DAS ZWEIUNDZWANZIGSTE KAPITEL. (1.B./22.K.)

 

EIN WAHRER CHRIST KANN AN NICHTS BESSER ERKANNT WERDEN,

ALS AN DER LIEBE UND DER TÄGLICHEN BESSERUNG SEINES LEBENS, WIE EIN BAUM AN SEINEN ZWEIGEN.

 

Inhalt.

1) Ein christliches Leben aus dem Geist beweiset einen Christen, 2) der inwendig nach Gottes Bild erneuert ist, 3) und nach der innerlichen Reinigung immer seufzet, 4) Christus selbst ist seine Heiligkeit, in welchem er als ein Palmbaum wächset, 5) vermöge seines Berufs durch den heiligen Geist. 6) Dessen Stimme und Lockung ist nicht zu versäumen, 7) weil uns das Gnadenlicht noch scheinet. 8) Bedenke die Kürze deines Lebens. 9) Willst du sterben als ein Christ, so lebe als ein Christ, 10) und sei ein wachender Knecht.

 

Der Gerechte wird grünen wie ein Palmbaum, er wird wachsen wie eine Ceder auf dem Libanon. Die gepflanzt sind in dem Hause des Herrn, werden in den Vorhöfen unseres Gottes grünen, und wenn sie gleich alt werden, werden sie dennoch blühen, fruchtbar und frisch sein; dass sie verkündi-gen, dass der Herr so fromm ist, mein Hort, und ist kein Unrecht an ihm.

Ps. 92,13-16.

 

Nicht der Name, sondern ein christliches Leben beweiset einen wahren Christen; und wer ein rechter Christ sein will, soll sich befleißigen, dass man Christum selbst in ihm sehe an seiner Liebe, Demut und Freundlichkeit: denn niemand kann ein Christ sein, in welchem Christus nicht lebt. Ein solches Leben muß von innen aus dem Herzen und Geist gehen, wie ein Apfel aus der innerlichen, grünenden Kraft des Baumes. Denn der Geist Christi muß das Leben regieren, und Christo gleichförmig machen, wie St. Paulus Röm. 8,14. spricht: Welche der Geist Gottes treibet, die sind Gottes Kinder; wer den Geist Gottes nicht hat, der ist nicht sein v. 9. Was nun für ein Geist den Menschen inwendig treibt und bewegt, so lebt er auswendig. Darum zu einem rechten christlichen Leben der heilige Geist hoch vonnöten ist. Denn ein jegliches Leben gehet aus dem Geist, es sei gut oder bös; darum hat uns der Herr befohlen, um den heiligen Geist zu bitten, und er hat uns denselben verheißen, Luk. 11,13. und er ist der Geist der neuen Geburt, der uns in Christo lebendig macht, zu einem neuen, geistlichen, himmlischen Leben, Tit. 3,5. Aus demselbigen immer grünenden lebendigen Geist Gottes müssen hervorblühen die christlichen Tugenden, dass der Gerechte grünet wie ein Palmbaum, und wächset wie eine Ceder auf dem Libanon, die der Herr gepflanzet hat.

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2. Darum muß der Mensch erstlich inwendig erneuert werden in dem Geist seines Gemüts, nach Gottes Bilde, und seine innerlichen Begierden und Affekten müssen Christo gleichförmig werden, welches St. Paulus nennet, nach Gott gebildet werden, Eph. 4,23. auf dass sein äußerliches Leben aus dem Grunde seines Herzens gehe, und er von innen also sei, wie er von außen vor den Menschen ist. Und billig soll inwendig im Menschen viel mehr sein, als aus-wendig gespüret wird. Denn Gott siehet ins Verborgene und prüfet Herzen und Nieren, Ps. 7,10.

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3. Und ob wir wohl inwendig nicht so rein sein als die Engel, sollen wir doch darnach seufzen; und dies gläubige Seufzen nimmt Gott an, uns zu reinigen, denn der heilige Geist hilft unserer Schwachheit, und vertritt uns bei Gott mit unaussprechlichem Seufzen, Röm. 8,26. Ja, das Blut Christi reiniget uns also durch den Glauben, Ap. Gesch. 15,9. dass keine Runzel oder Flecken an uns ist, Eph. 5,27. Und was noch mehr ist, unsere Reinigkeit, Heiligkeit, Gerechtigkeit, ist nicht eines Engels Reinigkeit, sondern sie ist Christi Reinigkeit, Christi Heiligkeit, Christi Gerechtigkeit, ja Christus selbst, 1 Kor. 1,30.

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4. Darum wir unsere Reinigkeit weit über aller Engel Reinigkeit und Heiligkeit setzen sollen. Denn sie ist Christus selbst, Jer. 23,16. Und diese empfangene, unverdiente, aus Gnaden geschenkte Gerechtigkeit, Reinigkeit und Heiligung, soll billig Leib, Seele und Geist erneuern, und ein heiliges Leben wirken. Darum müssen wir sein in unserm Christentum, wie ein junges Palmbäumlein, das immer grünt, fortwächst und größer wird. Also müssen wir wachsen und zu-nehmen in Christo. So viel wächst aber ein Mensch in Christo, so viel er am Glauben und an Tugenden und christlichem Leben zunimmt, und sich täglich bessert, und so viel Christus in ihm lebt, und das heißt grünen wie ein Palm-baum.

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5. Ein Christ muß sich täglich erneuern, Ephes. 4,23. Kol. 3,10. und aufwachsen wie ein Palmbaum, und sich vorsetzen, seinem Namen genug zu tun, als ob er heut erst wäre ein Christ geworden; und soll täglich darnach seufzen, dass er nicht ein falscher Christ sein möge. Wie ein jeglicher berufen ist zu einem Amt, sich befleißigen muß, seinen Beruf genug zu tun: also sind wir berufen zu Christo mit einem heiligen Beruf. Und wo ein solcher heiliger Vorsatz nicht ist, da ist auch keine Besserung, und Grünen und Zunehmen in Christo, ja der lebendigmachen-de Geist Christi ist nicht da. Denn ein solcher Vorsatz, Gutes zu tun, kommt aus dem heiligen Geist, und ist die vorlaufende Gnade Gottes, die alle Menschen locket, reizet und treibet. Wohl dem, der ihr Statt und Raum gibt, und die Stimme der Weisheit Gottes höret, die auf der Straße rufet! Spr. Sal. 1,29. Alles was der Mensch ansiehet, ist eine Erscheinung seines Schöpfers, dadurch ruft ihn Gott, und will ihn zu sich ziehen.

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6. Und so oft wir nun das merken, dass wir gerufen und gelockt werden, sollen wir bald anfangen, Gutes zu tun, denn das ist die rechte Zeit, da wir nicht ver-hindert werden; es wird bald eine andere Zeit kommen, da wir verhindert werden, Gutes zu gedenken, zu hören, zu reden und zu tun. Darum siehet dasselbige die ewige Weisheit Gottes zuvor, und rufet uns an allen Orten, dass wir die Zeit nicht versäumen.

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7. Siehe einen Baum an, der steht immer und wartet auf den Sonnenschein und gute Einflüsse des Himmels, und ist immer bereit, dieselbe zu empfangen. Also scheinet die Gnade Gottes und himmlische Einflüsse auf dich, würdest du nur nicht von der Welt verhindert, dieselbe zu empfangen.

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8. Bedenke die kurze Zeit deines Lebens, wie viele Übungen christlicher Tugen-den du versäumt hast; die halbe Zeit deines Lebens hast du verschlafen, die andere Hälfte hast du mit Essen und Trinken zugebracht, und wenn du nun ster-ben sollst, hast du kaum angefangen, recht zu leben und Gutes zu tun.

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9. Wie ein Mensch zu sterben begehret, so soll er auch leben. Du wolltest ja nicht gerne sterben als ein Gottloser, ei so sollst du auch nicht leben als ein Gottloser; willst du sterben als ein Christ, so mußt du leben als ein Christ. Der lebt aber als ein Christ, der also lebt, als wenn er heute sterben sollte. Ein Knecht muß immer bereit sein, vor seinem Herrn zu erscheinen, wenn er ihn rufet; nun ruft Gott einen jeglichen durch den Tod.

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10. Selig ist der Knecht, den der Herr wachend findet, wenn er kommt; er wird ihn über alle seine Güter setzen, Luk. 12,37.44. Wer ist aber, der da wachet? Der sich die Welt, und die nach der Welt leben, nicht läßt verführen. Die Ärgernisse sind die bösen Pfropfreiser, die oft einen guten Baum verderben, dass er nicht grünen und blühen kann etc.

 

Gebet um Erhaltung und Zunehmung im Glauben, christlichen Tugenden und heiligen Wandel. (Siehe im Paradiesgärtlein.)

 

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