dieser göttlichen Traurigkeit wohl zu fragen, ob sie einzig und allein aus dem Gesetz entstehe, oder aber aus Betrachtung der Leutseligkeit Gottes, und der unermeß-lichen väterlichen Güte gegen uns, die wir doch beleidiget haben. NB. Was weiter folget in diesem Briefe, das gehet nur den Buchdrucker an, daher man es nicht übersetzet hat. Braunschweig, den 21. Mart. 1607.

 

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