DAS ZEHNTE KAPITEL. (5.B./2.T./10.K.)

 

DURCH DIE BEGIERDE DES HÖCHSTEN GUTES,

UND DURCH DAS SEHNLICHE VERLANGEN

NACH DEM HIMMLISCHEN WANDEL,

GESCHIEHT DIE VEREINIGUNG GOTTES MIT DEM MENSCHEN.

 

Inhalt.

1) Die Lieblichkeit der Kreaturen kann das Herz nicht sättigen; in Gott allein ist völlige Genüge, 2) der, als das Ende all unsers Verlangens, uns hier und dort sättiget, 3) und durch die Vereinigung mit uns alles Gute mitteilet.

 

Gleichwie der Glanz der Sonne alle andere himmlische Lichter übertrifft, also übertrifft der Geschmack der göttlichen Süßigkeit alle Lieblichkeit, welche aus den Kreaturen entstehet. Dass das Geschöpf so schön, zierlich und lieblich ist, das erfreuet zwar des Menschen Herz, mit nichten aber sättiget es. Die Welt mit ihren mancherlei Gütern beliebet zwar dem Herzen, aber zufrieden stellet sie nicht. Denn je mehr der Mensch, welcher dem Irdischen sich ergeben hat, vor sich siehet, je mehr begehret er zu sehen. Kann demnach billig alles dasjenige, was nicht Gott ist, seinem Liebhaber die Genüge nicht verschaffen, und die voll-kommene Ruhe nicht geben. Denn, des Menschen Affekt und Begierde steiget allezeit natürlicher Weise hinauf zu demjenigen, das da höher ist, bis so lange sie erreichet dasselbige, welches das allerbeste und höchste Gut ist. Ihrer viele haben Reichtum, viele Ehre, viele Wollüste, viele Künste mit großer Mühe und Arbeit gesucht; aber ihrer keiner ergreift dasselbe, so er suchet, so viel, dass er dadurch gesättiget würde, und sich begnügen ließe. Denn wenn gleich einer die Wissenschaft aller Dinge dieser Welt erlangete, und alle Wollüste dieses Lebens bekäme, so befindet er dennoch, dass sein Gemüt noch dürftig und unersättlich ist. Denn es mangelt ihm an dem einigen und höchsten Gut, in welchem die Lieblichkeit aller Wollüste, und die Fülle aller Künste und Wissenschaft gleichsam überfließet. Es können zwar die Kreaturen ihren Liebhabern eine zeitliche und augenblickliche Lust bringen; aber die Begierden können sie mit nichten sättigen. Denn zu gleicher Weise wie ein Gefäß keinen andern Saft denen, so daraus schöpfen, geben kann, denn nur den, welcher darinnen ist, also geben auch die Kreaturen, welche sehr dürftig sind, ihren Liebhabern einen solchen Saft, damit sie durchaus nicht zufrieden noch begnüget sein. Und gleichwie das Auge nicht satt wird durch das Sehen, und das Ohr durch das Hören; also wird auch des Menschen Herz nicht satt durch den Affekt und die Begierde der Erkenntnis des Verlangens. Es suchet mit Ängsten, dass es möge finden dasjenige, in welchen es fröhlich ruhen könne. Wenn aber des Menschen Herz Gott ergreifet, alsdann freuet sich der Geist, welcher nun in Gott satt worden ist, und spricht: Herr, wenn ich nur dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erden, Ps. 73,25. Und: Das ist das ewige Leben, dass sie dich wahren Gott, und den du gesandt hast, Jesum Christum, erkennen, Joh. 17,3. In dieser Erkenntnis stehet und ist endlich die rechte Ruhe der Seelen, die Genüge des Herzens und das ewige Leben.

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2. Daher rühret der schöne Spruch: Bei dir ist die lebendige Quelle, und in dei-nem Licht sehen wir das Licht, Ps. 36,10. Ich will anschauen dein Antlitz in Ge-rechtigkeit, ich will satt werden, wenn ich erwache nach deinem Bilde, Ps. 17,15. Darum hoffe ich allein auf dich, der du bist das Ende alles meines Wunsches und Begierde, du bist mein Genüge, mein Erbe, meine Freude, mein Lohn, mein Licht, mein Friede. Du bist das unaufhörliche Licht, du bist das ewige Wort, die Weisheit des Vaters, die Zierde der Engel, der helle Spiegel, die unaussprech-liche Leuchte, der Seelen Bräutigam, der Brunn des ewigen Lebens, von wel-chem Überfluß wir hie und dort gesättiget werden. Dort, auf dass wir die rechte Fülle des Lebens, Genüge des Lichts, Einigkeit, Ruhe, Friede, Unsterblichkeit, Preis und die ewige Krone erlangen. Hie aber, dass du den Christenrittern, so da streiten, verleihest und gebest Stärke, den Beladenen Hilfe, den Betrübten Linderung, den Fremdlingen Hoffnung, den Gefallenen Rat, den Elenden Trost, den Demütigen Gnade, den Zweifelhaftigen Glauben, den Predigern das Wort, den Kämpfern Kraft, denen, so beisammen wohnen Einigkeit, den Gläubigen Freude, den Lehrern Weisheit, den Durstigen das Wasser des Lebens, den Hungrigen den Geschmack der ewigen Süßigkeit.

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3. Also kommst du nach eines jeden Räumlein in die Herzen der Gläubigen, und offenbarest dich mit Lieblichkeit deiner Gnaden. Wenn du dich dem Menschen nicht mitteiltest, und der Mensch hätte keine Vereinigung mit deiner Gegenwart, so geschähe deren keines. Denn durch deine freudenreiche Gegenwart verjagest du die Finsternis vertreibest die Nacht und die bösen Geister in der Luft; das Herz wird durchsüßet, das Gemüt schmelzet vor Liebe, die Tränen fließen vor Freuden, der Geist frohlocket, die Begierden brennen, die Seele jauchzet, und alle Kräfte freuen sich in dir. Dann wird er dich erquicken mit Süßigkeit, erfüllen mit Weisheit, erleuchten mit Glanz, entzünden in der Liebe, speisen mit Andacht, erfreuen in der Hoffnung, stärken im Glauben, begaben mit Tugenden, erhöhen in der Demut. Du wirst fühlen und befinden, dass er mit dir gehet, mit dir stehet, mit dir redet, dich bewahret, dich lehret, dich liebet, und dich mit keuscher Liebe umfänget. Du wirst erfahren, dass es wahr sei, was er sagt: Meine Lust ist bei den Menschenkindern, Sp. Sal. 8,31.

 

Gebet, siehe im ersten Buch zu Ende des 17. Kapitels.

 

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