DAS ZWANZIGSTE KAPITEL. (3.B./20.K.)

 

DIE DEMUT MUSS IN DEN GRUND DES HERZENS GELEGT WERDEN, DARAUF ALLE WERKE DES MENSCHEN MÜSSEN GEBAUET WERDEN, ODER ES FÄLLT ALLES ZU GRUNDE,

WAS DER MENSCH IN SEINEM GANZEN LEBEN GEBAUET HAT;

UND WIE DURCH DEMUT DER SATAN ÜBERWUNDEN WERDE;

WIE IN DER DEMUT WAHRE BUSSE SEI;

WIE DEMUT DAS KREUZ WILLIGLICH TRAGE,

UND DAS HERZ IN RUHE ERHALTE.

 

Inhalt.

1) Das Werk, das bestehen soll, muß auf den Grund der Demut gebauet werden. 2) Zur Demut sollen uns sechs Ursachen bewegen: 1. Unsere Nichtigkeit und Elend. 2. Demut besiegt den Teufel. 3) 3. Demut wirket Durst nach Gott; 4. wahre Reue; 5. Liebe zum Kreuz; 6. wahren Frieden.

 

Haltet fest an der Demut. 1 Petr. 5,5.

 

Das Werk, das bestehen soll, muß auf den Grund der Demut gebauet werden, denn der Mensch vermag von ihm selbst nichts. Darum, wenn du etwas anfan-gen willst, so falle nieder vor dem Brunnen der überfließenden Gnade Gottes, und bitte ihn demütiglich, dass seine göttliche Ehre, Lob und Preis in deinem Werke möge gesucht werden. Denn außer Gottes Gnade ist alles dein Tun Sünde und Verdammnis. Wer nun dies tun kann, und allein des liebsten Willens Gottes warten in der Stille in höchster Demut, und seine eigene Nichtigkeit an-sehen, sich in höchster Liebe Gott ergeben kann, in demselben wirket Gott solche Werke, die nicht auszusprechen sind; wie im Gegenteil die leidige Hoffart alle Dinge vor Gott unwert und zu einem Gräuel macht, und alle Werke des Menschen verderbet und befleckt, und zu Grunde reißt.

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2. Darum haben wir viel mehr Ursache, uns zu demütigen, denn zu stolzieren. Denn wir sind ja erstlich gekommen aus einem lautern Nichts, und werden wieder zu einem lautern Nichts, und sind weniger als ein Schatten, der verschwindet. Wir empfinden auch die große Vergiftung und Verderbung unserer Natur, dass wir alle zu großen Sünden geneigt sein. Denn so uns Gottes Gnade und Barm-herzigkeit nicht enthielte, so fielen wir täglich in die allergrößten Sünden und in die ewige Verdammnis, würden allen Teufeln in der Hölle ewig zu Teil. So kannst du 2) auch den bösen Geist nicht besser überwinden, als durch Demut. Denn der böse Geist ist hoffärtig, und will nicht mit Hoffart überwunden sein, sondern mit Demut; durch Hoffart wird er gestärkt, denn die Hoffart ist eine Wurzel des Satans. Wenn du dich aber in lauter Demut zu Gott wendest von allen Sünden, alsdann überwindest du den Teufel, dass er mit Schanden davon fliehen muß. Es ist ein erbärmliches Ding, dass sich ein Mensch also vom Teufel überwinden lässet, da doch ein Christ mit Gottes Wort, Geist und Kraft gerüstet ist. Es ist gleich, als wenn ein wohlgerüsteter Mann sich niederlegte vor einer Fliege, und ließe sich zu Tode stechen oder beißen. Denn bei den Demütigen ist die Gnade Gottes so stark und mächtig, dass ein Mensch dadurch wahrhaftig den Satan überwinden kann, wenn er ihm nämlich durch Gottes Kraft und Gnade widersteht, so kann ihm auch der Satan nichts abgewinnen. Denn wahrhaftig, so ihr dem bösen Feind nicht habt widerstanden, und ihn durch Gottes Kraft überwunden, sondern euch überwinden lassen, so werdet ihr der Teufel Spott sein an jenem Tage in Ewigkeit, dass ihr dem Satan gefolgt habt. Also lerne die Frucht und Gnade der Demut verstehen.

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3. So wird auch 3) in den demütigen Seelen erwecket ein stetiger Hunger und Durst nach Gottes Gnade, denn das ist der Demut Eigenschaft, und so kann es denn Gott nicht lassen, er muß ihren Hunger sättigen. Er kann ihn aber mit nichts sättigen, denn mit ihm selber. Denn es kann in Ewigkeit der Hunger und Durst der Seelen nicht gesättiget und gelöschet werden, als mit Gott selber. Solch einen heftigen Durst hat die erleuchtete Seele in sich nach Gott. In dieser Demut ist 4) gegründet die wahre Buße; da der Mensch von Herzen die Sünden bereuet, seine grundlose Unreinigkeit, verborgene Bosheit und unergründliche Verder-bung seines Herzens siehet, und im Glauben sich an Gottes unverdiente Gnade hält, und anfängt, Gott herzlich zu lieben, sich dem Willen Gottes zu überlassen, und sich ihm ganz ergeben, also, dass, was Gott will, das will er auch. Einem solchen Menschen vergibt Gott mildiglich, will auch von desselben Sünden nichts wissen, sondern will sie vergessen, und nicht mehr gedenken. Denn weil er sich von Sünden zu Gott bekehret, so hat sich Gott zu ihm gekehret, und will seine Sünden nicht mehr wissen. So nimmt auch 5) die wahre Demut alles Kreuz von Gott williglich auf, als ein solches Mittel, dadurch uns Gott zu vielen Gnaden bereitet, und nimmt es nicht auf als von Menschen, es komme her, wo es wolle, sondern lauter und allein von Gott, und spricht: Bist willkommen, mein lieber Freund! ob ich mich gleich deiner hie nicht versehen hatte, so kommest du mir doch nicht zur Unzeit; Gott will einen Heiligen aus mir machen, und einen ge-lassenen Menschen. Letztlich, 6) so erhält die wahre Demut den Menschen allezeit im Frieden, auch im großen Glück und Unglück in den Gaben Gottes. Er gebe oder nehme, so bleibt er gleich, und nimmt alle Dinge von Gott gleich, Lieb und Leid, Sauer und Süßes. Also fängt dann Gottes Gnade an große Dinge zu wirken in den Demütigen, denn zuvor haben sie ihre eigenen Werke getan, aus ihnen selbst; aber nun trägt sie Gott, und wirket alle ihre Werke, ja seine Werke in ihnen und durch sie.

 

Gebet um wahre Demut. (Siehe im Paradiesgärtlein.)

 

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