Johannes Calvin: Institutio (Auszüge)

 

EVANGELISCHE

VOLKSBIBLIOTHEK.

 

Herausgegeben

von

Dr. Klaiber,

Garnisonsprediger in Ludwigsburg.

 

Erster Band.

 

Enthaltend:

Luther, Zwingli, Melanchthon, Calvin.

 

Stuttgart.

 

Carl Conradi.

1868.

 

( UNTERABSCHNITT „JOHANN CALVIN“ / TEIL A / S. 594 - 688 )

 

A. AUS CALVINS „UNTERWEISUNG IN DER CHRISTLICHEN RELIGION“ 

(INSTITUTIO RELIGIONIS CHRISTIANAE) 594 

 

Widmung der Schrift an König Franz I. von Frankreich 594

 

Dass die Erkenntnis Gottes der Seele des Menschen eingepflanzt sei 609

 

Um zu Gott dem Schöpfer zu gelangen, 

bedarf es der Leitung und des Unterrichts der heiligen Schrift 611

 

Der heilige Geist bezeugt uns, dass die heilige Schrift Gottes Wort sei 612

 

Es gibt sichere Beweise für die Glaubwürdigkeit der Schrift 612

 

Die heilige Schrift unterscheidet durch sichere Merkmale 

den wahren Gott von den Götzen 613

 

Ob Schutzengel den Gläubigen gegeben sind 615

 

Vom Satan 615

 

Von der Vorsehung 616

 

Von der Erbsünde 617

 

Von dem Kampf zwischen Fleisch und Geist 618

 

Woher das Wollen und Vollbringen 619

 

Die wahre Freiheit ist ein Geschenk der Gnade 620

 

Erklärung der zehn Gebote 621

 

Das erste Gebot 621

 

Das zweite Gebot 624

 

Das dritte Gebot 628

 

Das vierte Gebot 633

 

Das fünfte Gebot 638

 

Das sechste Gebot 640

 

Das siebente Gebot 641

 

Das achte Gebot 644

 

Das neunte Gebot 646

 

Das zehnte Gebot 647

 

Von der Erlösung durch Christi Blut 649

 

Vom heiligen Geiste 650

 

Vom Glauben 652

 

Von der Hoffnung des Glaubens 657

 

Von der Buße 658

 

Von der fortgehenden Buße 659

 

Vom rechten Gebrauch der irdischen Güter 660

 

Von der Rechtfertigung durch den Glauben 662

 

Von den guten Werken 664

 

Vom Gebete des Herrn 665

 

Von der Gnadenwahl 673

 

Vom Gebrauch der Lehre von der Gnadenwahl 674

 

Von dem Missbrauch der Lehre von der Gnadenwahl 676

 

Von der Kirche 677

 

Von der Kirchenzucht 679

 

Von den Sakramenten 682

 

Von der heiligen Taufe 684

 

Vom heiligen Abendmahle 685

 

Von dem Verhalten der Christen gegen die weltliche Obrigkeit 687   

 

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AUS CALVINS „UNTERWEISUNG IN DER CHRISTLICHEN RELIGION“ 

(INSTITUTIO RELIGIONIS CHRISTIANAE). 

(Anm.: Die nachfolgenden Stücke sind teils aus der Übersetzung von Friedrich Adolph Krummacher, Elberfeld 1823, teils aus Kalthoffs Kern der Heilslehre aus Calvins Unterweisung, Elberfeld 1828, genommen.) 

 

WIDMUNG DER SCHRIFT AN KÖNIG FRANZ I. VON FRANKREICH. 

 

DEM GROßMÄCHTIGEN DURCHLAUCHTIGSTEN MONARCHEN FRANZISKUS, FRANKREICHS ALLERCHRISTLICHSTEM KÖNIGE, SEINEM FÜRSTEN UND HERRN WÜNSCHT FRIEDEN UND HEIL IN CHRISTO JOHANNES CALVINUS. 

Als ich zuerst Hand an dieses Werk legte, dachte ich nichts weniger, als etwas zu schreiben, was deiner Majestät, ruhmwürdigster König, einst überreicht werden möchte. Meine Absicht war nur, einige Grundzüge zu entwerfen, wodurch Freunde der Religion zur wahren Gottseligkeit gebildet werden könnten. Zunächst bestimmte ich diese Arbeit unsern Franzosen, weil ich wusste, dass viele von ihnen nach Christo hungern und dürsten, aber sehr wenige unter ihnen fand, die auch nur eine mittelmäßige Erkenntnis der Wahrheit erlangt hätten. Dass dies mein Zweck war, spricht das Buch selbst aus in seiner kunstlosen Form und einfachen Lehrart. Da ich aber sah, wie die Wut einiger Gottlosen also in deinem Reiche überhand nahm, als ob die rein Lehre ganz daraus sollte verdrängt werden; glaubte ich ein gutes Werk zu tun, wenn ich zu gleicher Zeit für Jene eine Unterweisung, für dich eine Bekenntnisschrift verfasste, woraus du erkennen möchtest, welches die Lehre sei, wogegen jene Rasende mit solchem Grimm entbrennen, die jetzt dein Reich mit Schwert und Feuer verstören. Denn ich werde mich nicht scheuen zu bekennen, dass ich hier den Inhalt eben jener Lehre zusammengestellt habe, die jene als eine solche ausschreien, so mit Kerker, Verbannung und Feuer bestraft und zu Wasser und Land verfolgt zu werden verdiene. Ich weiß wohl, welche greuliche Anklagen sie dir vorgebracht haben, um unsere Sache dir so verhasst als möglich zu machen; aber du wirst nach deiner Gnade nicht außer Acht lassen, wie, 

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wenn es nur der Anklage bedarf, weder in Worten noch Taten irgend eine Unschuld sich finden würde. Fürwahr, wollte Jemand dieser Lehre, wovon ich dir Rechenschaft abzulegen mich erkühne, es zum Vorwurf machen, dass sie durch Stimmenmehrheit aller Stände verdammt und durch die Aussprüche vieler Gerichtshöfe schon längst geächtet sei, so sagt er nichts anders, als dass sie teils durch das Ansehen und die Parteiwut ihrer Gegner gewaltsam angegriffen, teils durch Lügen, Ränke und Verdrehungen tückischer Weise unterdrückt worden. Gewalt ist es, wenn unverhörter Sache blutige Aussprüche gegen sie gefällt wurden; Lug und Trug, wenn man sie des Aufruhrs und Frevels bezichtigt. Dass wir nicht mit Unrecht uns hierüber beklagen, dessen kannst du selbst Zeuge sein, durchlauchtigster König. Du weißt, wie sie täglich bei dir verleumdet wird, als ob sie nichts anders bezwecke, als den Königen ihre Zepter zu entwinden, die Gerichtshöfe und Gewalten zu stürzen, alle Stände und Verfassungen umzukehren, den Frieden und die Ruhe der Völker zu stören, alle Gesetze aufzuheben, Herrschaft und Besitztum zu vernichten, kurz Alles umzuwälzen und zu verwirren. Und dennoch hörst du nur den kleinsten Teil jener Beschuldigungen; andere furchtbare Dinge werden unter das Volk verbreitet, dass, wenn sie wahr wären, die Welt solche Lehre samt ihren Urhebern zu tausend Scheiterhaufen und Kreuzen mit Recht verdammen müsste. Wie wär es zu verwundern, dass da, wo solche schändliche Verleumdungen Glauben finden, Aller Hass gegen sie entbrennt! Darum vereinen und verschwören sich alle Stände, uns und unsere Lehre zu verdammen. Von solcher Gesinnung ergriffen, sprechen diejenigen, welche zu Gericht sitzen, statt der Rechtssprüche ihre von Hause mitgebrachten Vorurteile aus, und glauben ihren Beruf erfüllt zu haben, wenn sie keinen zum Tode verurteilen, der nicht entweder durch eigenes Bekenntnis oder durch gewichtige Zeugnisse überführt worden. Aber welches Verbrechens? Jener verdammten Lehre, sagen sie. Und mit welchem Rechte verdammt? Hier eben war der sichere Weg zur Verteidigung: nicht die Lehre selbst abzuleugnen, sondern als die wahre behaupten. Aber hier wird auch nicht einmal zu muchzen gestattet. Darum fordere ich nicht unbillig, unüberwindlichster König, dass du eine gründliche Untersuchung jener Sache veranstalten wollest, welche bisher ohne alle Rechtsordnung und mehr in unbesonnener aufwallender Hitze, als mit gesetzmäßigem Ernste verhandelt und auf jegliche Weise verzerrt wurde. Glaube nicht, mein König, als ob ich eine Verteidigung meiner Person im Auge hätte, eben um mir eine glückliche Heimkehr in mein Vaterland zu bewirken; denn obwohl mit menschlicher Zuneigung ihm zugetan, wie sich geziemet, mag ich dessen doch jetzt, wie die Sachen stehen, ohne Mühe entraten. Nein, die gemeinsame Sache aller Frommen, ja Christi selbst vertrete ich, sie, die jetzt in deinem Königreiche auf alle Weise geschmähet und zertreten in tiefem Jammer liegt, und zwar vielmehr durch die Tyrannei einiger Pharisäer als nach deinem Wissen und Wollen. Aber warum solches geschehen, will ich hier nicht entwickeln; genug sie lieget im Jammer. Denn so weit haben es die Gottlosen gebracht, dass Christi Wahrheit, wenn auch nicht als verjagt und zerstreut zu Grunde gegangen, 

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doch wie verachtet und begraben sich verbergen muss, die arme Kirche aber durch grausame Hinrichtungen verzehrt, oder durch Verbannungen zerstreut oder durch Drohungen und Schrecken also verschüchtert wurde, dass sie nicht zu atmen wagt. Und noch immer fort toben sie mit ihrer gewohnten Wut und Wildheit, und drängen hart ein auf die schon wankende Mauer und in die Lücke, die sie gemacht haben. Und kein einziger tritt hervor, solchem Ingrimm seinen Schutz entgegenzusetzen. Wollen etwa Einige sich den Schein geben, dass sie der Wahrheit gewogen seien, so ist es das Höchste, dass sie dafür halten, man müsse mit dem Irrtum und den Torheiten unwissender Menschen Nachsicht haben. Also reden die Gemäßigten, Irrtum und Torheit nennend, was sie als die gewisseste Wahrheit Gottes kennen, und diejenigen Unwissende, deren Seelen, wie sie vor Augen sehen, Christus nicht verschmähete, um sie der Geheimnisse seiner himmlischen Weisheit zu würdigen. So schämen sich Alle des Evangeliums. Dir aber, durchlauchtigster König, geziemt, solchem gerechten Schutz nicht dein Herz und Ohr zu verschließen; vor allem, wo es um eine so wichtige Angelegenheit sich handelt: nämlich, wie die Ehre Gottes auf Erden unangetastet bleiben, wie Gottes Wahrheit ihre Würde behalten, wie das Reich Christi unversehrt unter uns wohnen möge. Wohl ist solches deiner Beachtung, deiner Erkenntnis und deines Richterthrones würdig. Denn sich in Verwaltung seines Reiches als Diener Gottes erkennen, das macht den wahren König. Und wer nicht zu dem Zwecke regiert, um der Ehre Gottes zu dienen, der übet nicht Herrschaft, sondern ein Raubwerk. Auch betrügt derjenige sich selbst, der dauerndes Heil in einem Reich erwartet, welches nicht von Gottes Zepter, d. h. von seinem heiligen Worte regiert wird. Denn der himmlische Ausspruch kann nicht trügen, dass das Volk wüste werde, wo die Weissagung aufhört. Spr. 29,18. Von solchem Bestreben darf Verachtung unserer Niedrigkeit dich nicht abhalten. Wir wissen wohl, wie kleine, arme und verachtete Menschlein wir sind; nämlich vor Gott elende Sünder, vor den Augen der Menschen verlästert; Auswurf und Kehricht der Welt, wenn du willst oder noch schlechteres kennst; also dass wir vor Gott uns nicht rühmen können, als einzig und allein seiner Barmherzigkeit, wodurch wir zur Hoffnung des ewigen Heils ohne unser Verdienst angenommen sind; bei den Menschen aber nicht viel mehr als unserer Schwachheit, welche auch nur mit einer Miene zu bekennen, jene für die höchste Schande achten. Aber unsere Lehre muss erhaben stehen über allen Glanz der Welt, unbesiegbar über alle Gewalt. Denn nicht die unsere ist es, sondern des lebendigen Gottes und des Christus, den der Vater zum König gesetzt hat, dass er herrsche von einem Meere zum andern, und von den Strömen bis zu den Grenzen der Erde. Und welcher also herrschet, dass er die ganze Erde, mit ihrer eisernen und ehernen Stärke, mit ihrem silbernen und goldenem Glanze, sobald er sie mit dem Stabe seines Mundes berührt, wie Töpfergefäße zermalmet; wie die Propheten von der Herrlichkeit seines Reiches weissagten. Dan. 2,34. Jes. 11,4. Ps. 2,9. Zwar unsere Gegner werfen uns vor, wir suchten uns vergeblich mit dem Worte Gottes zu entschuldigen, da wir es auf frevelhafte Weise verdrehten. Aber dass dies nicht nur eine boshafte Verleumdung, sondern 

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auch freche Schamlosigkeit sei, wirst du selbst, wenn du unser Bekenntnis liesest, nach deiner Weisheit beurteilen. Doch muss auch hier etwas gesagt werden, was dir zum Lesen selbst Aufmerksamkeit und Eifer erwecken, oder wenigstens den Weg bahnen möge. Wenn Paulus alle Weissagung nach der Ähnlichkeit des Glaubens eingerichtet wissen will, so gibt er hier die sicherste Richtschnur, wonach die Auslegung der Schrift geprüft werden muss. Wenn nun die unsrige nach dieser Glaubensregel beurteilt wird, so ist der Sieg auf unserer Seite. Denn was stimmt mehr und besser mit dem Glauben überein, als die Anerkennung, dass wir von jeder Tugend entblößt sind, um von Gott bekleidet zu werden? Alles Guten leer, um von ihm erfüllt zu werden? Wir Knechte der Sünde, um von ihm befreit zu werden? Wir blind, dass er uns erleuchte? Wir lahm, dass er uns leite? Wir schwach, dass er uns unterstütze? Wir alles eigenen Ruhms uns begeben, dass er allein in Herrlichkeit erscheine und wir in ihm uns rühmen? Wenn wir so und in ähnlicher Weise reden, werden sie unwillig und murren, dass, ich weiß nicht, was für ein blindes Licht der Natur, eingebildete Vorbereitungen, freier Wille, seligmachende verdienstliche Werke, samt ihren Überverdienst-lichkeiten zu nichte würden; weil sie nicht ertragen können, dass alles Guten und jeder Tugend, Gerechtigkeit und Weisheit, Ruhm und Ehre Gott allein gebühren soll. Doch lesen wir nirgend, dass Jemand gescholten werde, weil er zuviel aus dem Quell des lebendigen Wassers geschöpft habe; wohl aber werden diejenigen ernstlich gestraft, die sich selbst Brunnen graben, löcherichte Brunnen, die kein Wasser geben. Jer. 2,13. – Was ist ferner dem Glauben angemessener, als sich Gottes, als des gnädigen Vaters zu getrösten, wo Christus als Bruder und Versöhner erkannt wird? als, alles Heil und Glück mit Zuversicht von dem zu erwarten, dessen unaussprechliche Liebe so weit ging, dass er auch seines eigenen Sohnes nicht verschonte, sondern ihn für uns dahin gab, Röm. 8,32.? als die gewisse Erwartung des ewigen Heils und Lebens sich zu freuen, in dem Glauben, dass Christus uns vom Vater gegeben ward, in welchem solche Schätze verborgen sind? Hier legen sie Hand an uns und verschreien solche feste Zuversicht als Stolz und Vermessenheit. Aber wie wir nichts von uns selbst, so dürfen wir alles von Gott uns rühmen, und nur darum entsagen wir dem eiteln Selbstruhm, damit wir lernen uns in dem Herrn zu rühmen. Was soll ich weiter sagen? Durchforsche, erlauchter König, unsere Sache in allen ihren Teilen, und halte uns für die schändlichsten und strafwürdigsten aller Menschen, wenn du nicht deutlich erkennen wirst, dass wir deshalb Not und Schande leiden, weil wir unsere Hoffnung auf den lebendigen Gott setzen: weil wir glauben, dass, den einigen wahren Gott und Jesum Christum, den er gesandt hat, erkennen, das ewige Leben sei. 1 Tim. 4,10. Joh. 17,3. Um dieser Hoffnung willen werden einige von uns in Ketten und Banden gelegt, andere mit Ruten gegeißelt, andere zum Gespött herumgeschleppt, andere verbannt, andere auf das grausamste gefoltert, andere zur Flucht gezwungen; alle werden wir verfolgt und geängstigt, mit schrecklichen Flüchen belastet, mit Schmähungen zerrissen, auf das Entsetzlichste misshandelt. Blicke nun auf unsere Widersacher, ich meine den Stand der Priester, auf deren Wink 

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und Befehl die Andern uns anfeinden, und erwäge einen Augenblick mit mir, was sie denken und wollen. Die wahre Religion, wie sie in der Schrift enthalten ist und allen bekannt sein sollte, nicht zu kennen, zu vernachlässigen und zu verachten, das verstatten sie gern sich und andern; sie glauben, es sei wenig daran gelegen, was ein jeder von Gott und Christo wisse oder nicht wisse, wofern er nur mit verborgenem Glauben, wie sie es nennen, seine Seele dem Gehorsam der Kirche unterwerfe. Es bekümmert sie nicht, ob die Ehre Gottes durch die offenbarsten Lästerungen befleckt werde, wenn nur niemand gegen das Primat des apostolischen Stuhles und gegen das Ansehen der heiligen Mutter Kirche den Finger erhebt. Warum streiten sie also mit solcher Wut und Bitterkeit für die Messe, das Fegefeuer, die Wallfahrten und solcherlei Possen, so dass sie behaupten, ohne den öffentlichsten Glauben, wenn ich so reden darf, an diese Dinge könne keine Frömmigkeit bestehen, da sie doch keines derselben aus dem Worte Gottes zu erweisen vermögen? Warum anders, als weil der Bauch ihr Gott und die Küche ihre Religion ist. Würden ihnen diese genommen, so würden sie sich nicht nur keine Christen, sondern nicht einmal Menschen zu sein dünken. Denn obwohl einige im Übermaße schwelgen, andere nur an den Brosamen sich sättigen, so leben sie doch alle aus demselben Topfe, der ohne jene Heizmittel nicht bloß erkalten, sondern zu Eis erstarren würde. Darum je mehr ein jeglicher von ihnen für den Bauch sorgt, desto kecker streitet er für seinen Glauben. Kurz, auf die Erhaltung ihres Regiments und die Fülle ihres Bauchs geht ihrer aller einziges Streben; bei keinem findet sich auch nur die mindeste Spur eines reinen Eifers für die Wahrheit. Und dennoch hören sie nicht auf unsere Lehre anzugreifen, und mit allerlei Benennungen sie zu lästern und zu verleumden, um sie verhasst oder verdächtig zu machen. Sie nennen sie eine neue, so eben aufgekommene, und suchen sie als zweifelhaft und ungewiss verdächtig zu machen. Sie fragen, durch welche Wunder sie bestätigt sei, und ob es recht sei, dass sie gegen die übereinstimmende Lehre der heiligen Väter und gegen das uralte Herkommen auftrete; sie bestehen darauf, wir sollen sie für eine schismatische erklären, welche der Kirche den Krieg ankündige; oder die Kirche sei in den vielen Jahrhunderten, wo man nichts dergleichen vernommen, erstorben gewesen. Endlich sagen sie, es bedürfe keiner weitern Beweise; man könne, von welcher Art sie sei, schon aus ihren Früchten erkennen, da sie einen solchen Schwarm von Sekten, so viel Aufruhr und Empörungen, solche Zügellosigkeit und Frevel erzeugt habe. Freilich ist es ihnen ein leichtes, vor den Ohren einer unkundigen und leichtgläubigen Menge einer verlassenen Sache zu spotten; aber wenn auch das Reden an uns käme, wahrlich dann würde bald jene Wut erkalten, welche sie aus vollen Backen, eben so frech als ungestraft, gegen uns ausschäumen. Vorerst, wenn sie unsere Lehre eine neue nennen, so lästern sie Gott, dessen heiliges Wort nicht der Neuheit beschuldigt werden sollte. Dass es ihnen eine neue Lehre sei, bezweifle ich nicht; denn neu ist ihnen Christus, neu das Evangelium. Aber welche jene Predigt Pauli für eine alte erkennen: dass Jesus Christus um unserer Sünden willen gestorben und um unserer Ge-

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rechtigkeit willen auferweckt sei (Röm. 4,25.), die werden bei uns nichts neu finden. Dass sie lange unbekannt und begraben lag, ist die Schuld menschlicher Gottlosigkeit: jetzt, da sie durch Gottes Güte uns wiedergegeben wird, sollte sie wenigstens nach dem Recht des erneuerten Besitzes ihr Altertum wieder erlangen. Mit gleicher Unwissenheit halten sie dieselbe für ungewiss und zweifelhaft. Fürwahr, hier trifft das ein, worüber der Herr durch seine Propheten klagt: ein Ochse kenne seinen Herrn und ein Esel die Krippe seines Herrn, aber ihn kenne sein Volk nicht. Jes. 1,3. Fürwahr, wenn sie, die spottend der unserigen Ungewissheit vorwerfen, die ihrige mit ihrem eigenen Blute und Aufopferung des Lebens besiegeln sollten, da würde man schauen, wie hoch sie von ihnen geachtet werde. Ganz anders ist unsere Zuversicht, welche weder des Todes Schrecken noch auch selbst Gottes Richterstuhl fürchtet. Dass sie Wunder von uns fordern, daran tun sie sehr unrecht. Denn wir wollen nicht irgend ein neues Evangelium schaffen, sondern wir halten fest an dem einen, dessen Wahrheit zu bekräftigen, alle Wunder dienen, welche Christus und die Apostel jemals getan haben. Jedoch sie haben vor uns das besondere voraus, dass sie ihren Glauben mit bis auf diesen Tag fortgehenden Wundern bestätigen können. Ei, vielmehr berufen sie sich auf Wunder, welche ein sonst wohl begründetes Gemüt wankend machen müssten, so abgeschmackt und lächerlich sind sie, oder so grundlos und erlogen. Und noch dann, wenn sie noch so wunderbar wären, dürfen sie doch gegen Gottes Wahrheit kein Gewicht haben; denn der Name Gottes soll überall und immer geheiligt werden, sei es durch Wunder-zeichen oder die Ordnung der Natur. Scheinbarer könnte vielleicht das Gaukelspiel sein, wenn uns nicht die heilige Schrift über den gesetzmäßigen Zweck und Nutzen der Wunder belehrte. Denn dass die Zeichen, welche die Predigt des Apostels begleiteten, zu derselben Bestätigung geschahen, lehrt uns Markus. Mark. 16,20. Eben so meldet Lukas, der Herr habe dadurch dem Wort seiner Gnade Zeugnis gegeben, dass er Zeichen und Wunder geschehen ließ durch die Hände der Apostel. Apostelgesch. 14,3. Diesem ähnlich ist der Ausspruch des Apostels: der Herr habe der durch das Evangelium verkündigten Seligkeit Zeugnis begeben durch Zeichen, Wunder und mancherlei Kräfte. Hebr. 2,4. Sollten wir denn nun, was Zeichen des Evangeliums sein sollten, umwandeln, um den Glauben an das Evangelium zu zerstören? und welche bestimmt sind die Wahrheit zu besiegeln, sollen wir diese zur Bekräftigung der Lügen missbrauchen? Folglich geziemt es sich, zuerst die Lehre, welche nach dem Ausspruch des Evangelisten vorhergeht, zu prüfen und zu erforschen, und wenn diese bewährt gefunden ist, dann erst muss sie durch Wunder ihre Bestätigung empfangen. Das Kennzeichen aber der reinen Lehre ist, nach Christi Ausspruch, wenn sie nicht der Menschen, sondern Gottes Ehre sucht. Joh. 7,18. 8,50. Da Christus eine solche Prüfung der Lehre verlangt, so beruft man sich mit Unrecht auf Wunder, die auf irgend etwas anders, als auf die Verherrlichung des Namens Gottes bezogen werden. Wir müssen wohl bedenken, dass auch der Satan seine Wunder hat, welche, obwohl mehr Gaukeleien als wahrhaftige Kräfte, doch die Unkundigen und Unerfahrenen täuschen können. 

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Magier und Zauberer haben sich von jeher durch Wunder einen Namen gemacht; erstaunliche Wunder haben den Götzendienst genährt, ohne jedoch uns für den Aberglauben der Zauberer und Götzendiener zu gewinnen. Mit solchem Vorgeben, dass sie Wunder tun könnten, wussten ehemals die Donatisten die Einfalt und Leichtgläubigkeit des Volkes zu erobern. Darum bescheiden wir jetzt unsere Gegner eben so, wie damals Augustinus die Donatisten, nämlich, dass der Herr uns gegen jene Wunderlinge vorsichtig gemacht habe, da er vorhersagte, es würden falsche Propheten kommen, welche durch lügenhafte Zeichen und mancherlei Wunder auch die Auserwählten, wo möglich, in den Irrtum verführen würden. Joh. 7,18. 8,50. Und Paulus verkündete warnend, dass das Reich des Antichrists mit allerlei Kräften, Zeichen und lügenhaften Wundern erscheinen werde. Matth. 24,24. – Aber diese Wunder, sagen sie, geschehen nicht von Götzendienern, Übeltätern, falschen Propheten, sondern von Heiligen. Als ob wir nicht wüssten, dass eben dies Satans List sei, sich in einen Engel des Lichts zu verstellen. 2 Thess. 2,9. Ehmals opferten die Ägypter dem unter ihnen begrabenen Jeremias, und erwiesen ihm andere göttliche Ehre. Missbrauchten sie da nicht des heiligen Propheten Gottes zur Abgötterei? Und doch erlangten sie durch solche Verehrung seines Grabes, dass sie die Heilung von Schlangenbissen für eine gerechte Belohnung derselben hielten. Was sollen wir dazu sagen? War es nicht von jeher, und wird es nicht immer Gottes gerechte Strafe sein, denen, welche die Liebe zur Wahrheit nicht haben angenommen, kräftige Irrtümer zu senden, also dass sie der Lüge glauben? 2 Thess. 2,11. Folglich fehlt es uns keineswegs an Wundern und zwar solchen, die gewiss und über allen Spott erhaben sind. Hingegen, welche sie vorgeben, sind offenbare Täuschungen des Satans, indem sie das Volk von der wahren Verehrung Gottes zur Lüge verleiten. Außerdem stellen sie uns ungerechter Weise die Väter entgegen – ich meine die Schreiber eines frühern bessern Zeitalters – als ob diese ihre Gottlosigkeit begünstigten. Aber wäre der Streit nach ihrem Ausspruch zu entscheiden, so würde, um bescheiden zu reden, der größte Teil des Sieges sich zu uns neigen. Da jedoch jenen Vätern, bei dem vielen Vortrefflichen und Weisen, was sie geschrieben haben, auch Menschliches begegnet ist, so beten jene folgsamen Söhne, nach ihrer hohen Weisheit und vortrefflichen Beurteilung, nur ihre Fehler und Irrtümer an, die Wahrheiten aber, die sie vortragen, achten sie nicht, oder verhehlen und verdrehen sie, so dass sie nur darauf auszugehen scheinen, zwischen dem Golde den Kot aufzulesen. Dennoch verfolgen sie uns mit heillosem Geschrei, als wären wir Feinde und Verräter der Väter. Davon sind wir aber so weit entfernt, dass es mir, wenn es mein Zweck erforderte, ein leichtes sein würde, den größten Teil dessen was wir jetzt behaupten, mit ihren Zeugnissen zu belegen. Wir indeß gebrauchen ihrer Schriften also, dass wir immer dabei gedenken, Alles sei unser um uns zu dienen, nicht über uns zu herrschen, wir aber allein Christi, dem wir in allen Dingen ohne Ausnahme gehorchen müssen. 1 Kor. 3,21. Wer diese Auswahl nicht befolgt, hat nichts festes in seinem Glauben. Denn jene heiligen Männer 

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wussten manches nicht, sie sind oft im Streit untereinander, zuweilen auch im Widerspruch mit sich selbst. – Nicht ohne Ursache, sagen sie, warnt uns Salomo, die alten Grenzen zu überschreiten, welche unsere Väter gesetzt haben. Spr. 22,28. Aber es hat eine andere Bewandtnis mit den Grenzen der Äcker, als mit dem Gehorsam des Glaubens, welcher so beschaffen sein muss, dass man dabei seines Volks und Vaterhauses vergisst. Ps. 45,11. Haben sie ein solches Wohlgefallen am Allgemeinen, warum wählen sie nicht lieber die Apostel, als jedwede Andere, zu Vätern, deren Grenzen zu verrücken Frevel sei? Denn so erklärte es Hieronymus, dessen Worte sie unter ihre Canones gesetzt haben. Und wenn sie die Grenzen der Väter, die sie meinen, unverrückt erhalten wollen, warum überschreiten sie diese selbst so mutwillig, so oft es ihnen beliebt? Väter waren es, wovon der Eine sagte, unser Gott esse und trinke nicht, bedürfe also auch weder der Kelche noch Schüsseln; der Andere, die Sakramente bedürften des Goldes und Silbers nicht, und was mit Gold nicht erkauft werde, könne auch durch Gold nicht gefallen (Anm.: Acatius tripert. Hist. C. XI. c. 16. Ambros. de off. d. II. c. 28.). Sie überschreiten folglich die Grenzen, wenn sie bei ihren Gottesdiensten sich so sehr in ihrem Golde, Silber, Elfenbein, Marmor, Edelsteinen und Seidenstoffen gefallen, und glauben, Gott könne nicht recht verehrt werden, wenn nicht Alles vom höchstem Glanz oder vielmehr unsinniger Verschwendung überflösse. Einer der Väter war es, welcher sagte, deshalb esse er freimütig Fleisch an solchen Tagen, wo die Übrigen sich dessen enthalten, weil er ein Christ sei (Anm.: Spiridion. trip. hist. C. I. c. 10.). Also überspringen sie die Grenzen, wenn sie eine Seele mit dem Bann verfluchen, welche während der Fastenzeit Fleisch gekostet. Väter waren es, deren Einer sagte, dass ein Mönch, der nicht mit seinen Händen arbeitet, einem Tagediebe oder Räuber müsse gleichgeachtet werden; und der Andere, es gezieme den Mönchen nicht, von fremdem Gute zu leben, wie fleißig sie auch mit Betrachtungen, Gebeten und Studien sich beschäftigten (Anm.: Trip. hist. C. VIII. c. 1. August. da op. mon c. 17.). Auch diese Grenzen haben sie überschritten, indem sie die dicken müßigen Pfaffenbäuche in die Garküchen und Hurenhäuser der Klöster gesetzt haben, um von fremder Habe sich zu mästen. Einer der Väter war es, der es für einen Greuel erklärte, Bilder Christi oder der Heiligen in den Tempeln der Christen zu erblicken. Und nicht bloß von Einem wurde dieses ausgesprochen, sondern von einer Kirchenversammlung verordnet, dass, was man anbete, nicht auf die Wände gemalt werden sollte (Anm.: Epiphan. ep. ab Hieronym. vers. – Coneil. Elebert. c. 36.). Wie weit haben sie sich von diesen Grenzen entfernt, da sie auch keinen Winkel leer lassen von Bildern. Ein anderer der Väter hat geraten, wenn man die Pflicht der Menschlichkeit an den Verstorbenen durch Beerdigung vollbracht habe, solle man sie ruhen lassen (Anm.: Ambros, d. Abra. I. 7.). Diese Grenzen durchbrechen sie, wenn sie fortwährende Sorgfalt um die Toten verlangen. Einer der Väter war es, welcher bezeugt, dass die Substanz des Brotes und Weines im Abendmahl so bleibe und nicht aufhöre, gleich wie die menschliche Substanz und Natur, 

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verbunden mit der göttlichen, in Christo dem Herrn bleibt (Anm.: Gelas. Pap. in Conc. Rom.). Folglich überschreiten diejenigen das Maß, welche erdichten, dass nach Hersagung der Einsetzungsworte des Herrn, die Substanz des Brotes und Weines aufhöre und in Leib und Blut verwandelt werde. Väter waren es, die der gesamten Kirche nur Ein Abendmahl darreichten und, so wie sie die Lasterhaften und Ruchlosen davon ausschlossen, alle Andere, die obwohl gegenwärtig, nicht daran Teil nahmen, ernstlich bestraften (Anm.: Chrysost. in I. Cap. Eph. Cal. ct. Papa de Conc. dict. 2.). Wie weit haben sie diese Grenzen verrückt, wenn sie nicht nur die Kirchen, sondern auch Privatwohnungen mit ihren Messen erfüllen, Jedermann, der da will, am liebsten diejenigen, welche teuer bezahlen, zulassen, mögen sie übrigens noch so unrein und ruchlos sein, dagegen aber zum Glauben an Christum und zum würdigen Genuss des heiligen Sakraments Niemand ermahnen, vielmehr ihr Werk an die Stelle der Gnade und des Verdienstes Christi setzen. Zween Väter waren es, wovon der Eine diejenigen, welche mit der Teilnahme an einer Gestalt zufrieden sich der andern enthielten, gänzlich von dem Genuss des heiligen Abendmahls ausgeschlossen wissen wollte, der Andere aber kräftig dafür streitet, dass dem christlichen Volke das Blut seines Herrn, für dessen Bekenntnis es selbst sein Blut zu vergießen aufgefordert wird, nicht versagt werden müsse (Anm.: Gelas. can. Comperimus de Cons. dic. 2. Cypr. epi. 2. lib. 1. de Capsa.). Auch diese Grenzen haben sie zerstört, indem sie eben dasjenige zu einem unverbrüchlichen Gesetz gemacht haben, was der Eine mit dem Bann bestrafte, und der Andere mit kräftigem Grunde verwarf. Einer der Väter war es, der es für Vermessenheit erklärte, über eine dunkle Sache auf die eine oder andere Weise Bestimmungen festzusetzen, ohne ausdrückliche und klare Zeugnisse der heiligen Schrift (Anm.: Augustin, 1. 2. de pecc. mar. c. ult.). Diese Grenze ließen sie außer Acht, als sie eine solche Menge von Verordnungen, Canons und Grundbestimmungen, ohne irgend ein Wort Gottes, beschlossen. Einer der Väter war es, der dem Montanus außer andern Ketzereien es zum Vorwurf machte, dass er zuerst den Christen Fastengesetze auferlegt habe (Anm.: Apollon de q. Eccl. hist. 1. V. c. 12.). Auch über diese Grenze sind sie weit hinausgegangen, indem sie mit den strengsten Gesetzen das Fasten verordnet haben. Einer der Väter war es, welcher behauptete, dass den Dienern der Kirche die Ehe nicht untersagt, sondern Keuschheit und die eheliche Verbindung mit ihrem eigenen Weibe geboten werden müsse, und Väter waren es, die seiner Meinung beistimmten (Anm.: Paphnut: trip. hist. 1. II. c. 14.). Diese Grenzen verließen sie, als sie ihren Priestern den unehelichen Stand strenge geboten. Einer der Väter war es, welcher behauptete, Christum allein müsse man hören, von dem gesagt ist: ihn sollet ihr hören; und man müsse nicht darauf sehen, was andere vor uns sagten oder getan haben, sondern was er, Christus, der Erste von Allen, geboten habe (Anm.: Cypr. epi. C. II.). Diese Grenzscheide lassen sie weder für sich selbst noch für andere gelten, sondern wollen lieber jeden andern außer Christo für sich und andere als Lehrer anerkennen. Einer der Väter war es, welcher aussagte, die Kirche müsse sich nicht über Christum 

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setzen wollen, weil er allein immer wahrhaftig richte, die geistlichen Richter aber, als Menschen, mehrenteils irren (Anm.: Augustin. c. Cretc, Gramm. C. II.). Auch diese Grenzbestimmung haben sie vernichtet, indem sie sich nicht entblöden zu behaupten, das ganze Ansehen der Schrift beruhe auf dem Ausspruch und der Entscheidung der Kirche. Alle Väter haben einstimmig und einhellig jede Entstellung und Befleckung des heiligen Wortes Gottes durch sophistische Spitzfindigkeiten, und jede Vermengung desselben mit den Zänkereien der Dialektiker verflucht und verabscheut. Halten nun jene sich in diesen Grenzen, wenn sie in ihrem ganzen Leben auf nichts anderes ausgehen, als wie sie die Einfalt der Schrift mit unzähligen Streitfragen und mehr als sophistischen Zänkereien verwirren und verwickeln mögen? Ja, wenn die Väter wieder auferständen und von dieser Streit- und Zankkunst hörten, welche jene spekulative Theologie nennen, sie würden nichts weniger glauben, als dass von Gott die Rede sei. Aber meine Rede würde über Gebühr sich ausbreiten, wenn ich weiter nachweisen wollte, mit welcher Frechheit sie das Joch der Väter, deren gehorsame Kinder sie scheinen wollen, abschütteln. Dazu würden Monate und Jahre kaum hinreichen. Und doch haben sie eine solche verruchte und jammervolle Unverschämtheit, uns vorzuwerfen, dass wir über die alten Grenzen hinauszugehen kein Bedenken tragen. Wenn sie uns nun ferner auf das Herkommen verweisen, so richten sie auch hiemit nichts aus. Freilich, wenn die Menschen gesundem Urteil folgten, so würden sie die Handlungsweise der Guten zum Herkommen machen; aber sie handeln mehrenteils ganz anders; was sie die Menge tun sehen, erhält bald das Recht herkömmlicher Sitte. Aber kaum hat es je mit der Menschheit so gut bestanden, dass der Mehrzahl das Bessere gefiel. So entsprang aus den einzelnen Verirrungen Vieler mehrenteils der Irrtum des Ganzen oder vielmehr ein gemeinsamer Verein in der Verkehrtheit; und das wollen jene guten Leute zum Gesetz machen. Welche Augen haben, sehen, wie Meere von Übeln sich über die Erde ergossen und verderbliche Seuchen die Welt ergriffen haben und wie Alles dem Untergang entgegen eilt, so dass nichts übrig bleibt, als entweder an dem Zustande der Menschheit zu verzweifeln, oder Hand an das Werk zu legen und mit Gewalt dem Unheil zu steuern. Die Abhilfe verweigert man aus keinem andern Grunde, als weil wir längst der Übel gewohnt worden sind. Mag indeß der Irrtum in dem menschlichen Gemeinwesen seinen Platz behalten; in dem Reiche Gottes muss allein seine ewige Wahrheit gehört und erkannt werden, die durch keine Reihe von Jahren, kein Herkommen noch Verbündung verjähren kann. So lehrte einst Jesaias die Auserwählten Gottes, sie sollten nicht reden von Bund in allem, wo das Volk von nichts redete, denn vom Bund, Jes. 8,12.; d. h. sie sollten nicht dem im Bösen einstimmigen Volke zustimmen, nicht sich also fürchten, wie sie tun, nicht sich grauen lassen, wie sie, sondern den Herrn der Heerschaaren heiligen und ihn lassen ihre Furcht und ihr Schrecken sein. Mögen sie also immerhin uns die vergangenen Jahrhunderte und die Beispiele der Gegenwart vorhalten; heiligen wir den Herrn Zebaoth, so werden wir uns nicht schrecken 

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lassen. Wenn viele Jahrhunderte sich zu gleicher Gottlosigkeit verbündet haben, so ist der Herr ein starker Gott, um an dem dritten und vierten Geschlechte Rache zu nehmen; oder mag die ganze Welt zu gleichem Verderben sich vereinen, er hat durch die Tat erwiesen, welches das Ende derer sei, die mit der Menge sündigen, als er das ganze Menschengeschlecht durch die Flut verderbte, und nur den Noah mit seiner kleinen Familie errettete, welcher durch seinen Glauben die ganze Welt verdammte. 1 Mos. 7. Hebr. 11,7. Kurz ein verkehrtes Herkommen gleicht einer allgemeinen Pest, in welcher diejenigen, welche mit der Menge sterben, nicht minder umkommen. Dazu sollte man bedenken, was Cyprian sagt, nämlich dass die, welche aus Unwissenheit sündigen, obwohl nicht frei von aller Schuld, doch in einiger Weise zu entschuldigen scheinen können, diejenigen aber, welche die ihnen durch Gottes Güte dargebotene Wahrheit hartnäckig verwerfen, keinen Anspruch auf Entschuldigung haben (Anm.: Epist. 3. lib. 2. Epist, od Jul. de haeret baptiz.). Umsonst suchen sie uns mit ihrem Dilemma (Schlussfolgerung) in die Enge zu treiben, womit sie uns zu dem Eingeständnis zu zwingen vermeinen, dass entweder die Kirche eine Zeitlang erstorben gewesen sein müsse, oder dass wir jetzt einen Streit mit der Kirche haben. Gelebt hat fürwahr die Kirche des Herrn, und sie wird leben, so lange Christus zur Rechten des Vaters thronen wird; seine Hand wird sie halten, seine Obhut sie schirmen und seine Kraft sie unversehrt bewahren. Er wird vollbringen, was er übernommen hat und ihr nahe sein bis an das Ende der Welt. Gegen sie streiten wir nicht; denn den Einen Gott und Christum den Herrn verehren und beten wir einmütig an mit dem Volke seiner Gläubigen, wie er immer von allen Frommen angebetet worden ist. Aber jene entfernen sich sehr weit von der Wahrheit, wenn sie keine andere Kirche anerkennen wollen, als welche sie vor ihren Augen sehen, und sie mit Schranken zu umgeben suchen, in welche sie keinesweges beschlossen ist. Hier liegt der wahre Streitpunkt; vorerst dass sie eine immer sichtbare in die Augen fallende Form der Kirche fordern; darnach, dass sie diese Form selbst an den Sitz der römischen Kirche und ihren Priesterstand knüpfen. Wir dagegen behaupten, dass die Kirche bestehen könne ohne sichtbare Form, und dass diese Form nicht in dem äußern Glanze, den sie töricht bewundern, sondern in ganz andern Merkmalen enthalten sei, nämlich in reiner Verkündigung des göttlichen Wortes und gesetzmäßiger Verwaltung der Sakramente. Sie sind unwillig, wenn ihnen die Kirche nicht immer mit dem Finger gezeigt werden kann. Aber wie oft ward sie bei dem jüdischen Volke so entstellt, dass kaum ein Schein derselben übrig blieb? Wo war damals ihre glänzende Gestalt, als Elias klagte, dass er allein übrig sei? Wie lange musste sie nach der Erscheinung Christi sich ohne Gestalt verbergen? Wie oft wurde sie seitdem von Kriegen, Aufruhren und Ketzereien unterdrückt, so dass sie nirgend hervorleuchtete? Hätten sie damals gelebt, würden sie auch nur an das Dasein einer Kirche geglaubt haben? Aber Elias vernahm, dass siebentausend übrig geblieben waren, die ihre Kniee nicht vor Baal gebeugt hatten, 1 Kön. 19,14. Und so dürfen auch wir keineswegs zweifeln, dass Christus, seit 

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er auffuhr gen Himmel, immer auf Erden geherrscht habe. Hätten aber damals die Frommen irgend eine sichtbare Form mit Augen gesucht, hätten sie dann nicht verzagen müssen? Und fürwahr schon Hilarius hielt es zu seiner Zeit für ein Zeichen tiefer Verderbnis, dass sie durch törichtes Anstaunen der bischöflichen Würde verblendet, die verderbliche Schlange, die unter dieser Larve verborgen lag, nicht bemerkten. Denn also redet er (Anm.: Ctra Auxentium): „Vor allem warne ich euch, hütet euch vor dem Antichrist; denn die Lust an den Wänden hat euch böslich verblendet; böslich verehrt ihr die Kirche Gottes in geschmückten Tempeln und Gebäuden, wähnend, daselbst wohne der Bund des Friedens. Kann man noch zweifeln, dass in ihnen der Antichrist seinen Sitz haben werde? Berge und Wälder und Seen und Kerker und Wüsten halte ich für sicherer; denn in diesen wohnend oder versenkt weissagten die Propheten“. Was anders aber verehrt jetzo die Welt an ihren gehörnten Bischöfen, als dass sie diejenigen für heilige Vorsteher der Religion achtet, in deren Hände sie die Herrschaft über die berühmtesten Städte siehet? Hinweg mit solcher dummen Verehrung! Lasst uns vielmehr dieses dem Herrn anheimstellen, ob er, der allein die Seinigen kennet, zuweilen die äußere Erkenntnis seiner Kirche dem Blick der Menschen entziehen will. Freilich, eine furchtbare Rache Gottes an der Welt; aber wenn die Gottlosigkeit der Menschen solches verdient, warum wagen wir der gerechten Strafe Gottes zu widerstehen? So hat in vergangenen Zeitaltern der Herr die Undankbarkeit der Menschen gezüchtigt. Denn da sie der Wahrheit nicht gehorchen wollten und sein Licht ausgelöscht hatten, ließ er sie mit verblendeten Sinnen und abgeschmackten Lügen hingegeben in tiefe Finsternis geraten, so dass kein Schimmer der wahren Kirche übrig blieb; jedoch wusste er die Seinigen, obwohl mitten in den Finsternissen zerstreut und verborgen, aus dem Verderben zu retten. Kein Wunder! Konnte er sie doch in der Verwirrung Babylons und in den Flammen des glühenden Ofens erhalten. Wie gefährlich es aber sei, wenn sie die Gestalt der Kirche nach, ich weiß nicht, welchen eiteln Geprängen beurteilt wissen wollen, will ich nur mit Wenigem beiläufig andeuten. Der Papst, sagen sie, der den apostolischen Sitz inne hat, und die von ihm gesalbten und geweihten und mit der Inful (Bischofsmütze) und dem Stabe geschmückten Bischöfe, repräsentieren die Kirche und müssen für die Kirche gehalten werden; deshalb auch können sie nicht irren. Warum dieses? Weil sie Hirten der Kirche und dem Herrn geweiht sind. Waren Aaron und die übrigen Vorsteher Israels nicht auch Hirten? 1 Mos. 32,4. Aaron aber und dessen Söhne, schon zu Priestern ersehen, irrten dennoch, indem sie das goldene Kalb bildeten. Warum hätten denn, aus demselben Grunde, jene vierhundert Propheten die Kirche nicht repräsentiert, welche Ahab belogen? 1 Kön. 22,11. Aber die Kirche stand auf der Seite des Micha, zwar eines einzigen verachteten Mannes, aber aus dessen Munde Wahrheit hervorging. Gaben sich nicht auch jene Propheten den Namen und das Ansehen der Kirche, als sie alle zugleich wider Jeremias auftraten, und drohend ausriefen: das Gesetz könne dem Priester, der Rat dem Weisen, das Wort dem Prophe- 

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ten nicht ausgehen? Jer. 18,18. Gegen eine ganze Schar Propheten wird einzig Jeremias gesendet, um ihnen von dem Herrn anzusagen, dem Priester werde das Gesetz, dem Weisen der Rat, dem Propheten das Wort entfallen. Strahlte nicht solcher Glanz in jener Versammlung, welche die Hohenpriester, Schriftgelehrten und Pharisäer hielten, als sie den Beschluss fassten, Christum zu töten? Joh. 12,20. Mögen sie denn nun an der äußern Hülse kleben bleiben, um Christum und die Propheten zu Schismatikern, und gleichermaßen die Werkzeuge des heiligen Geistes zu Satans Dienern zu machen! Wollen sie von Herzen reden, so mögen sie mir treulich antworten, wo denn in aller Welt die Kirche nach ihrer Meinung ihren Sitz habe, seitdem durch den Beschluss des Basler Concils Eugenius des Papsttums entsetzt wurde und Amadäus an seine Stelle kam! Wie sehr sie sich sträuben, leugnen können sie nicht, dass dieses Concil, was die äußern Gebräuche betrifft, gesetzmäßig war, und nicht bloß von einem Papst, sondern von zweien ausgeschrieben. Auf demselben wurde Eugenius des Schisma, der Empörung, der Widerspenstigkeit verdammt samt dem ganzen Heer der Kardinäle und Bischöfe, welche mit ihm auf die Auflösung des Concils gedrungen hatten. Nachher bekam er dennoch, durch der Fürsten Gunst unterstützt, die volle Papstwürde. Die Wahl des Amadäus aber, welche mit Zustimmung der allgemeinen hochheiligen Synode gesetzmäßig vollbracht war, wurde zu Rauch, außer dass er selbst mit einem Kardinalshut, wie ein bellender Hund mit einem vorgeworfenen Bissen, besänftigt wurde. Aus dem Schoß dieser rebellischen und widerspenstigen Ketzer ging hernach hervor alles, was Papst, Kardinäle, Bischof, Abt und Priester hieß. Hier in die Enge getrieben müssen sie notwendig festsitzen. Denn welcher von beiden Parteien wollen sie die Benennung der Kirche beilegen? Wollen sie leugnen, es sei ein allgemeines Concil gewesen, dem an äußerer Majestät nichts fehlte? welches nämlich durch zwei Bullen feierlich angesagt, durch den Vorsitz eines Legaten des römischen Stuhls eingeweiht und in vollkommener Ordnung abgehalten wurde, und in ununterbrochenem Anstande bis zum Schluss fortdauerte. Werden sie den Eugenius mit seiner ganzen Schar, von welcher alle geheiligt worden sind, für Schismatiker erkennen? So mögen sie demnach entweder die Form der Kirche anders bestimmen, oder wir halten alle diejenigen für Schismatiker, welche mit Wissen und Willen von Ketzern geweiht wurden. Hätte man es nicht schon lange zuvor erfahren, dass die Kirche nicht an äußeres Gepränge gebunden ist, so könnten sie selbst uns zum vollständigen Beweise dienen, sie, die unter dem glänzenden Namen der Kirche sich so lang hochmütig der Welt aufgedrungen haben, während sie der Kirche eine verderbliche Pest sind. Von ihren Sitten und jenen schrecklichen Taten will ich nicht reden, wovon ihr ganz Leben erfüllt ist, weil sie sagen, sie seien Pharisäer, die man hören, nicht aber nachahmen müsse. Aber wenn du, o König, einen Teil deiner Muße dazu verwenden wolltest, unsere Schriften zu lesen, so wirst du deutlich erkennen, dass ihre Lehre, eben die Lehre, welcher sie es, wie sie sagen, verdanken, dass sie die Kirche sind, eine Mördergrube der Seelen, eine Brandfackel, das Verderben und die Vernichtung der Kirche ist. Endlich handeln sie nicht sehr aufrichtig, wenn sie in ihrer Bosheit 

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erzählen, welche Unruhen, Tumulte und Streitigkeiten die Predigt unserer Lehre nach sich gezogen habe und welche Früchte sie auch jetzt noch bringe. Denn die Verschuldung dieser Übel wird mit Unrecht von ihr abgeleitet, da sie der Bosheit des Satans sollte zugeschrieben werden. Es ist des göttlichen Wortes eigene Weise, dass, sobald es emporkommt, Satan erwacht und sich rüstet. Dies ist das gewisseste, vor allen sichere Kennzeichen, wodurch es sich von lügenhafter Lehre unterscheidet, welche sich leicht dadurch verraten, dass sie von Aller Ohren gerne gehört und von der Welt mit Beifall aufgenommen werden. So dienten einige Jahrhunderte hindurch, wo alles in dicke Finsternis gehüllt war, fast alle Menschen diesem Fürsten der Welt zum Scherz und Spielzeug, und er selbst ruhte und schwelgte, gleichsam wie ein anderer Sardanapal, in tiefer Ruhe und Frieden; denn warum hätte er nicht lachen und scherzen sollen in dem ungestörten und friedsamen Besitz seiner Herrschaft? Aber sobald das Licht von oben herniederstrahlte und seine Finsternis zu zerstreuen begann, als der Starke sein Reich angriff und seine Herrschaft störte, da erwachte er aus seinem gewohnten Schlummer und griff zu den Waffen. Anfangs regte er die Arme der Menschen auf, um durch diese die hervorleuchtende Wahrheit gewaltsam zu unterdrücken. Als dieses nicht gelang, wandte er sich zu List und Tücken; er erweckte Spaltungen und Lehrstreitigkeiten durch seine Katabaptisten und anderes Lügengeschwürm, um sie zu verdunkeln und endlich zu ersticken. Und jetzt fährt er fort sie mit beiderlei Gerüste zu bekämpfen; nämlich den echten Samen sucht er teils durch Gewalt und Menschenhand auszurotten, teils, so viel er vermag, sein Unkraut dazwischen zu streuen, damit er nicht wachse und Frucht bringe. Aber vergebens, wenn wir auf die Warnung des Herrn hören, der lange zuvor uns diese Künste des Bösen, damit er uns nicht unversehens überfalle, entdeckt und gegen seine Anläufe mit kräftigen Waffen versehen hat. Übrigens, welche Bosheit gehört dazu, dem Worte Gottes die Schuld der Empörungen, welche Aufrührer und Frevler erregen, oder des Sektenunfugs, welchen Betrüger anstifteten, verleumderisch beizumessen! Und doch ist dieses nichts neues. Elias ward gefragt, ob nicht er es sei, der Israel verwirre? 1 Kön. 18,17.18. Christus war den Juden ein Aufrührer. Den Aposteln wurde Schuld gegeben, dass sie das Volk erregten. Tun diejenigen etwas anders, die heutzutage alle Unruhen, Tumulte und Streitigkeiten, die gegen uns sich erheben, uns zuschreiben? Welche Antwort solchen gebühre, lehrt uns Elias; nämlich nicht wir sind es, welche Irrtümer verbreiten oder Aufruhr erregen, sondern sie selbst, die der Kraft Gottes widerstreben. Indessen, wie dieses Eine hinreicht, um ihre Verwegenheit zurückzuweisen, so fordert doch von der andern Seite die Schwachheit derjenigen Berücksichtigung und Hilfe, welche durch solche Vorwürfe leicht erschüttert werden, und irre gemacht nicht selten wanken. Damit dies nicht geschehe und sie aus ihrem Stande geworfen werden, mögen sie wissen, dass die Apostel zu ihrer Zeit dasselbe erfuhren, was uns jetzt widerfährt. Es gab Ungelehrte und Leichtfertige, welche zu ihrem eigenen Verderben das verwirrten, was von Paulus aus göttlichem Antriebe geschrieben war, wie Petrus sagt. 2 Petr. 3,16. Es waren Gottesverächter, welche, da sie hörten, dass da die 

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Sünde geherrscht habe, die Gnade doch viel mächtiger geworden sei, daraus folgerten: so wollen wir in der Sünde bleiben, auf dass die Gnade desto mächtiger werde. Röm. 6,1. 14,15. Da sie hörten, die Gläubigen seien nicht unter dem Gesetz, so schrien sie: „Wir wollen sündigen, weil wir nicht unter dem Gesetze sind, sondern unter der Gnade“. Es gab solche, die ihn einen Sündenlehrer nannten. Viele falsche Apostel traten auf, welche die Gemeinen zerstörten, die er selbst erbaut hatte. Einige verkündigten das Evangelium, um Hass und Haders willen aus Zank, nicht in guter Meinung, in der boshaften Absicht, seinen Banden neue Trübsale zuzuwenden. Phil. 1,15. So gewann das Evangelium in manchen Orten keinen Fortgang. Alle suchten das Ihrige, nicht was Jesu Christi ist. Andere gingen hinter sich, Hunde zum Speien, Säue zur Schwemme. Viele zogen die Freiheit des Geistes auf die Lust des Fleisches. Viele Brüder schlichen sich ein, von denen bald nachher die Frommen Gefahren bedrohten. Unter den Brüdern selbst erhob sich mancherlei Zwiespalt. Was hatten die Apostel hier zu tun? sollten sie vielleicht dieses Evangelium auf eine Zeitlang verborgen halten, oder wohl gar ganz aufgeben und verlassen, da sie sahen, dass es eine Pflanzschule so vieler Zwistigkeiten, die Ursache so vieler Gefahren und die Veranlassung so vieler Ärgernisse war? Aber in solchen Bedrängnissen fiel ihnen ein, dass Christus der Stein des Anstoßes und der Fels des Ärgernisses sei, gesetzt zum Fall und Auferstehen Vieler, und ein Zeichen, dem widersprochen würde; und mit diesem Troste gewaffnet, schritten sie mutig vorwärts durch alle Gefahren, Angriffe und Empörungen. Ebenderselbe Gedanke muss auch uns aufrecht erhalten, da Paulus versichert, dass dieses immerdar der Geist des Evangeliums sei, dass es sei ein Geruch des Todes zum Tode denen, die verloren gehen, obwohl es uns vielmehr dazu gegeben worden, dass es uns wäre ein Geruch des Lebens zum Leben und eine Kraft Gottes die Gläubigen selig zu machen. 2 Kor. 2,16. Das würden wir wahrlich auch erfahren, wenn wir nicht durch unsere Undankbarkeit dieser so herrlichen Gabe Gottes uns unwürdig machten und in unser Verderben verwandelten, was uns die einzige Quelle des Heils sein sollte. Aber ich wende mich wieder zu dir, o König. Mögen jene falsche Angebungen dich nicht bekümmern, wodurch unsere Feinde dir Schrecken einzuflößen trachten, wenn sie sagen, durch dieses neue Evangelium – so nennen sie es – suche und erstrebe man nichts anders, als Gelegenheit zu Empörungen und Ungestraftheit aller Verbrechen. Denn unser Gott ist nicht ein Urheber der Zwietracht, sondern des Friedens, und der Sohn Gottes ist nicht ein Diener der Sünde, sondern dazu gekommen, dass er die Werke des Teufels zerstöre. Mit Unrecht beschuldigt man uns solcher Bestrebungen, wozu wir niemals den geringsten Argwohn veranlasst haben. Wir sollten den Umsturz der Regierungen zum Zweck haben, wir, von denen nie ein aufrührerisches Wort gehört wurde und derer Leben immer als ein stilles anspruchloses erkannt ward, als wir unter deinem Zepter lebten, und die auch jetzt noch, aus dem Vaterlande verbannt, dir und deinem Reiche alles Heil zu erflehen nicht aufhören! Wir sollten nach ungestrafter Zügellosigkeit in Lastern sterben, wir, an deren Lebenswandel 

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zwar manches getadelt werden kann, aber doch nichts, das solchen Vorwurf verdiente. Und durch Gottes Gnade ist das Evangelium auch nicht so fruchtlos bei uns geblieben, dass unser Leben jenen Verleumdern nicht zum Exempel der Keuschheit, Gütigkeit, Barmherzigkeit, Enthaltsamkeit, Geduld, Bescheidenheit und jeder Tugend dienen könnte. Dass wir mit aufrichtigen Herzen Gott fürchten und ehren, liegt wahrlich am Tage; denn wir streben sowohl durch unser Leben als unsern Tod seinen Namen zu heiligen und selbst der Neid fühlt sich gezwungen, vielen von uns das Zeugnis der Unschuld und eines untadelhaften bürgerlichen Lebens zu geben, an welchen man das mit dem Tode bestrafte, was man als höchst lobenswürdig sollte erkannt haben. Sollten Einige unter dem Vorwande des Evangeliums Aufruhr erregen (wovon aber bisher noch in deinem Reiche nichts kund geworden), oder ihrer Lasterliebe die Freiheit der Gnade Gottes vorschützen (von welcher Art ich manche kenne); so gibt es Gesetze und gesetzliche Strafen, womit sie nach Verdienst ernstlich gezügelt werden mögen; nur müsse das Evangelium Gottes nicht um des Frevels lasterhafter Menschen willen verlästert werden. Hier hast du nun, o König, die giftige Ungerechtigkeit unserer Verleumder umständlich genug dargelegt, um nicht ihren Angebungen ein zu leichtgläubiges Ohr zuzuneigen; ich fürchte nur, zu umständlich, da diese Vorrede beinahe dem Maße einer vollständigen Apologie nahe kommt, worin ich nicht die Verteidigung selbst aufstellen, sondern nur dein Herz erweichen wollte, unserer Sache Gehör zu geben. Zwar jetzt noch ist dieses Herz uns entfremdet und abgewendet, ja, ich setze hinzu, gegen uns entzündet; aber wir hoffen seine Huld wieder erlangen zu können, wenn du diese unsere Bekenntnisschrift, welche wir als Verteidigung deiner Majestät überreichen, mit Ruhe und Bedacht wirst einmal gelesen haben. Wenn aber die Einflüsterungen der Übelgesinnten sich deiner Ohren also bemächtigt haben, dass die Beschuldigten kein Gehör mehr finden, sich zu verteidigen, und wenn dann jene grimmigen Furien, unter deiner Zulassung, fortwährend mit Fesseln, Geißeln, Foltern, Enthauptungen, Verbrennungen gegen uns wüten; so werden wir zwar, wie die Schafe, die zur Schlachtbank bestimmt sind, in Not und Elend geraten, jedoch so, dass wir in Geduld unsere Seelen fassen und die starke Hand des Herrn erwarten, welche sicherlich zu seiner Zeit erscheinen und gewaffnet sich zeigen wird, sowohl um die Armen aus dem Elende zu retten, als auch an den Verruchten Rache zu nehmen, die jetzt mit so großer Sicherheit sich brüsten. Der Herr, der König der Könige befestige deinen Thron durch Gerechtigkeit und deinen Stuhl durch Wahrheit, durchlauchtigster König. 

 

Basel am 1. August.                      Im Jahre des Herrn 1536. 

 

DASS DIE ERKENNTNIS GOTTES

DER SEELE DES MENSCHEN EINGEPFLANZT SEI. 

 

Es ist nicht zu bezweifeln, dass der menschlichen Seele von Natur ein gewisses Gefühl der Gottheit einwohne. Nämlich, damit sich Niemand 

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mit Unwissenheit entschuldigen könne, hat Gott Allen eine gewisse Erkenntnis seiner Gottheit eingepflanzt, welche er immerdar erfrischet und oft mit neuen Tropfen benetzet: also dass sie, da sie ohne Ausnahme wissen, dass ein Gott, und dass er ihr Schöpfer sei, durch eigenes Zeugnis verdammt werden, wenn sie ihn nicht verehrten, und ihm ihr Leben weihten. Eine völlige Unkunde von Gott, würde man, so man sie suchte, am ehesten unter den verwilderten und von menschlicher Bildung entfernteren Völkern zu finden glauben. Aber, spricht jener Heide, es ist auch keine Nation so roh, kein Volk so verwildert, das nicht die Überzeugung hätte, dass ein Gott sei. Und welche in Hinsicht ihrer sonstigen Lebensweise sich nicht sehr von den Tieren zu unterscheiden scheinen, bewahren doch immer in sich einen Keim von Religion. So sehr hat jene gemeinsame Ahnung Aller Herzen und Seelen unvertilgbar durchdrungen. Da also seit Anfang der Welt kein Land, ja kein Haus gewesen ist, das der Religion entbehren konnte, so liegt darin das stillschweigende Geständnis, dass das Gottheitsgefühl Aller Herzen eingegraben sei. Ja selbst die Abgötterei ist solches Empfängnisses starker Erweis. Denn, wie ungern der Mensch sich erniedrige, um andere Geschöpfe über sich zu erhöhen, wissen wir. Folglich, wenn er lieber ein Holz oder einen Stein anbeten, als gänzlich ohne Gott zu sein scheinen will; so ist das ein Beweis, wie tief der Eindruck der Gottheit seiner Seele eingeprägt sein muss, welcher so wenig sich auslöschen lässt, dass er viel eher die Neigungen der Natur überwältigt, wie solches in der Tat geschiehet, indem der Mensch von seinem natürlichen Hochmut sich freiwillig unter die verächtlichsten Dinge der Erde erniedrigt, um nur einen Gott zu verehren. Daher ist es abgeschmackt, wenn Einige behaupten, Religion sei die Erfindung einiger klugen Köpfe, um dadurch das einfältige Volk in Zucht zu halten, indeß sie selbst an das Dasein eines Gottes nicht geglaubt hätten. Ich gebe gern zu, dass verschlagene Menschen manches in der Religion ersonnen haben, um dem Pöbel Furcht und Schrecken einzuflößen, und es dadurch gefügiger zu machen. Aber sie würden dies nicht erreicht haben, wenn nicht schon vorher jene erste Überzeugung von Gott in den Herzen der Menschen gewesen wäre, aus welcher, wie aus einem Samenkorne eben der Hang zur Religion hervorkeimt. Ja es ist nicht glaublich, dass selbst jene, die unter dem Schein der Religion die Einfältigen zu täuschen suchten, ganz ohne Glauben an eine Gottheit gewesen seien. Denn obgleich es ehemals einige gegeben hat, und auch heut zu Tage nicht wenige hervortreten, welche das Dasein Gottes leugnen; so müssen sie doch wider Willen oftmals fühlen, was sie wünschen nicht zu wissen. Niemand trieb es in kecker und zügelloser Gottesverachtung weiter als C. Caligula; aber auch keiner zitterte jämmerlicher als er, wenn irgend ein Zeichen göttlichen Zornes sich offenbarte. So zitterte er wider Willen vor dem Gott, den er mit Vorsatz zu verachten strebte. Dasselbe mag man hie und da an seines gleichen bemerken, denn je keckerer Gottes Verächter, um so mehr erschreckt ihn das Rauschen eines fallenden Blattes. Woher dieses, wenn nicht Ahndung göttlicher Majestät, welche um so heftiger ihre Gewissen erschüttert, je mehr sie ihr zu entfliehen streben. Sie sehen sich um nach allen Schlupfwinkeln, um sich vor der Nähe des Herrn zu verbergen, und sie aus ihrer 

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Seele wieder zu vertilgen; aber, mögen sie wollen oder nicht, sie werden in Banden festgehalten. Und wenn auch der Gedanke an Gott ihnen auf eine Zeitlang gänzlich zu entschwinden scheint, so kehrt er doch immer zurück und ergreift sie von neuem, so dass ihre Gewissensruhe dem Schlaf der Betrunkenen oder Wahnsinnigen nicht unähnlich ist, welche selbst schlafend nicht eigentlich ruhen, sondern von schreckhaften Träumen gequält werden. So sind folglich selbst die Gottlosen ein Beweis, dass immer in aller Menschen Herzen eine Idee von Gott lebe. 

 

UM ZU GOTT DEM SCHÖPFER ZU GELANGEN, BEDARF ES DER LEITUNG UND DES UNTERRICHTES DER HEILIGEN SCHRIFT. 

 

Obwohl der Glanz, der im Himmel und auf der Erde in alle Augen dringt, den undankbaren Menschen alle Entschuldigung benimmt – wie denn Gott, um das Menschengeschlecht gleicher Strafwürdigkeit zu zeihen, allen ohne Ausnahme sein unsichtbares Wesen in den Geschöpfen vorhält – so ist doch notwendig, dass ein anderes und besseres Hilfsmittel hinzukam, welches uns auf geradem Wege zu dem Schöpfer der Welt hinführe. Also hat er nicht umsonst das Licht seines Wortes hinzugefügt, auf dass er erkannt werde zur Seligkeit; und dieses Vorzugs hat er diejenigen gewürdigt, welche er näher und traulicher zu sich ziehen wollte. Denn weil er Aller Gemüter von wandelbarem und unstetem Schwanken umhergetrieben sah, erwählte er sich die Juden zur besondern Herde und umgab sie mit Schranken, auf dass sie nicht, wie die andern, vereiteln möchten. Und auch uns erhält er durch dasselbe Mittel in reiner Erkenntnis seiner selbst, da ohne dasselbe auch diejenigen, welche vor andern fest zu stehen scheinen, bald wanken würden. Denn so wie Greise oder Blödsichtige und Augenschwache, wenn man ihnen auch die schönste Schrift vorlegt, zwar wohl erkennen, dass es etwas Geschriebenes sei, jedoch kaum zwei Worte zusammenzusetzen vermögen, aber durch Brillen unterstützt, deutlich werden lesen können; so sammelt die Schrift die in unserer Seele befindliche verworrene Erkenntnis von Gott, zerstreuet das Dunkel und zeigt uns den wahren Gott im hellen Lichte. Es ist also eine große Gnade, dass sich Gott zum Unterricht seiner Erwählten nicht bloß stummer Lehrer bedient, sondern auch seinen heiligen Mund öffnet; nicht bloß ihnen kund tut, dass man einen Gott anbeten müsse, sondern auch, dass er der Gott sei, den wir verehren sollen; nicht bloß sie lehrt, auf Gott zu sehen, sondern sich selbst darstellet, als auf den wir sehen sollen. Diese Ordnung hat er von Anfang an gegen seine Kirche gehalten, dass er außer jenen allgemeinern Belehrungen, seines Wortes sich bediente, welches gerade und sicher zu seiner Erkenntnis führt. Es ist nicht zu zweifeln, dass Adam, Noah, Abraham und die andern Väter dadurch zu einer vertraulichern Erkenntnis gelangt sind, welche sie von den Ungläubigen in gewisser Weise unterschied. 

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Der heilige Geist bezeugt uns, dass die heilige Schrift Gottes Wort sei. Obgleich die heilige Schrift durch ihre eigene Majestät unsere Ehrerbietung fordert, so ergreift sie uns erst dann völlig, wenn sie durch den Geist in unsern Herzen versiegelt ist. Also, durch seine Kraft erleuchtet, glauben wir nicht unsern oder anderer Urteilen, dass die Schrift von Gott sei; sondern, über Menschenurteil erhoben, behaupten wir mit vollkommener Gewissheit, nicht anders als ob wir Gottes Antlitz darin anschauten, dass sie durch Dienst der Menschen aus Gottes Munde zu uns gekommen sei. Nicht Beweise, nicht Wahrscheinlichkeitsgründe suchen wir, um darauf unser Urteil zu gründen, sondern wir unterwerfen unser Urteil und unsern Verstand der Wahrheit als eine unbezweifelte Tatsache. Freilich nicht auf solche Weise, wie Einige zuweilen das unbekannte annehmen, was bald nachher, genauer erforscht, ihnen missfällt, sondern weil wir uns des Besitzes unbestreitbarer Wahrheit deutlich bewusst sind. Noch auch, so wie elende Menschen dem Aberglauben pflegen ihre Seele gefangen zu geben, sondern weil wir fühlen, dass eine unbezweifelte göttliche Kraft darin wirke und walte, durch welche wir, wissend und wollend, jedoch lebendiger und kräftiger, als durch menschliches Wollen und Wissen, angezogen und entflammt werden. Daher ruft der Herr mit vollem Rechte durch Jesaias: die Propheten samt dem Volke seien seine Zeugen (Jes. 43,10.), weil sie durch Weissagungen belehrt, nicht daran zweifelten, dass Gott ohne Trug und Zweideutigkeit zu ihnen geredet habe. Es ist folglich eine solche Überzeugung, die keine Gründe fordert; eine solche Erkenntnis, welche auf dem besten Grunde beruhet, und bei welchem die Seele sicherer und fester sich gewinnen lässt, als bei irgend welchen Gründen; endlich ein solches Gefühl, das nur aus himmlischer Offenbarung entspringen kann. 

 

ES GIBT SICHERE BEWEISE FÜR DIE GLAUBWÜRDIGKEIT DER SCHRIFT. 

 

Wenn nicht diese stärkere über alles menschliche Urteil erhabene Gewissheit schon da ist, wird man vergebens das Ansehen der Schrift mit Vernunftgründen beweisen, oder durch Einstimmigkeit der Kirche und andere Hilfsmittel befestigen wollen, denn ohne diese Grundlage bleibt es immer wankend. Dagegen, wenn wir sie einmal dem Gemeinen entzogen und, nach ihrer Würde, mit Ehrfurcht aufgenommen haben, so kann das, was diese Gewissheit unserer Seele einzupflanzen nicht vermochte, ihr zur angemessenen Stütze dienen. Denn fürwahr, sie gewinnt an Stärke, wenn wir mit eindringendem Fleiß die Ordnung und Stellung in der Austeilung der göttlichen Weisheit, die überall himmlische, nach nichts irdischem schmeckende Lehrweise, die schöne Zusammenstimmung aller Teile, und so manches andere erwägen, was geeignet ist, die Majestät der Schrift zu befestigen. Aber noch mehr werden unsere Herzen gestärkt werden, wenn wir bedenken, dass wir mehr durch die Würde des Inhalts, als durch Schönheit der Worte zur Bewunderung erhoben wurden. Denn auch das ist 

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nicht ohne besondere Vorsicht Gottes geschehen, dass die erhabenen Geheimnisse des himmlischen Reiches zum großen Teil in der Hülle niedriger und verachteter Worte vorgetragen wurden; damit nicht, wenn sie mit glänzender Beredsamkeit prangten, die Ungläubigen sagen könnten, darin wohne ihre Kraft. Jetzt, da diese schmucklose, ja fast rohe Einfalt größere Ehrfurcht erweckt, als irgend eine Kunst der Redner; muss man nicht daraus schließen, dass der Kraft der heiligen Schrift eine Kraft der Wahrheit einwohne, welche zu mächtig sei um des Schmuckes der Worte zu bedürfen? Nicht ohne Ursache sagt daher der Apostel (1 Kor. 2,4.), dass durch Gottes Kraft und nicht durch menschliche Weisheit der Glaube der Korinther gegründet sei, weil seine Predigt nicht in beredsamen Worten menschlicher Weisheit, sondern in Erweisung des Geistes und der Kraft bestanden habe. Denn die Wahrheit wird über jeden Zweifel erhoben, wenn sie nicht auf fremden Stützen ruht, sondern in eigener Haltung sich genügt. Wie sehr solche Kraft der Schrift eigen sei, erhellt daraus, dass von allen menschlichen, noch so kunstreich gefertigten Schriften durchaus keine uns so zu ergreifen vermag. Lies den Demosthenes oder Cicero, den Plato, Aristoteles oder etwelche andere der Art; wundersam, ich gebe es zu, werden sie dich anlocken, ergötzen, erschüttern, entzücken: aber wenn du von da zu dem heiligen Buche dich wendest, so wird es dich, magst du wollen oder nicht, so lebendig ergreifen, so dein Herz durchdringen, so in deinem Mark wohnen, dass vor diesem gewaltigen Gefühl jene Kraft der Redner und Philosophen fast verschwindet, woraus erhellet, dass ein göttlicher Hauch die heiligen Schriften erfüllen muss, wodurch sie alle menschliche Kunst und Gaben bei weitem übertreffen. 

 

DIE HEILIGE SCHRIFT UNTERSCHEIDET DURCH SICHERE MERKMALE DEN WAHREN GOTT VON DEN GÖTZEN. 

 

Obwohl Jesaias (Jes. 40,21.) den Götzendienern mit Recht ihre Verblendung vorwirft, so sie aus dem Bau der Erde und dem Umfang der Himmel nicht gelernt haben, welcher der wahre Gott sei; so bedurfte es doch um unsres schwachen und blödsichtigen Verstandes willen, und damit die Gläubigen nicht zu den Erdichtungen der Heiden verfielen, einer genauern Darstellung des wahren Gottes. Je nichtiger die Erklärung ist, welche bei den Philosophen noch für die erträglichste gehalten wird, dass Gott die Seele der Welt sei, um so notwendiger wird eine vertrautere Erkenntnis sein, damit wir nimmer im Ungewissen schwanken. Darum ist uns eine Geschichte der Schöpfung gegeben, damit auf diese gestützt die Kirche nach keinem andern Gott fragen möchte, als welchen uns Moses als den Gründer und Schöpfer der Welt verkündet. Hier wird vorerst die Zeit angegeben, um die Gläubigen in einer fortgehenden Reihe von Jahren auf den ersten Ursprung des menschlichen Geschlechts und aller Dinge zurückzuführen. Diese Erkenntnis ist besonders nützlich, nicht bloß um den abenteuerlichen, in Ägypten und andern Erdstrichen ehemals verbreiteten Fabeln zu begegnen, sondern auch damit aus dem erkannten Beginn der 

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Welt die Ewigkeit Gottes desto heller hervorleuchte und uns zur Bewunderung erhebe. Unwürdig aber von uns betrachtet zu werden ist jener gemeine Hohn, welcher frägt, warum Gott nicht früher beschlossen, Himmel und Erde zu erschaffen, und er einen Raum vieler Jahrtausende untätig habe verfließen lassen, da doch die Dauer der zu ihrem Ende sich neigenden Welt noch keine sechstausend Jahre betrage. Denn die Frage, warum Gott solches so lange verschoben habe, geziemt und frommet uns nicht; unser Verstand, so er versuchte bis dahin zu dringen, würde hundertmal auf dem Wege ermatten, und es würde nicht nütze sein, zu erkennen, was Gott selbst, um die Demut unsres Glaubens zu prüfen, absichtlich uns habe verbergen wollen. Klüglich gab jener Greis einem Frechen, der ihn spottend fragte, was denn Gott vor Schöpfung der Welt gemacht hätte, zur Antwort, er habe für die Vorwitzigen die Hölle gebaut. Diese eben so sinnreiche als ernste Mahnung mag den Leichtsinn zähmen, der viele kitzelt und zu verkehrten und verderblichen Grübeleien antreibt. Ferner haben wir zu bedenken, dass der unsichtbare Gott, dessen Weisheit, Kraft und Gerechtigkeit unbegreiflich ist, uns Moses Geschichte als einen Spiegel vorhalte, aus welchem sein lebendiges Bild uns entgegenstrahlt. Denn so wie durch Alter verdunkelte oder durch Krankheit abgestumpfte Augen ohne Hilfe der Brillen nicht deutlich sehen; so vermögen auch wir Schwache nicht das mindeste von Gott zu erforschen, wenn uns die Schrift nicht leitet. Die aber ihrem frechen Gelüste nachgeben und jetzt die Warnung verschmähen, werden in schreck-lichem Untergange erfahren, wie viel besser es gewesen wäre, die geheimen Ratschlüsse Gottes mit Demut zu verehren, als Blasphemien auszustoßen, womit sie den Himmel verfinstern möchten. Mit Recht klagt Augustinus: „Gott wiederfahre eine Beleidigung, wo ein höherer Grund, als sein Wille, gefordert werde“. Anderswo bemerkt derselbe, dass man gleich unrecht über die Unermesslichkeit der Zeiten, als der Räume forsche. Gewiss, wie weit auch der Umfang des Himmels sich ausdehne, so gibt es doch irgend eine Ermessung. Wollte nun Jemand mit Gott darüber rechten, dass eine hundertfache Leere übrig sei, wäre das nicht eine allen Frommen abscheuliche Keckheit? Eben so toll sind diejenigen, die es Gott zum Vorwurf machen, dass er nach ihrem Gutfinden die Welt nicht vor unzähligen Zeitaltern geschaffen habe. Um ihrer Lüsternheit zu fröhnen, streben sie über die Grenzen der Welt hinauszugehen; als ob in dem großen Umfange des Himmels und der Erde nicht Gegenstände genug sich uns darböten, welche mit ihrem herrlichen Glanz alle unsere Sinne erfüllen; als ob innerhalb sechstausend Jahr Gott nicht Beweise genug gegeben hätte, deren stete Erwägung unsere ganze Seele beschäftigen könnte. Also lasset uns gern in den Schranken bleiben, in welche Gott uns hat beschließen und gleichsam unsere Seelen hemmen wollen, damit sie nicht in ungezügelter Ausdehnung zerfließen möchten. 

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OB SCHUTZENGEL DEN GLÄUBIGEN GEGEBEN SIND. 

 

Ob einzelnen Gläubigen ihre besondern Engel zu ihrem Schutz gegeben seien, wage ich nicht zu entscheiden. Wenn Daniel von einem Engel der Perser und einem Engel der Griechen redet (Dan. 10,13.20. u. K. 12,1.), so deutet er an, dass Reichen und Provinzen gewisse Engel, gleich als Vorgesetzte, bestimmt seien. Auch Christus, wenn er sagt (Matth. 18,10.), dass die Engel der Kinder immer das Antlitz des Vaters sehen, deutet dadurch an, dass gewissen Engeln ihr Wohl anvertraut sei. Aber ich weiß nicht, ob man daraus schließen dürfe, dass ein jeder seinen Engel habe. Für gewiss dürfen wir dagegen annehmen, dass nicht bloß Einem Engel unser Heil am Herzen liege, sondern dass sie Alle einmütig für unser Wohl wachen. Denn von allen Engeln zugleich wird gesagt (Luk. 15,7.), dass sie sich mehr freuen über einen Sünder der Buße getan, als über neunundneunzig Gerechte, die in der Gerechtigkeit beharreten. Auch wird von mehreren Engeln gesagt (Luk. 16,23.), dass sie die Seele Lazarus in Abrahams Schoß getragen. Und nicht ohne Grund zeigt Elisa seinem Diener soviel feurige Wagen, die vorzugsweise ihm bestimmt waren (2 Kön. 6,17.). Es gibt eine Stelle, welche Andern, solches zu bestätigen, noch deutlicher scheint. Nämlich, da Petrus, aus dem Kerker errettet, an die Tür des Hauses, wo die Brüder versammelt waren, geklopft hatte, und sie nicht ahnen konnten, dass er es sei, sagten sie, es sei sein Engel (Apostelgesch. 12,15.). Dieses scheint ihnen in den Sinn gekommen zu sein nach der allgemeinen Meinung, dass jeglichem Gläubigen sein Schutzengel angewiesen sei. Doch lässt sich hierauf erwidern, dass jedweder Engel verstanden werden könne, dem der Herr Petri Beschützung aufgetragen, ohne jedoch dessen steter Hüter zu sein; nach der gewöhnlichen Vorstellung, dass jedem zwei Engel, ein guter und ein böser, gleich als verschiedene Genien beigesellt seien. Indeß verlohnt es nicht der Mühe, ängstlich zu forschen, was zu wissen uns wenig nützen kann. Denn wenn es Jemanden nicht genügt, dass das ganze himmlische Heer für unser Heil wacht, so sehe ich nicht ein, welchen Vorteil es ihm bringen könne, zu wissen, dass einem Jeden sein eigener Engel beigegeben sei. Welche aber die Obhut, die Gott einem jeglichen von uns erweiset, auf Einen Engel beschränken, tun sich selbst und allen Gliedern der Kirche großes Unrecht, als ob jene hilfreichen Scharen uns umsonst verheißen wären, von welchen überall umgeben und beschirmt wir desto mutiger kämpfen sollen. 

 

VOM SATAN. 

 

Da der Teufel von Gott erschaffen ist, so haben wir zu bedenken, dass die Boshaftigkeit seiner Natur nicht durch die Erschaffung, sondern durch Verderbnis entstanden sei. Denn, was er Verdammliches an sich hat, hat er durch Abfall und Empörung sich zugezogen. Dies lehrt uns die Schrift, damit wir nicht, meinend er sei also durch Gott hervorgegangen, Gott selbst zuschreiben, was durchaus von ihm entfernt ist. Aus diesem Grunde 

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sagt Christus, der Satan rede aus seinem Eigenen, wenn er Lügen redet, und setzt die Ursache hinzu: weil er nicht bestanden ist in der Wahrheit. Joh. 8,44. Wenn Christus sagt, er sei nicht in der Wahrheit bestanden, so deutet er dadurch an, dass er zuvor darin gewesen, und wenn er ihn zum Vater der Lügen macht, so benimmt er ihm, diese Verderbtheit, die er sich selber verursachte, Gott zuzuschreiben. Obwohl kurz und minder deutlich reicht doch dieser Ausspruch vollkommen hin, Gottes Herrlichkeit gegen jeglichen Vorwurf zu sichern. Und was liegt uns daran, mehreres oder zu andern Zwecken von den Teufeln zu wissen? Einige murren, dass die Schrift seinen Fall, dessen Ursache, Zeit, Art und Weise nicht an mehreren Stellen entwickele. Aber weil solches uns nicht angehet, war es besser, es wo nicht ganz zu verschweigen, doch nur leicht zu berühren, weil es des heiligen Geistes unwürdig sein würde, mit unnützen Geschichten unsere Neugier zu befriedigen; und wir sehen, dass des Herrn Zweck war, in seinen heiligen Offenbarungen uns nichts zu lehren, was nicht zu unserer Erbauung gereichen könnte. Also geziemt uns, an dem uns genügen zu lassen, was uns in der Kürze von dem Wesen der Teufel offenbaret ist, dass sie anfangs zu Engeln Gottes erschaffen, aber durch Entartung verderbt, und Andern Werkzeuge des Verderbens geworden sind. Dieses, weil es nützlich zu wissen, lehren deutlich Petrus und Judas, 2 Pet. 2,4. Jud. 6: „Der Engel, sagen sie, welche gesündigt und ihren Ursprung nicht behauptet, sondern ihre Behausung verlassen haben, hat Gott nicht geschont.“ Und wenn Paulus von auserwählten Engeln redet, 1 Tim. 5,21., setzt er ihnen ohne Zweifel die Verworfenen stillschweigend entgegen. 

 

VON DER VORSEHUNG. 

 

Wissen müssen wir, dass die Vorsehung Gottes, wie sie in der Schrift gelehrt wird, dem Glück und Zufall entgegengesetzt werde. Der gemeine Wahn aller Zeiten, der auch noch heutiges Tages bei den Meisten gilt, dass alles zufällig geschehe, muss notwendig den Glauben an eine Vorsehung nicht bloß verdunkeln, sondern fast vernichten. Wenn Jemand in die Gewalt der Räuber oder wilden Tiere gerät, wenn er plötzlich von Stürmen überfallen auf dem Meere Schiffbruch leidet, wenn er durch den Sturz eines Hauses oder Baumes erdrückt wird; wenn ein Anderer in Wüsten umher irrend einen Ausweg seiner Not findet, oder von den Wellen geschleudert in den Hafen gelangt, und auf wunderbare Weise um eines Fingers Breite den Abgrunde entrissen wird – alle diese sowohl glückliche als unglückliche Begegnisse wird die fleischliche Vernunft dem Zufall zuschreiben. Wer aber, durch Christi Mund belehrt ist, dass alle Haare seines Hauptes gezählt sind, Matth. 10,30., wird den Grund tiefer suchen und überzeugt sein, dass alle Ereignisse von dem verborgenen Ratschluss Gottes geleitet werden. Und in Hinsicht unbeseelter Dinge müssen wir dafür halten, dass sie, obwohl von Natur jegliches mit besonderer Eigentümlichkeit begabt, doch ohne Leitung der Hand Gottes ihre Kraft nicht äußern können. Sie sind also nichts anders, als Werkzeuge, denen Gott unaufhörlich so viel 

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Kraft erteilt, als er will und sie nach seinem Wohlgefallen zu dieser oder jener Wirkung leitet und gebraucht. Kein Geschöpf besitzt wunderbarere und auffallendere Kraft, als die Sonne. Denn, außer dass sie den ganzen Erdkreis mit ihrem Glanze erhellet, wie groß ist das, dass sie alle lebende Wesen mit ihrer Wärme heget und belebt? mit ihren Strahlen die Erde befruchtet? nachdem sie den Samen in ihrem Schoß erwärmt, das Grün hervorlockt, welches sie mit neuer Nahrung stärket und kräftigt, bis es zu Halmen sich erhebt? dass sie es mit stetem Tau ernährt, bis es zur Blüte und nach der Blüte zur Frucht emporwächst? dass sie nun auch diese kochend zeitigt und reift? dass ebenso Bäume und Weinstöcke von ihr erwärmt zuerst knospen und sich belauben, dann blühen und aus der Blüte die Frucht erzeugen? Aber der Herr, zum Zeugnis, dass ihm allein in allen diesen Dingen die Ehre gebühre, wollte, 1 Mos. 1,3. und 11., dass eher das Licht entstehen und die Erde mit allen Arten von Kräutern und Früchten erfüllt sein sollte, bevor er die Sonne erschuf. Nicht also die Sonne wird der Fromme zur Haupt- oder zur notwendigen Ursache dessen machen, was vor Erschaffung der Sonne da war, sondern nur zu einem Werkzeuge, dessen sich Gott bedient, weil er es also will, da er es, ohne sie, durch sich selbst eben so leicht vermag. Ferner wenn wir lesen, dass die Sonne zwei Tage still gestanden auf Josua Gebet, und ihr Schatten zu Gunsten des Königs Hiskia zehn Stufen zurückgegangen sei, Jos. 10,13. 2 Kön. 20,11., so hat Gott durch diese wenigen Wunder bezeugt, dass die Sonne nicht täglich nach blindem Naturtrieb auf- und untergehe, sondern dass er, um uns das Andenken seiner väterlicher Güte zu erneuern, ihren Lauf leitet. Nichts ist natürlicher, als dass der Frühling dem Winter, dem Frühling der Sommer, dem Sommer der Winter folge. Dennoch sehen wir in dieser Ordnung eine solche Ungleichheit und Verschiedenheit, dass leicht erhellet, wie die einzelnen Jahre, Monate und Tage von der erneuten und speziellen Vorsehung Gottes regiert werden. 

 

VON DER ERBSÜNDE. 

 

Wir verstehen unter der Erbsünde eine natürliche Verderbtheit des Menschen, die aber nicht ursprünglich in ihm gewesen ist. Dies letztere verneine ich, und nenne sie lieber eine zufällige, anderswoher in den Menschen gekommene Eigenschaft, als eine wesentliche, ihm von Anfang an eigentümliche Beschaffenheit. Doch bleibe ich bei dem Worte „natürliches Verderben“, damit Niemand es für etwas durch böse Gewohnheit erst Erworbenes, sondern für etwas auf Alle fortgeerbtes halte. Auch tue ich dies nicht ohne Gewährsmann: denn aus gleicher Ursache nennt der Apostel „uns allesamt von Natur Kinder des Zorns“. Eph. 2,3. Wie sollte Gott auf die edelste unter allen Kreaturen zürnen, da er ein Wohlgefallen an seinen geringsten Werken hat? Aber nicht an seinem Geschöpfe hat er ein Missfallen, sondern an dessen Entartung. Wenn man daher, wegen der verderbten menschlichen Natur, nicht mit Unrecht sagt, dass der Mensch von Natur vor Gott verworfen sei: so wird es auch nicht unpassend sein, ihn von Natur 

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für böse und sündig zu erklären. Gleichwie Augustinus sich nicht scheut, eben unsres verderbten Wesens wegen diejenigen Sünden natürliche zu nennen, welche notwendig in unserem Fleische herrschen, wenn die Gnade Gottes fehlt. So verschwindet von selbst, als höchst lächerlich, die Schwärmerei der Manichäer, welche meinend, dass die Sünde ein wesentlicher Bestandteil des Menschen sei, diesem einen andern Schöpfer zu geben wagen, um nicht den Schein zu haben, dass sie Gott den Heiligen zum Urheber und Anfänger des Bösen machen. 

 

VON DEM KAMPF ZWISCHEN FLEISCH UND GEIST. 

 

Leiten Einige von der ursprünglichen Gnade Gottes unser tätiges Wollen ab: so geben sie nicht undeutlich zu verstehen, dass die Seele das Vermögen habe, von selbst nach dem Guten zu verlangen, aber zu kraftlos sei, dass in ihr eine wirkliche Begierde danach entstehen, oder dass sie ihm nachjagen könnte. Dieser Meinung des Origenes und einiger alten Kirchenväter treten ohne Zweifel die Scholastiker bei, da sie den Menschen gewöhnlich in seinem natürlichen Zustande betrachten, den der Apostel mit den Worten beschreibt, Röm. 7,15.18-20.: „Das Gute, das ich will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich. Wollen habe ich wohl, aber Vollbringen des Guten finde ich nicht.“ Aber man verkehrt auf solche Weise durchaus den Sinn des Apostels, der hier, wie auch im Briefe an die Galater, K. 5,17., von dem christlichen Kampfe spricht, den auch die Gläubigen in dem Widerstreit des Fleisches und Geistes empfinden. Auch bezeichnet Geist nicht den natürlichen Zustand, sondern den Stand der Wiedergeburt. Dass aber der Apostel von den Wiedergebornen redet, erhellet daraus, dass er den Worten: „in mir wohnet nichts Gutes,“ die Erklärung beifügt: „das ist in meinem Fleisch,“ und zugleich bekennt: „nicht ich tue das Böse, sondern die Sünde, die in mir wohnet.“ Was soll aber jener Zusatz: „in mir, das ist in meinem Fleische?“ Er will damit sagen: von mir selbst habe ich nichts Gutes, denn in meinem Fleische ist nichts Gutes zu finden. Daher die Entschuldigung: „nicht ich selbst tue das Böse, sondern die Sünde, die in mir wohnet,“ – welche nur Wiedergebornen zusteht, deren ganzes Gemüt sich zum Guten hinneigt. Dies erhellet ganz deutlich aus den Schlussworten des Apostels, Röm. 7,22.23.: „ich habe Lust an Gottes Gesetz nach dem inwendigen Menschen; ich sehe aber ein anderes Gesetz in meinen Gliedern, das da widerstreitet dem Gesetz in meinem Gemüte.“ Wer anders aber kann einen solchen Zwiespalt in sich haben, als nur wer durch den Geist Gottes wieder-geboren, die Überbleibsel des Fleisches noch mit sich herumträgt? Deshalb verwarf auch Augustinus (Anm.: lib. ad Bonifac. 1. c. 10 und in der Schrift retract.), der diesen apostolischen Ausspruch anfangs von der Natur des Menschen verstanden wissen wollte, seine Erklärung als unpassend und falsch. Denn nehmen wir an, dass die Menschen, ohne die Gnade, einzelne, wenn auch noch so geringe, Regungen zum Guten in sich verspüren: was wollen wir dem Apostel antworten, der uns alle Tüchtigkeit ab- 

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spricht, etwas zu denken als von uns selber? Oder was dem Herrn, der durch Moses verkündigen lässt, alles Dichten des menschlichen Herzens sei nur böse? Es ist also die Behauptung derer gar nicht weiter zu berücksichtigen, die sich auf eine falsch erklärte Bibelstelle beziehen. Vielmehr gilt das Wort Christi, Joh. 8,34.: „wer Sünde tut, ist der Sünde Knecht.“ Sünder sind wir von Natur allzumal, und liegen deshalb unter dem Joch der Sünde. Ist aber der Mensch gänzlich in der Gewalt der Sünde, so muss notwendig auch der Wille, als der Hauptsitz der Sünde, in den engsten Fesseln liegen. Denn ginge der Wille der Gnade des Geistes voraus, so könnte der Ausspruch des Apostels, Phil. 2,13.: „Gott sei es, der in uns wirket das Wollen,“ nicht bestehen. Als falsch müssen wir daher die Meinung derer verwerfen, welche dem Menschen noch so viel Kraft zuschreiben, dass er sich zu dieser Gnade bereiten und anschicken könne: denn wenn zuweilen auch Gläubige zum Gehorsam gegen Gottes Gesetz sich ein geneigtes Herz erbitten, wie es David oftmals tat, Ps. 119, so ist schon dieser Drang zum Gebete eine Wirkung Gottes. Davids eigene Worte beweisen dies. Denn da er betet: „schaffe in mir Gott, ein reines Herz“ so betrachtet er sich gewiss nicht als den Anfänger dieser Umwandlung. Darum halten wir uns lieber an Augustinus Ausspruch (Anm.: Sermo 10. De verb. Apost.): „Gott wird dir in Allem zuvorkommen, komme auch du denn seinem Zorne zuvor. Auf welche Weise? Bekenne, dass du dieses alles von Gott habest; was gut an dir ist, habest du von ihm; von dir, was böse ist,“ Und kurz darauf: „Unser ist nichts, als nur die Sünde.“ 

 

WOHER DAS WOLLEN UND VOLLBRINGEN. 

 

Dass der Anfang des Guten nirgend anders, als von Gott komme, ist einleuch-tend: denn ein dem Guten zugeneigter Wille findet sich nur bei den Erwählten; die Erwählung selbst aber liegt außer dem Bereiche des Menschen, woraus erhellet, dass der Mensch den guten Willen nicht von sich selbst habe, sondern dass er aus demselben Ratschlusse hervorgehe, nach welchem wir vor Schöpfung der Welt erwählt sind. Ein anderer, dem vorigen ähnlicher Grund ist dieser: das Wollen und Tun des Guten entspringt aus dem Glauben; dieser aber ist ein Gnadengeschenk Gottes, wie die ganze Schrift bezeugt, woraus folgt, dass es bloß Gnade sei, wenn das Verlangen nach dem Guten in uns anhebt, die wir von Natur durchaus nur zum Bösen geneigt sind. Wenn nun der Herr in der Bekehrung seines Volkes zweierlei setzet, nämlich, dass er ihm das steinerne Herz nehme und ein fleischernes gebe, so bezeuget er offenbar, das, was von uns ist, müsse vertilgt werden, damit wir zur Gerechtigkeit gelangen; was aber an dessen Stelle tritt, sei von ihm. Und mehr als einmal spricht der Herr also; wie bei Jeremias, C. 32,39.: „Ich will ihnen einerlei Herz und Weg geben, dass sie mich fürchten sollen ihr Leben lang;“ und sogleich darauf: „Ich will ihnen die Ehrfurcht vor meinem Namen in's Herz geben, 

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dass sie nicht von mir weichen.“ Wiederum bei Ezechiel, C. 11,19.: „Ich will euch ein einträchtiges Herz geben, und einen neuen Geist in euch geben; und will das steinerne Herz wegnehmen aus eurem Leibe, und euch ein fleischernes Herz geben.“ Sichtbarlicher konnte der Herr sich nicht aneignen und uns nehmen, was in unserm Willen gut und recht ist, als indem er unsere Bekehrung als die Schöpfung eines neuen Geistes und Herzens darstellt. Es folgt ja der Schluss daraus, aus unserm Willen komme, vor seiner Umwandlung, nichts Gutes; und so weit er, nach der Umwandlung, gut ist, das sei von Gott, nicht von uns. 

 

DIE WAHRE FREIHEIT IST EIN GESCHENK DER GNADE. 

 

Man entgegnet vergeblich: „wenn es nicht von unserem freien Willen abhängt, Gutes oder Böses zu wählen, so müssen notwendig alle Menschen gut oder böse sein“. Fast eben so denkt der Verfasser des Buchs „von der Berufung der Heiden“, welches dem Ambrosius zugeschrieben wird: Niemand würde vom Glauben gewichen sein, wenn Gott uns nicht die Veränderlichkeit übrig gelassen hätte. Man muss sich wundern, wie solche Männer so weit sich haben vergessen können. Chrysostomus hätte bedenken sollen, dass die Verschiedenheit unter den Menschen von der Erwählung Gottes abhange. Ich stimme ohne Bedenken in das Paulinische Bekenntnis ein, Röm. 3,23.24.: „wir sind allzumal Sünder“; aber setze auch mit dem Apostel hinzu: „es sei ein Werk der Barmherzigkeit Gottes, dass nicht alle in der Sünde bleiben“. Von Natur sind wir also alle gebrechlich und krank, aber diejenigen nur genesen, welchen der Herr seine heilende Hand zu reichen beliebt hat. Die übrigen alle, welche er, nach einem gerechten Ratschlusse, übergeht, quälen sich mit ihrer Krankheit, bis es zu Ende geht. Darin liegt auch der Grund, dass einige bis ans Ende ausharren, andere gleich anfangs straucheln. Denn selbst die Beharrlichkeit ist ein Geschenk Gottes, das er nicht allen zukommen lässt; sondern welchen er will. Die beharrliche Ausdauer Einiger und das Wanken Anderer ist nur daraus zu erklären, dass der Herr jene mit seiner Kraft stärkt und erhält, damit sie nicht verloren gehen, diesen aber, damit sie Exempel der Unbeständigkeit seien, seinen Beistand versagt. Weiter entgegnet man: „vergeblich seien alle Ermunterungen, unnütz alle Ermahnungen und lächerlich alle Verweise, wenn der sündige Mensch nicht von sich selbst zu gehorchen vermöge“. Ähnliche Einwürfe wurden einst dem Augustin gemacht, weshalb er sein Buch „von der Ergreifung und Gnade“ schreiben musste, in welchem er sie weitläufig widerlegt, und seine Gegner unter andern kürzlich also anredet: „O Mensch, aus dem Unterricht erkenne, was du tun sollst, aus der Bestrafung erkenne, dass du durch deine Schuld nicht hast, was du haben solltest; im Gebete er kenne, woher du empfangen mögest, was du zu haben wünschest“. Fast gleiches Inhalts ist seine Schrift „von dem Geiste und Buchstaben“, wo er sagt: „Gott habe seine Gebote nicht nach den menschlichen Kräften abgemessen, sondern nachdem er geboten, was recht ist, verleihe er seinen Aus- 

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erwählten aus Gnaden die Kraft zur Erfüllung“. Doch der Streit ist bald zu schlichten: denn wir stehen nicht allein, sondern Christus und alle Apostel kämpfen mit und für uns. So mögen sie zusehen, wie sie mit solchen Gegnern fertig werden. Tadelt Christus, wenn er sagt, ohne ihn können wir nichts tun, etwa diejenigen weniger, welche außer ihm böses tun? Ermuntert er deshalb weniger jeden, sich guter Werke zu befleißigen? Wie sehr eifert Paulus nicht gegen die Korinther wegen ihrer Lieblosigkeit, und bittet doch dabei von dem Herrn, ihnen die Liebe ins Herz zu senken. In dem Briefe an die Römer sagt er, Röm. 9,16.: „es liege nicht an jemandes Wollen oder laufen, sondern an Gottes Erbarmen“, und doch hört er nicht auf, sie fortan zu ermuntern, zu ermahnen und zu tadeln. Warum fallen sie dem Herrn nicht in das Wort, dass er sie nicht täusche, indem er von den Menschen vergeblich fordere, wozu er allein das Vermögen geben könne, und sie ihrer Vergehungen wegen tadele, die von dem Mangel an seiner Gnade herrühren? Warum erinnern sie nicht den Apostel, derer zu schonen, die weder wollen noch laufen können, ohne Gottes Barmherzigkeit, die sie verlassen hat? Als wenn der Herr zu solcher Belehrung nicht genügende Ursach hätte, die sich auch jedem offenbart, der gläubig darnach forscht. Wie wirksam Unterricht, Ermahnungen und Tadel an sich zur Besserung sind, lehrt Paulus in den Worten, 1 Kor. 3,7.: „Weder der da pflanzet, noch der da begießet, ist etwas, sondern Gott, der das Gedeihen gibt“. So schärft Moses ernstlich das göttliche Gesetz ein, die Propheten drohen und eifern gegen die Übertreter desselben, und doch gestehen sie, dass die Menschen dann erst weise werden, wenn ihnen das Verständnis geöffnet wird, und dass Gott es allein ist, der die Herzen umwandelt, und statt des steinernen ein fleischernes Herz gibt, der ihnen sein Gesetz einprägt, und endlich durch Erneurung des Gemütes die Belehrung wirksam macht.

 

ERKLÄRUNG DER ZEHN GEBOTE. 

 

DAS ERSTE GEBOT. 

„Ich bin der Herr dein Gott, der ich dich aus Ägyptenland, aus dem Diensthause geführet habe. – Du sollst keine anderen Götter vor mir haben.“ 

 

Ob man den ersten Satz: „Ich bin der Herr dein Gott!“ zu einem Teile des ersten Gebotes macht oder davon trennt, ist mir gleichgültig; nur leugne man nicht, dass er die Einleitung zum ganzen Gesetze sei. Wenn Gesetze gegeben werden, so ist zuförderst dahin zu sehen, dass sie nicht bald in Verachtung geraten. Darum sucht auch Gott es vornämlich zu verhüten, dass man das Ansehen seines Gesetzes verhöhne. Auf eine dreifache Weise macht er es unverletzlich. Er eignet sich die Macht und Herrschaft zu, um das auserwählte Volk zum unbe-dingten Gehorsam zu verpflichten. Er verheißt Gnade, um bei demselben den Eifer in der Heiligung zu erwecken. Er erinnert an eine Wohltat, um die Juden der Undankbarkeit zu zeihen, wenn sie sich nicht seiner Güte würdig machen. Der Name 

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Jehovah bezeichnet sein Reich und seine Herrschaft. Wenn aber, wie Paulus sagt, Röm. 11,36., alles von ihm ist, und durch ihn bestehet, so muss auch alles auf ihn bezogen werden. Dieses eine Wort zeigt also genugsam, dass wir seiner Herrschaft unterworfen sind, da es widersinnig sein würde, uns seiner Gewalt entziehen zu wollen, ohne den wir nicht bestehen können. Nachdem er sich als denjenigen angekündigt hat, dem das Recht zu gebieten und Gehorsam gebührt: so sucht er das Volk, doch nicht allein durch die Vorstellung der Pflichtmäßigkeit ihres Gehorsams zu demselben zu bewegen, sondern auch durch die erfreuliche Versicherung, dass er ihr Gott sein wolle, für denselben zu gewinnen. Denn diese Benennung: „dein Gott“ – bezeichnet ein gegenseitiges Verhältnis, wie es in der Verheißung enthalten ist, Jer. 31,33.: „Ich will ihr Gott sein, und sie sollen mein Volk sein“. Weshalb auch Christus (Matth. 22,32. 2 Mos. 3,6.) daraus das ewige Leben Abraham's, Isaak's und Jakob's beweiset, dass der Herr sich als ihren Gott angekündigt habe. Es ist also eben so viel, als wenn er spräche: ich habe euch mir zum Volke auserkoren, dem ich nicht nur auf Erden Gutes erweisen, sondern einst auch ewig seliges Leben geben will. Worauf dies aber zielt, wird in mehreren Stellen des Gesetzes bemerkt. Denn da der Herr uns der Barmherzig-keit würdigt, zu seinem Volke zu gehören, so sagt Moses, 5 Mos. 7,6. 14,2. 26,18.: „Er hat uns erwählt, dass wir das Volk seines Eigentums, ein heiliges Volk sein sollen, und seine Gebote halten“. Daher jene Ermahnung (3 Mos. 19,2.): „Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig“. Auf beides nun, dass Gott der Herr und der gütige Vater ist, gründet sich der Vorwurf bei dem Propheten (Mal. 1,6.): „Ein Sohn ehret seinen Vater, und ein Knecht seinen Herrn. Bin ich nun Herr, wo ehret man mich? bin ich Vater, wo liebet man mich?“ Hierauf wird einer Wohltat gedacht, was um so kräftiger uns zu Gott hinführen muss, jemehr auch unter Menschen der Undank verabscheut wird. Zwar erinnerte der Herr das Volk Israel damals an eine erst neuerlich empfangene Wohltat; aber ihrer Größe wegen ist sie ewig denkwürdig, und geht auch die Nachkommenschaft an. Überdies ist diese Erinnerung gerade passend für den vorliegenden Fall: denn der Herr gibt zu verstehen, dass sie darum aus der Knechtschaft errettet sind, um ihn, den Urheber ihrer Freiheit, durch willigen Gehorsam zu verehren. Um uns aber bei seiner alleinigen und wahrhaftigen Verehrung zu erhalten, gibt er sich auch gewisse Beinamen, die seine heilige Gottheit von allen Götzen und Abgöttern unterscheiden. Denn, wie schon gesagt, so eitlen Sinnes und vermessen sind wir, dass wir bei dem Namen „Gott“ nicht an den einigen, sondern an ein nichtiges von uns selbst geschaffenes Wesen denken. Um diesem Übel abzuhelfen, eignet sich Gott gewisse Namen zu, welche uns vor der Verirrung und Vermessenheit bewahren sollen, uns einen Abgott zu bilden, und an die Stelle des lebendigen Gottes ein Götzenbild zu setzen. Weshalb auch die Propheten, so oft sie ihn besonders bezeichnen wollen, ihn mit denjenigen Merkmalen bekleiden und gleichsam umgeben, unter welchen er sich dem israelitischen Volke offenbart hatte. Denn wenn er der 

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Gott Abrahams und der Gott Israels genannt, und von ihm gesagt wird dass er im Tempel zu Jerusalem seine Wohnung und auf dem Cherubim seinen Sitz habe: so stellen ihn diese und ähnliche Redensarten (2 Mos. 3,6. Amos 1,2. Habak. 2,18. Ps. 80,2. 99,1. Jes. 37,16.) nicht etwa als den Schutzgott Eines Landes oder Volkes dar, sondern sollen nur die Gedanken der Frommen auf den Gott hinleiten, der in seinem Bunde mit Israel sich so gezeigt hat, dass er auf keine andere Weise gedacht werden darf. Das indessen halte man fest: an die Erlösung aus der Sklaverei Ägyptens wird hier deshalb erinnert, damit die Juden, die sich Gott als sein Volk zueignet, ihm sich um so williger überlassen. Wir aber müssen, um die erwähnte Wohltat nicht außer Beziehung auf uns zu setzen, das Sklavenjoch Israels in Ägypten als ein Bild der geistigen Knechtschaft betrachten, der wir alle unterworfen sind, bis der himmlische Retter uns durch seines Armes Kraft derselben entledigt, und in sein Reich der Freiheit versetzt. Wie er also vordem die Israeliten, um sie aus ihrer Zerstreuung zur Anbetung seines Namens zu sammeln, der tyrannischen Behandlung Pharaos entzog; so ist er heut zu Tage für alle, denen er sich als ihr Gott bezeuget, ein Schirm vor des Teufels Gewalt, welche unter jener leiblichen Knechtschaft abgebildet wurde. Darum muss eines jeden Herz entflammt werden, dem Gesetz zu gehorchen, welches der König aller Könige gegeben hat, zu dem, als dem Urquell alles Daseins, billig alles sich wenden und ihm sich weihen muss. Jeder sollte von Liebe gegen den Gesetzgeber durchdrungen werden, von dem er sich zur Erfüllung seiner Gebote besonders auserkoren sieht, dessen Liebe ihn hier alles Gute und droben ewig seliges Leben erwarten lässt, dessen Allmacht und Barmherzigkeit ihn aus dem Rachen des Todes befreite. Indem Gott so das Ansehen seines Gesetzes gesichert hat, so spricht er das erste Gebot aus: „wir sollen keine andern Götter vor ihm haben“. Der Zweck dieses Gebotes ist: der Herr will bei seinem Volke allein erhaben und im vollen Besitz seines Rechts sein. Deshalb untersagt er alles gottlose und abgöttische Wesen, wodurch seine Herrlichkeit vermindert oder verdunkelt wird, dagegen gebeut er kindliche Verehrung und Anbetung ihm zu erweisen. Das erhellt ganz deutlich aus den einfachen Worten des Gebotes: denn wir können Gott nicht haben, als nur mit Aufnahme dessen, was ihm eigen ist. Durch das Gebot, keine andern Götter zu haben, schärft der Herr also ein, was ihm allein gebührt, keinem andern zu geben. Was wir Gott schuldig sind, ist zwar von sehr mannigfaltiger Art; aber es lässt sich doch sehr wohl in folgende vier Punkte zusammenfassen: Anbetung, wozu wie ein Anhang der geistige Gehorsam des Gewissens gehört, Vertrauen, Anrufung, Danksagung. Unter Anbetung verstehe ich die Huldigung und Verehrung, die jeder von uns Gott darbringt durch Demütigung vor seiner Herrlichkeit; und hierzu zähle ich mit vollem Rechte die Unterwerfung unsers Gewissens unter den Gehorsam seines Gesetzes. Das Vertrauen auf Gott geht aus der Erkenntnis seiner Vollkommen-heiten hervor, und besteht in der stillen, getrosten Hingabe an Gott, indem wir, von seiner Allweisheit, Gerechtigkeit, Allmacht, Wahrhaftigkeit und Güte überzeugt, unsere Glückseligkeit allein von ihm erwarten. Ange- 

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rufen wird Gott von uns, wenn wir in der Not unsere Herzen zu ihm erheben, in seiner Treue und Hilfe unsere einzige Zuflucht und Rettung finden. Unsere Dankbarkeit beweisen wir dadurch, dass wir alle Segnungen von ihm ableiten, und ihm dafür die Ehre geben. Nach dem Willen des Herrn sollen wir nun nichts von dem irgendjemand anders, sondern allen Ruhm ihm zukommen lassen. Denn es ist nicht genug, sich keinen Abgott zu machen, sondern wir müssen auch dem einigen Gott anhangen, was die Gottlosen unterlassen, die kurzweg alle Religion verspotten. Vor allem aber muss wahre Religiosität in dem Menschen vorhanden sein, damit er den lebendigen Gott suche, und wenn er ihn gefunden und in seiner Majestät erkannt hat, sein ganzes Leben dahin richte, ihn zu lieben, zu fürchten und zu verehren, von ihm alles Gute zu erwarten, allezeit bei ihm Hilfe zu suchen, seine herrlichen Werke zu bewundern und zu preisen. Alsdann muss aller Aberglaube vermieden werden, der die Menschen von dem einigen wahren Gott ab und zur Vielgötterei hinführt. Ist nun aber unser Glaube an den einzigen Gott fest begründet, so müssen wir, wie schon gesagt, alle Abgötterei vermeiden, und die Verehrung, die er allein fordert, nicht zerstückeln, weil sein Ruhm nicht im mindesten geschmälert und, was ihm allein zukommt, nicht geteilt werden darf. Der Zusatz: „vor mir“, erhöhet die Verwerflichkeit der Abgötterei, da wir Gottes Eifersucht erregen, wenn wir unsere Götzen an seine Stelle setzen, gleichwie ein ehebrecherisches Weib ihrem Gatten dadurch um so mehr in Hitze bringt, wenn es vor seinen Augen mit einem Andern buhlt. Da Gott sich als einen so mächtigen und wohlwollenden Beschützer seines auserwählten Volkes dargestellt hatte, um dasselbe von jeder Abweichung zurück zu schrecken, so erinnert er nun an die Unmöglichkeit des Übergehens zu fremden Göttern, ohne dass er Zeuge solcher Freveltat wäre. Denn diese Vermessenheit wird strafbarer durch den bösen Gedanken, seinen Abfall vor Gott verbergen zu können. Dagegen bezeugt der Herr laut, dass all unser Sinnen, Tun und Vornehmen von ihm bemerkt werde. Darum muss auch unser Herz von allen abgöttischen Gedanken sich rein erhalten, wenn unser Gottesdienst dem Herrn wohlgefallen soll: denn vor seinen Augen ist nicht bloß das äußere Bekenntnis zur Verherrlichung seines Namens genug, sondern er erforschet die Tiefe des Herzens. 

 

DAS ZWEITE GEBOT. 

 (Anm.: Für lutherische Leser wird hier bemerkt, dass Calvin und die reformierte Kirche die zehn Gebote anders zählt, als die lutherische und katholische Kirche nach dem Übergang Augustins. Letztere nehmen die Worte: „du sollst dir kein Bildnis und Gleichnis machen etc.“, 2 Mos. 20,4., nur als einen Anhang zum ersten Gebot. Die Worte: du sollst dich nicht gelüsten lassen des Hauses deines Nächsten (V. 17) zählten sie als das 9., und die folgenden Worte: „du sollst dich nicht gelüsten lassen deines Nächsten Weibs“, als das 10. Gebot. Calvin dagegen, und auch die reformierte Kirche zählt den Vers 3 als ein besonderes Gebot, also als das 2., und zwar als Verbot des Bilderdiensts. Das nach katholischer und lutherischer Zählung als 9. und 10. Gebot besonders Gerechnete nimmt Calvin zusammen als Ein Gebot (als 10.). Die zwischenliegenden Gebote rechnen sich sodann entsprechend, so dass z. B. das, welches nach katholischer und lutherischer Rechnung als das vierte, bei den Reformierten als das fünfte erscheint. – Im mosaischen Grundtexte sind die einzelnen Gebote nicht besonders nummeriert, daher die Entscheidung von andern, hier nicht aufzuführenden Gründen abhängt.) 

 

„Du sollst dir kein Bildnis noch irgend ein Gleichnis machen, weder deß, das oben im Himmel, noch deß, das unten auf Erden, oder deß, das im Wasser unter der Erde ist. Du sollst sie nicht anbeten, noch ihnen dienen.“ 

 

Wie Gott sich im ersten Gebot als den Einzigen darstellt, außer welchem keine andern Götter zu finden sind, so erklärt er sich hier im 

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zweiten noch deutlicher über sein Wesen und über die Art, wie er verehrt sein wolle, damit wir ihm nichts Fleischliches anzudichten wagen. Dieses Gebot soll also die Entweihung der ihm gebührenden Verehrung durch abgöttische Gebräuche verhindern. Darum verbietet es überhaupt, uns sinnliche Vorstellungen von Gott zu machen, wie es geschieht, wenn wir ihn nach unserm vergänglichen Wesen messen, und leitet uns zu seiner geistigen Verehrung an, wie sie in seinem Worte befohlen ist. Für das gröbste Vergehen gegen Gott wird der Bilderdienst erklärt. In diesem Gebote sind sonach zwei Verbote enthalten, nämlich Gott, den Unbegreiflichen und Unvergleichbaren, weder zu versinnlichen und abzubilden, noch überhaupt Bilder anzubeten. Es wird hier ferner aller Abbildungen kürzlich gedacht, die sich heidnische und abgöttische Völker von Gott machten. Unter den Gegenständen am Himmel sind Sonne, Mond und die Gestirne, vielleicht auch Vögel zu verstehen, da im 4. Kapitel des 5. Buchs Mose (V. 15-19.), wo der Herr seinen Willen deutlicher bezeichnet, die Vögel unter dem Himmel und die Sterne genannt werden. Ich würde das gar nicht anmerken, wenn ich nicht wüsste, dass Einige hier törichter Weise an die Engel denken. Alles übrige übergehe ich, da es an sich verständlich ist. Auch ist im 1. Buche dieser Schrift (Kap. 11 u. 12.) schon bewiesen, dass alle Bilder, deren Absicht ist, Gott sinnlich vorzustellen, im geraden Widerspruche mit dem göttlichen Wesen stehen, und dass da, wo Götzen aufgestellt und verehrt werden, die Anbetung Gottes im Geist und in der Wahrheit verloren geht. Die Worte der Drohung und Verheißung, welche diesem Gebote beigefügt sind, dienen dazu, die Trägheit aufzurütteln. Sie lauten also: „Ich, der Herr dein Gott, bin ein starker und eifriger Gott, der die Missetat der Väter heimsuchet an den Kindern bis ins dritte und vierte Glied, deren, die mich hassen; und tue Barmherzigkeit an viel Tausenden, die mich lieben und meine Gebote halten.“ Das will sagen: Er allein sei es, an den wir uns halten müssen. Um dazu uns zu bewegen, erinnert er uns an seine Macht, die wir nicht ungestraft gering schätzen und herabsetzen können. – Zweitens nennt Gott sich einen „Eiferer“, weil es ihm nicht gleichgültig sein kann, ob man ihn allein oder Götzen neben ihm verehre. Drittens sagt er von sich, dass er ein „rächender Gott“ sei, der die Verächter seines Namens strafen werde, wenn sie die ihm gebührende Ehre einer Kreatur oder den Götzenbildern geben, und zwar nicht sie allein, sondern auch ihre Kinder, Enkel und Ur- 

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enkel, welche nämlich solche Missetat der Väter nachahmen werden. Dagegen verspricht er auf ewige Zeiten denen seine Barmherzigkeit und Gnade, die ihn lieben und seine Gebote halten. Gott stellt sich uns oft in der Schrift (Jesa. 62,4.5. Hos. 2,19.20.) als einen Gatten dar: denn die Verbindung, in welche wir durch die Aufnahme in den Schoß der Kirche mit ihm treten, ist dem heiligen Ehebunde ähnlich, der gegenseitige Treue erfordert. Wie er nun seinerseits treu und wahrhaftig alle Pflichten erfüllt, so verlangt er auch von uns Liebe und Treue, dass wir nämlich unsere Seelen nicht dem Satanas, der Lust und den hässlichen fleischlichen Begierden preisgeben. Wenn er daher über die Abtrünnigkeit der Juden klagt, so beschuldigt er sie der Unzucht und Hurerei. Jesa. 57,5. Jer. 3,13. Wie nun ein Gatte, je züchtiger und keuscher er ist, zu einem um so heftigern Unwillen gereizt wird, wenn seine Gattin sich an einen Buhlen hängt: so kündigt uns der Herr, der sich mit uns in Wahrheit verlobt hat, seinen eifersüchtigen Zorn an, so oft wir, seines heiligen Bundes uneingedenk, durch unreine Begierden uns beflecken, dann besonders, wenn wir die Ehre, die ihm allein gebührt, einem Andern geben, oder die Verehrung seines Namens durch irgend eine Art von Abgötterei entweihen. Denn auf diese Weise sind wir nicht bloß treulos und wortbrüchig, sondern beflecken auch den Bund mit ehebrecherischer Schande. Hierauf muss der Sinn der beigefügten Drohung entwickelt werden: „Ich suche die Missetat der Väter heim an den Kindern bis in das dritte und vierte Glied.“ Denn außer dass es mit der göttlichen Gerechtigkeit nicht übereinstimmt, einen Unschuldigen eine fremde Schuld büßen zu lassen, versichert Gott auch selbst, Ezech. 18,20.: „der Sohn soll nicht tragen die Missetat des Vaters“. Aber mehr als einmal finden wir den Ausspruch, dass die Strafen für die Missetaten der Väter auf künftige Geschlechter fortdauern sollen. So redet Moses Gott an, 2 Mos. 34,6.7. 4 Mos. 14,18.: „Herr, Herr, der du die Missetat der Väter heimsuchest an den Kindern bis in das dritte und vierte Glied“. Ebenso Jeremias, C. 32,18.: „Der du Barmherzigkeit tust an viel Tausenden, und vergiltst die Missetat der Väter in den Busen ihrer Kinder nach ihnen.“ Vergeblich ist die Mühe derer, die solches, um die Schwierigkeit zu heben, von zeitlichen Strafen verstehen: denn wenn Kinder, sagen sie, für die Vergehungen ihrer Väter im Zeitlichen leiden, so lasse sich das sehr wohl denken, da solche Strafen oft zu ihrem Besten dienen. Das ist zwar an sich wahr: denn auch Jesaias (C. 39,7.) sagte dem Hiskia, dass seine Kinder, seiner Missetat wegen, das Reich verlieren und in die Gefangenschaft abgeführt werden würden. Pharao's und Abimelech's Haus (1. Mos. 12,17. 20,3.) wird mit Plagen heimgesucht wegen des dem Abraham zugefügten Unrechts etc. Aber die in Rede stehende Sache wird so mehr umgangen, als erklärt, da im Gebote und in ähnlichen Stellen eine schwerere, über die Grenzen dieses Lebens hinausgehende Strafe gemeint ist. Man muss also diese Drohung so verstehen: der gerechte Fluch des Herrn ruhet nicht bloß auf dem Haupte des Gottlosen, sondern auch auf seiner gesamten Familie. Wo aber der Fluch waltet, ist da anderes zu erwarten, als dass der Vater von Gottes Geiste verlassen, ein ruchloses Leben führe 

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der Sohn, wegen der Schuld des Vaters gleichfalls von Gott verlassen, denselben Weg des Verderbens gehe? Enkel und Urenkel endlich, als der Verworfenen verwerflicher Same, nach ihnen ins Unheil sich stürzen? Wir wollen sehen, ob eine solche Strafe der göttlichen Gerechtigkeit unangemessen sei. Wenn das gesamte Menschengeschlecht unter dem Fluche liegt so gehen offenbar alle, welche der Herr nicht seiner Gnade würdigt, verloren, aber durch ihre eigene Verworfenheit, nicht durch Gottes ungerechtes Urteil. Hier nun lässt sich weiter fragen, warum die Gnade Gottes nicht auch sie, gleich Andern, zum Heile führe. Wenn also Gottlose ihrer Übeltaten wegen die Strafe trifft, dass auf ganze Geschlechtsfolgen ihrem Hause die göttliche Gnade entzogen wird: wer will Gott wegen solcher gerechter Strafe anklagen? Aber der Herr – entgegnet man – spricht doch: „der Sohn solle nicht tragen die Missetat der Väter“. Man bemerke wohl, wovon hier die Rede ist. Da die Israeliten lange und anhaltende Unfälle erfuhren, so ging unter ihnen das Sprichwort, Ezech. 18,2. Jer. 31,29. Klagl. 112,1-3.: „unsere Väter haben Herlinge gegessen, und davon sind der Kinder Zähne stumpf geworden“. Damit wollten sie sagen, ihre Väter hätten Sünden getan, deren Strafen sie selbst, obwohl unverdient und unschuldig, mehr nach unversöhnlichem Zorn Gottes, als gemilderter Strenge, büßen müssten. Diesen verkündigt der Prophet: es verhalte sich nicht also, indem sie für ihre eigenen Sünden gestraft würden; überdies sei es auch nicht mit der göttlichen Gerechtigkeit zu vereinbaren, dass ein frommer Sohn wegen der Missetat seines gottlosen Vaters Strafe leide. Eine andere Bewandtnis habe es aber mit der Drohung in diesem Gebote: denn wenn die daselbst angedrohte Heimsuchung in Erfüllung geht, indem der Herr von der Nachkommenschaft der Gottlosen seine Gnade, das Licht seiner Wahrheit und die übrigen Heilsmittel hinwegnimmt; so ruhet auf den Kindern der Fluch wegen der väterlichen Missetat dem deswegen, weil sie, verblendet und verlassen von Gott, in die Fußtapfen der Väter treten. Dass aber über sie zeitliches Unglück und endlich ewiges Verderben kommt, geschieht nach Gottes gerechtem Ratschlusse, nicht wegen fremden, sondern wegen eigener Sünden. Wiederum enthält das Gebot auch die Verheißung, dass Gottes Barmherzigkeit sich auf viele tausend Geschlechtsfolgen erstrecken werde, welche in der heiligen Schrift erwähnt wird, und in dem feierlichen Bundesworte enthalten ist, 1 Mos. 17,7.: „Ich will dein Gott sein und deines Samens nach dir“. In Beziehung hierauf sagt Salomo, Sprüchw. 20,7. vergl. Ps 112,1-3.: „den Kindern der Gerechten wird es nach ihrer Eltern Tode wohl ergehen“; nicht allein wegen ihrer frommen Erziehung, wiewohl auch das von großer Wichtigkeit ist, sondern wegen seines im Bunde verheißenen Segens, dass über den Kindern und Kindeskindern der Frommen ewiglich walte. Das ist für die Gläubigen ein kräftiger Trost, für die Gottlosen aber ein großer Schrecken: denn wenn auch nach dem Tode Gott der Frömmigkeit und Gottlosigkeit dergestalt gedenkt, dass der Segen wegen der erstern und der Fluch wegen der letztern auf die Nachkommenschaft übergeht, so wird beides viel mehr über den Häuptern der Urheber selbst bleiben. Nichts beweiset dagegen die Erfahrung, dass die 

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Nachkommenschaft Gottloser zuweilen sich bessert, aber die der Gläubigen ausartet, weil der Gesetzgeber hier keine unabänderliche Regel festsetzen wollte, welche ihn in seiner Wahl beschränkte. Denn zum Troste der Frommen und zum Schrecken des Sünders genügt es, zu wissen, dass jene Bestimmung an sich wichtig und von großen Folgen sei, wiewohl sie nicht überall in Anwendung kommen. Denn gleich wie die zeitlichen Strafen, welche einige Gottlose leiden müssen, das Missfallen Gottes an der Sünde und den furchtbaren Richterspruch offenbar machen, den künftig alle Sünder hören müssen, obgleich Viele bis an das Ende ihrer Lebenstage ungestraft bleiben: so gibt der Herr, wenn er nur ein einziges Mal die Verheißung in Erfüllung gehen lässt, dass er um des Vaters willen gegen den Sohn barmherzig und gnädig sein wolle, Zeugnis von seiner beständigen und fortwährenden Gnade gegen seine Verehrer; und wenn er des Vaters Missetat einmal am Sohne straft, so zeigt er, was alle Verworfenen ihrer Sünden wegen zu erwarten haben. Davon aber wollte er hier uns vornehm-lich gewiss machen. Dabei macht er kürzlich auf die Größe seiner Barmherzigkeit aufmerksam, welche er auf viele tausend Glieder ausdehnt, und nur vier Geschlechtsfolgen für die Strafe bestimmt. 

 

DAS DRITTE GEBOT. 

„Du sollst den Namen des Herrn deines Gottes nicht missbrauchen: denn der Herr wird den nicht ungestraft lassen, der seinen Namen missbraucht.“ 

 

Dieses Gebot gab Gott, um die Heiligung seines Namens einzuschärfen. Es verbietet also, Gottes Namen durch lästerlichen und unehrerbietigen Gebrauch zu entheiligen. In diesem Verbote ist aber das Gebot enthalten, ihn nicht anders, als mit Ehrfurcht im Munde zu führen. Darum dürfen wir von Gott und seinen Geheimnissen nur mit Besonnenheit und heiliger Scheu denken und reden, so dass wir mit keinen andern, als ehrerbietigen Gesinnungen an die Beurteilung seiner Werke gehen. Diese drei Pflichten haben wir sorgsam zu beachten. Zuerst: was unser Geist über ihn denkt, unser Mund über ihn ausspricht, sei Zeugnis seiner Vortrefflichkeit, und entspreche der Erhabenheit seines Namens, es diene seine Herrlichkeit zu erheben. Zweitens: sein heiliges Wort und seine ehrwürdigen Geheimnisse dürfen weder zur Befriedigung der Ehr- und Habsucht noch zur Belustigung leichtsinnig gemissbraucht werden, sondern müssen, da sie seinen preiswürdigen Namen tragen, bei uns allezeit ihre Ehre und ihren Wert behalten. Drittens: seine Werke dürfen wir nicht tadeln und herabwürdigen, wie die Gottlosen tun, die nicht aufhören, ihn zu lästern; sondern so oft wir seiner Werke gedenken, sollen wir seine Weisheit, Gerechtigkeit und Liebe preisen. Das heißt: den Namen Gottes heiligen. Wo es anders geschieht, wird er durch eiteln und verkehrten Missbrauch befleckt, weil er außer dem rechtmäßigen Gebrauch, welchem allein er geweihet war, angewandt und dadurch, wenn auch weiter nichts, doch seiner Würde entkleidet wird, so dass er allmählich in Gering-schätzung kommt. Wenn nun dieser unnütze und leichtsinnige Gebrauch des göttlichen Namens 

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schon eine so große Sünde ist, so wird diese noch viel größer, wenn man sich desselben zu schändlichen und sündlichen Dingen bedient, wie zum Befragen der Toten, zu Flüchen und Verwünschungen, zu Geisterbeschwörungen, zur Zauberei und zu anderem Aberglauben. Vorzüglich wird aber in diesem Gebote der Eid gemeint, in welchem der Missbrauch des göttlichen Namens am abscheulichsten erscheint; um uns desto mehr im Allgemeinen von jeder Entweihung desselben abzuschrecken. Dass aber hiebei nur von der Gott schuldigen Ehrfurcht gehandelt werde, und nicht von der Treue und Redlichkeit, welche Menschen gegen einander zu üben haben, erhellet zur Genüge daraus, dass in der zweiten Gesetztafel Beeinträchtigung des Nächsten und falsches Zeugnis verboten wird, wodurch das Wohl der menschlichen Gesellschaft leidet; es fände aber eine nutzlose Wiederholung statt, wenn dieses Gebot von der Pflicht der Nächstenliebe handelte. Dazu kommt auch, dass Gott nicht ohne Absicht sein Gesetz auf zwei Tafeln uns mitgeteilt hat. Folglich ist dieses dritte Gebot nur auf das zu beziehen, was wir Gott schuldig sind, und zur Heiligung seines Namens zu tun haben, nicht aber auf die gegenseitigen Pflichten der Menschen unter einander. Hier muss zuerst eine Erklärung vom Eide gegeben werden. Dieser ist eine Anrufung Gottes als Zeugen zur Bekräftigung der Wahrheit dessen, was wir aussagen. Denn die mit Flüchen und Verwünschungen verbundenen Beteurungen können, da sie offenbare Gotteslästerungen sind, nicht zu den Eiden gerechnet werden. Ein solcher Eid, welcher würdig abgelegt wird unter feierlicher Anrufung Gottes als Zeugen, ist, wie mehrere Stellen der Schrift beweisen, eine Art von Gottesverehrung. Wenn Jesaias die Aufnahme der Assyrer und Ägypter in den Bund Israels weissagt, spricht er (C. 19,18.): „sie werden in der Sprache Canaans reden und bei dem Herrn Zebaoth schwören“, d. h. durch einen Eid bei dem Namen des Herrn werden sie sich zum jüdischen Gottesdienste bekennen. Eben so sagt er, die Ausbreitung des Reiches Gottes verkündigend (C. 65,16.): „wer sich Heil erfleht, wird es bei dem Gott der Gläubigen tun, und wer schwören wird auf Erden, wird bei dem wahrhaftigen Gott schwören“. Jeremias spricht (C. 12,16.): „wenn sie mein Volk anweisen werden, bei meinem Namen zu schwören, so wie sie es bei Baal schwören gelehrt haben, so sollen sie unter meinem Volke gesegnet sein“. Und mit Recht kann man sagen, dass wir, indem wir den Namen des Herrn zum Zeugnis der Wahrheit anrufen, von unserer Gottesfurcht einen Beweis ablegen: denn wir bekennen, dass in Gott die ewige und untrügliche Wahrheit ist, wenn wir uns auf ihn als den Herzenskündiger, als den besten Zeugen und einzigen Beschützer der Wahrheit berufen, der das Verborgene ans Licht bringen wird. Wo menschliche Zeugnisse fehlen, müssen wir zum Zeugnisse Gottes unsere Zuflucht nehmen, vornehmlich wenn des Herzens Gedanken offenbar werden sollen. Deshalb zürnt auch der Herr so sehr auf diejenigen, welche bei Abgöttern schwören, und erklärt einen solchen Eidschwur für einen offenbaren Abfall von seiner Verehrung in den Worten (Jer. 5, 7.): „deine Söhne verlassen mich, und schwören bei denen, die nicht Götter sind“. Die Größe dieser Übeltat 

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offenbart sich in der angedrohten Strafe (Zephanj. 1,5): „ich will sie verderben, die bei dem Herrn schwören und zugleich bei Melchom“. Daraus ersehen wir, dass nach Gottes Willen unsere Eide einen Teil seiner Verehrung ausmachen sollen; weshalb wir vorsichtig sein müssen, damit sie nicht, statt zur Verehrung, zur Lästerung oder Schändung und Entweihung seines Namens dienen. So ist es die strafbarste Gotteslästerung, wenn man bei seinem Namen falsch schwört, was im Gesetz (3 Mos. 19,12.) für eine Entheiligung desselben gilt. Denn was bleibet dem Herrn, wenn man die Wahrhaftigkeit ihm abspricht? er hört auf Gott zu sein. Das geschieht aber, sobald man ihn zu einem Zeugen und Bestätiger der Lüge und Unwahrheit macht. Weshalb auch Josua 7,19., um Achan zum Geständnis der Wahrheit zu bringen, sprach: „mein Sohn gib dem Herrn, dem Gott Israels, die Ehre“; mit welchen Worten er andeutet, dass es eine abscheuliche Schändung des Herrn sei, wenn man mit Berufung auf seinen Namen eine Unwahrheit ausspricht. Und kein Wunder; denn wir verhüten alsdann nicht, dass sein heiliger Name gleichsam mit einer Lüge befleckt werde. Diese Redeweise scheint auch unter den Juden, als Aufforderung zur Ablegung eines Eides, gebräuchlich gewesen zu sein, da auch die Pharisäer im Evangelio Johannis 9,24, sich derselben bedienen. Zur größten Vorsicht und strengsten Gewissenhaftigkeit bei dem Eide fordern auch andere in der Schrift vorkommende Beteurungsformeln auf (2 Sam. 14,11. 4,9. – 1 Kön. 1,29. – 1 Sam. 3. 17. 14,44. 2 Sam. 3,9. 1 Kön. 2,23. 2 Kön. 6,31. – 2 Kor. 1,23.): „So wahr der Herr lebet; Gott tue mir dies und das; Gott sei Zeuge über meine Seele“; – welche beweisen, dass wir Gott zum Zeugen unserer Aussage nicht anrufen können, ohne ihn zugleich zur Rache des Meineides aufzufordern, sobald wir falsch schwören. Herabgewürdigt und entweihet wird Gottes Name auch durch solche Eide, die zwar rechtmäßig, aber unnötig sind, weil man ihn in diesem Falle unnütz im Munde führt. Es ist also noch nicht genug, bloß vor dem Meineide sich zu hüten, sondern man muss auch bedenken, dass der Eid nicht zum Leichtsinn und Vergnügen erlaubt ist, sondern nur bei wichtigen Gelegenheiten und Veranlassungen abgelegt werden darf, und dass deswegen derjenige sich versündigt, der ihn unnötiger Weise fordert und leistet. Erforderlich ist der Eid aber nur in solchen Fällen, wo den Pflichten der Gottesfurcht und Nächstenliebe ein Genüge geschehen muss. Dagegen wird in unsern Tagen häufig gesündigt, wobei noch das Schlimmste ist, dass dieser Missbrauch des Eides, weil er zur Gewohnheit geworden, unter den Menschen nicht einmal für eine Sünde gilt; aber vor Gottes Richterstuhl bleibt er ein schweres Verbrechen. Denn oft entehrt man Gottes Namen auch in albernem Geschwätz, ohne dass man glaubt, dabei etwas zu tun, indem diese gottlose Vermessenheit, die hienieden ungestraft bleibt, den Menschen zur andern Natur geworden ist. Jedoch behält das Gebot des Herrn seine Gültigkeit, und die beigefügte Drohung: „der Herr wird den nicht ungestraft lassen, der seinen Namen missbraucht“ – wird einst an den leichtsinnigen Übertretern in Erfüllung gehen. Eben so sündigen wir, wenn wir, statt bei dem Namen Gottes, bei seinen Knechten, den 

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Heiligen schwören. Das ist eine offenbare Gottesverleugnung, weil ihm die Ehre entzogen, und den Kreaturen gegeben wird. Nicht ohne Absicht befiehlt daher der Herr (5 Mos. 6,13. 10,20.), bei seinem Namen zu schwören, und verbietet ausdrücklich (2. Mos. 23,13.), bei dem Eidschwur den Namen anderer Götter aus unserem Munde hören zu lassen. Dasselbe bezeugt auch der Apostel (Hebr. 6,13.16.): „die Menschen schwören bei einem Höhern, denn sie sind: Gott aber schwur bei sich selbst, da er bei keinem andern, der höher gewesen wäre, als er, schwören konnte“. Diese Beschränkung des Eides genügt den Wiedertäufern noch nicht, die vielmehr alle Eidschwüre verwerfen, weil sie glauben, dass Christus überhaupt das Schwören verboten habe, wenn er sprach (Matth. 5,34-37): „Ich sage euch, dass ihr allerdings nicht schwören sollt; eure Rede aber sei: Ja, Ja, Nein, Nein; was darüber ist, das ist vom Übel“. Aber auf diese Weise werden sie höchst unbedachtsam Christo ärgerlich, indem sie ihm den Vater entgegensetzen, als ob er auf die Erde gekommen sei, um dessen Gebote aufzuheben. Denn der ewige Gott hat in seinem Gesetze den rechtmäßigen Eid nicht nur erlaubt, was schon Beweis genug für die Zulässigkeit desselben ist, sondern ihn sogar auch bei Angelegenheiten von Wichtigkeit geboten (2 Mos. 22,10.11.). Nun aber sagt Christus (Joh. 10,30. 5,36. 8,28. 7,16.): „Ich und der Vater sind Eins; ich tue nichts von mir selbst, sondern vollbringe das Werk, das mir der Vater aufgetragen hat: meine Lehre ist nicht mein, sondern deß, der mich gesandt hat“. Setzen sie also Gott nicht in Widerspruch mit sich selbst durch die Annahme, dass er wiederum verbiete und verwerfe, was er vordem in seinem Gesetze angeordnet hatte? Weil jedoch die Auslegung jener Worte Christi einige Schwierigkeit zu haben scheint, so will ich sie kürzlich erklären. Wir werden sie aber nur dann recht verstehen, wenn wir wohl erwägen, was Christus hier beabsichtigt. Er will das Gebot nicht aufheben oder einschränken, sondern in seinem wahren und wirklichen Sinne wieder darstellen, der durch die eigenmächtigen Zusätze der Schriftgelehrten und Pharisäer ganz verfälscht war. Bedenken wir das, so wird unmöglich unsere Meinung sein, dass Christus überhaupt alle Eide untersagt habe, sondern nur diejenigen, welche die Vorschrift des Gesetzes überschreiten. Aus seinen eigenen Worten sieht man, dass das Volk zu seiner Zeit sich bloß vor dem Meineide scheute, da doch das Gesetz nicht allein diesen, sondern auch alles unnütze und leichtfertige Schwören untersagt. Der Herr also, als der zuverlässigste Ausleger des Gesetzes, erklärt nicht nur den falschen Eid, sondern überhaupt das Schwören für Sünde. Welches Schwören? Das unnütze und leichtsinnige! Die im Gesetze verordneten Eide lässt er unberührt und frei. Um ihre Meinung zu verteidigen, berufen sie sich auf das Wort „Allerdings“ (überhaupt). Aber dieses ist nicht mit „schwören“, sondern mit den nachfolgenden Beteurungsformeln zu verbinden. Denn auch darin bestand ihr Irrtum, dass sie glaubten, Gottes Namen zu umgehen, wenn sie bei dem Himmel und bei der Erde schwuren. Indem nun der Herr diese betrüglichen Beteurungsformeln verbannt wissen will, so nimmt er ihnen jede Ausflucht, sich für schuldlos anzusehen, wenn 

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sie, mit Übergehung des Namens Gottes, Himmel und Erde zu Zeugen anriefen. Denn auch dann schwören die Menschen bei Gott, wie ich hier gelegentlich anmerke, wenn sie seinen Namen nicht ausdrücklich nennen, sondern in gewissen Formeln verhüllen, wie wenn sie bei dem Lebenslichte, bei dem nährenden Brote, bei ihrer Taufe oder bei andern Pfändern der göttlichen Güte schwören. Und Christus verbietet das Schwören bei dem Himmel, bei der Erde und bei Jerusalem auch nicht als Aberglauben, wie Einige irrig meinen, sondern vielmehr um die Sophisterei derer zu widerlegen, welche es für keine Sünde hielten, mit solchen Eiden ihr betrügliches Spiel zu treiben, gleich als ob sie des heiligen Namens Gottes schonten, der doch allen seinen Gaben eingeprägt ist. Ein anderer Fall ist es, wenn ein Geschöpf, sei es ein verstorbener Mensch oder ein Engel, an Gottes Stelle gesetzt wird, wie unter den Heiden die hässliche durch Schmeichelei erzeugte Beteurungsformel – „bei dem Leben oder Genius des Königs“ – im Schwange ging: denn solche Vergötterung vermindert und verdunkelt die Ehre des ewigen Gottes. Da man aber bei Berufung auf den heiligen Namen Gottes keinen andern Zweck hat, als die Wahrheit seiner Aussagen zu bekräftigen: so sind alle unnötigen und leichtsinnigen Schwüre, wenn auch Gottes Name nicht geradezu genannt wird, ein Vergehen wider die ihm schuldige Ehrfurcht. Was solchem vermessenen Leichtsinn Vorschub tun kann, nimmt er hinweg, wenn er sagt: „ihr sollt allerdings nicht schwören.“ Dieselbe Absicht hat Jakobus (Jak. 5,12.): wenn er die angezogenen Worte Christi wiederholt, weil dieser Leichtsinn immer unter den Menschen herrschend war, wiewohl er eine Entweihung des göttlichen Namens bleibt. Denn wenn man das Wörtlein „überhaupt“ auf das Zeitwort „schwören“ bezieht, als ob jeder Eid ohne Ausnahme untersagt wäre: wozu dann die hinzugefügte Erklärung: „weder bei dem Himmel noch bei der Erde etc.“ Daraus erhellet genugsam, dass hier den Spitzfindigkeiten begegnet wird, womit die Juden ihre Trügerei zu beschönigen suchten. Aus so wichtigen Gründen ist es also keinem Zweifel mehr unterworfen, dass der Herr in jenen Worten nur die durch das Gesetz verbotenen Eide missbilligt. Denn er selbst, dessen Wandel das treue Abbild seiner Lehre war, trug kein Bedenken, einen Eid abzulegen (Matth. 26,63.64.), wo die Umstände es erforderten; und seine Jünger, die ihrem Meister in allem folgsam waren, sind ihm auch darin nachgefolgt. Wer möchte glauben, dass Paulus würde geschworen haben, wenn der Eid durchaus verboten gewesen wäre? Er aber, wo die Umstände es forderten, bedient sich unbedenklich eidlicher Versicherungen, oft mit ausdrücklicher Berufung auf Gott (2 Kor. 1,23. Röm. 1,9. Phil. 1,8.). Die Untersuchung ist jedoch noch nicht beendigt: denn Einige erklären bloß die öffentlichen oder gerichtlichen Eide für zulässig, wie z. B. solche, zu denen die Obrigkeit auffordert, oder welche Fürsten ablegen, wenn sie Bündnisse schließen, oder die das Volk leistet, wenn es dem Regenten Treue und Gehorsam schwört, und der Soldat, wenn er zum Kriegsdienst angezogen wird, und dem ähnliche. Dahin rechnen sie auch diejenigen Eide, deren sich Paulus in seinen Briefen bedient, um die Würde des Evangeliums zu behaupten, und das mit Recht, da die Apostel in ihrem Amte nicht Privatpersonen, 

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sondern Diener Gottes sind. Und wahrlich, ich leugne nicht, dass man dergleichen Eide ohne das mindeste Bedenken ablegen könne, da sie das unzweideutige Zeugnis der Schrift für sich haben. Die Obrigkeit soll in schwer zu entscheidenden Fällen den Angeklagten auf den Eid ziehen, und dieser den Eid ablegen, welcher, wie der Apostel sagt, „zur Entscheidung alles Haders unter den Menschen dient“. Gottes Gebot rechtfertigt, was beide tun. Selbst die alten heidnischen Völker hielten den öffentlichen Eid in großen Ehren; aber die übrigen, im täglichen Leben gebrauchten Beteurungen waren ihnen etwas ganz Gleichgültiges, weil sie wahrscheinlich glaubten, dass die Gottheit um dieselben sich nicht bekümmere. Aber es möchte doch wohl allzu gewagt sein, solche außergerichtlichen Eide (Eide in Privatangelegenheiten) zu verwerfen, welche mit besonnenem Ernst und heiliger Ehrfurcht vor Gott in wichtigen Angelegenheiten und dringenden Fällen des täglichen Lebens abgelegt werden, da sie sich aus der Vernunft und aus Beispielen in der Schrift rechtfertigen lassen. Denn wenn Privatpersonen in wichtigen Fällen Gott zum Schiedsrichter zwischen sich anrufen dürfen; warum nicht auch als ihren Zeugen? Es kann mich mein Nächster ungerechter Weise der Treulosigkeit beschuldigen, und ich suche meine Unschuld darzutun, wie die Pflicht der Liebe es gebietet; aber er glaubt meinen Versicherungen nicht. Wenn nun durch seine beharrliche Feindschaft mein guter Ruf leidet, so kann ich ohne Scheu Gott, den heiligen und gerechten Richter, anrufen, dass er zur Zeit meine Unschuld ans Licht bringen möge. Wollen wir die Worte wägen, so ist es etwas Geringeres, Gott bloß zum Zeugen der Wahrheit anzurufen. Ich sehe also keinen Grund, warum in diesem Falle die Berufung auf Gott als Zeugen unerlaubt sein sollte. Auch sind davon mehrere Beispiele in der Schrift (1 Mos. 21,23. 26,28. 31,44-54. Ruth. 3,13. 1. König. 18,10.) vorhanden. Ist Abrahams und Isaaks Bund mit Abimelech als ein Fürstenbund zu betrachten, so waren doch wenigstens Jakob und Laban Privatpersonen, welche durch einen gegenseitigen Eid miteinander einen Vertrag abschlossen. Ein Privatmann war Boas, der sein Versprechen, die Ruth zu ehelichen, ebenfalls eidlich bekräftigte, und Obadja, ein frommer und gottesfürchtiger Mann, der dem Ahab eidlich versichert, dass er Elias Herz erweichen wolle. Die Pflichten, die wir in Absicht des Eides zu beobachten haben, sind also diese: wir müssen nicht leichtsinnig und unnötig, nicht aus Mutwillen oder in böser Absicht schwören, sondern, wenn es die Not erfordert, um Gottes Ehre und das Beste unseres Nächsten zu befördern, worauf das Gebot hinweiset. 

 

DAS VIERTE GEBOT. 

„Gedenke des Sabbattages, dass du ihn heiligest. Sechs Tage sollst du arbeiten, und alle deine Werke tun; aber am siebenten Tage ist der Sabbat des Herrn deines Gottes, Da sollst du keine Arbeit tun, noch den Sohn, noch deine Tochter, noch dein Knecht, noch deine Magd, noch dein Vieh, noch der Fremdling, der in deinen Toren ist. Denn in sechs Tagen hat der Herr Himmel und Erde gemacht, und das Meer und alles, was darinnen ist; und ruhete am siebenten Tage. Darum segnete der Herr den Sabbattag, und heiligte ihn.“ 

 

Der Zweck dieses Gebotes ist, dass wir eigenen Neigungen und Werken abgestorben, nach dem Reiche Gottes trachten, und in diesem Trachten 

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nach seiner Vorschrift uns üben sollen. Weil es aber einen eigentümlichen und von den übrigen ganz verschiedenen Gegenstand behandelt, so bedarf es auch einer besondern Erläuterung. Die Alten pflegen dies Gebot ein vorbildliches zu nennen, weil es sich auf die äußerliche Feier eines Tages bezieht, welche samt den übrigen Vorbildern durch die Erscheinung Christi ist aufgehoben worden. Das ist zwar richtig, erschöpft aber die Sache nur zur Hälfte. Man muss also bei der Erklärung dieses Gebotes noch etwas tiefer eingehen, und folgende drei Vorschriften in demselben unterscheiden. Der himmlische Gesetzgeber wollte nämlich zuerst unter der Feier des siebenten Tages, dem Volke Israel die geistige Ruhe abbilden, womit die Gläubigen von ihren Werken feiern sollen, um Gott in sich wirken zu lassen. Zweitens verordnete er einen Tag, an welchem sie, um das Gesetz zu hören, und die in demselben vorgeschriebenen äußern Übungen zu vollbringen, sich versammeln, oder den sie wenigstens der besondern Betrachtung seiner Werke widmen sollten zur Übung in der Frömmigkeit. Drittens wollte Gott den Knechten und denen, die unter Anderer Herrschaft stehen, einen Ruhetag gönnen, an welchem sie sich von der Arbeit erholen könnten. Dass der Sabbat vorzüglich ein Bild der geistigen Ruhe sein sollte, dafür haben wir vielfältige Beweise: Die Beobachtung fast keines Gebotes hat der Herr nachdrücklicher gefordert. 4. Mos. 15,22. etc. 2. Mos. 35,2.3. Jer. 17,21-27. Wenn er durch die Propheten verkündigen lassen will, dass alle Gottesfurcht von dem Volke gewichen sei, so ist die Klage darüber, dass seine Sabbate befleckt, geschändet, nicht gehalten, nicht geheiligt werden; gleich als wenn er, wo dies unterbleibet, nicht anders verehrt und verherrlicht werden könne. Dahingegen wird die Heiligung des Sabbats vor allen hoch gepriesen. Jes. 56,2-7. Darum freuten sich auch die Gläubigen über keine Offenbarung Gottes so sehr, als über die Einführung des Sabbats. Denn also sprechen die Leviten in einer feierlichen Versammlung der ganzen Gemeine nach Nehemias Bericht, Cap. 9,14.: „Herr Gott, du hast unsern Vätern deinen heiligen Sabbat kund getan, und hast ihnen Gebote, einen äußerlichen Gottesdienst und ein Gesetz durch Mose gegeben.“ Daraus sieht man, wie das Gebot der Sabbatfeier unter allen Vorschriften des Gesetzes ihnen besonders teuer und wert war. Dies alles dient zur Empfehlung des Geheimnisses, welches Moses und Ezechiel so wunderschön darstellen. So heißt es im zweiten Buch Mose, Cap. 31,13. 14,16.17.: „haltet meinen Sabbat, denn derselbe ist ein Zeichen zwischen mir und euch, auf eure Nachkommen, dass ihr wisset, dass ich der Herr bin, der euch heiliget. So haltet meinen Sabbat, denn er ist euch heilig. Darum sollen die Kinder Israel den Sabbat halten, und ihn feiern mit ihren Nachkommen; er ist ein ewiger Bund zwischen mir und den Kindern Israel und ein ewiges Zeichen.“ Noch weitläufiger redet davon Ezechiel, C. 20,12. etc., wovon der Hauptinhalt ist: „die Sabbate seien Israel zum Zeichen gegeben, daran sie erkennen sollten, dass Gott es sei, der sie heiligt.“ Besteht nun aber unsere Heiligung vornehmlich in der Tötung des Eigenwillens, so ist das äußere Zeichen dem höhern geistigen Segen, der dadurch abgebildet werden sollte, vollkommen ähnlich. Wir müssen gänzlich ruhen, damit Gott in uns wirke, nämlich von unserm Will- 

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len abstehen, unser Herz hingeben, allen Lüsten des Fleisches entsagen. Endlich feiern müssen wir von allen Werken des eigenen Sinnes, damit wir, wenn nun Gott in uns wirket, in ihm Ruhe finden, wie auch der Apostel sagt, Hebr. 4,8-11. Jenes stetige Feiern wurde den Juden durch die Feier des siebenten Tages vorgehalten, und damit er von ihnen recht heilig gehalten würde, empfahl ihn der Herr durch sein eigenes Beispiel. Denn für den Menschen ist es ein mächtiger Anreiz, wenn er weiß, dass er dem Vorgange des Schöpfers nachfolgt. Sucht man in der Zahl sieben eine geheimnisvolle Bedeutung; so ist sie, da sie in der Schrift die Zahl der Vollendung ist, allerdings nicht ohne Absicht gewählt, um stetige Fortdauer zu bezeichnen. Dafür stimmt auch, dass Moses mit dem siebenten Tage, an welchem der Herr von allen seinen Werken ruhte, die Beschreibung der Reihenfolge der Tage und Nächte beschließt. Nicht zu verwerfen ist auch eine andere Deutung dieser Zahl, dass nämlich der Herr die vollkommene Sabbatsruhe andeuten wollte, die erst mit dem letzten Tage beginnt. Diese fangen wir in diesem Leben schon an, und schreiten in derselben täglich fort; aber weil der Kampf mit dem Fleisch hier nicht aufhört, so wird sie nicht eher vollendet werden, als bis in Erfüllung gegangen ist, was Jesaias 66,23. sagt, dass sich Neumond an Neumond, Sabbat an Sabbat anschließt, wenn nämlich Gott alles in allen sein wird, 1 Kor. 15,28. Der Herr könnte also durch den siebenten Tag seinem Volke die Vollendung seines Sabbats in der Ewigkeit abgebildet haben, damit es nach derselben durch ununterbrochene geistige Sabbatsübung sein Lebenlang trachte. Sollte man diese Deutung der Zahl sieben, als gesucht und gekünstelt, verwerfen, so habe ich nichts dagegen, die einfachere Erklärung zu wählen: der Herr habe einen bestimmten Tag verordnet, damit sich das Volk an demselben unter der Zucht des Gesetzes in dem Trachten nach einer unwandelbaren geistigen Ruhe üben lerne; und zwar den siebenten Tag, weil Gott entweder diesen schon für genügend hielt, oder durch Vorhaltung seines Beispiels das Volk anlocken oder wenigstens daran erinnern wollte, dass der Sabbat ihm ein Mittel zur Vollendung seiner Ähnlichkeit mit seinem Schöpfer sein sollte. Nur vergesse man nicht, dass hier absonderlich die ewige Ruhe von unsern Werken abgebildet werde, worauf die Juden oft von den Propheten aufmerksam gemacht wurden, damit sie die Sabbatfeier nicht bloß auf die leibliche Ruhe beschränken möchten. Außer den bereits angeführten Stellen hören wir noch bei Jesaias 58,13.: „So du deinen Fuß von dem Sabbat kehrest, dass du nicht tust, was dir gefällt, an meinem heiligen Tage, und der Sabbat dir ein lieblicher, dem Herrn heiliger und geweihter Tag ist, so dass du ihn feierst durch Ruhe von deinen Werken, und an demselben nicht gefunden werde, was deinem Herzen gelüstet noch törichtes Geschwätz: dann wirst du gesegnet sein in dem Herrn etc.“ Jedoch ist offenbar alles, was hier äußerlicher Gebrauch war, durch die Zukunft Christi aufgehoben. Denn er ist die Wahrheit, vor deren Erscheinung alle Vorbilder verschwinden, der Körper, bei dessen Anblick man die Schatten verlässt. Er selbst ist die wahre Vollendung des Sabbats. Durch die Taufe mit ihm begraben, sind wir ihm einverleibt zur Teilnahme 

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an den Früchten seines Todes, so dass wir seiner Auferstehung teilhaftig, in einem neuen Leben wandeln. Röm.6,4.5. Deswegen sagt der Apostel, Kol. 2,16.17.: „der Sabbat sei der Schatten der zukünftigen Güter gewesen, aber der Körper selbst in Christo“, d. i. das eigentliche Wesen der Wahrheit, welche er daselbst trefflich entwickelt. Dieser genüget nicht ein Tag, sondern sie fordert unser ganzes Leben, bis wir uns selbst gänzlich abgestorben von Gottes Leben erfüllt werden. Unter Christen darf also keine abergläubische Unterscheidung der Tage herrschen. Die zwei letztern, im Gesetze enthaltenen, Vorschriften gehören jedoch nicht zu den Vorbildern des alten Bundes, sondern bleiben für alle Zeiten gültig: denn wenn auch der jüdische Sabbat abgeschafft ist, so müssen wir doch noch jetzt an gewissen Tagen uns gemeinschaftlich zu Anhörung des Wortes, zum heiligen Brotbrechen, und zum öffentlichen Gebet versammeln, desgleichen den Dienenden Erholung von der Arbeit gewähren. Dass der Herr beides durch das Gebot der Sabbatfeier beabsichtigte, leidet keinen Zweifel. Für das erstere zeugt schon genügend der Gebrauch bei den Juden. Das zweite bekräftigt Moses mit diesen Worten, 5 Mos. 5,14.15.: „auf dass dein Knecht und deine Magd ruhe, gleich wie du, denn du sollst bedenken, dass auch du Knecht in Ägypten warest“. Wiederum sagt er, 2 Mos. 23,12.: „auf dass dein Ochs und Esel ruhe, und deiner Magd Sohn sich erquicke“. Wer wollte es leugnen, dass beides uns eben so gelte, als den Juden? Auch die kirchlichen Zusammenkünfte werden uns in Gottes Wort geboten, und wie notwendig sie sind, erhellet genugsam aus der Erfahrung. Aber wie können sie ohne bestimmte Anordnung und Festsetzung gewisser Tage regelmäßig gehalten werden? Alles soll schicklich und ordentlich unter uns zugehen, wie der Apostel sagt, 1 Kor. 14,40.; das kann aber ohne jene Anordnung und Bestimmung nicht erreicht werden, da wenn solche aufgehoben würde, der Kirche Verwirrung und Untergang unvermeidlich bevorstände. Wenn wir einerlei Bedürfnisse mit den Juden haben, für welche der Herr den Sabbat verordnet hatte, so kann Niemand sagen, dass er uns nicht angehe. Denn der sorgsame und gütige Vater im Himmel berücksichtigte dabei ebenso unsere als der Juden Bedürfnisse. Man könnte sagen: warum versammeln wir uns nicht lieber täglich, um so den Unterschied der Tage aufzuheben? Möchte es nur geschehen! Die himmlische Weisheit verdiente es wohl, ihr täglich einen Teil unserer Zeit zu widmen. Aber wenn es die Schwachheit Vieler nicht zulässt, tägliche Zusammenkünfte zu halten, und wir auch von ihnen, ohne Lieblosigkeit, nicht mehr fordern können: warum wollten wir uns nicht in die Ordnung fügen, die von Gott uns angewiesen ist? Ich muss hier etwas umständlicher sein, weil wegen des Sonntags einige unruhige Geister in unsern Tagen viel Lärm erheben. Das Christenvolk klagen sie, werde durch die beibehaltene Feier gewisser Tage in dem Judentume erhalten. Ich behaupte dagegen, dass diese Tage ohne Judentum von uns gefeiert werden, und dass wir hierin uns von den Juden völlig unterscheiden. Denn wir feiern sie nicht mit der ängstlichsten Gewissenhaftigkeit als eine Ceremonie, durch welche uns ein geistiges Geheimnis vorgebildet werde, sondern nehmen sie als Mittel die kirchliche Ordnung 

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zu erhalten. Aber, erwidert man, Paulus sagt doch, Kol. 2,16.: es dürfe Niemand den Christen wegen Nichtbeobachtung der jüdischen Feiertage Vorwürfe machen, da sie nur ein Schatten des Zukünftigen waren. Er fürchtet deswegen, unter den Galatern vergeblich gearbeitet zu haben, weil sie sich noch an die Feier gewisser Tage hielten. Gal. 4,10.11. In dem Brief an die Römer 14,5. erklärt er es für Aberglauben, wenn Jemand zwischen den Tagen einen Unterschied mache. Aber wer könnte, außer jenen Schwärmern, den Sinn des Apostels verkennen? Nicht zur Erhaltung der kirchlichen Verfassung und Ordnung behielten sie die Feier jener Tage bei, sondern als Vorbilder geistiger Güter, und verdunkelten so die Herrlichkeit Christi und das Licht des Evangeliums. Von ihren Arbeiten ruhten sie nicht deswegen, weil diese die Erbauung und Andacht verhindern, sondern weil sie noch von Vorbildern geistiger Geheimnisse träumten. Gegen diese abergläubische Unterscheidung der Tage eifert der Apostel, nicht gegen eine solche Feier, welche den Frieden in der christlichen Kirche fördert. Dazu wurde in den von ihm gestifteten Gemeinden der Sabbat beibehalten; denn er empfiehlt den Korinthern, 1 Kor. 16,2., an diesem Tage eine milde Beisteuer für die armen Christen in Jerusalem zu sammeln. Besorgt man Aberglauben, so war dieser bei der Feier des jüdischen Sabbats mehr zu befürchten, als bei dem Sonntag der Christen: denn um Aberglauben zu verhüten, wurde jener abgeschafft, und dafür ein anderer Feiertag verordnet, wie es zur Erhaltung der Zucht, der Ordnung und des Friedens in der Kirche notwendig war. Absichtlich haben die Alten den Sonntag oder des Herrn Tag gewählt; denn da die wahre Ruhe, welche durch den jüdischen Sabbat vorgebildet wurde, in der Auferstehung des Herrn ihr Ziel und ihre Vollendung empfing, so erinnert schon dieser Tag, an welchem die Vorbilder ein Ende nahmen, die Christen, dem Schattenwesen nicht ferner zu huldigen. Übrigens halte ich die Feier des siebenten Tages nicht für unabänderlich notwendig in der christlichen Kirche, und tadle keine Gemeine, welche zu ihren gottesdienstlichen Versammlungen andere Tage wählt, wenn es nur ohne Aberglauben geschieht, bloß zur Erhaltung frommer Zucht und Ordnung. Die Hauptsache sei uns folgende: Wie den Juden unter Vorbildern die Wahrheit gegeben wurde, so wird sie uns ohne Schatten dargeboten: erstens, dass wir unser ganzes Leben als einen Sabbat betrachten und von unsern Werken feiern sollen, damit der Herr durch seinen Geist in uns wirke; zum andern, dass Alle durch fromme Betrachtung der Werke Gottes, so viel möglich, in der Stille sich erbauen, aber auch den kirchlichen Versammlungen fleißig beiwohnen, um das Wort zu hören, die Sakramente zu gebrauchen, und gemeinschaftlich zu beten; drittens, dass wir unsere Untergebenen nicht unmenschlich behandeln. So verschwinden die Possen der Lügenpropheten, die in vorigen Jahrhunderten dem Volke jüdische Grundsätze beibrachten, indem sie lehrten, dass nur das Ceremonielle in diesem Gebote, die Schätzung des siebenten Tages, wie sie es nannten, abgeschafft sei, das Moralische aber, nämlich die Feier eines Tages in der Woche, bestehe. Das heißt aber nichts weiter, als den Juden zum Verdruss die äußere Feier des Tages ändern, ihm aber fortan denselben Wert beilegen. 

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Auf diese Weise bliebe uns dieselbe geheimnisvolle Unterscheidung der Tage, wie sie bei den Juden stattfand. Welche verderbliche Folgen das aber habe, kann man bei denen sehen, die solchen Grundsätzen anhangen, denn diese begehen den Sabbat noch weit fleischlich gröber und abergläubischer, als die Juden, so dass die Strafrede des Jesaias 1,13. auf sie jetzt noch eben so passt, als auf die Zeitgenossen des Propheten. Übrigens ist hier wohl zu merken, dass wir die gottesdienstlichen Versammlungen, damit die Religion unter uns nicht versinke oder erschlaffe, fleißig besuchen, und überhaupt auch im Äußerlichen nichts fehlen lassen dürfen, was die Gottesverehrung erheben kann. 

 

DAS FÜNFTE GEBOT. 

„Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren, auf dass du lange lebest im Lande, das dir der Herr dein Gott gibt.“ 

 

Der Zweck dieses Gebots ist: es liegt Gott dem Herrn an der Aufrechthaltung seiner Ordnung, weshalb wir die von ihm ausgezeichneten Stände in Ehren halten müssen. Es schärft also überhaupt ein, allen unsern Vorgesetzten Ehrfurcht, Gehorsam und Dankbarkeit zu beweisen. Daraus folgt das Verbot, ihr Ansehn durch Unehrerbietigkeit, Ungehorsam und Undank herabzuwürdigen. Denn diese vielumfassende Bedeutung hat das Wort „Ehre“ in der Schrift. Wenn der Apostel z. B. sagt 1 Tim. 5,17.: „die Ältesten, welche ihr Vorsteheramt in der Gemeine gut verwalten, sind zwiefacher Ehre wert“ – so versteht er das nicht bloß von der ihnen schuldigen Ehrfurcht, sondern auch von der Belohnung, die ihnen für ihre Amtsführung gebührt. Weil sich aber gegen dieses Gebot des Gehorsams der Stolz des Menschen erhebt, der aufgeblasen von Hochmut sich ungern Andern unterwirft: so ward der von Natur liebenswürdigste und dem Neide am wenigsten ausgesetzte Hoheitsstand, nämlich der Eltern, als Muster ausgehoben, weil durch Anerkennung ihres Vorrangs unser Gemüt am leichtesten zu Gehorsam und Folgsamkeit erweicht und gewöhnt werden konnte. Durch dieses Gebot des leichtlich zu leistenden kindlichen Gehorsams sucht uns also der Herr allmählich zu jeder Art von Folgsamkeit zu gewöhnen, wozu überall gleiche Verbindlichkeit statt findet. Denn Allen, welchen er einen höhern Stand angewiesen, teilet er, sofern es nötig ist, um ihr Ansehen zu erhalten, seinen Namen mit. Die Benennungen „Vater, Gott, Herr“ – sollen, so oft wir sie hören, mit dem Gefühl der damit verbundenen Majestät unsere Herzen erfüllen. Die also dieselben führen, verherrlicht der Herr durch seinen Glanz, damit sie allesamt die ihrem Range zukommende Hochachtung empfahen. Also wer uns Vater ist, in dem haben wir etwas Göttliches anzuerkennen, weil er den göttlichen Ehren-namen nicht ohne Ursach trägt. Wer Fürst oder Herr ist, wird gewissermaßen der Gott schuldigen Ehre teilhaftig. Nach diesen Bemerkungen ist es unleugbar, dass der Herr hier die allgemeine Vorschrift erteilt, einem jeden, der nach göttlicher Ordnung unser Vorgesetzter ist, Ehrerbietung, Gehorsam, Dankbarkeit und was wir sonst ihnen schuldig sind, zu erweisen. Es macht keinen Unterschied, ob sie 

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würdig oder unwürdig sind, die zu einem solchen ausgezeichneten Range erhoben werden: denn mögen sie beschaffen sein, wie sie wollen, so sind sie doch nicht ohne Gottes Bestimmung zu der Würde gelangt, wegen welcher der Gesetzgeber selbst sie von uns geehrt haben will. Namentlich handelt das Gebot aber von der Ehrfurcht gegen die Eltern, durch welche wir dieses Leben empfingen, und dazu muss schon das natürliche Gefühl uns hinziehen. Denn Ungeheuer sind es, nicht Menschen, die das elterliche Ansehen durch Schmähung oder Trotz vernichten. Darum gebietet der Herr, alle halsstarrigen und ungehorsamen Kinder, als des Lebens unwürdig, zu töten, weil sie diejenigen vergessen, denen sie dasselbe verdanken. Aus einigen Zusätzen zu dem Gesetze lernt man, dass hier, wie schon bemerkt ist, absonderlich drei Pflichten eingeschärft werden, Ehrerbietigkeit, Gehorsam und Dankbarkeit. Die erste Pflicht macht der Herr unverletzlich, indem er dem die Todesstrafe androht, wer Vater oder Mutter flucht, 2 Mos. 21,17., 3 Mos. 20,9., vergl. Sprüchw. 20,20., 30,17., wo er also Beschimpfung und Misshandlung der Eltern verdammt. Die zweite Pflicht ist von derselben Drohung (5 Mos. 21,18-21.) an ungehorsame und widerspenstige Kinder begleitet. Zur dritten gehört, was Christus sagt, Matth. 15,4.: „Gott hat geboten, wir sollen den Eltern wohltun.“ Und so oft der Apostel dieses Gebot erwähnt, Eph. 6,1.3., Kol. 3,20., erinnert er, dass in demselben Gehorsam gefordert werde. Dem Gebote ist eine Verheißung beigefügt, um uns zu erinnern, wie sehr diese uns gebotene Folgsamkeit Gott wohlgefällig sei. Ein solcher Stachel unsere Trägheit zu erwecken ist es, wenn Paulus sagt Ephes. 6,7.: „das sei das erste Gebot, das die Verheißung habe“. Denn die der ersten Gesetztafel vorangestellte Verheißung bezieht sich nicht auf ein Gebot, sondern auf das ganze Gesetz. Die gegenwärtige ist so zu verstehen: der Herr redet insbesondere zu den Israeliten von dem Lande, das er ihnen als Erbteil zugesichert hatte. War also der Besitz dieses Landes das Unterpfand der göttlichen Huld: so dürfen wir uns nicht wundern, wenn der Herr seine Gnade durch die Zusage eines langen Lebens verkündigen wollte, da dieses zu einem langen Genusse seiner Wohltaten verhalf. Der Sinn dieses Gebotes ist also: „ehre Vater und Mutter, auf dass du lange im Besitze des Landes bleibst, welches du zum Beweise meiner Gnade erhalten wirst“. Weil indessen die ganze Erde für die Gläubigen gesegnet ist, so zählen wir mit Recht das gegenwärtige Leben unter die Segnungen Gottes. Deswegen bezieht sich diese Verheißung auch auf uns, in sofern nämlich die lange Lebensdauer hienieden uns ein Zeugnis der göttlichen Güte ist. Denn langes Leben wird eben so wenig uns, als früherhin den Juden in dem Sinne verheißen, als ob es eine Seligkeit an sich enthielte, sondern weil es den Frommen ein Zeichen göttlicher Langmut zu sein pflegt. Wenn daher ein gehorsames Kind in früher Jugend stirbt, wie es oft geschieht: so macht der Herr dennoch seine Verheißung so wahr, als wenn er Jemanden mit hundert Morgen Landes beschenkte, dem er nur einen versprochen hatte. Der Haupt-punkt, worauf wir hiebei zu merken haben, besteht darin, dass langes Leben nur in so weit verheißen wird, als es ein Segen Gottes ist, dass es aber ein Segen sei, in sofern es ein Beweis 

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der göttlichen Gnade ist, welche er in dem Tode seinen Knechten noch unendlich herrlicher bezeugt und durch die Tat selbst erweiset. Indem der Herr in dem gegenwärtigen Leben solchen Kindern Segen verheißt, die ihre Eltern gebührend ehren, so verkündigt er dagegen allen widerspenstigen und ungehorsamen Kindern den Fluch, und damit die Vollziehung nicht fehle, belegt er sie in seinem Gesetze mit der Todesstrafe. Wenn sie der Strafe der weltlichen Obrigkeit entgehen, so ahndet er selbst an ihnen den Ungehorsam auf vielfältige Weise: denn viele derselben kommen im Kriege oder Streithändeln um, andere geraten in schwere Drangsale; aber fast an allen haben wir den Beweis, dass es mit jener Drohung ernstlich gemeint sei. Wenn auch einige ein hohes Alter erreichen, so darf man nicht glauben, dass sie des Segens teilhaftig werden, der frommen Kindern verheißen ist: denn von Gottes Segen ausgeschlossen, quälen sie sich durch das Leben, und werden für desto schwerere Strafen in der Zukunft aufbewahrt. Aber auch das muss im Vorbeigehen bemerkt werden, dass wir ihnen nicht anders als in dem Herrn gehorchen sollen; wie aus dem zuvor dargelegten Grunde leichtlich erhellt. Denn sie herrschen auf der Stelle, zu welcher der Herr sie erhob, nur durch die ihnen erteilte Gemeinschaft an seiner Ehre. Es darf ihnen also kein anderer Gehorsam bewiesen werden, als der zur Verherrlichung des himmlischen Vaters gereicht. Wollen sie uns daher zur Übertretung des göttlichen Gesetzes überreden, so können wir sie nicht mehr als unsere Eltern ansehen, sondern als Fremde, die uns von dem Gehorsam abzubringen suchen, den wir dem wahrhaftigen Vater im Himmel zu leisten verbunden sind. Ebenso verhält es sich auch mit Fürsten, Herren und allen Obern. Denn unwürdig und widersinnig wäre es, wenn ihre Erhebung zur Verminderung der Ehre Gottes sich geltend machen wollte, da jene von dieser unabhängig, uns eben zu dieser hinleiten soll. 

 

DAS SECHSTE GEBOT. 

„Du sollst nicht töten.“ 

 

Der Zweck dieses Gebotes ist: da Gott das Menschengeschlecht zu einer Art von Einheit verbunden hat, so muss die Erhaltung Aller einem jeden am Herzen liegen. Es wird uns also jede Gewalttat und jeder Frevel, überhaupt alles untersagt, was dem Leben unseres Nächsten schädlich werden kann, und dagegen geboten, zur Erhaltung seines Lebens nach unserem besten Vermögen beizutragen, seine Ruhe und Zufriedenheit zu befördern, Schaden von ihm abzuwenden, in Nöten und Gefahren ihm Hilfe und Beistand zu leisten. Beherzigen wir, dass Gott der Gesetzgeber also rede, so werden wir erkennen, dass er durch diese Vorschrift unsere Seelen regieren wolle. Denn es wäre offenbar lächerlich, zu glauben, dass der, welcher unsere Gedanken erforscht, und vornehmlich auf das Herz siehet, bei der Anweisung zur wahren Frömmigkeit nur den äußern Menschen berücksichtige. Er untersagt uns in diesem Gebote also auch den Totschlag des Herzens, und gebeut die innere Neigung das Leben des Bruders zu erhalten. Zwar die Hand gebiert den Mord, aber die Seele, von Zorn 

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und Hass ergriffen, empfängt ihn. Kannst du gegen deinen Bruder zürnen, ohne von Begierde ihm zu schaden zu entbrennen? Ohne Zorn kein Hass; denn Hass ist nichts anders, als eingewurzelter Zorn. Magst du ihn verbergen; wo Zorn oder Hass ist, da wohnt die boshafte Neigung. Jede Ausweichung entkräftet des Geistes Ausspruch (1 Joh. 3,15.): „wer seinen Bruder hasse, sei ein Totschläger“. Und Christus lehrt (Matth. 5,22.): „wer mit seinem Bruder zürne, sei des Gerichts: wer zu seinem Bruder sage: Racha, sei des Rats; wer aber sage: du Narr, des höllischen Feuers schuldig“. Die Schrift führt einen doppelten Rechtsgrund an, worauf dieses Gebot beruhet: der Mensch ist Gottes Bild, und unser Fleisch. Wollen wir nun das Ebenbild Gottes nicht verderben, noch alles menschliche Gefühl verleugnen: so müssen wir auch jenen heilig halten und wie unser eigenes Fleisch ihn achten. Von der Verpflichtung, welche aus der Erlösung und Gnade Christi herfließt, wird nachher (im 3. u. 4. Buch) die Rede sein. Der Herr hat gewollt, dass wir, der Natur gemäß, jene beiden benannten Stücke in dem Menschen beachten, die uns anleiten, ihm wohlzutun, nämlich dass wir in einem jeden sein ihm eingeprägtes Ebenbild ehren und unser eigen Fleisch lieben. Derjenige ist also noch nicht von Blutschuld frei, der kein Blut vergossen hat. Wenn du etwas unternimmst und vollbringst, wünschest und beschließest, was der Wohlfahrt deines Nächsten entgegen ist, bist du des Totschlages schuldig. Ferne wenn du solche nicht, wie und wo du kannst, zu befördern suchst, so ist auch diese Härte Übertretung des Gesetzes. Haben wir aber für die Erhaltung und Beförderung des leiblichen Wohls Anderer so große Sorge zu tragen: so erhellet daraus, wie viel unsererseits zum Heile ihrer Seele geschehen müsse, welche in Gottes Augen einen unendlich höhern Wert hat. 

 

DAS SIEBENTE GEBOT. 

„Du sollst nicht ehebrechen.“ 

 

Der Zweck dieses Gebotes ist: weil Gott Keuschheit und Reinheit liebt, so sollen wir alle Unreinigkeit von uns ferne sein lassen. Es verbietet also jede Befleckung und unordentliche Lust des Fleisches, und gebietet Keuschheit und Enthaltsamkeit in allen Dingen. Namentlich wird aber Hurerei, zu welcher alle Lust hinneigt, verboten, damit wir an diesem Laster, dessen Hässlichkeit auch durch Befleckung des Leibes äußerlich sichtbar wird, alle Lüste verabscheuen lernen. Der Mensch ist so geschaffen, dass er nicht ein einsames Leben führen, sondern fremder Hilfleistung sich bedienen soll. Durch den Fluch der Sünde ist ihnen dieses ein noch dringenderes Bedürfnis geworden. Diesem hat aber der Herr durch Anordnung des Ehestandes sattsam abgeholfen, und solche Verbindung, wenn wir nach seinem Willen sie schließen, mit seinem Segen geheiligt. Daraus ergibt sich, dass auf jeder andern Verbindung außer der Ehe Gottes Fluch ruhet, und dass der Ehestand von ihm als Mittel verordnet sei, um den Ausbruch 

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unordentlicher Lüste zu verhindern. Ferne sei also jede Beschönigung, da wir hören, dass eine Vermischung des Mannes mit dem Weibe außer der Ehe ohne Gottes Fluch nicht stattfinden könne. Da nun sowohl die Beschaffenheit unserer Natur als die nach dem Sündenfall erwachte Fleischeslust die eheliche Verbindung für alle notwendig macht, welche Gottes besondere Gnade nicht davon ausgenommen hat; so mag ein jeglicher sehen, was ihm gegeben ist. Ehelosigkeit ist nicht zu verwerfen; aber weil sie einigen versagt, andern nur eine Zeitlang vergönnt ist: so mögen diejenigen, welche von fleischlichen Begierden gequält werden, und dieselben nicht unterdrücken können, zur Ehe schreiten, um so auf dieser Stufe ihres Berufs einen züchtigen Wandel zu führen. Denn die, welche dieses Wort nicht fassen, und ihrer Unenthaltsamkeit nicht auf diese Weise abzuhelfen suchen, widerstreben Gott und seiner Ordnung. Es wende mir hier Niemand ein, wie es heut zu Tage von vielen geschieht, dass man mit Gottes Hilfe alles vermöge. Denn Gottes Beistand haben nur diejenigen, welche in seinen Wegen wandeln, d. i. wie der Herr sie berufen hat. Diesem Berufe entziehen sich aber alle, welche die angebotene göttliche Hilfe verschmähen, und in törichter Vermessenheit versuchen, ihre sinnlichen Begierden zu bekämpfen. Dass Enthaltsamkeit eine besondere Gabe Gottes sei, und nicht allen, sondern nur wenigen Christen zugeteilt werde, versichert unser Herr selbst, wenn er spricht (Matth. 19,11.12.): „Manche enthalten sich des Ehestandes um des Himmelreichs willen“, d. h. um desto ungestörter und freier für das Himmelreich wirken zu können. Aber damit man nicht glaube, dass solche Enthaltsamkeit in des Menschen Vermögen stehe, hatte er kurz vorher gesagt: „nicht alle seien dazu fähig, sondern nur die, denen es vom Himmel vorzugs-weise gegeben ist“. Und so schließt er mit den Worten: „Wer es fassen kann, der fasse es“. Noch deutlicher schreibt Paulus (1 Kor. 7,7): „Ein jeglicher habe seine eigene Gabe von Gott, einer sonst, der andere so“. Da solche deutliche Aussprüche der Schrift beweisen, dass nicht ein jeglicher ohne Ehe die Keuschheit bewahren könne, wie eifrig er sich auch darum bemühet, sondern nur Einige durch die besondere Gnade des Herrn es vermögen, um desto ungestörter sein Werk zu fördern: so widerstreben wir Gott und seiner Ordnung, wenn wir bei der Wahl zwischen dem ehelosen und ehelichen Stande nicht unsere Kräfte berücksichtigen. Hier untersagt der Herr Hurerei, und fordert also von uns Reinheit und Keuschheit. Um dieser Forderung zu genügen, hat jeder seine Fähigkeit zu prüfen. Niemand verachte geradezu den Ehestand als etwas Nutzloses und Überflüssiges, Niemand wähle die Ehelosigkeit, außer wenn er des Weibes entbehren kann. Auch muss uns dazu nicht die Schwäche der sinnlichen Triebe nach Gemächlichkeit bestimmen, sondern allein der Gedanke, dass wir frei von diesem Bande desto ungehinderter Gott dienen können. Und weil diese Wohltat vielen nur auf eine Zeitlang vergönnt ist, so darf der Mensch nicht länger unverehelicht bleiben, als er dazu tüchtig ist. Kann er seine sinnlichen Begierden nicht mehr beherrschen, so erkenne er darin einen Aufruf zur Ehe, der abseiten des Herrn an ihn ergeht. Diese Beziehung hat die Ermahnung des Apostels (1 Kor. 7,2.9.): „Zur Vermeidung der 

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Hurerei habe ein jeglicher sein eigen Weib, und ein jegliches Weib habe ihren eigenen Mann“ – und in einer andern Stelle: „Wer zur Enthaltsamkeit nicht geschickt ist, der möge im Namen des Herrn den Ehebund schließen“. Zuerst beschuldigt er die meisten Menschen der Unenthaltsamkeit, und darnach fordert er ohne Ausnahme jeden von diesen auf, durch die eheliche Verbindung sich vor der Unkeuschheit zu sichern. Machen also die Unenthaltsamen von diesem Mittel, ihren Leidenschaften zu steuern, keinen Gebrauch: so ist das ein strafbarer Ungehorsam gegen die Ermahnung des Apostels. Und halte sich keiner etwa deswegen für frei von Unkeuschheit, weil er kein Weib berührt hat, wenn dagegen sein Herz von Lust entbrennt; denn die Keuschheit besteht nach Paulus in Reinheit zugleich des Leibes und der Seele. Die Jungfrau, welche nicht freiet – sagt er (1 Kor. 7,34.) – „besorget, was dem Herrn angehöret, dass sie heilig sei beides am Leibe und auch am Geiste“. Zur Bekräftigung obiger Behauptung sagt er nicht bloß, es sei besser, sich zu verehelichen, als sich mit Hurerei beflecken, sondern sich verehelichen sei besser, als Brunst leiden. Bedenken Gatten ferner, dass die Ehe ein von dem Herrn geheiligter Stand ist, so liegt darin für sie eine Warnung, dieselbe durch unmäßige und zügellose Lust nicht zu beflecken. Zwar verbirgt die eheliche Verbindung alle Wollust vor den Augen der Welt; aber das darf uns keinesweges reizen, ihr uns ohne Scheu zu ergeben. Darum müssen Ehegatten nicht glauben, dass ihnen alles erlaubt sei, sondern sie müssen ehrbar bei einander wohnen, und nichts sich verstatten, was diesen heiligen Stand entweihet. Mäßigkeit und Züchtigkeit geziemt dem in dem Herrn geschlossenen Ehebunde, nicht aber Ausschweifung und Wollust. Ambrosius (Anm.: In der Schrift de philosophia, die Augustin zitiert in seinem Buch contra Julianum) bezeichnet solche Zuchtlosigkeit mit einem harten, aber nicht unangemessenen Ausdruck, wenn er den, welcher in der Ehe Zucht und Scham außer Augen setzt, einen Ehebrecher seines Weibes nennt. Endlich dürfen wir nicht vergessen, welcher Gesetzgeber die Hurerei verdammt, nämlich er, der uns ganz zu seinem Eigentum haben muss, und mit Recht Reinheit der Seele und des Leibes von uns fordert. Indem er also Hurerei verwirft, so untersagt er zugleich, durch wollüstigen Anzug unzüchtige Gebärden und Worte der Keuschheit Anderer Schlingen zu legen. Denn was Archelaus (griechischer Philosoph) zu einem üppig und wollüstig gekleideten Jünglinge sagt: „Es sei einerlei, an welchem Teile des Leibes er als Weichling sich zeige“ – ist ganz wahr, wenn wir auf Gott sehen, der an aller Befleckung, sie mag an der Seele oder am Körper sich zeigen, einen Abscheu hat. Dass Niemand daran zweifle, so bedenke man, dass der Herr hier Keuschheit fordere. Fordert er diese, so verdammt er zugleich alles, was ihr entgegen ist. Wollen wir also Gehorsam üben: so darf die Seele nicht von innerer Lust entbrennen, die Augen nicht lüstern nach dem Verbotenen schauen, der Leib nicht kupplerisch sich schmücken und gebärden, die Zunge nicht durch unflätige Worte zu gleichen Lüsten locken, und der 

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Gaumen durch Unmäßigkeit solche nicht entflammen. Denn alle die Verderbtheiten sind gleichsam Flecken, welche die reine Keuschheit besudeln. 

 

DAS ACHTE GEBOT. 

„Du sollst nicht stehlen.“ 

 

Der Zweck dieses Gebotes ist: weil Gott Ungerechtigkeit verabscheut, so sollen wir einem Jeden das Seinige lassen und geben. Verboten wird also die Begierde nach fremdem Eigentume, und geboten, für die Erhaltung desselben eifrige Sorge zu tragen. Denn hier muss uns der Gedanke leiten: was Andere besitzen, haben sie nicht durch ein Ungefähr, sondern aus der gütigen Vaterhand des Herrn über alles erhalten; gegen ihn und die göttliche Ordnung übet man also Betrug, wenn man sich an des Nächsten Vermögen vergreift. Es gibt aber mehrere Arten von Diebstahl. Dazu gehört: gewaltsamer Einbruch und Raub, arglistiger Betrug, der Andere in die Falle lockt, versteckte List und Tücke zur Beeinträchtigung des Nächsten unter dem Scheine des Rechts, Schmeicheleien, wodurch man Schenkungen erschleicht. Um jedoch bei Aufzählung der mancherlei Diebereien nicht zu lange zu verweilen, erinnere ich, dass alle Kunstgriffe und Ränke, durch welche Menschen, die ihren Nächsten, statt aufrichtig zu lieben, hintergehen, und auf seinen Schaden denken, sein Geld und Gut an sich zu bringen wissen, als Diebstahl anzusehen sind. Mögen sie im gerichtlichen Streit gewinnen, vor Gott werden sie anders gerichtet. Er kennt die Ränke, womit der Verschlagene die truglose Einfalt umstrickt und in sein Netz ziehet. Er siehet die harten Auflagen und Gesetze, wodurch Obrigkeiten die Untertanen unnatürlich belasten und zur Verzweiflung bringen. Er siehet die Tücke, womit der Arglistige den Einfältigen, wie mit Angeln, anködert. Er weiß alles, was oft der Kenntnis des weltlichen Richters entgeht. Und solches Unrecht findet nicht bloß statt in Geld, Waren, Äckern; sondern in eines jeden Recht. Schon in dem Falle handeln wir betrüglich an den Nächsten, wenn wir ihm die schuldigen Dienstleistungen verweigern. Verringert ein Verwalter seines Herrn Vermögen durch Nachlässigkeit und Verwahrlosung der Wirtschaft; veruntreuet oder verschwendet ein Haushalter die ihm anvertrauten Güter; erlaubt sich ein Diener gegen seinen Herrn Frechheit, plaudert er seine Geheimnisse aus, oder tut er irgend etwas, was dem Leben und Wohlstande desselben schadet; behandelt der Herr dagegen das Gesinde hart und unmenschlich: so ist er in Gottes Augen des Diebstahls schuldig. Denn derjenige begeht einen Eingriff in die Rechte Anderer, der das nicht leistet, was er nach seinem Berufe andern schuldig ist. Der Forderung dieses Gebotes geschieht also ein Genüge, wenn wir erstens, zufrieden mit dem uns beschiedenen Lose, nur erlaubten Gewinn suchen, uns nicht auf eine unrechtmäßige Weise bereichern, des Nächsten Wohlstand nicht zerstören, um den unsrigen zu vergrößern, Andern ihren sauer erworbenen Verdienst nicht abpressen, noch endlich unter den Seufzern und Verwünschungen der Armut, auf alle ersinnliche Weise, auch durch unerlaubte und sündliche Mittel, Reichtümer zusammen scharren, um ent- 

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weder unsere Habsucht oder Verschwendung zu befriedigen. Dagegen müssen wir aber auch zweitens jedermann, nach unserem besten Vermögen, durch Rat und Tat sein Eigentum zu sichern suchen, und wenn wir mit treulosen und arglistigen Menschen zu tun haben, lieber von dem Unsrigen etwas aufopfern, als uns mit ihnen in Streit einlassen. Wenn wir drittens den Nächsten in Not und Verlegenheit sehen, so müssen wir uns seiner annehmen, und von unserem Überflusse seinem Mangel abhelfen. Endlich sei jeder der besondern Verpflichtung eingedenk, die er in seinen Verhältnissen gegen Andere zu beobachten hat, und erfülle sie treu und redlich. So ehre das Volk die Obrigkeit, unterwerfe sich willig ihrer Herrschaft, gehorche ihren Gesetzen und Befehlen, und verweigere ihr keinen Dienst, welchen er unter Gottes Beistande leisten kann. Wiederum sorge die Obrigkeit eifrigst für die Wohlfahrt des ihrer Leitung anvertrauten Volkes, erhalte die öffentliche Ruhe, beschütze die Guten, bestrafe die Bösen, und gedenke stets an die Rechenschaft, die sie einst Gott von der Verwaltung ihres Amtes zu geben hat. Die Diener der Kirche müssen ihr Lehramt treu und gewissenhaft verwalten, und die Lehre des Heils nicht verfälschen, sondern lauter und rein dem Volke Gottes verkündigen. Aber nicht bloß lehren und ermahnen müssen sie, sondern auch ihren Gemeinen durch einen frommen Lebenswandel vorleuchten, und der Herde wohl vorstehen als treue Hirten. Das christliche Volk betrachte die Lehrer der Kirche dagegen als Gottes Diener und Boten, erweise ihnen die Ehre, welcher sie der himmlische Lehrer gewürdigt hat, und sorge für ihren anständigen Unterhalt. Eltern müssen ihre Kinder, die Gott ihrer Sorge anvertraut hat, ernähren, erziehen und unterrichten lassen, aber dieselben nicht durch all zu große Strenge gegen sich erbittern, und aus ihren Herzen die kindliche Liebe verdrängen, sondern sie zärtlich lieben, mit schonender Nachsicht zurecht weisen, und mit mildem Ernst strafen, wie es sich für ihren Stand geziemt. Welche wichtige Pflichten Kinder den Eltern schuldig sind, ist bei Erklärung des fünften Gebotes gezeigt. Die Jugend muss das Alter ehren, wie es Gottes Wille ist. Die Alten sollen, bei ihrer mehr gereiften Weisheit und größern Erfahrung, die unerfahrene Jugend beraten, warnen und leiten, aber nie mit harten Schmähworten, sondern immer mit Freundlichkeit und Leutseligkeit zurechtweisen. Diener müssen ihren Herren willigen und freudigen Gehorsam leisten, nicht mit Augendienerei, sondern mit Herzensdienst, als die Gott dienen. Herrschaften sollen ihre Dienstleute nicht mit eigensinniger Willkür und unfreundlichem Stolze, noch mit Härte und Verachtung behandeln, sondern sie vielmehr als Brüder und Mitknechte des himmlischen Herrn betrachten, denen sie Liebe und menschliche Behandlung schuldig sind. Auf diese Weise mache sich jeder mit den Pflichten bekannt, die er nach seinem Stande und Berufe dem Nächsten schuldig ist, und erfülle sie mit gewissenhafter Treue. Dazu ist erforderlich, dass man auf den Gesetzgeber siehet, welcher uns vorschreibt, so gesinnt zu sein, unser Tun und Lassen so einzurichten, dass die Wohlfahrt Anderer dadurch erhalten und befördert wird. 

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DAS NEUNTE GEBOT. 

„Du sollst kein falsches Zeugnis reden wider deinen Nächsten.“ 

 

Der Zweck dieses Gebotes ist: da Gott als der Wahrhaftige die Lüge verab-scheut, so sollen wir alle Heuchelei ablegen, und uns der Wahrhaftigkeit unter einander befleißigen. Es wird also verboten, durch Verleumdungen und falsche Beschuldigungen die Ehre und den guten Namen des Nächsten zu verletzen, durch Lügen ihm Schaden zuzufügen, oder durch Lästerung und freche Schmähsucht ihn zu kränken. In diesem Verbot liegt das Gebot, jedermann, so fern wir vermögen, in Behauptung der Wahrheit zur Erhaltung seines guten Namens und seiner Wohlfahrt, treulich Hilfe zu leisten. Es scheint, als wenn der Herr des Gebotes Sinn mit diesen Worten habe erklären wollen (2 Mos. 23,1.7.): „Du sollst falscher Anklage nicht glauben, dass du einem Gottlosen Beistand tuest und ein falscher Zeuge seiest. Sei ferne von falschen Sachen“. – Und wiederum: „Halte dich fern von der Lüge“. In einer andern Stelle (3 Mos. 19,16.) wird uns das Lügen auch auf die Art verboten, dass wir keine Verleumder und Ohrenbläser unter dem Volke sein, und unsern Bruder nicht hintergehen sollen. Über beides sind ausdrückliche Verbote vorhanden. Wie der Herr in den vorhergehenden Geboten Härte, Unkeuschheit und Habsucht untersagte, so warnt er hier vor der Falschheit, die in zwiefacher Gestalt sichtbar wird. Denn wir vergreifen uns entweder an dem guten Namen des Nächsten durch Lästerung und Verleumdung, oder wir entziehen ihm zeitliche Vorteile durch Lüge und gehässigen Tadel. Es ist aber ganz gleich, ob wir hier an ein feierliches Zeugnis vor Gericht oder an solche Aussagen denken, die wir in unsern täglichen Gesprächen tun. Denn wir dürfen nicht vergessen, dass nur ein einziges Laster als Beispiel aufgestellt wird, nach welchem die übrigen zu beurteilen sind, und zwar dasjenige, dessen Schändlichkeit am meisten einleuchtet. Wir müssen jedoch das Gebot allgemeiner fassen, und es auch auf die Verleumdungen und falschen Beschuldigungen beziehen, wodurch wir dem Nächsten schaden: denn das gerichtliche falsche Zeugnis ist immer ein Meineid; wiefern durch diesen aber Gottes heiliger Name entweihet wird, davon ist bei Erklärung des dritten Gebotes die Rede gewesen. Es wird also hier die Vorschrift eingeschärft, durch Wahrhaftigkeit den guten Ruf des Nächsten zu sichern, und sein Bestes zu befördern. Die Billigkeit dieser Forderung leuchtet ein: denn ist der gute Name ein köstlicheres Gut, als Silber und Gold, so ist es kein geringeres Verbrechen den Menschen seines unbescholtenen Rufs, als seiner Glücksgüter zu berauben. Selbst aber Geld und Gut verlieren wir oft nicht minder durch falsches Zeugnis, als durch Raub und Diebstahl. Um so mehr muss man sich wundern, wie hierin so sorglos gesündigt wird, so dass deren sehr wenige sind, die nicht an dieser Krankheit leiden. Wir freuen uns der vergifteten Süßigkeit, die Fehler Anderer aufzusuchen und zu offenbaren. Und Keiner glaube, deswegen genügend gerechtfertigt zu sein, weil wir nur nicht lügen: denn er, welcher verbietet, den Namen des Nächsten durch Lügen zu schänden, will auch, dass derselbe durch 

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Wahrhaftigkeit unbefleckt erhalten werde. Mag er allerdings nur gegen die Lüge ihn in Schutz nehmen, so gibt er eben darin doch zu erkennen, dass dieser ihm teuer sei. Darin aber liegt eine starke Aufforderung für uns, des Nächsten Ehre zu retten und zu befördern. Deswegen wird offenbar alle Lästerung für verdammlich erklärt. Unter Lästerung verstehe ich jedoch nicht den Tadel, welcher Besserung beabsichtigt; nicht die Anklage und Anzeige vor Gericht, durch die man sich vor der Bosheit schützt; nicht den öffentlichen Verweis, der andere Übeltäter vom Bösen abschrecken soll: nicht die offene Erklärung an solche, deren Wohlfahrt Warnung erheischt, damit sie nicht durch Unwissenheit in Gefahr kommen, sondern jede gehässige Beschuldigung, welche aus Bosheit und Verkleinerungs-sucht entspringt. Nicht minder untersagt das Gebot auch beißenden Witz und bittern Scherz, wodurch Anderer Gebrechen, wie zur Belustigung, bissig bespöttelt werden, wie es gewöhnlich von denen geschieht, die sich zur Beschämung oft auch zum Seufzen ihres Nächsten, als angenehme Gesellschafter geltend zu machen suchen, ohne zu bedenken, wie schmerzhaft die Brüder oft durch solche Frechheit verwundet werden. Wenn wir nun auf den Gesetzgeber blicken, dem nicht minder die Herrschaft über unsere Ohren und Herzen, als über unsere Zunge zusteht; so werden wir auch leicht erkennen, dass es eben so sehr verboten sei, verleumderische Reden begierig anzuhören, und argen Urteilen unser Herz zuzuwenden. Denn es wäre wahrlich lächerlich, zu glauben, dass Gott zwar die Lästerzunge hasse, aber Bosheit des Herzens nicht verwerfe. Wenn also wahre Furcht und Liebe Gottes in uns ist, so müssen wir keinen Schmäh- und Spottreden weder Mund noch Ohr leihen, noch scheelem Argwohn das Herz öffnen, sondern wie die christliche Liebe es erfordert, die Reden und Handlungen anderer Menschen aufs Beste auslegen, und mit unserm Urteil, Ohren und Zunge ihnen ihre Ehre treulich bewahren. 

 

DAS ZEHNTE GEBOT. 

„Laß dich nicht gelüsten deines Nächsten Hauses laß dich nicht gelüsten deines Nächsten Weibes, noch seines Knechts, noch seiner Magd, noch seines Ochsen, noch seines Esels, noch alles, was dein Nächster hat.“ 

 

Der Zweck dieses Gebotes ist: da Gott Liebe von ganzem Herzen von uns fordert, so sollen wir jede Begierde, welche der Nächstenliebe entgegen ist, aus unserm Herzen verdrängen. Es verbietet also, auch nur den leisesten Gedanken und die kleinste Lust, die nach dem Schaden des Nächsten trachtet, in unser Herz kommen zu lassen. Darin ist dies Gebot enthalten: was wir denken, beschließen, wollen und aussinnen, muss dem Wohlsein Anderer förderlich sein. Aber hier tritt eine, dem Anscheine nach, große und verwickelte Schwierigkeit ein. Denn wenn die obige Erklärung richtig ist, dass unter „Hurerei und Diebstahl“ – jede wollüstige Begierde und der Vorsatz, zu schaden und zu betrügen, verboten wird: so könnte es unnötig scheinen, dass uns nochmals besonders eingeschärft wird, nicht fremdes Eigentum zu begehren. Aber diese Schwierigkeit lässt sich leicht lösen, wenn man zwischen „Vorsatz“ und „Lust“ gehörig unterschei- 

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det. Denn „Vorsatz“ bezeichnet in dem Sinne, wie das Wort bei Erklärung der vorhergehenden Gebote gebraucht ist, einen mit Überlegung gefassten Willen, wo die Begierde die Seele unterjocht hat. „Lust“ kann ohne solche Überlegung und Zustimmung der Seele stattfinden, wenn der Anblick eitler und sündlicher Dinge das Herz reizt und locket. Wie der Herr also bis daher gebot, sich von der Nächstenliebe bei seinen Entschließungen, Unternehmungen und Handlungen leiten zu lassen: so schärft er hier ein, dass auch alle unsere Neigungen mit derselben übereinstimmen müssen, damit keine sündlichen Begierden in uns erwachen, die das Gemüt davon abziehen. Wie er verbot, dem Zorn, dem Hasse, der Hurerei, dem Diebstahl und der Lüge uns zu ergeben: so untersagt er hier den Reiz und das Gelüsten. Nicht ohne Absicht fordert Gott eine solche Rechtschaffenheit: denn wer mag es für eine unbillige Forderung halten, dass unser Herz ganz mit Liebe erfüllt sein soll? Wer es für gesund erklären, wo es von der Bahn der Liebe abweicht? Und woher kommt es, dass Begierden in dir erwachen, die deinem Bruder zum Nachteil sind, als daher, weil du nicht auf ihn, sondern nur auf dich allein siehest. Denn beseelte der Geist der Liebe unser ganzes Herz, so würde kein Teil desselben solchen Gelüsten offen stehen. Ihm mangelt also die Liebe, so lange noch eine Lust darin wohnet. Wendet jemand ein, dass Gedanken, welche in der Seele entstehen und wieder verschwinden, doch billiger Weise nicht gleich den Lüsten, die im Herzen wohnen, für verwerflich erklärt werden können: so antworte ich, dass hier von solchen Gedanken die Rede sei, welche, in der Seele erscheinend, zugleich das Gemüt mit Begierden erfüllen und beunruhigen; da die Seele nichts wünschen kann, ohne dass auch das Herz entflammt wird. Eine solche wunderbare Glut der Liebe fordert also Gott, die nicht das geringste Gewirr des Gelüstes umschlinge, ein solches wunderbarlich geordnetes Herz, das auch nicht der kleinste Stachel gegen das Gebot der Liebe reize. Zu dieser Erkenntnis öffnete mir zuerst Augustinus (Anm.: Man vergl. epist. 200 ad Asellicum. – quaest. 83. gegen Ende. – In Ps. 118 et 143. – Homil. 45. – Retract. lib. 1. c. 5. – Lib. de continentia c. 8.) den Weg, auf dass es meiner Behauptung nicht an gewichtigem Zeugnisse gebreche. Obwohl nun der Herr jede böse Lust verbeut, so macht er doch solche Dinge beispielshalber namhaft, welche unsere Begierde vornehmlich reizen, um ihr jeden Gegenstand zu entziehen, indem er dasjenige gegen sie verwahrt, wonach sie am meisten strebt und gelüstet. Siehe, so lehrt die zweite Gesetztafel uns alle Pflichten, die wir von Gottes wegen, in dessen Anschauung das ganze Wesen der Liebe beruhet, gegen die Menschen zu beobachten haben. Diese Erkenntnis des Gesetzes nützt aber nichts, wenn ihr nicht die Gottesfurcht zum Grunde liegt. Dass nun diejenigen, welche aus diesem Gebote wider das Gelüsten zwei Gebote machen, mit Unrecht trennen, was ursprünglich ein Ganzes war, sieht der kundige Leser ohne mein Erinnern. Die Wiederholung der Worte: „laß dich nicht gelüsten“ – beweiset nichts. Denn nachdem er das Haus genannt hat, zählt er dessen Teile auf mit 

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dem Weibe beginnend. Daraus erhellet zu Genüge, dass wir diese Worte, wie die Hebräer, in ihrer natürlichen Verbindung lassen müssen, und dass Gott überhaupt gebietet, wir sollen uns nicht bloß jedes Unrechts, Schadens und Betruges enthalten, sondern auch nicht das geringste Gelüste in unserm Herzen dulden.

 

VON DER ERLÖSUNG DURCH CHRISTI BLUT. 

 

Mit ganz klaren Worten bezeugen auch die Apostel, dass Christus zu unserer Befreiung von der Schuld des Todes das Lösegeld bezahlt habe. So sagt Paulus (Röm. 3,24.25.): „Wir werden gerechtfertigt aus seiner Gnade, durch die Erlösung, die in Christo ist, welchen Gott zu einem Gnadenstuhl dargestellt hat, durch den Glauben in seinem Blut“. Die Gnade Gottes preiset hier der Apostel, weil er in dem Tode Christi das Lösegeld gegeben hat, und ermuntert uns dann, unsere Zuflucht zum Blute Christi zu nehmen, damit wir, der Gerechtigkeit teilhaftig, getrost vor Gottes Richterstuhl erscheinen können. Den nämlichen Sinn haben die Worte des Petrus (1 Petr. 1,18.19.): „Wir sind nicht mit Silber oder Gold erlöset, sondern mit dem teuren Blut Christi, des unbefleckten Lammes“. Dieser Gegensatz würde nicht passen, wenn nicht für unsere Sünden mit diesem Lösegeld genug getan wäre; weshalb auch Paulus sagt, dass wir teuer erkauft sind. 1 Kor. 6,20. Desselben Apostels Wort (1 Tim. 2,5.6.): „Ein Mittler, welcher sich zur Erlösung gegeben hat“ – würde eben so wenig in Kraft bleiben, wenn nicht die Strafe, die wir verschuldet hatten, auf ihn übergetragen wäre. Darum nennt dieser Apostel (Eph. 1,7.) die Erlösung durch Christi Blut die Vergebung der Sünden, und will sagen, dass wir gerechtfertigt oder freigesprochen werden vor Gott, weil dieses Blut zur Genugtuung vollgültig ist. Dem entspricht eine andere Stelle (Kol. 2,14.): „Am Kreuz ist die Handschrift vernichtet, die wider uns war“; wo von einer Bezahlung oder Ersatz unserer Schuld die Rede ist. Einen wichtigen Beweis enthalten auch die Worte Pauli (Gal. 2,21.): „Wenn durch das Gesetz die Gerechtigkeit kommt, so ist Christus vergeblich gestorben“. Denn daraus ersiehet man, dass wir bei Christo suchen müssen, was das Gesetz gewähren würde, wenn es jemand erfüllen könnte, oder, was dem gleich ist, dass wir durch Christi Gnade empfangen, was Gott unsern Werken im Gesetz verheißen hat (3 Mos. 8,5. Gal. 3,12.): „Wer das tut, der wird dadurch leben“. Dasselbe bekräftigt er in der zu Antiochien gehaltenen Predigt mit eben so deutlichen Worten (Apostelgesch. 13,38.39.): „Durch den Glauben an Christum werden wir gerechtfertigt von allen Sünden, von denen wir durch das Gesetz Mose nicht losgesprochen werden konnten“. Denn bestehet die Gerechtigkeit in der Beobachtung des Gesetzes: wer kann es dann leugnen, dass Christus, indem er für uns dieser schweren Forderung ein Genüge tat, und uns Gott so versöhnte, als hätten wir das Gesetz erfüllt, die Gnade uns verdient habe? In dieser Beziehung schreibt er auch im Briefe an die Galater 4,4.: 

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„Gott sandte seinen Sohn, und unterwarf ihn dem Gesetze, damit er die, welche unter dem Gesetz waren, erlösete“. Aus welchem andern Grunde aber wurde er unter das Gesetz getan, als um uns die Gerechtigkeit zu erwerben, indem er erfüllte, was wir nicht zu leisten vermochten? Daher jene Zurechnung der Gerechtigkeit ohne Werke, wovon Paulus sagt, dass uns die Gerechtigkeit zugerechnet werde, welche allein in Christo gefunden wurde. Aus keinem andern Grunde wird auch der Leib Christi unsere Speise genannt (Röm. 4,5.6.), weil wir in ihm das Leben haben. Diese Kraft kommt aber nur deshalb von ihm, weil er, der Sohn Gottes, um uns die Gerechtigkeit zu erwerben, gekreuzigt wurde, wie Paulus in den Worten bezeuget (Joh. 6,55.): „Er hat sich selbst dargegeben für uns Gott zum süßen Geruch“. – Und dann: „Er ist um unserer Sünden willen gestorben, und zu unserer Rechtfertigung auferwecket“. Daraus geht hervor, dass uns durch Christum nicht bloß die Seligkeit erworben, sondern dass der Vater um seinetwillen nun uns gnädig ist. Denn unleugbar ist in ihm die Verheißung völlig erfüllet, die Gott durch Jesaias unter Vorbildern verkündigen ließ (Eph. 5,2.): „Um meinetwillen und um meines Knechts David willen werde ich helfen“. Zu diesen Worten liefert der Apostel die Erklärung, wenn er spricht (Röm. 5,24.): „Es werden euch die Sünden vergeben durch seinen Namen“. Denn obgleich Johannes Christum nicht ausdrücklich nennt, so bezeichnet er ihn doch, seiner Gewohnheit nach, durch das Fürwort „autos“, d. i. „er selbst“. In diesem Sinne spricht auch unser Herr (Kap. 37,35.): „Wie ich lebe um des Vaters willen, so werdet auch ihr leben um meinetwillen“. Hiermit stimmt überein, was Paulus sagt (1 Joh. 2,12. vergl. Apostelgesch. 10,43.): „Euch ist um Christi willen die Gnade zu Teil geworden, dass ihr nicht allein an ihn glaubt, sondern auch um seinetwillen leidet“. 

 

VOM HEILIGEN GEISTE. 

 

Mit den herrlichsten Namen bezeichnet die Schrift den Geist da, wo von dem Ursprung und von der Wiederherstellung unseres Heils die Rede ist. Zuerst wird er genannt der Geist der Kindschaft, Röm. 8,15.; denn er ist für uns ein Zeuge der freien göttlichen Gnade, mit welcher uns Gott in seinem geliebten Sohne umfasst hat, auf dass er uns ein Vater wäre; er gibt uns auch Vertrauen, zu ihm zu beten, er legt uns die Worte in den Mund, so dass wir beherzt ausrufen: Abba, lieber Vater. Gal. 4,6. Eben darum wird er auch genannt ein Pfand und Siegel unserer Erbschaft, 2 Kor. 1,21.; denn er macht uns, die wir in dieser Welt wallen und den Toten ähnlich sind, vom Himmel herab so lebendig, dass wir fest überzeugt sind, dass unter Gottes getreuem Schutze unser Heil ganz gesichert sei; daher wird auch gesagt, dass er das Leben sei um der Gerechtigkeit willen. Röm. 8,10. Weil er uns aber durch seine geheimnisvolle Befeuchtung fruchtbar macht, um die Früchte der Gerechtigkeit zu tragen, so wird er öfters ein Wasser genannt; so beim Propheten Jesaias, Jes. 

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55,1.: „Alle, die ihr durstig seid, kommet her zum Wasser;“ ferner, Jes. 44,3.: „ich will meinen Geist ausgießen über die Durstigen, und Wasserströme über die Dürren;“ womit der Spruch Christi übereinstimmt, Joh. 7,37.: „So Jemand dürstet, der komme zu mir.“ Zuweilen heißt er auch so wegen seiner Kraft zu reinigen und zu säubern; wie beim Ezechiel, wo der Herr reines Wasser verheißt, womit er sein Volk von der Unreinigkeit waschen wolle. Ezech. 36,25. Weil er aber diejenigen, welche er mit dem Saft seiner Gnade begossen hat, wieder kräftig in's Leben bringt, und sie darin erhält, so empfängt er davon den Namen Öl und Salbung. 1 Joh. 2,20.27. Weil er hingegen unsere verderbte Lust beständig ausbrennt und unsere Herzen zur Gottseligkeit entzündet, so wird er ein Feuer genannt. Luk. 3,16. Endlich wird er uns beschrieben als ein Born, woraus alle himmlischen Schätze uns zufließen; oder als eine Hand Gottes, Joh. 4,14., Apostelg. 11,21., wodurch er seine Macht ausübt, weil er durch den Anhauch seiner Kraft uns das göttliche Leben so einflößt, dass wir nun nicht von uns selbst getrieben, sondern durch seine Wirkung und Regung regiert werden, so, dass wo etwas Gutes in uns ist, dies eine Frucht seiner Gnade ist, unsere Tugenden aber ohne ihn nichts als Finsternis des Verstandes und Verkehrtheit des Herzens sind. Durch den Geist allein verbindet Christus sich mit uns zu jenem heiligen Ehebund, wodurch wir Fleisch von seinem Fleisch, Bein von seinen Gebeinen, ja Eins mit ihm werden. Durch desselben Geistes Kraft und Gnade werden wir zu seinen Gliedern gemacht, so, dass er uns in sich vereiniget und zusammen hält, wir dagegen ihn besitzen. Ephes. 5,30. Gleichwie aber der Glaube sein vornehmstes Werk ist, so führt er uns auch durch diesen allein zu dem Licht des Evangeliums, wie Johannes lehrt, Joh. 1,12, dass denen, die an Christum glauben, dieser Vorzug verliehen sei, dass sie Gottes Kinder seien, als die nicht aus Fleisch und Blut, sondern aus Gott geboren seien. Es ist also ein übernatürliches Gnadengeschenk, wenn wir Christum im Glauben annehmen, da wir sonst im Unglauben stecken bleiben würden. Diesem entspricht auch, was Christus dem Petrus antwortet, Matth. 16,17.: „Fleisch und Blut hat dir solches nicht geoffenbaret, sondern mein himmlischer Vater“. In dieser Beziehung sagt Paulus: dass die Epheser versiegelt worden seien mit dem Geist der Verheißung, Ephes. 1,13.; denn er ist ein innerlicher Lehrer, durch dessen Wirkung die Verheißung des Heils in unsere Herzen eindringt, da sie sonst nur die Luft oder unsere Ohren treffen würde. Wenn er ferner sagt, 2 Thess. 2,13.: dass die Thessalonicher von Gott in der Heiligung des Geistes und im Glauben der Wahrheit erwählt worden seien: so zeigt er durch diese Zusammenstellung, dass der Glaube nicht anders woher komme, als nur vom Geist. Noch klarer spricht dies Johannes aus, 1 Joh 3,24.: Wir wissen, dass er in uns bleibet, an dem Geiste, den er uns gegeben hat. Darum verheißet Christus seinen Jüngern, damit sie der himmlischen Weisheit fähig sein möchten, den Geist der Wahrheit, den die Welt nicht kann empfangen, Joh. 14,17, und schreibt ihm dies eigene Amt zu, das, was er selbst mündlich gelehrt hatte, einzugeben oder in Erinnerung zu bringen; wie denn freilich den Blinden vergeblich das Licht schiene, wenn 

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nicht der Geist des Verständnisses die Augen des Gemütes eröffnete: so, dass man ihn mit Recht einen Schlüssel nennen kann, womit die Schätze des Himmelreiches aufgeschlossen werden, und seine Erleuchtung ist das Gesicht unserer Seele. Darum rühmt Paulus das Amt des Geistes so hoch, 2 Kor. 3,6.: denn die Lehrer würden ohne Nutzen rufen, wenn nicht Christus, der innerliche Lehrer, durch seinen Geist diejenigen zu sich zöge, die ihm vom Vater gegeben sind. Gleich wie also in der Person Christi das vollkommene Heil gefunden wird, so tauft er uns, damit wir desselben teilhaftig werden, mit dem heiligen Geist und mit Feuer, indem er uns zum Glauben an sein Evangelium erleuchtet, uns durch die Wiedergeburt zu neuen Kreaturen macht, uns von aller Besudelung reinigt und zu Gott geheiligten Tempeln weihet. Luk. 3,16. 

 

VOM GLAUBEN. 

 

So wie wir nur dann, wenn wir von Gottes Geist gezogen werden, zu Christo gelangen können, so werden wir, wenn er uns zieht, mit unserem Sinn und Gemüt über unsere eigene Vernunft empor gehoben. Denn die von ihm erleuchtete Seele bekommt gleichsam einen neuen Scharfsinn, um die himmlischen Geheimnisse betrachten zu können, von deren Glanz sie früher nur geblendet wurde. Und der so von dem Lichte des heiligen Geistes erleuchtete Verstand fängt dann erst an, die Dinge, die zum Reiche Gottes gehören, zu schmecken, da er vorhin viel zu töricht und unverständig war, dieselben zu fassen. Darum mussten auch die Apostel, obwohl sie aus dem göttlichen Munde Christi belehrt waren, dennoch den Geist der Wahrheit empfangen, der dieselbe Lehre ihnen einflößte, die sie mit den Ohren vernommen hatten. Joh. 16,13. Das Wort Gottes ist gleichsam die Sonne, welche Allen leuchtet, denen es gepredigt wird; jedoch den Blinden ohne Frucht. Wir sind aber von Natur in diesem Stücke Alle blind; darum kann dasselbe erst dann in den Verstand eindringen, wenn der Geist als innerlicher Lehrer durch seine Erleuchtung die Bahn dazu macht. Wenn daher Paulus vom Geist des Glaubens redet, 2 Kor. 4,13., so versteht er darunter nichts anders als den Glauben selbst, der uns vom heiligen Geist geschenkt wird, den wir also von Natur nicht besitzen. Darum bittet er auch, 2 Thess. 1,11., dass Gott in den Thessalonichern erfülle all sein Wohlgefallen und das Werk des Glaubens in der Kraft; und noch anderswo sagt er ausdrücklich, dass der Glaube nicht an menschlicher Weisheit hange, sondern gegründet sei in der Kraft des Geistes. 1 Kor. 2,4. Darnach ist noch übrig, dass das, was der Verstand gefasst hat, in's Herz gegossen werde. Denn es ist das Wort Gottes noch nicht im Glauben angenommen, wenn es oben im Gehirn schwebet: sondern wenn es unten tief im Herzen Wurzel gefasst hat, so, dass es eine unüberwindliche Festung ist, um allerhand Versuchungen auszuhalten und zurück zu treiben. Es erscheinet also die Kraft des göttlichen Geistes noch viel einleuchtender in solcher Befestigung des Herzens, als in der Erleuchtung des Verstandes, weil die 

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Zweifelsucht des Herzens viel größer ist als die Blindheit des Verstandes, und es schwerer ist, das Herz zu versichern, als dem Verstande etwas zu erkennen zu geben. Der heilige Geist ist also gleichsam ein Spiegel, um dieselben Verheißungen, von denen er früher den Verstand überzeugt hat, in unsern Herzen zu versiegeln, oder ein Pfand, um dieselben zu bekräftigen und zu bestätigen. Nachdem ihr geglaubt habt (spricht der Apostel), seid ihr versiegelt worden mit dem heiligen Geist der Verheißung, welcher ist ein Pfand unsers Erbes, Ephes. 1,13.; und anderswo: Der uns gesalbet hat, das ist Gott, der uns auch versiegelt und das Pfand des Geistes in unsere Herzen gegeben hat. 2 Kor. 1,22. Hienach ist der Glaube eine feste und sichere Erkenntnis der gnädigen Gesinnung Gottes gegen uns, welche, auf die Wahrheit der Gnadenverheißung Gottes in Christo gegründet, durch den heiligen Geist unserm Verstande geoffenbart und unsern Herzen versiegelt wird. Der Glaube ist also kein bloßer Beifall, womit man die Heilslehre annimmt, ohne sich übrigens der Gottesfurcht und Gottseligkeit zu befleißigen, sondern eine besondere Gabe des heiligen Geistes, der uns durch denselben ein Zeuge der Kindschaft Gottes ist; wie denn schon der Anfang des Glaubens die Versöhnung in sich schließt, wodurch der Mensch einen Zugang zu Gott hat. Und wenn Paulus sagt, dass wenn man von Herzen glaube, man gerecht werde, Röm. 10,10; so beweist dies ja, dass der Glaube mehr eine Gesinnung als eine Einsicht, und mehr eine Sache des Herzens als des Kopfes ist. Und da der Glaube Christum ergreift, wie er uns von dem Vater angetragen wird, nämlich nicht allein zur Rechtfertigung, sondern auch zur Heiligung: so kann Niemand recht an ihn glauben, ohne sich auch von seinem heiligen Geist heiligen zu lassen. Auch die Gottlosen können eine gewisse Erkenntnis Gottes haben, welche Glaube heißt; es gibt aber nach der Schrift nur einen einzigen Glauben der Gottseligen. Es glauben gewiss sehr Viele, dass ein Gott sei, ja halten die Schrift in allen ihren Teilen für eine untrügliche göttliche Offenbarung, verachten auch nicht ganz und gar ihre Gebote, und werden durch ihre Drohungen und Verheißungen einigermaßen bewegt, und leisten ihr einen gewissen äußern Gehorsam. Solchen Leuten gibt man wohl das Zeugnis, dass sie einen Glauben haben; aber doch nur uneigentlich; denn es ist ja weiter nichts als ein Schatten oder Bild des Glaubens, welches von keinem Wert ist und den Namen Glaube nicht verdient, und vom wahren Wesen desselben unendlich weit entfernt ist. Denn, was solches auch immer für eine Annahme des Evangeliums sein mag, so dringet sie doch nicht durch zum Herzen, so, dass sie in demselben fest eingewurzelt bleibe, und lebendig werde. Indem sie aber einen gewissen Geschmack an dem Worte Gottes bekommen und dasselbe begierig annehmen, auch dessen göttliche Kraft einigermaßen empfinden: so betrügen sie mit diesem falschen Schein von Glauben nicht allein Andere, sondern auch sich selbst, und bereden sich, dass jene Ehrfurcht, die sie dem Evangelio zollen, die wahre Gottseligkeit selbst sei: weil sie meinen, es gebe keine andere Gottlosigkeit, als nur die offenbare Schmähung und Verachtung des göttlichen Worts; denn das menschliche Herz ist voll Eitelkeit, Lügenhaftigkeit, Heuchelei und Selbstbetrug. 

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Die, welche sich eines solchen leeren Schattens von Glauben rühmen, sollen wissen, dass sie in diesem Stücke nichts voraus haben vor den Teufeln, welche auch wohl glauben, dass ein Gott sei, aber zittern. Jak. 2,19. In den Erwählten allein lebt und webt jenes Vertrauen, vermöge dessen sie aus vollem Munde rufen dürfen: Abba, lieber Vater. Gal. 4,6. Sie sind es, welche der heilige Geist durch den unvergänglichen Samen des göttlichen Wortes auf ewig wiedergebiert, und in denen er die Gnade der Kindschaft und die Vergebung der Sünden kräftig versiegelt, so dass sie dieselbe durch einen besondern lebendigen und beharrlichen Glauben sich zueignen. Damit sich also nicht anstatt des wahren Glaubens eine fleischliche Sicherheit bei uns einschleiche, so müssen wir uns demütig und sorgfältig prüfen, ob wir auch jenen Glauben haben, der die Kinder Gottes von den Ungläubigen unterscheidet, durch den wir Gott als unsern Vater anrufen, durch den wir vom Tode ins Leben dringen, und durch den Christus, das ewige Heil und Leben, in uns wohnt. Wenn wir den Glauben eine Erkenntnis nennen, so verstehen wir nicht eine solche Vorstellung, wie man sich von Dingen zu machen pflegt, die mit den Sinnen wahrgenommen werden können. Denn er ist so viel höher, dass des Menschen Geist sich über sich erheben und emporschwingen muss, um ihn zu erreichen. Und selbst dann, wenn er ihn erreicht hat, so begreift er doch nicht, was er erkennt; sondern da er überzeugt ist von dem, was er nicht fasset, so sieht er durch die Gewissheit der Überzeugung mehr ein, als wenn er etwas Menschliches mit eigener Fassungskraft begriffe. Darum redet Paulus davon, Ephes. 3,18., dass man die alle Erkenntnis übersteigende Liebe Christi erkennen müsse. Wiewohl aber diese Art von Erkenntnis über alle natürliche Einsicht weit emporragt, so fehlt es ihr doch nicht an Gewissheit, weil Gott seinen Heiligen das verborgene Geheimnis seiner gnädigen Gesinnung gegen sie offenbart hat: weshalb auch Johannes sagt, dass die Gläubigen wissen, dass sie Kinder Gottes sind. 1 Joh. 3,2. Und wahrlich, sie wissen es gewiss: wiewohl sie mehr durch Überzeugung, welche die göttliche Wahrheit in ihnen gewirkt, bestärkt, als durch natürliche Beweise belehrt worden sind. Gleich wie sich aber der Glaube an einer zweifelhaften und wandelbaren Meinung nicht genügen lässt, so ist er auch nicht zufrieden mit einer dunkeln und verwirrten Vorstellung, sondern eine vollkommene und feste Gewissheit verlangt er, wie die von erfahrenen und bewährten Dingen zu sein pflegt. Denn in unsern Herzen ist der Unglaube so tief eingewurzelt, dass wir nicht ohne harten Kampf das für gewiss halten, was doch Jedermann bekennt, nämlich, dass Gott getreu sei. Besonders wenn es zum Treffen kommt, dann offenbart Jedermanns Wanken das Laster, welches früher verborgen war. Darum verteidigt nicht ohne Ursache der heilige Geist das Ansehen des göttlichen Worts mit so herrlichen Lobpreisungen. Er will uns dadurch von dieser Krankheit heilen, damit wir den Verheißungen Gottes vollkommen Glauben schenken. Die Rede Gottes, spricht David, ist wohl geläutert, sie ist ein Schild Allen, die darauf trauen. Ps. 18,31. Hievon handelt fast der ganze hundert neunzehnte Psalm. Gewiss, so oft uns Gott sein Wort so hoch rühmet, schilt er zugleich unsern Unglauben, 

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und will die verkehrten Zweifel aus unserm Herzen ausrotten. Es gibt auch sehr viele, welche Gottes Barmherzigkeit so auffassen, dass sie sehr wenig Trost davon empfangen. Denn sie werden zugleich von jämmerlicher Angst gemartert, indem sie zweifeln, ob er ihnen werde gnädig sein. Sie ziehen nämlich seine Güte in viel zu enge Grenzen, indem sie zwar erkennen, dass dieselbe groß und überflüssig und über viele ausgegossen sei, und allen bereit und offen stehe: aber es für ungewiss halten, ob dieselbe auch bis zu ihr gelangen oder vielmehr ob sie zu ihr gelangen werden. Dies stimmt aber nicht überein mit der in der heiligen Schrift angedeuteten Vollkommenheit des Glaubens, welche die Güte Gottes außer allen Zweifel stellt, und uns ihre Süßigkeit innerlich wahrhaft empfinden und erfahren lässt. Daher sagt Paulus, dass wir durch Christum eine Freudigkeit und Zugang haben in Zuversicht durch den Glauben an ihn. Ephes. 3,12. Dies ist das wichtigste Stück im Glauben nicht, dass wir die vom Herrn uns angetragene Verheißungen seiner Barmherzigkeit allein außer uns, nicht aber in uns für wahr halten, sondern dass wir sie vielmehr mit herzlichem Vertrauen uns zueignen. Daraus wächst denn endlich diejenige Zuversicht, welche auch Friede genannt wird, Röm. 5,1., und welche in einer ruhigen und heitern Sicherheit des Gewissens vor dem Gerichte Gottes besteht, und ohne welche dasselbe von ungestümen Schrecken hin und her getrieben wird. Überhaupt, keiner ist wahrhaft gläubig, als nur der, welcher es für ganz gewiss hält, dass Gott sein gnädiger Vater sei, und von seiner Gnade sich Alles verspricht: nur der, welcher sich auf die Verheißungen der göttlichen Güte fest verlässt und sein Heil unbezweifelt von ihr erwartet: nur der, welcher seiner ewigen Seligkeit gewiss dem Teufel und der Welt mutig Trotz bietet. Ich bin gewiss, spricht Paulus, Röm. 8,38., dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Fürstentum, noch Gewalt, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die da ist in Christo Jesu, unserm Herrn; und anderswo, 2 Timoth. 1,12.: Ich weiß an wem ich glaube, und bin gewiss, dass er mir meine Beilage bewahren wird bis an jenen Tag. Jedoch ist hier keine solche Gewissheit des Glaubens gemeint, welche von keinem Zweifel beunruhigt, noch auch eine solche Sicherheit, welche von keiner Bekümmernis angefochten werde; vielmehr haben die Gläubigen einen beständigen Kampf mit ihrem eigenen Unglauben auszuhalten. Aber wie hart sie auch geängstigt werden, so fallen sie doch von der gewissen Zuversicht, die sie zu der Barmherzigkeit Gottes gefasst haben, nicht ab. Darum spricht David, Ps. 42,6. 27,15.: Was zagest du meine Seele, und warum bist du unruhig in mir? Hoffe auf Gott! und anderswo: Harre auf den Herrn, sei unverzagt; er wird dein Herz stärken! Denn so wie das die eigene Strafe des Unglaubens ist, also zu erzittern, dass man sich in der Anfechtung von Gott wegwendet, anstatt sich ihm gläubig zu nahen: so richten dagegen die durch die Anfechtung niedergebeugten Gläubigen sich beständig wieder empor, wenn auch mit Beschwerden und Anstrengung, und beten mit dem Propheten: Nimm das Wort der Wahrheit nimmermehr von meinem Munde. Ps. 119,53. Es zeigt sich also hier ein Zwiespalt des Fleisches und Geistes, wornach ein gottseliges Gemüt zum Teil durch die Erkennt- 

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nis der göttlichen Güte lieblich ergötzt, zum Teil durch das Gefühl seines Elends bitter geängstigt wird; zum Teil auf die Verheißung des Evangeliums sich verlässt, zum Teil durch das Zeugnis seiner Ungerechtigkeit zum Zagen gebracht wird; zum Teil durch Ergreifung des Lebens sich freut, zum Teil vor dem Tode erschreckt. Dieser Wechsel entsteht aus der Unvollkommenheit des Glaubens, weil wir es in diesem Leben nie so weit bringen, dass wir, von allem Misstrauen geheilt, mit dem Glauben ganz erfüllt und eingenommen werden. Wir werden aber doch darum des Glaubens nicht ganz beraubt; vielmehr überwindet derselbe endlich jene Anfechtungen, die ihn umringen und bedrohen, und windet sich tapfer durch dieselben durch. Sobald uns nur das allerkleinste Tröpflein des Glaubens in unser Gemüt eingetröpfelt ist, fangen wir schon an, das Angesicht Gottes als sanft und freundlich und uns gnädig anzuschauen; zwar von ferne und von weitem; aber mit so sicherm Blick, dass wir wissen, dass wir nicht irren. Und je mehr wir vorwärts schreiten, desto näher kommen wir auch seinem Angesichte, desto gewisser wird es uns, und desto vertrauter werden mit ihm. Wenn also auch das Gemüt, welches mit der Erkenntnis Gottes erleuchtet ist, im Anfang noch mit viel Unwissenheit umhüllet ist, so verschwindet dieselbe doch allmählich, auch wird das Gemüt durch solche Unwissenheit oder Dunkelheit nicht verhindert, die Gesinnung Gottes gegen sich klar zu erkennen; welches im Glauben das erste und wichtigste Stück ist; und bekommt über Gottes Barmherzigkeit so viel Licht, als zur gründlichen Versicherung erforderlich ist. Wenn daher der Apostel auf der einen Seite sagt, 1 Kor. 13,9., dass wir hier nur stückweise erkennen und durch einen Spiegel schauen in einen dunkeln Ort, und hiemit anzeigt, welch ein kleines Maß von göttlicher Weisheit uns in dem gegenwärtigen Leben verliehen werde: so sagt er doch auch auf der andern Seite, dass wir durch das Evangelium die Klarheit Gottes mit aufgedecktem Angesicht und ohne Vorhang so kräftiglich anschauen, dass wir in dasselbe Bild verklärt werden. 2 Kor. 3,18. In solche Decken der Unwissenheit mengt sich viel Zweifeln und Zagen, da unser Herz schon an und für sich seiner Natur nach zum Aberglauben geneigt ist. Dazu kommen noch mancherlei Anfechtungen, in dem besonders das von der Last der Sünden niedergedrückte Gewissen klagt und sich selbst straft. So bietet dann der Unglaube alles auf, um den Glauben darnieder zu werfen, und stellt zu dem Ende uns Gott als unsern Widersacher vor, von dem wir nichts Gutes zu hoffen, vielmehr Alles zu fürchten hätten. Um nun solche Stürme auszuhalten waffnet und schützt sich der Glaube mit dem Worte des Herrn. Und wenn die Versuchung uns vorhalten will, Gott sei auf uns erzürnt, und also unser Feind: so hält er dagegen, dass er auch dann, wann er uns züchtiget, noch barmherzig sei, weil die Züchtigung mehr von der Liebe, als vom Zorn herrühre. Wenn er aber von dem Gedanken zerschlagen wird, dass Gott ein Rächer der Ungerechtigkeit sei: so setzt er die Vergebung entgegen, welche jedem Sünder angeboten wird, so oft er im Gefühl seines Sündenelends zur Barmherzigkeit Gottes seine Zuflucht nimmt. So wird ein christliches Gemüt nicht allein aus allen Kämpfen siegreich hervorgehen, sondern auch durch dieselben noch immer fester im Vertrauen werden. Ein Beweis hie- 

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von ist dies, dass die Heiligen dann, wenn es ihnen vorkommt, als würden sie von der Rache Gottes am schwersten heimgesucht, dennoch ihre Klagen zu ihm richten, und dann, wenn es am wenigsten scheint, als ob sie Erhörung zu hoffen hätten, nichts desto weniger ihn anrufen. Denn sie würden es sich ja nicht in den Sinn kommen lassen, ihm zu klagen, wenn sie keinen Trost von ihm zu erlangen hofften; oder ihn anzurufen, wenn sie nicht glaubten, dass er ihnen helfen würde. Daher sagt Hiob, Hiob 13,15.: „Wenn mich der Herr auch töten wollte: so will ich dennoch auf ihn hoffen.“ Und David spricht: „Wenn ich auch wandle im Schatten des Todes, so fürchte ich doch kein Unglück, denn du bist bei mir“, Ps. 23,4. Paulus nennt den Glauben einen Schild, womit wir alle feurigen Pfeile des Bösewichts auslöschen können. Ephes. 6,16. Ja Johannes bezeugt, 1 Joh. 5,4., dass unser Glaube der Sieg sei, der die Welt überwindet. Will endlich der Feind dadurch dem Gläubigen sein Heil zweifelhaft machen, dass er ihm vorhält, er sei der Gnade Gottes in Christo unwürdig: so verwahrt er sich dagegen mit Folgenden: Freilich, wenn ich auf mich selbst sehe, so ist meine Verdammnis gewiss, weil mir aber Christus mit allen seinen Gütern so mitgeteilet ist, dass Alles, was sein ist, mein werde, dass ich sein Glied, ja Eins mit ihm werde: so bedeckt seine Gerechtigkeit meine Sünde; sein Heil tilgt meine Verdammnis ganz aus; er tritt mit seiner Würdigkeit ins Mittel, dass meine Unwürdigkeit nicht vor Gottes Angesicht komme. Ich kann und soll also Christum mit unbeschränktem Vertrauen umfassen. Daher sagt Paulus: „Der Leib ist zwar tot um der Sünde willen, aber der Geist Christi, der in euch wohnt, ist das Leben um der Gerechtigkeit willen.“ Röm. 8,10. 

 

VON DER HOFFNUNG DES GLAUBENS. 

 

Selig ist das Volk, dessen der Herr ein Gott ist, das Volk, welches er sich zum Erbteil erwählet hat. Die vorzüglichste Versicherung des Glaubens aber besteht in der Hoffnung der ewigen Seligkeit, welche durch Gottes Wort außer allen Zweifel gesetzt ist. Wo nur der lebendige Glaube stattfindet, da hat er auch diese Hoffnung zur unzertrennlichen Begleiterin, und ohne sie kann er gar nicht sein. Denn da der Glaube eine feste Überzeugung von der Wahrheit Gottes ist, so fehlt es nicht, dass diejenigen, welche die Verheißungen Gottes für wahr halten, auch erwarten, dass er dieselben in Erfüllung bringen werde, so, dass also die Hoffnung nichts anders ist als eine Erwartung der Dinge, von denen der Glaube wahrhaft glaubt, dass sie von Gott verheißen sind. Der Glaube glaubt, dass Gott wahrhaftig sei; die Hoffnung erwartet, dass er zur rechten Zeit seine Wahrheit in Erfüllung gehen lassen werde. Der Glaube glaubt, dass Gott unser Vater sei; die Hoffnung erwartet, dass er sich allezeit als ein Vater gegen uns erweisen werde. Der Glaube glaubt, dass uns ewiges Leben von Gott geschenkt sei; die Hoffnung erwartet, dass dasselbe einst offenbar werde. Der 

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Glaube ist der Grund, auf dem die Hoffnung beruht; die Hoffnung nährt und erhält den Glauben. Denn so wie Niemand etwas von Gott erwarten kann, als nur der, welcher zuvor seinen Verheißungen glaubt: so muss auch wiederum die Schwachheit unsers Glaubens durch geduldiges Hoffen und Harren unterstützt und gekräftigt werden, damit er nicht ermüdet zusammen sinke. Mit Recht stellt also Paulus unser Heil in die Hoffnung. Röm. 8,24. Denn indem dieselbe mit Schweigen des Herrn harret, so hält sie den Glauben an, dass er nicht durch zu großes Eilen dahin stürze; sie bekräftigt ihn, dass er bei Gottes Verheißungen nicht wanke, oder an der Wahrheit derselben zu zweifeln anfange; sie erfrischt ihn, dass er nicht müde werde; sie richtet seinen Blick auf das Ziel, damit er nicht mitten im Lauf dahin schwinde. Endlich macht sie durch stetes Erfrischen und Beleben, dass er immer mehr zur Beharrung gekräftiget wird. Und in wie vielem Betracht überhaupt der Glaube zu seiner Befestigung die Hilfe der Hoffnung nötig hat, erhellet noch mehr daraus, wenn wir bedenken, von welchen mancherlei Versuchungen diejenigen gedrängt und angefochten werden, welche das Wort Gottes angenommen haben. Vorerst lässt uns der Herr auf die Erfüllung seiner Verheißungen oft länger warten, als uns lieb ist; hier ist es die Pflicht der Hoffnung, wie der Prophet befiehlt, Habak. 2,3., selbst dann, wenn die Verheißungen Gottes verziehen, sie dennoch zu erwarten. Zuweilen lässt er uns nicht nur matt und schwach werden, sondern zeigt auch offenbaren Zorn. Hier ist es noch viel mehr nötig, dass die Hoffnung zu Hilfe komme, damit wir (nach dem Ausspruch eines andern Propheten) des Herrn harren, der sein Angesicht vor Jakob verborgen hat. Jes. 8,17. 

 

VON DER BUSSE. 

 

Der Apostel führt 2 Kor. 7,11. in der Beschreibung der Buße 7 Dinge an, die teils Ursachen, teils Wirkungen, teils Teile derselben sind, nämlich, Fleiß, Verantwortung, Zorn, Furcht, Verlangen, Eifer, Rache. Es wird also durch die göttliche Traurigkeit vorerst Fleiß erweckt. Denn wer ein ernstliches Missfallen daran hat, dass er wider seinen Gott gesündigt, der wird zugleich zum Fleiß angespornt, dass er sich gänzlich aus des Teufels Stricken herauswickle, dass er sich vor seinen Nachstellungen fernerhin besser hüte, dass er nachher der Leitung des heiligen Geistes nicht entfalle, und dass er nicht von fleischlicher Sicherheit berückt werde. Darauf folgt die Verantwortung, welche hier nicht eine Verteidigung bedeutet, wodurch der Sünder, um dem Gerichte Gottes zu entgehen, entweder leugne, dass er gesündigt habe, oder doch die Schuld für gering achte: sondern eine solche Entschuldigung, die viel mehr um Gnade bittet, als auf ihre Sache vertraut. So pflegen gutgeartete Kinder, wenn sie ihre Fehler erkennen und bekennen, doch um Verzeihung zu bitten, und damit ihre Bitte erhört werde, bezeugen sie auf alle mögliche Weise, dass sie die Ehrfurcht, welche sie den Eltern schuldig sind, ganz und gar nicht von sich geworfen haben: kurz sie 

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entschuldigen sich also, nicht, dass sie beweisen wollen, sie seien gerecht und unschuldig, sondern nur dass sie Vergebung zu erhalten wünschen. Darauf folgt der Zorn, wodurch der Sünder innerlich wider sich selbst ergrimmet, und mit sich rechtet und zürnet, wenn er seine Verkehrtheit und seine Undankbarkeit gegen Gott überdenkt. Unter dem Wort Furcht versteht er den Schrecken, der unsern Gemütern eingejagt wird, so oft wir gedenken, was wir verdienet haben, und wie schrecklich die Strenge des göttlichen Zorns gegen die Sünder sei. Dies kann uns dann nicht anders als in eine unbeschreibliche Unruhe versetzen, welche uns teils demütigen, teils für die Zukunft vorsichtiger machen soll. Mit dem Wort Verlangen hat er den Fleiß und die Sorgfalt im Beruf und die Lust zum Gehorsam andeuten wollen, wozu die Erkenntnis unserer Vergehungen uns aufs kräftigste ermuntern soll. Der Eifer ist so viel als ein feuriger Ernst, wovon wir entzündet werden, wenn solche Gedanken uns durchbohren: Was habe ich getan? wohin hätte ich mich gestürzt, wenn mir Gottes Barmherzigkeit nicht wäre zu Hilfe gekommen? Das letzte ist die Rache. Denn je strenger wir gegen uns selbst sind, und mit je größerer Schärfe wir unsere Sünden untersuchen, desto mehr haben wir zu hoffen, dass Gott uns gnädig und gegen uns barmherzig sein werde. Und es ist gewiss unmöglich, dass die Seele, wenn sie von den Schrecken des göttlichen Gerichtes ergriffen wird, nicht Rache an sich selbst üben und sich selbst strafen sollte. Die Frommen empfinden wahrlich wohl, was für Strafen Scham, Beschämung, Seufzen, Missfallen an sich selbst und dergleichen Bewegungen sind, die aus einer ernsten Untersuchung und Erkenntnis der Sünden entstehen. Jedoch muss bei der Traurigkeit Maß gehalten werden, damit dieselbe nicht in Verzweiflung übergehe, in welche zaghafte Gewissen sich so leicht hinein stürzen. Denn der Satan wendet gewöhnlich diesen Kunstgriff an, dass er Seelen, die durch Furcht vor Gott darnieder geschlagen sind, immer tiefer in jenen Schlamm von Traurigkeit zu versenken sucht, damit sie nie wieder aufleben mögen. Es kann zwar jene Furcht nicht zu groß sein, welche zur Demut führt und nicht von der Hoffnung zur Begnadigung abweicht. Jedoch muss sich der Sünder nach Vorschrift des Apostels allezeit hüten, dass er, wenn er ein Missfallen an sich selbst zu erregen sucht, nicht, von allzu großer Furcht darnieder gedrückt, verzweifle: denn auf diese Art flieht man vor Gott, der uns durch die Buße zu sich ruft. 

 

VON DER FORTGEHENDEN BUSSE. 

 

So wie der Hass gegen die Sünde, welcher der Anfang der Buße ist, uns den ersten Eingang eröffnet zur Erkenntnis Christi, der sich allein den armen und betrübten Sündern mitteilt, welche seufzen, mühselig und beladen sind, hungern und dürsten und vor Schmerzen und Elend zu vergehen meinen, Jes. 61,1.: so müssen wir nach der Buße streben, unser ganzes Leben lang uns derselben befleißigen, und bis ans Ende darin beharren, wenn wir in Christo bestehen wollen. Denn er ist gekommen, die 

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Sünder zu rufen, aber zur Buße. Er ist gesandt, um die Unwürdigen zu segnen: aber also, dass sich ein Jeder von seiner Bosheit bekehre. Matth. 9,13. Apostelg. 3,26. 5,31. Indem also Gott die gnädige Verheißung von der Vergebung der Sünden und die Aufforderung zur Buße mit einander verbindet: so gibt er damit zu verstehen, dass seine Barmherzigkeit den Menschen eine Veranlassung zur Buße sein soll. Denen zu Zion wird ein Erlöser kommen, und denen, die sich bekehren von den Sünden in Jakob, spricht der Herr. Jes. 59,20. Der Gottlose stehe ab von seinen Wegen und von seinen bösen Gedanken, und bekehre sich zum Herrn: so wird er sich seiner erbarmen. Jes. 55,6. Tut Buße und bekehret euch, dass eure Sünden getilget werden. Apostelg. 2,38. Nicht als wäre die Buße die Ursache unsers Heiles und der Vergebung der Sünden, sondern da vielmehr der Herr eben darum sich unser zu erbarmen beschlossen hat, damit wir uns bekehren: so zeigt er hiermit an, wonach wir ringen müssen, wenn wir Gnade erlangen wollen, und wie die Buße durch ein unzertrennliches Band mit dem Glauben an die Barmherzigkeit Gottes zusammenhange. So lange wir also in dem Gefängnis dieses Leibes wohnen werden, sollen wir beständig mit dem Gebrechen unserer verderbten Natur, ja auch mit unserer natürlichen Seele kämpfen und streiten. Des Christen Leben ist eine beständige Übung und Bemühung in der Tötung des Fleisches, bis dasselbe völlig vernichtet ist und der Geist Gottes ganz allein in uns regiert. Derjenige hat also am meisten zugenommen, der am meisten gelernt hat, sich selbst zu missfallen: nicht, dass er in diesem Kot soll stecken bleiben, und nicht weiter fortgehen, sondern vielmehr, dass er zu Gott eile und seufze: damit er dem Tode und Leben Christi einverleibt, unablässige Buße tue; wie gewiss diejenigen nicht anders können, welche die Sünde aufrichtig hassen. Denn Niemand ist je von ernstem Hass gegen die Sünde durchdrungen, er liebe denn zuvor die Gerechtigkeit. 

 

VOM RECHTEN GEBRAUCH DER IRDISCHEN GÜTER. 

 

Es fragt sich, wie man dieses gegenwärtigen Lebens, und dessen, was dazu gehört, besonders der irdischen Güter auf die rechte Art genießen und gebrauchen soll? Soll man nämlich leben, so muss man auch von den zu diesem Leben nötigen Dingen Gebrauch machen; wir können sogar zuweilen das nicht vermeiden, was mehr zum Vergnügen als zur Notdurft dienlich zu sein scheint. Darum muss man das rechte Maß halten, dass wir diese Dinge, es sei nun zur Notdurft, oder zum Vergnügen, mit reinem Gewissen gebrauchen. Ein solches Maß schreibt uns der Herr durch sein Wort vor, wenn er lehrt, dass dies Leben für die Seinigen eine Pilgerschaft sei, auf der sie zum Himmelreich andringen. Da wir also durch diese Welt nur wallen sollen, so ist es kein Zweifel, dass wir ihre Güter so fern brauchen sollen, dass sie unsern Lauf vielmehr fördern als aufhalten. Daher ermahnt Paulus nicht ohne Ursache, dass wir dieser Welt so brauchen sollen, als wenn wir ihrer nicht brauchten; dass die Güter mit eben dem 

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Gemüt sollen gekauft werden, mit welchem man sie verkauft. Weil aber dieser Ort schlüpfrig ist, so, dass man auf beiden Seiten leicht fallen kann, so müssen wir uns befleißigen, dahin zu treten, wo wir sicher stehen können. Einige, sonst fromme und heilige Leute, welche sahen, dass so leicht Üppigkeit und Unmäßigkeit einreiße, wenn sie nicht ernstlich gedämpft würde, haben dies für das einzige Mittel gehalten, um dies Übel zu verbessern, dass den Menschen der Genuss und Gebrauch leiblicher Güter nur sofern, als es die Notdurft erfordere, zuzulassen sei. Wiewohl das ein gutgemeinter Rat war, so sind sie doch strenger hierin gewesen, als sich geziemte. Denn sie haben, was sehr gefährlich ist, die Gewissen viel härter verstrickt, als Gottes Wort sie bindet. Notdurft aber nennen sie, sich von Allem enthalten, was man entbehren kann; also dürfte man nach ihrer Regel kaum Brot und Wasser essen und trinken. Heut zu Tage aber sind deren Viele, welche nur einen Vorwand suchen, um aller Schwelgerei im Gebrauch der leiblichen Güter, und somit aller Geilheit Vorschub zu leisten, und daher für bekannt annehmen, was wir ihnen durchaus nicht einräumen, dass man diese Freiheit durch kein vorgeschriebenes Ziel schmälern, sondern dem Gewissen eines Jeden anheimstellen solle, so viel zu genießen, als er einsieht, dass es sich für ihn schicke. Ich gebe es gerne zu, dass hier die Gewissen an bestimmte und genaue Formen und Gesetze nicht gebunden werden können. Weil aber die Schrift allgemeine Regeln über den rechten Gebrauch vorschreibt, so müssen wir ihn ohne Zweifel nach denselben begrenzen. So sei nun dies die Grundlage, dass der Gebrauch der Gaben Gottes nicht fehlschlage, wenn er auf denselben Zweck gerichtet wird, wozu der Schöpfer sie erschaffen und bestimmt hat: indem er sie zu unserm Besten, nicht zu unserm Verderben erschaffen hat. Speise und Trank hat Gott nicht allein zur Notdurft, sondern auch zum Vergnügen und zur Erheiterung bereitet. So hat er auch in der Kleidung, neben der Not, auf den Schmuck und auf die Ehrbarkeit Rücksicht genommen. In den Bäumen, Kräutern und Früchten hat er, neben dem mannigfachen Gebrauch, auf die schöne Gestalt, und den lieblichen Geruch gesehen. Denn, wenn es nicht wahr wäre, so würde der Prophet es nicht unter die Wohltaten Gottes rechnen, dass der Wein des Menschen Herz erfreut, und das Öl sein Angesicht schön macht, Ps. 104,15.; auch würde die Schrift, um seine Güte zu rühmen, nicht hin und wieder erzählen, dass er solches Alles den Menschen gegeben habe. Darum hinweg mit dieser unfreundlichen Weltweisheit, welche uns, da sie keinen, als nur durchaus notwendigen Gebrauch der Kreaturen zulässt, nicht allein des uns freigelassenen Genusses der göttlichen Wohltaten beraubt: sondern auch nicht Statt finden kann, ohne den Menschen aller Sinne zu berauben und ihn zu einem Klotz zu machen. Nicht mit geringerer Sorgfalt aber muss man auf der andern Seite der fleischlichen Lust entgegen treten, welche unmäßig ausbricht, wenn sie nicht im Zaum gehalten wird. Denn da alle Dinge dazu erschaffen sind, dass wir den Schöpfer daraus erkennen, und ihm für seine Liebe und Vatertreue herzlich danken sollen: wo bleibt denn nun die Erkenntnis Gottes und die Danksagung, wenn du so frissest und säufst, dass du zu allen Werken der Gottseligkeit und deines Berufs ganz unnütz wirst; wenn du in der Klei- 

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dung dich selbst durch köstlichen Schmuck zur Schau ausstellst, Andere verachtest, dich und Andere zur Unzucht reizest, und mit deinem Herzen an dem äußerlichen Schmuck haftest? Und so verhält es sich mit allem Andern. Wartet des Leibes, doch also, dass er nicht geil werde, sagt Paulus. Röm. 13,14. Wer als ein Christ dies gegenwärtige Leben verachten und nach der himmlischen Unsterblichkeit recht trachten gelernt hat, der wird auch dieser Welt so brauchen, als wenn er ihrer nicht brauchte; der wird alle Unmäßigkeit im Essen und Trinken, alle Weichlichkeit, Ehrgeiz, Hoffart, und Künstelei in Möbeln, Gebäuden und Kleidern, ja auch alle Sorge und Angst, die ihn von dem Trachten nach dem himmlischen Leben abführt, und ihn in der Sorgfalt die Seele zu schmücken, hindert, aus seinem Herzen verbannen. Denn diejenigen, welche mit viel Sorge für den Leib beschwert sind, vernachlässigen gewöhnlich die Seele; und großer Fleiß, in Absicht auf äußerlichen Schmuck veranlasst große Sorglosigkeit in Absicht auf Tugend. Wahre Christen sind gegen sich selbst am wenigsten nachsichtig, sie hüten sich vor Unmäßigkeit nicht allein, sondern auch vor aller Pracht unnützen Überflusses, damit das, was ihre Gottseligkeit fördern soll, ihnen nicht hinderlich werde. Dagegen müssen Diejenigen, welche wenig und geringe Güter haben, geduldig Mangel zu leiden wissen, damit sie nicht von unmäßiger Begierde nach denselben gefoltert werden. Wer die Armut mit Ungeduld leidet, wird im entgegen gesetzten Fall auch den Reichtum nicht ertragen können, und wenn er einmal dazu gelangt, in Gefahr sein, entweder stolz, oder schwelgerisch zu werden. Wir müssen nach dem Beispiel des Apostels lernen, satt sein und Hunger leiden, Überfluss und Mangel haben. Phil. 4,12. Auch uns lehrt die Schrift, dass alle Gaben Gottes uns als Unterpfänder anvertraut sind, wovon wir einmal werden Rechenschaft geben müssen. Darum müssen wir sie so anwenden, dass wir immer diese Stimme in unsere Ohren schallen lassen: Tue Rechnung von deinem Haushalten; und dass wir denken, Gott sei es, der diese Rechenschaft fordert, er, der uns so ernstlich in seinem Worte befohlen hat, mäßig, nüchtern, mildtätig und bescheiden zu sein, der also alle Schwelgerei, Hoffart, Prachtlust und Eitelkeit verflucht, dem keine andere Anwendung der irdischen Güter gefällt, als die mit der Liebe vereinigt ist, und der alle Lüste, die das Gemüt von der Zucht und Reinheit abführen, oder seinen Sinn verdüstern und abstumpfen, mit seinem eigenen Munde verdammt hat. 

 

VON DER RECHTFERTIGUNG DURCH DEN GLAUBEN. 

 

Wiewohl kein anderer Glaube gerecht macht, als der durch die Liebe tätig ist, Gal. 5,6., so nimmt er doch die Kraft zu rechtfertigen nicht von der Wirksamkeit der Liebe; und wiewohl der Gerechtfertigte auch zugleich durch den Geist Gottes wiedergeboren ist, so besteht doch seine ewigdauernde Gerechtigkeit nicht in den Werken, deren er sich befleißigt, sondern allein in der Gerechtigkeit Christi, die er durch den Glauben ergriffen hat. Die Gnade der Heiligung ist also zwar unzertrennlich von der Gnade der Gerechtmachung, muss aber doch von ihr unterschieden werden. Die Gerech- 

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tigkeit ist nämlich nicht aus dem Glauben und aus den Werken zusammen-gesetzt, vielmehr ist die Gerechtigkeit des Glaubens und die der Werke so weit von einander unterschieden, dass, wenn die eine steht, die andere notwendig umgestürzt wird. Der Apostel Paulus sagt, Phil. 3,8., er halte Alles für Kot, auf dass er Christum gewinne und in ihm erfunden werde, und nicht seine Gerechtigkeit habe, die aus dem Gesetz ist, sondern die aus dem Glauben an Jesum Christum ist, die Gerechtigkeit, die aus Gott ist durch den Glauben. Und dem widerspricht gar nicht, was Jakobus sagt, dass wir nicht durch den bloßen Glauben, sondern durch die Werke gerechtfertigt werden. Jak. 2,24. Denn Jakobus versteht hier unter Glaube nicht, wie Paulus tut, jenen seligmachenden Glauben, der uns mit Christo eins und seiner Gerechtigkeit teilhaftig macht und mit welchem die Heiligung unzertrennlich verbunden ist: sondern nur jenen Schatten von Glauben, der mit einer bloßen buchstäblichen Erkenntnis der Heilslehre sich begnügend, und der eigentümlichen Werke des Glaubens ermangelnd, in einem leeren und eitlen Vertrauen auf Christi Verdienst besteht. Auch versteht hier Jakobus unter Rechtfertigung nicht, wie Paulus tut, die Zurechnung der Gerechtigkeit Christi, sondern nur einen Erweis der Rechtfertigung durch gute Werke. Wir bekennen freilich mit Paulus, dass die Täter des Gesetzes gerechtfertigt werden bei Gott; weil wir aber Alle sehr weit von der Erfüllung des Gesetzes entfernt sind, so können uns die Werke zur Gerechtigkeit nicht verhelfen. Wir müssen uns also von der Beschauung unserer Werke abwenden und allein Gottes Barmherzigkeit und Christi Vollkommenheit ansehen. Die Schrift lehrt diese Ordnung in der Rechtfertigung, dass Gott den sündhaften Menschen aus lauter Güte umsonst zu Gnaden annehme, und nichts in ihm, dadurch er zur Barmherzigkeit bewegt werde, ansehe, als allein sein Elend; er siehet nämlich, wie derselbe an guten Werken ganz leer ist, und nimmt von sich selbst Veranlassung, warum er ihm Gutes tue, so, dass er also dem Sünder, der voll Misstrauen zu seinen eigenen Werken sein ganzes Heil auf Gottes Barmherzigkeit gründet, seine Gnade angedeihen lässt, ihn, der durch die Sünde von ihm getrennt ist, durch das Band der Liebe wieder mit sich vereinigt, Jes. 59,7., Röm. 5,9., ihn aus einem Sünder zu einem Gerechten macht und ihm Vergebung der Sünden schenkt. Die wahre Empfindung des Glaubens besteht also darin, dass man durch die Lehre des Evangeliums von seiner Versöhnung mit Gott, von seiner Rechtfertigung durch die Gerechtigkeit Christi und somit von der Vergebung seiner Sünden und von der ewigen Seligkeit versichert wird. Gott hat den, welcher von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, auf dass wir würden in ihm die Gerechtigkeit Gottes. 2 Kor. 5,21. Nicht in uns also, sondern in Christo ist unsere Gerechtigkeit; und nur sofern kommt sie uns zu, als wir Christi teilhaftig sind; denn, indem wir ihn besitzen, besitzen wir auch alle seine Güter mit ihm. Der Herr Jesus teilt uns seine Gerechtigkeit so mit, dass, so viel das Gericht Gottes betrifft, er die Kraft derselben auf eine wunderbare Art auf uns überträgt. Da unsere Gerechtigkeit auf den Gehorsam Christi gegründet ist, so wird uns also derselbe so zugeeignet, als wenn er der unsrige wäre. Röm. 5,19. 

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VON DEN GUTEN WERKEN. 

 

Obwohl Gott die guten Werke zu belohnen verheißen hat, so machen sie doch darum nicht gerecht, indem diese Belohnung nicht aus Verdienst, sondern aus Gnade geschieht. Es heißt: Ehre und Preis soll dem zu Teil werden, der Gutes tut. Die da Gutes getan haben, werden hervorgehen zur Auferstehung des Lebens. Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters, ich bin hungrig gewesen, und ihr habt mich gespeiset. Freuet euch, siehe euer Lohn ist groß im Himmel. Röm. 2,6. Joh. 5,29. Matth. 25,34. 5,12. Wiewohl nämlich Gott die Seinigen allein aus Barmherzigkeit zum Leben annimmt, so führt er sie doch in den Besitz desselben durch gute Werke ein, und bereitet sie durch dieselben vor, die Krone der Unsterblichkeit zu empfangen; sobald sie also durch die Erkenntnis des Evangeliums und durch die Erleuchtung des heiligen Geistes zur Gemeinschaft Christi berufen sind, so hat das ewige Leben schon in ihnen angefangen; und nun muss das gute Werk, welches Gott in ihnen angefangen hat, vollendet werden, bis auf den Tag des Herrn Jesu, Phil. 2,12.; und es wird vollendet, wenn sie dadurch, dass sie durch Gerechtigkeit und Heiligkeit dem himmlischen Vater ähnlich sind, beweisen, dass sie seine Kinder sind. Aus dem Wort Lohn dürfen wir nicht schließen, dass unsere Werke eine Ursache des Heils seien. Denn das Himmelreich ist nicht ein Lohn der Knechte, sondern eine Erbschaft der Kinder, Ephes. 1,18., welche allein diejenigen erlangen werden, die vom Herrn zu Kinder angenommen sind. Der Herr vergilt die Werke der Gläubigen mit den Gütern, die er ihnen schon zuvor in Gedanken gegeben hatte, da er keine andere Ursache hatte, ihnen Gutes zu tun als seine Barmherzigkeit. Durch das Gleichnis des Hausvaters, der Alle, die ihm begegnen, in seinen Weinberg schickt, aber am Abend gleichen Lohn gibt, Matth. 20,1., wiewohl einige von der ersten Stunde des Tages an, einige erst um die elfte Stunde zu arbeiten angefangen hatten, offenbart der Heiland, dass er seinen uns verheißenen Lohn nicht nach der Größe des Verdienstes bestimmen werde, und dass es überhaupt mehr eine Gnadengabe, als ein Lohn der Werke sei. Überhaupt will der Herr dadurch, dass er die ewige Seligkeit uns als eine Vergeltung der Frömmigkeit vorstellt, unserer Schwachheit aufhelfen; denn da er von seinen Jüngern verlangt, dass sie ihr Kreuz auf sich nehmen, sich selbst und die Welt verleugnen sollen, so würden sie bald verzagen, wenn er ihnen nicht vorhielte, dass sie die Seligkeit, welche sie in dieser Welt nicht sehen, bei ihm einst finden werden. Diese Seligkeit nennt er einen Lohn, Sold, Vergeltung, nicht um damit anzuzeigen, dass ihre Werke verdienstlich, sondern dass die Seligkeit ein Ersatz sei für alle Trübsal und Schmach, und er die Seinigen in derselben aus der Arbeit in die Ruhe, aus dem Elend in die Freude, aus der Armut in den Reichtum, aus der Schmach in die Herrlichkeit versetzte. 

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VOM GEBETE DES HERRN. 

 

Gott hat uns durch seinen geliebten Sohn eine besondere Gebetsformel angewiesen, wobei man seine unermessliche Güte und Freundlichkeit verspüren kann. Matth. 6. Luk. 11. Denn außerdem, dass er uns ermuntert, in aller unserer Not zu seiner väterlichen Treue unsere Zuflucht zu nehmen, so zeigt er uns auch, was wir sonst nicht wissen, wie groß unsere Armut sei, was zu erbitten uns gebühre, und was uns nützlich sei. Hieraus haben wir also den großen Trost und Vorteil, dass wir wissen, wir bitten nichts Ungebührliches, nichts, das ihm missfalle, indem wir gleichsam ihm das aus dem Munde nehmen, was wir bitten. Diese Gebetsformel fasst sechs Bitten in sich. Wiewohl nämlich das ganze Gebet so beschaffen ist, dass man darin durchaus auf Gottes Ehre sehen soll: so sind doch die drei ersten Bitten insbesondere auf Gottes Ehre gerichtet, worauf wir allein in denselben sehen müssen, ohne irgend eine Rücksicht auf unsern Nutzen. Die übrigen drei betreffen uns, und sind eigentlich dazu bestimmt, das, was zu unserer Notdurft gehört, zu erflehen. 

UNSER VATER! Indem wir Gott so anreden, und ihn einen Vater nennen, werden wir gleich Anfangs daran erinnert, dass alles Gebet nur im Namen Christi Gott vorgetragen werden soll, und ihm nur sofern angenehm ist. Denn mit welchem Mut dürfte sonst Jemand Gott einen Vater nennen? Wer dürfte so verwegen sein, dass er sich der Ehre eines Kindes Gottes anmaßte, wenn wir nicht in Christo zu Kindern der Gnade angenommen wären? Er, welcher der wahre Sohn Gottes ist, ist uns von ihm zum Bruder geschenkt worden, damit das, was er von Natur Eigentümliches hat, aus Gnade und aus einem Recht der Kindschaft unser werde, sofern wir ein so großes Geschenk mit wahrem Glauben annehmen. Daher sagt Johannes 1,12.: „Allen, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Gottes Kinder zu werden, denen nämlich, die an seinen Namen glauben“. Demnach nennt er sich unsern Vater, und will so von uns genennet sein, um mit diesem lieblichen Namen uns allen Zweifel zu benehmen, weil sonst nirgend so herzliche Liebe kann gefunden werden, als in einem Vater ist. Darum hätte er uns auf keine deutlichere Weise seine große Liebe gegen uns bezeugen können, als damit, dass wir Gottes Kinder genannt werden. 1 Joh. 3,1. Seine Liebe gegen uns ist aber so viel größer und vortrefflicher, als alle Liebe unserer Väter, je mehr er alle Menschen an Güte und Barmherzigkeit übertrifft, so, dass, wenn gleich alle Väter auf Erden alle väterliche Zärtlichkeit verlören, und an ihren Kindern treulos würden, er dennoch nimmer seine Liebe und Treue gegen uns verleugnen kann. Psalm 27,10. Jes. 63,16. „So denn ihr,“ heißt es Matth. 7,11., „die ihr arg seid, könnet euren Kindern gute Gaben geben, wie viel mehr euer himmlischer Vater?“ ferner Jes. 49,15.: „Kann auch eine Mutter ihres Kindes vergessen? und wenn sie desselben vergäße, so will ich doch dein nicht vergessen.“ So wenig nun ein Kind einem Fremden zulaufen kann, ohne seinen Vater der Lieblosigkeit oder Armut zu bezichtigen: so können auch wir als Gottes Kinder nirgend anders als bei ihm Hilfe suchen; wir 

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müssten ihm denn entweder Unvermögen oder Unbarmherzigkeit zumessen. Und hier müssen wir nicht vorwenden, dass wir wohl billig scheu werden müssten durch das Bewusstsein der Sünden, welche den Vater, wie sanft und gütig er auch sein mag, uns dennoch täglich erzürnt machen. Denn da schon bei den Menschen ein Kind nicht besser des Vaters verlorne Gunst wiedererlangen kann, als wenn es fußfällig und mit Bekenntnis seiner Schuld den Vater um Verzeihung bittet, der dann unmöglich sein väterliches Herz so verbergen kann, dass es durch solche Bitte nicht erweicht werden sollte: was sollte dann nicht der Vater aller Erbarmung, der Gott alles Trostes tun? 2 Kor. 1,3. Sollte er nicht seine Kinder erhören, wenn sie bitten, weinen, seufzen, besonders da er sie selbst dazu ermahnt? Solche überschwängliche väterliche Güte ist uns im Gleichnis vom verlornen Sohn vorgestellt, da der Vater den Sohn, welcher sich von ihm losgemacht, sein Gut schändlich verschwendet, und sich schrecklich an ihm versündigt hatte, freundlich empfängt und nicht wartet, bis er mit Worten um Verzeihung bittet, sondern ihm selbst entgegen geht, ihn von Ferne schon erkennt, und zu Gnaden annimmt. Luk. 15,20. Indem er ein Beispiel so großer Sanftmut an einen Menschen uns vorbildet, hat er uns lehren wollen, eine wie viel größere Sanftmut wir seine, obgleich undankbare und böse Kinder von ihm erwarten sollen, als der nicht nur ein Vater, sondern auch unter allen Vätern der allerbeste und freundlichste ist, wenn wir nur zu seiner Barmherzigkeit unsere Zuflucht nehmen. Und damit er uns noch bestimmter versichre, dass er uns in Christo ein Vater sei, so hat er nicht allein Vater, sondern auch unser Vater genannt sein wollen; als könnten wir auf diese Weise mit ihm reden: lieber Vater, der du so treu gegen deine Kinder bist, und ihnen so gerne verzeihest! wir, deine Kinder, reden dich an mit der völligen Zuversicht, dass du nicht anders als väterlich gegen uns gesinnt seiest, obgleich wir eines solchen Vaters nicht würdig sind. Weil wir aber viel zu engherzig sind, solche überschwängliche Gunst zu fassen, so ist nicht allein Christus uns das Pfand der Kindschaft, sondern er gibt uns auch den Geist als den Zeugen dieser Kindschaft, durch den wir mit freier und heller Stimme rufen dürfen: Abba, lieber Vater! Gal. 4,6. Dass aber nicht Jeder für sich ihn bloß seinen Vater, sondern vielmehr wir Alle gemeinschaftlich ihn unsern Vater nennen sollen, dadurch werden wir erinnert, was für eine brüderliche Liebe unter uns sein soll, als die wir eines solchen Vaters, vermöge einer und derselben Barmherzigkeit, gemeinschaftliche Kinder sind. Denn, wenn wir Alle einen allgemeinen Vater haben, von welchem Alles herkommt, was uns allenthalben Gutes widerfahren mag, so muss nichts unter uns geteilt sein, das wir nicht, so viel die Notdurft es erfordert, gerne und von Herzen mit einander gemein haben wollen. Wir können aber den Brüdern mit Nichts besser dienen, als wenn wir sie der Fürsorge des gütigen Vaters durch unser Gebet befehlen; denn so lange sie ihn zum Freunde haben, kann es ihnen an nichts mehr fehlen. Diese Fürbitte soll sich erstrecken über alle Menschen auf Erden, besonders aber über die Glaubensgenossen, die unsere Brüder in Christo sind, und soll überhaupt die Gemeinschaft im Auge haben, welche 

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unser Herr in seinem Reiche verordnet hat. Ephes. 1,24. Gal. 6,10. 1 Tim. 2,8. 

Es wird hinzugetan: DER DU BIST IM HIMMEL. Dies soll nicht so viel heißen, dass er von des Himmels Umkreis eingeschlossen sei, wie denn auch Salomo bekennt, dass der Himmel ihn nicht in sich fassen könne; und er selbst durch den Propheten sagt, dass der Himmel sein Stuhl, und die Erde sein Fußschemel sei: um damit anzuzeigen, dass er nicht von einem gewissen Ort umschlossen, sondern allenthalben sei. 1 Kön. 8,37. Weil aber unser Gemüt, seiner gemeinen Denkart nach, Gottes unaussprechliche Herrlichkeit, Macht und Hoheit nicht anders fassen könnte, so wird sie uns durch den Himmel vorgestellt, welcher in unsern Augen das Allerherrlichste ist. Es wird durch dies Wort: der du bist im Himmel, eben so viel verstanden, als wenn man von Gott sagte, dass er sei von unendlicher Größe und Hoheit, von unbegreiflicher Wesenheit, von unermess-licher Gewalt und von ewiger Unsterblichkeit. Wir sollen also, wenn wir Gott suchen, uns mit unsern Gedanken über uns selbst emporschwingen, und sollen nichts Irdisches und Fleischliches von ihm erträumen; wir sollen ihn nicht nach unsern Begriffen ermessen, noch seinen Willen unserm Gutdünken unterwerfen. Dabei soll hiemit unser Vertrauen auf ihn gestärkt werden, weil wir einsehen, dass durch seine Vorsehung und Gewalt Himmel und Erde regiert werde. 

DIE ERSTE BITTE: Dein Name werde geheiligt. Die Notwendigkeit solcher Bitte gereicht uns zur großen Schande. Denn, was ist abscheulicher, als, dass die Undankbarkeit der Menschen und ihre Bosheit die Ehre Gottes so verdunkle, ja die tolle Frechheit, so viel an ihr ist, dieselbe vertilget; wiewohl ungeachtet aller Bemühungen der Gottlosen dennoch die Heiligkeit Gottes aufs herrlichste hervorstrahlt. Der Prophet ruft: Gott, wie dein Name, so ist auch dein Ruhm bis an der Welt Ende. Ps. 48,11. Denn überall, wo sich Gott nur offenbart, tun sich auch seine Tugenden, als seine Gewalt, Güte, Weisheit, Wahrheit, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit hervor, und treiben uns an, ihn zu bewundern und zu lobpreisen. Weil nun Gott seiner Heiligkeit auf eine so schändliche Art hier auf Erden beraubt wird, so wird uns auferlegt, dass, sofern wir dieselbe nicht retten können, wir dennoch mit Beten und Wünschen uns derselben annehmen. Es wird uns also hier überhaupt aufgegeben, zu wünschen, dass Gott seine gebührende Ehre erhalte, dass die Menschen nie ohne die höchste Ehrerbietung von ihm reden oder denken, und sich vor aller Entheiligung seines Namens hüten. Weil aber die Heiligkeit des Namens Gottes darin besteht, dass derselbe, von allen andern abgesondert, allein die Ehre hat, so wird uns hiemit befohlen, nicht allein zu bitten, dass Gott diesen heiligen Namen von aller Verachtung und Unehre rette, sondern auch das ganze Menschengeschlecht dahin bringe, sich ihm in Ehrfurcht zu unterwerfen. Da nun aber Gott teils in seinem Worte, teils in seinen Werken sich uns offenbart, so wird sein Name nur dann auf die rechte Art von uns geheiligt, wenn wir in beiden Stücken ihm das Seinige geben, und alles, was von ihm herkommt, hochhalten; und es soll sein Ernst nicht weniger gerühmt werden als seine Güte: wie er denn seine Herrlichkeit durch mancher- 

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lei und verschiedene Werke offenbart hat, welche alle Zungen zum Bekenntnis des Lobes andringen soll. So wird es denn geschehen, dass die Schrift ihr gebührend Ansehen bei uns habe, und auch sonst nichts, was sich nur zutragen mag, das Lob zurückhalte, welches Gott in der Regierung des Weltgangs verdient. Nun bezieht sich aber diese Bitte auch dahin, dass alles gottlose Wesen, welches diesen heiligen Namen besudelt, getilgt und zerstört werde, dass alle Schmach und Spott, wodurch diese Heiligung verdunkelt wird, aufhöre und durch Dämpfung aller Gotteslästerung seine Majestät je länger je mehr hervorleuchte. 

DIE ZWEITE BITTE: Dein Reich komme. Alsdann nämlich regiert Gott, oder hat er sein Reich unter uns, wenn die Menschen mit Verleugnung ihrer selbst und Verachtung der Welt und dieses irdischen Lebens sich seiner Gerechtigkeit unterwerfen, und nach dem himmlischen Leben trachten. Es finden sich also zwei Stücke an diesem Reich; erstens, dass Gott alle böse Lüste des Fleisches, welche häufig wider ihn streiten, durch die Kraft seines Geistes dämpfe. Zum andern, dass er alle unsere Kräfte zum Gehorsam gegen ihn anleite. Darum können nur diejenigen diese Bitte wahrhaft beten, die mit sich selbst anfangen, damit sie von dem Unflat gereinigt werden, der den Wohlstand des göttlichen Reiches beunruhigen und beflecken kann. Weil aber Gottes Wort in diesem Reiche gleichsam das königliche Zepter ist, so sollen wir hier bitten, dass Gott durch dasselbe alle Herzen sich zum freiwilligen Gehorsam unterwerfe, welches alsdann geschieht, wenn er durch die heimliche Mitteilung des heiligen Geistes das Wort in uns lebendig macht, so, dass es mit der ihm gebührenden Ehrfurcht von uns angenommen wird. Darnach muss man auch diese Bitte auf die Gottlosen beziehen, welche sich halsstarrig und boshaft seiner Herrschaft widersetzen. Deshalb gestaltet Gott sein Reich also, dass er die ganze Welt sich unterwirft, indem er einerseits die unordentlichen Lüste dämpft, andererseits den unbändigen Stolz zerbricht. Und wir sollen wünschen, dass beides täglich geschehe, damit Gott sich seine Kirche aus allen Orten der Welt sammle, fortpflanze und vermehre, mit seinen Gaben erfülle, und mit guter Ordnung einrichte: dagegen alle Feinde der reinen Lehre und Religion stürze, ihre Ratschläge zerstöre, ihr Vornehmen zu Schanden mache. Die Vollkommenheit dieses Reichs wird erst bei der letzten Zukunft Christi stattfinden, wo dann Gott Alles in Allem sein wird. 1 Kor. 15,28. So soll uns denn diese Bitte von allen Befleckungen dieser Welt abziehen, welche uns von Gott absondern, und sein Reich in uns nicht kräftig und wirksam sein lassen; zudem soll sie ein Verlangen und Streben in uns erwecken, die Lüste unseres Fleisches zu töten; endlich soll sie uns zur Geduld im Kreuz anleiten; denn auf diese Weise will Gott sein Reich fortsetzen. Es soll uns auch gar nicht schwer ankommen, dass der äußerliche Mensch also vernichtet werde, wenn nur der innerliche erneuert wird. Denn also verhält es sich mit dem Reiche Gottes, dass, indem wir uns seiner Gerechtigkeit unterwerfen, wir dagegen seiner Herrlichkeit teilhaftig werden. Solches geschieht, wenn Gott, indem er sein Licht und seine Wahrheit täglich in uns vermehrt, dadurch des Teufels und seines Reiches Finsternis und Lügen vertreibet, die Seinen bewahret, sie durch Hilfe seines Geistes auf 

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die rechte Bahn leitet, und zur Beharrung kräftiget: dagegen der Feinde List, Betrug und Bosheit hemmt und vereitelt, bis er endlich durch den Geist seines Mundes den Antichrist umbringt und durch seine herrliche Zukunft alles gottlose Wesen gänzlich vertilgt. –

DIE DRITTE BITTE: Dein Wille geschehe auf Erden wie im Himmel. Gott ist nämlich dann recht ein regierender Herr in der Welt, wenn alle seinem Willen sich unterwerfen, d. h. ihm von Herzen gehorsam sind; darum, wird auch hier ausdrücklich der Himmel mit der Erde verglichen, indem, wie es im Psalm heißt, die Engel Gott willig gehorchen, und geneigt sind, seine Befehle zu vollbringen (Ps. 103,20.). Wir sollen also hier bitten, dass, gleich wie im Himmel nichts geschieht, als nur was der Herr verordnet hat, und die Engel sich alles Gehorsams befleißigen: so auch die Erde alle Widerspenstigkeit und Mutwillen bei Seite stellen und sich seiner Herrschaft unterwerfen möge. Indem wir nun dieses bitten, entsagen wir den Lüsten unsers Fleisches, indem ein jeder, der nicht alle seine Begierden Gott und seinem Willen aufopfert, demselben, so viel an ihm ist, widersteht, weil nichts als nur Böses aus uns herauskommt. Wir bitten also, dass Gott das alte Herz aus uns herausnehme und ein neues Herz in uns schaffe, damit wir keinen Widerwillen gegen ihn, sondern nur Gleichförmigkeit mit seinem Willen haben, und überhaupt nichts aus uns selbst wollen, sondern durch die Regierung und innerliche Anleitung des heiligen Geistes lernen lieb haben, was ihm wohlgefällt, und hassen, was ihm missfällt, woraus denn auch dies erfolgt, dass er alle Wünsche und Begierden, die seinem Willen zuwider sind, vernichte. –

DIE VIERTE BITTE: Gib uns heute unser täglich Brot. Wir begehren hier von Gott überhaupt alles das, was zu des Leibes Notdurft in dieser Welt gehört; nicht allein Nahrung und Kleidung, sondern auch alles, wovon er weiß, dass es uns nützlich sei, um unser Brot mit Ruhe zu genießen. Wir ergeben uns also hiemit in seine Fürsorge und vertrauen seiner Vorsehung, dass er uns speise, nähre und erhalte. Denn es schämt sich der liebreiche Vater nicht, auch unsern Leib zu pflegen und zu erhalten, damit er auch in diesen Kleinigkeiten unsern Glauben übe, indem wir von ihm alles bis auf einen Bissen Brots, und Trunk Wassers erwarten. Denn so wie wir leider überhaupt mehr für das Fleisch als für die Seele sorgen, so gibts auch Viele, welche zwar Gott die Seele anvertrauen, aber dennoch ängstlich für das Fleisch sorgen, und noch denken, was sie essen, und womit sie sich kleiden sollen, und fast verzagen, wenn sie nicht Alles im Überfluss haben. So viel mehr achten wir auch den Schatten dieses vergäng-lichen Lebens, als auf die ewige Unsterblichkeit. Welche aber Gott also vertrauen, dass sie sich dieser ängstlichen Sorge für das Fleisch einmal entschlagen haben, die dürfen zugleich bald etwas Größeres, auch die ewige Seligkeit und Leben von ihm erwarten. Es wird uns aber befohlen, um unser tägliches Brot zu bitten, damit wir uns genügen lassen an dem, was der himmlische Vater uns mitteilt, und nicht mit bösen Händeln andere berauben. Denn es wird unser als ein Geschenk, indem weder unsere Kunst, noch Arbeit, noch unsere Hände uns aus sich selbst etwas bereiten, es sei denn Gottes Segen dabei (3 Mos. 26,20.): ja sogar der Über- 

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fluss an Brot würde uns nichts helfen, wenn es nicht durch Gottes Kraft uns zur Nahrung würde. Es ist also nicht weniger den Reichen, als den Armen dieser Segen nötig, indem auch sie bei vollen Kellern und Scheunen verhungern müssten, wenn sie nicht durch seine Gnade des Brotes genießen könnten. Die Wörtlein Heute und Täglich sollen alle unmäßige Begierde nach zeitlichen Dingen, womit wir allzusehr behaftet sind, ferner Wollust, Prachtliebe u. dgl. im Zaum halten. Wir sollen also nur um so viel bitten, als wir zu unserer Notdurft täglich bedürfen, in der Hoffnung, dass wenn uns der himmlische Vater heute ernährt, er uns auch morgen nicht verlassen werde. Daraus, dass es unser Brot genannt wird, wird Gottes Güte recht sichtbar, welche macht, dass dasjenige unser werde, was uns von Rechtswegen gar nicht zukommt. Auch heißt es deswegen unser Brot, weil und sofern es durch rechtmäßige Arbeit, und nicht durch Raub oder Betrug erworben ist, indem das, was wir mit anderer Leute Schaden an uns bringen, fremd und nicht unser ist. –

DIE FÜNFTE BITTE: Vergib uns unsre Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern. In dieser und der nächstfolgenden Bitte hat Christus kurz zusammengefasst, was zum geistlichen Leben gehört, wie denn der geistliche Bund, den Gott zum Heil seiner Kirche gemacht hat, in diesen beiden Stücken besteht: Ich will mein Gesetz in ihr Herz schreiben, und ihrer Missetat gnädig sein (Jerem. 31,33.). Hier fängt Christus von der Vergebung der Sünden an, und setzt in der folgenden Bitte die Wohltat hinzu, dass Gott durch die Kraft seines Geistes uns beschirme, und durch seine Hilfe erhalte, damit wir fest und unbeweglich wider alle Versuchung bestehen. Er nennt aber die Sünden Schulden, weil wir die Strafen derselben schuldig sind und aber keinesweges bezahlen könnten, wenn wir nicht durch diese Vergebung davon losgemacht würden, was ein Werk seiner bloßen Barmherzigkeit ist, indem er freiwillig diese Schulden durchstreicht, und dafür keine Bezahlung von uns nimmt, sondern nach seiner Barmherzigkeit sich selbst in Christo befriedigt, welcher Einmal zum Lösegeld sich selbst dahin gegeben hat (Röm. 3,24.). Welche also meinen, dass Gott durch ihre eigene oder durch die Verdienste anderer Genugtuung geschehe, und Vergebung der Sünden erworben werde, die haben an dieser gnädigen Vergebung keinen Anteil. Und wenn sie Gott gleich mit solcher Bitte ansprechen, so tun sie nichts Anderes, als dass sie hiermit ihre eigene Anklage unterschreiben, ja ihre eigene Verurteilung bekräftigen. Denn sie bekennen sich so lange für Schuldner, als sie nicht durch gnädige Verzeihung davon entledigt sind, welche sie ja nicht annehmen, sondern von sich stoßen, indem sie Gott ihre eigene Verdienste und Genugtuung vorhalten. Das heißt nicht, Gnade begehren, sondern auf Recht und Gericht sich berufen. Welche aber eine solche Vollkommenheit sich erträumen, die der Vergebung nicht bedürfte, täuschen sich selbst und fallen von dem Herrn Christo ab; denn er fordert uns alle zum Bekenntnis der Schuld auf, und lässet also nur Schuldner und Sünder zu; nicht als wollte er die Sünden gut heißen, sondern weil er wohl weiß, dass die Gläubigen nie so rein sind von den Befleckungen des Fleisches, dass sie nicht stets dem Gerichte Gottes unterworfen bleiben. Es soll zwar unser Wunsch und fleißiges Bestreben sein, 

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von allen Gebrechen uns immer mehr und mehr zu reinigen. Weil es aber Gott gefällt, sein Ebenbild allmählich in uns zu erneuern, so, dass immer etwas Befleckung in unserm Fleisch bleibt: so befiehlt uns Christus vermöge seines ihm vom Vater übertragenen Amtes, unsere ganze Lebenszeit hindurch die Schuld abzubitten. Ferner bitten wir, dass die Vergebung uns so zu Teil werde, wie wir unsern Schuldigern vergeben, d. i. gleich wie wir allen denen schonungsvoll verzeihen, von denen wir etwa beleidigt, oder tätlich misshandelt, oder mit Worten geschmäht worden sind. Nicht, dass es unseres Amtes sei, die Schuld der Beleidigung nachzulassen, was Gott allein zukommt (Jes. 43,25.); sondern unsere Vergebung besteht darin, dass wir Zorn, Hass, Rachsucht aus dem Herzen verbannen, und des uns zugefügten Unrechts gerne vergessen. Darum sollen wir Gott nicht um Vergebung der Sünden bitten, wenn wir nicht auch unsern Beleidigern vergeben wollen; denn wir würden alsdann mit dieser Bitte Gott auffordern, uns nicht zu verzeihen, weil wir ja begehren, dass er uns so vergeben möge, wie wir Andern vergeben. Übrigens ist hiermit nicht gemeint, dass wir dadurch bei Gott die Vergebung unserer Sünden verdienen, wenn wir versöhnlich und sanftmütig gegen unsere Beleidiger sind, sondern eines Teils hat Gott hiermit der Schwachheit unseres Glaubens aufhelfen wollen, dass er uns versichert, dass uns die Sünde so gewiss von ihm vergeben sei, so gewiss wir bei uns finden, dass wir auch andern verziehen haben, sofern nämlich unser Herz von allem Neid, Hass und Rachsucht gereinigt ist; andern Teils will er mit diesem Kennzeichen diejenigen aus der Zahl seiner Kinder ausgestrichen wissen, welche sich gerne rächen, aber ungern verzeihen, und den Zorn, dessen sie selbst entledigt sein wollen, gegen andere tragen, und langwierige Feindschaft üben; denn hiebei können sie ihn ja nicht als Vater anrufen. –

DIE SECHSTE BITTE: Führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns vom Bösen. Diese Bitte passt zu der Verheißung, dass Gott sein Gesetz in unsere Herzen schreiben wolle. Weil wir aber in unserm Gehorsam gegen Gott einen beständigen und harten Kampf aushalten müssen, so bitten wir hier, dass er uns mit Waffen ausrüsten und mit seiner Kraft beschirmen wolle, damit wir den Sieg davon tragen mögen. Hiedurch werden wir erinnert, dass uns nicht allein die Gnade des Geistes nötig sei, die unsere Herzen innerlich erweiche und zum Gehorsam gegen Gott lenke, sondern auch sein Beistand, damit er uns standhaft mache wider alle List und Anfechtungen des Satans. Nun sind aber der Versuchungen viele und mancherlei. Denn eines Teils gehören dazu die bösen Gedanken, die uns zur Übertretung des Gesetzes reizen, welche entweder unsere verderbte Lust uns eingibt, oder der Teufel erregt; andern Teils werden auch Versuchungen für uns die Dinge, welche zwar an sich selbst nicht böse sind, aber durch des Teufels Kunst gemissbraucht werden, wenn sie nämlich unsern Augen sich so eindrücken, dass wir durch den Anblick derselben von Gott abgeführt werden (Jak. 1,2.14. Matth. 4,1.3. 2 Thess. 3,5.). Auf der einen Seite sind es: Reichtum, Gewalt, Ehre, welche gemeiniglich mit ihrem Glanz den Leuten die Augen verblenden, oder sie ins Wohlleben stürzen, so dass sie ihres Gottes vergessen; anderseits sind es: Ar- 

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mut, Schmach, Verachtung, Trübsal, durch deren Last darniedergedrückt sie den Glauben und die Hoffnung sinken lassen, und endlich von Gott ganz und gar abtrünnig werden. Wir bitten nun Gott unsern Vater, dass er uns in dieser doppelten Art von Versuchungen nicht unterliegen lasse, sondern vielmehr mit seiner Hand aufrichte: damit wir durch seine Kraft gestärkt wider alle Angriffe des bösen Feindes Stand halten können, und weder im Glück aufgeblasen werden, noch im Unglück verzagen. Jedoch begehren wir hier nicht, ohne alle Anfechtungen zu bleiben; denn wir haben ihrer hoch vonnöten, damit wir dadurch, desto wachsamer gemacht, und vor der fleischlichen Sicherheit bewahrt werden. Der Herr versucht auch seine Auserwählten täglich, indem er sie durch Schmach, Kreuz und Trübsal züchtigt (Psalm 26,2. 1 Mos. 22,1. 5 Mos. 8,2. 13,3.). Aber auf eine andere Weise versucht Gott und auf eine andere Weise der Teufel; dieser, dass er verderbe und ins Elend stürze, Gott aber, dass er durch Prüfungen die seinen erforsche, ihre Aufrichtigkeit erprobe und durch Übung stärke, ihr Fleisch töte und kreuzige, damit es nicht mutwillig und geil werde. Zudem überfällt der Satan die Wehrlosen und Ungerüsteten, damit er sie unvermutet unterdrücke: Gott aber gibt mit der Versuchung auch die Ausdauer, dass die Seinen geduldig ertragen können, was er ihnen zuschickt (1 Kor. 10,13. 1. Petr. 5,8.). Ob man unter dem Bösen den Teufel oder die Sünde verstehe, daran ist wenig gelegen. Der Teufel zwar ist der Feind selbst, der uns nach dem Leben trachtet, die Sünde aber ist seine Rüstung, damit er zu unserm Verderben gerüstet ist. So ist denn hier das unser Begehren, dass wir von keinerlei Versuchungen überwunden werden, sondern durch des Herrn Kraft wider alle Kraft des Feindes feststehen: welches heißt, in den Versuchungen nicht unterliegen; ferner, dass wir in seinen Schutz aufgenommen und darin sicher bewahrt, wider die Sünde, den Tod, der Hölle Pforten und das ganze Reich des Teufels unüberwindlich beharren (Ps. 60,14.): welches dann heißt: vom Bösen erlöset werden. Die aber glauben mit eigenen Kräften diesen Streit mit dem Satan ausfechten zu können, kennen diesen streitbaren und wohlgerüsteten Feind noch nicht. Wir aber sagen, dass wir allein durch die Kraft Gottes das Feld behalten können, und immer um Vermehrung dieser Kraft bitten müssen, bis wir nach Ablegung unseres Fleisches mit voller Kraft des Geistes angetan über alles Böse die Oberhand haben werden. –

Denn dein ist das Reich, die Kraft und die Herrlichkeit bis in Ewigkeit. Amen. – Das gibt unserm Glauben einen festen und sichern Grund, worauf er sich verlassen kann. Denn, wenn wir auf unsere Würdigkeit Gott unser Gebet vortragen sollten: wer dürfte dann wohl vor ihm den Mund auftun? Nun kann aber, obwohl wir die allerelendesten, unwürdigsten und ärmsten Leute sind, die wahre Zuversicht zu beten uns nicht fehlen, indem unserm Vater sein Reich, seine Kraft und Herrlichkeit nicht entrissen werden kann. Am Schluss steht das Wörtlein Amen, womit die inbrünstige Begierde ausgedrückt wird, dasjenige zu erlangen, was wir von Gott erbeten haben; und zugleich unsere Hoffnung gestärkt wird, dass solches alles schon erlangt sei, und uns gewiss widerfahren 

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werde, indem es von Gott versprochen ist, der in seinen Verheißungen nicht lügen kann. –

 

VON DER GNADENWAHL. 

 

Die Gnadenwahl besteht darin, dass Gott aus dem verderbten und fluchwürdigen Menschengeschlechte diejenigen, welche er will, nicht um ihrer Werke willen, sondern aus bloßer Barmherzigkeit zur Seligkeit erwählet. Also auch zu dieser Zeit, spricht Paulus, werden selig die Überbleibenden nach der Wahl der Gnaden. Ists aber aus Gnade, so ist's nicht aus Verdienst der Werke, sonst würde Gnade nicht Gnade sein. Ist's aber aus Verdienst der Werke, so ist die Gnade nichts, sonst wäre Verdienst nicht Verdienst (Röm. 11,5.). Er bezeugt ausdrücklich, dass, wenn die Seligkeit des überbleibenden Volkes der Gnadenwahl zugeschrieben wird, alsdann recht erkannt werde, dass Gott seine Erwählten aus lauter Güte selig mache, und dass von keinem verdienten Lohn die Rede sein könne. Ohne Anerkenntnis dieses Grundsatzes wird also der Ehre Gottes großer Abbruch getan, und der wahren Demut vieles entzogen. Auch müssen diejenigen stets zaghaft und elend sein, welche nicht wissen, ob sie Gottes Eigentum sind. Dagegen gibt dies den Gläubigen bei allen sie umschwebenden Gefahren eine große Zuversicht und Freudigkeit, dass Christus verheißt, es werde unverloren bleiben. Alles, was er vom Vater zu bewahren empfangen hat (Joh. 10,15.). Paulus sagt (Eph. 1,4. 2 Tim. 1,9.): „Gott hat uns erwählet durch Christum, ehe der Welt Grund gelegt war, dass wir sollten sein heilig und unsträflich vor ihm in der Liebe; und hat uns verordnet zur Kindschaft gegen ihn selbst, durch Jesum Christum nach dem Wohlgefallen seines Willens zum Lobe seiner herrlichen Gnade, durch welche er uns angenehm gemacht hat in dem Geliebten“. Desgleichen: „er hat uns selig gemacht und berufen mit einem heiligen Ruf, nicht nach unsern Werken, sondern nach seinem Vorsatz und Gnade, die uns gegeben ist in Christo Jesu vor der Zeit der Welt“. Mit diesen Worten wird alles Ansehen eigner Werke aufgehoben und angezeigt, dass, weil Gott in dem Menschengeschlechte nichts gefunden hätte, das der Gnadenwahl würdig gewesen, er nach seinem Vorsatz und gnädigen Wohlgefallen vor Erschaffung der Welt uns in Christo zur Gemeinschaft des ewigen Lebens angenommen habe; und dass, weil er uns erwählt habe dass wir sollten heilig sein, wir nicht darum erwählt seien, weil Gott nur voraussah, dass wir heilig sein würden: sondern dass vielmehr alles, was Gutes und Tugendhaftes am Menschen ist, eine Frucht der gnädigen Erwählung Gottes sei. Der Herr sagt (Röm. 9,15.): Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig, und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich. Hier bezeugt er ja aufs deutlichste: er finde in den Menschen keine Ursache, die ihn bewege, ihnen zu helfen, sondern er nehme sie allein von seiner Erbarmung, und es sei also die Seligkeit der Seinigen sein eigenes Werk! Weil nun Gott deine Se- 

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ligkeit bei sich selbst gründet, wie kommst du denn auf dich? Wenn er dir allein seine Barmherzigkeit zeigt, warum gehst du auf eigenes Verdienst? Wenn er deine Gedanken an seine alleinige Erbarmung bindet, warum willst du zum Teil auf deine Werke sehen? Unser Heiland sagt (Joh. 6,37.): Alles, was mir mein Vater gibt, das kommt zu mir, und wer zu mir kommt, den will ich nicht hinausstoßen. Das ist der Wille des Vaters, dass ich nichts verliere von dem, was er mir gegeben hat. Hier siehst du, dass die Auserwählten eher des Vaters sind, bevor sie dem eingebornen Sohne einverleibt werden, und dass es aus einem freien Geschenk des Vaters herfließt, dass wir zum Glauben und in die Pflege Christi kommen, und dass zugleich fester als der Himmel bestehen werde Gottes Rat und ewige Wahl. 

 

VOM GEBRAUCH DER LEHRE VON DER GNADENWAHL. 

 

Es ist keine Anfechtung, wodurch der Satan die Gläubigen mehr verfolgt, als wenn er sie mit Zweifeln über ihre Erwählung beunruhigt, und dabei zu verkehrtem Vorwitz reizet, dieselbe neben dem Wege zu erforschen, d. h. in die geheimnisvollen Tiefen der göttlichen Weisheit dringen zu wollen, um zu wissen, was Gottes heimlicher Ratschluss über sie bestimmt habe; so, dass sie dann in solchem tiefen Abgrund untergehen müssen. Denn es ist selten Einer dessen Herz nicht etwa mit diesen Gedanken gequälet würde: Woher kommt dir deine Seligkeit, als nur aus Gottes Erwählung? Wer will dir aber sagen, ob du erwählt seist? Und, wenn dieser Gedanke bei Jemand überhand nimmt, so wird er von demselben recht geplagt, bestürzt und kleinmütig: dies ist aber das allerschädlichste Gift für das Herz, wenn der Friede des Gewissens und die Ruhe bei Gott ihm geraubt wird. Dagegen empfinden diejenigen, welche der Sache recht und ordentlich nach dem Inhalt des göttlichen Worts nachgehen, daraus einen herrlichen Trost. Wir müssen hier aber mit Gottes Berufung anfangen, und mit derselben auch beschließen: indem uns Gott durch den Beruf als durch ein Kennzeichen will versichern, so viel als uns von seinem Rat zu wissen dienlich ist. Erstlich müssen wir nun, wenn wir Gottes väterliches Herz suchen, unsere Augen wenden auf Christum, an welchem allein der Vater ein herzliches Wohlgefallen hat. Wollen wir die Seligkeit, das Leben und des ewigen Reiches Unsterblichkeit haben, so müssen wir uns gleichfalls nirgend anderswo hinwenden; denn er allein ist der Born des Lebens, der Anker des Heils und der Erbe des Himmelreiches. Worauf geht nun aber die Erwählung, als dass wir von dem himmlischen Vater an Kindesstatt angenommen sind, und durch seine Huld die Seligkeit und Unsterblichkeit erlangen. Gott hat die, welche er zu Kindern angenommen hat, nicht in ihnen selbst, sondern in seinem Sohne Christo erwählt (Eph. 1,4.), indem er sie allein in ihm hat lieben und sie nicht eher zur Erbschaft seines Reiches zulassen können, bis er zuvor sie zu Mitgenossen desselben gemacht hatte. Christus ist also der Spiegel, worin wir unsere Erwählung 

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erblicken sollen und sicher dürfen. Denn weil der Vater die Seligwerdenden ihm einzuverleiben beschlossen hat, so, dass er so viele als er für Glieder seines Sohnes erkennet, auch als Kinder ansieht, so haben wir daran ein augen-scheinliches und starkes Zeugnis, dass wir im Buche des Lebens angeschrieben stehen, wenn wir mit Christo Gemeinschaft haben. Nun hat er uns aber solche Gemeinschaft mit ihm geschenkt, indem er durch die Predigt des Evangeliums bezeugt hat, er sei uns vom Vater gegeben, damit er samt allen seinen Gütern unser sei. Es wird gesagt, dass wir ihn anziehen, in ihm wachsen, auf dass wir leben, indem er lebt; ferner, dass der Vater seines eingebornen Sohnes nicht verschonet habe, damit ein jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren werde, und dass, wer an ihn glaube, vom Tode zum Leben hindurchgedrungen sei. Er nennt sich darum auch das Brot des Lebens; wenn Jemand von demselben esse, so werde er ewig nicht sterben (Röm.8,32. Joh. 3,15. 5,24. 6,35.). Welche ferner Christus mit der Erkenntnis seines Namens erleuchtet, und also in den Schoß seiner Kirche aufnimmt: von denen heißt es (Joh. 6,37.39. 17,6.12.), dass er sie auch aufnehme in seinen Schutz und Schirm; welche er aber auf diese Weise annimmt, von denen wird gesagt, dass sie ihn vom Vater anvertraut und anbefohlen sind, damit sie zum ewigen Leben bewahrt werden. Wenn wir aber zweifeln, ob wir von Christo in seinen Schutz und Schirm angenommen sind, so begegnet er diesem Zweifel, indem er sich selbst als einen Hirten anbietet, und uns zu seinen Schafen zählt, wenn wir seine Stimme hören (Joh. 10,3.). So lasset uns denn Christum, welcher uns so freundlich entgegen kommt, umfassen; er aber wird uns in seine Herde annehmen, und uns unversehrt bewahren. Zwar macht uns die Angst vor dem künftigen Stand viel zu schaffen: denn Beruf und Glauben nützen wenig, wenn nicht die Beharrung dazu kommt. Christus aber hat uns von dieser Angst entledigt; denn er spricht (Joh. 6,37.40. 10,27.): „Alles was mir mein Vater gibt, kommt zu mir, und wer zu mir kommt, den will ich nicht hinausstoßen“. Desgleichen: „das ist der Wille des Vaters der mich gesandt hat, dass ich nichts verliere von allem, das er mir gegeben hat“. Desgleichen: „meine Schafe hören meine Stimme und sie folgen mir, und ich gebe ihnen das ewige Leben, und sie werden nimmermehr umkommen, und niemand wird sie aus meiner Hand reißen. Der Vater, der sie mir gegeben hat, ist größer als Alles und niemand kann sie aus meines Vaters Hand reißen“. Auf alle Erwählte geht es, wenn Paulus (Röm. 8,38.) die Gnade der Beharrung rühmt, nach welcher keine Kreatur ihn scheiden wird von der Liebe Gottes in Christo. Anderswo sagt derselbe Apostel: „welcher in euch angefangen hat das gute Werk, der wird es auch vollführen bis auf den Tag Jesu Christi“ (Phil. 1,6.). Auch ist kein Zweifel, dass, da Christus für alle Erwählte bittet, er dasselbe für sie erfleht, wie für den Petrus, dass ihr Glaube nimmer aufhöre (Luk. 22,32.). Sie sind also vor der Gefahr des Abfalls gesichert, weil der für die Standhaftigkeit ihrer Gottseligkeit bittende Sohn Gottes keine Fehlbitte getan hat. Was hat uns Christus hiemit anders lehren wollen, als, dass wir sollen vertrauen, dass wir beständig sollen selig bleiben, weil wir einmal die Seinigen geworden sind? 

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Zwar ereignet es sich täglich, dass solche, welche Christo anzugehören schienen, wieder von ihm abfallen, und dahinstürzen; aber diese haben noch nimmer Christo angehangen – mit jenem herzlichen Vertrauen, womit uns die Gewissheit unserer Erwählung bekräftiget wird. Sie sind von uns ausgegangen, sagt Johannes, aber sie waren nicht aus uns; denn wären sie aus uns gewesen, so wären sie ja bei uns geblieben (1 Joh. 2,19.). 

 

VON DEM MISSBRAUCH DER LEHRE VON DER GNADENWAHL. 

 

Die Schrift predigt uns nicht darum von der Gnadenwahl, dass wir frech werden, und die verborgenen Geheimnisse Gottes freventlich ergrübeln, sondern dass wir vielmehr demütig und niedrig bei seinem Gericht erzittern, und seine Barmherzigkeit hochachten lernen sollen. Es gibt einige Säue, welche sich in dem Kot ihrer Laster unter dem Vorwande beständig herumwälzen, dass, wenn sie zu den Erwählten gehörten, ihre Laster nichts hindern könnten, dass sie nicht endlich zum Leben gelangten. Was lehret uns aber Paulus? dass wir zu diesem Endzweck erwählt sind, damit wir ein heiliges und unsträfliches Leben führen (Eph. 1,4.). Wenn also die Heiligung des Lebens das Ziel der Erwählung ist, so soll uns dieselbe erwecken und anspornen, ihr wacker nachzujagen: nicht aber die Trägheit beschönigen. Dass aber derjenige, der nicht zu den Erwählten gehöre, sich vergeblich bemühe, wenn er gleich mit heiligem und frommen Wandel Gott zu gefallen trachte: dies ist schändlich erlogen. Denn woraus könnte ein solches Streben entstehen, als nur aus der Erwählung? Dagegen hören die Verworfenen nicht auf, mit unaufhörlichen Lastern Gottes Zorn gegen sich zu reizen, und durch offenbare Zeichen zu bestätigen, dass Gottes Urteil schon über sie gefällt ist. Es heißt ja ausdrücklich (1 Thess. 4,7.), dass wir nicht berufen sind zur Unreinigkeit, sondern, dass ein Jeder sein Gefäß in Ehren besitze. Desgleichen, dass wir Gottes Werk sind, geschaffen zu guten Werken, welche er bereitet hat, dass wir darin wandeln sollen. Christus befiehlt, dass man an ihn glaube; diesem Gebot ist jedoch der andere Spruch nicht zuwider (Joh. 6,61. Eph. 2,10.): Niemand kann zu mir kommen, es sei ihm denn von meinem Vater gegeben. Deshalb soll seinen Fortgang haben das Predigen, welches die Menschen zum Glauben bringe, und durch tägliches Wachstum in der Standhaftigkeit erhalte. Nichts destoweniger aber soll man auch die Erkenntnis von der Gnadenwahl aufrecht erhalten, damit die Gläubigen nicht als von dem ihrigen prangen, sondern sich allein im Herrn rühmen. Nicht ohne Ursache sagt Christus (Matth. 13,9.): Wer Ohren hat zu hören, der höre. Wenn wir also ermahnen und predigen, so gehorchen diejenigen gerne, welche Ohren haben. Denn es werden keine Menschen durch Bestrafungen gebessert, wenn nicht der Herr, der auch die Seinigen ohne dieselben zur Besserung bringen kann, sein Erbarmen erweiset, und Hand anlegt. Wenn die Menschen durch die Predigt des göttlichen Worts auf den Weg der Gerechtigkeit kommen, wer wirkt da in ihren Herzen die Seligkeit, als nur, der das Gedeihen gibt, 

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es pflanze oder begieße gleich, wer da wolle. Weil wir aber nicht wissen, wer zu der Zahl der Erwählten gehört, so sollen wir so gesinnet sein, dass wir wünschen, Alle möchten selig werden; dann werden wir uns bemühen, einen Jeden, der uns vorkommt, zum Genossen des Friedens zu machen. Unser Friede aber wird auf den Kindern des Friedens bleiben. 

 

VON DER KIRCHE. 

 

So wie zu der unsichtbaren Kirche diejenigen allein gehören, welche durch die Barmherzigkeit Gottes und durch die heiligmachende Kraft des Geistes zur Gemeinschaft Christi gebracht worden sind: so wird dagegen unter der sichtbaren Kirche die allgemeine durch die ganze Welt zerstreute Menge der Menschen verstanden, welche bekennen, dass sie Einen Gott und Christum verehren, auf den Glauben an ihn getauft werden, durch den Genuss des Abendmahls die Einigkeit in der wahren Lehre und Liebe bezeugen, im Worte des Herrn einhellig sind und zur Verkündigung desselben das von Christo eingesetzte Predigtamt aufrecht erhalten. In diesem Haufen laufen sehr viele Heuchler mit unter, welche von Christo nichts haben, als den bloßen Namen und äußerlichen Schein; sehr viele Ehrgeizige, Habsüchtige, Neidische, Lästerer, Unzüchtige, welche eine Zeitlang geduldet werden, weil sie entweder durch rechtmäßiges Gericht nicht überwiesen werden können, oder weil nicht immer eine so strenge Kirchenzucht, wie sein sollte, stattfindet. Gleich wie wir also eine unsichtbare und den Augen Gottes allein bekannte Kirche sollen glauben, so wird uns dagegen befohlen, die sichtbare hoch zu achten und Gemeinschaft mit derselben zu unterhalten. Darum sollen wir diejenigen als Glieder der Kirche anerkennen, die mit Bekenntnis des Glaubens und mit christlichem Wandel, so wie auch durch Gemeinschaft der Sakramente Einen Gott und Christum mit uns bekennen. Ob sie aber auch den wahren und innerlichen Glauben haben, ist Gott allein bekannt und uns zu wissen unnötig. Auch müssen wir hierin um so mehr mit Liebe richten, da oft die Gottlosen durch die Gnade Gottes wieder auf einen guten Weg gebracht, dagegen die, welche vor andern fest zu stehen schienen, oft dahin fallen. Denn der Herr hat, wie Augustinus sagt, viele Schafe draußen, und viele Wölfe drinnen: er allein weiß, welche in unverfälschter und beharrlicher Heiligkeit leben, welches das wichtigste Stück des Heiles ist. Wo also Gottes Wort rein gepredigt und gehört, und die Sakramente nach Christi Einsetzung ausgeteilt werden, da ist ohne Zweifel eine Kirche Gottes, indem seine Verheißung nicht trügen kann: „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammlet sind, da bin ich mitten unter ihnen“ (Matth. 18,20.). Es ist demnach gewiss, dass das Wort und die Sakramente nirgends ohne Segen verwaltet werden. Nicht als wenn überall, wo Gottes Wort gepredigt wird, die Frucht sogleich erfolge: aber es wird doch nirgends aufgenommen und geht beständig im Schwange, ohne Segen zu stiften. Und selbst diejenigen, welche bei äußerlichem Bekenntnis des Glaubens wirklich von Christo und somit 

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von der wahren Kirche entfremdet sind, müssen wir dennoch als gewissermaßen zu derselben gehörige Brüder so lange ansehen, als die Kirche, der Leib Christi, sie in ihrer Gemeinschaft duldet, und nicht durch öffentliches Gericht ausstößt. Und so müssen wir der allgemeinen Kirche ihre Einigkeit erhalten, und uns vor Trennungen hüten; wie denn auch niemand der Kirche Ansehen, Ermahnung, Rat und Strafe ohne sein eigenes Verderben verachten oder sich von ihr trennen darf. Der Herr nämlich achtet die Gemeinschaft seiner Kirche so hoch, dass er den für einen Abtrünnigen erklärt, der seine Verbindung mit ihr aufhebt. Nicht umsonst wird sie auch genannt eine Säule und Grundfeste der Wahrheit und ein Haus Gottes (1 Tim. 3,15.); womit angezeigt wird, dass die Kirche eine treue Bewahrerin der Wahrheit ist, damit dieselbe in der Welt nicht untergehe: denn durch ihren Dienst hat Gott die reine Predigt seines Wortes erhalten und sich an uns als einen Hausvater erweisen wollen, indem er uns mit geistlicher Speise nährt, und uns alles verschafft, was zu unserm Seelenheil dienlich ist. Es ist auch kein geringes Lob, dass sie genannt wird die auserwählte Braut Christi, die nicht habe einen Flecken oder Runzel (Eph. 5,27.); ferner der Leib und die Fülle Christi (Eph. 1,23.): woraus also folgt, dass die Absonderung von der Kirche eine Verleugnung Gottes und Christi ist, indem wir dadurch so viel an uns ist, die Wahrheit Gottes umstoßen und das Band der heiligen Ehe zerreißen, welche der eingeborne Sohn Gottes mit uns geschlossen hat. Ja es kann auch wohl entweder in der Lehre oder in Austeilung der Sakramente etwa ein Fehler sich einschleichen, der uns aber doch nicht von der Gemeinschaft derselben entfremden soll, wenn die Verschiedenheit keine Grundartikel des christlichen Glaubens betrifft, als da sind, dass ein Gott, dass Christus Gott und Gottes Sohn sei, dass unser Heil allein in Gottes Barmherzigkeit gegründet sei etc. Daher sagt Paulus (Phil. 3,15.): „Wie viele unser vollkommen sind, die lasset uns gleichgesinnet sein; und wenn ihr sonst etwas haltet, das wird euch Gott offenbaren“. Hiemit zeigt er ja deutlich an, dass Verschiedenheit in unwesentlichen Dingen die Christen unter einander nicht in Streit und Zwiespalt bringen soll. In Absicht auf die Unvollkommenheit des Wandels müssen wir noch vielmehr Vertragsamkeit und Nachgiebigkeit beweisen. Es hat nämlich allezeit Menschen gegeben, die aus einer falschen Meinung von vollkommener Heiligkeit die Gesellschaft aller Menschen verachteten, an denen sie noch etwas Schwachheit bemerkten, und ihre Gemeinschaft flohen. Freilich wehe uns, wenn wir durch ein schändliches Leben den schwachen Gewissen ein Ärgernis geben. Übrigens aber vergreifen sich die eben genannten Leute auch darin, dass sie in dem ihnen gegebenen Ärgernis zu weit gehen. Denn sie geben sich einer ungemäßigten Strenge hin, wo doch der Herr selbst Nachsicht fordert. Denn zum Zeugnis, dass die Kirche obwohl ihrer Bestimmung nach eine heilige, dennoch aus Guten und Bösen gemischt sei, gebraucht der Herr bald das Gleichnis von einem Netze, in welches allerhand Fische gefangen, aber nicht eher ausgelesen werden, bis sie ans Ufer gebracht sind (Matth. 13,47.); bald vergleicht er die Kirche mit einem Acker, der wohl mit gutem Samen besäet, aber durch die Arglist des Feindes mit Unkraut beworfen ist, welches 

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nicht eher als bis zur Ernte ausgerottet wird (Matth. 13,24.); bald mit einer Tenne, wo der Weizen unter der Spreu verborgen liegt; bis er durch die Wurfschaufel von derselben gesäubert wird (Matth. 3,12.). Da also der Herr sagt, dass die Kirche an diesem Übel bis zum Tage des Gerichts leiden wird: so sucht man vergeblich eine Kirche, die nicht mit irgend einem Flecken besudelt sei. Es ist zwar eine große Schande, dass oft Frevler und Gottlose unter Kindern Gottes geduldet, und besonders, dass sie zum heiligen Abendmahl oft zugelassen werden, welches auch in wohleingerichteten Kirchen nicht statt findet. Wenn aber auch die Kirche ihre Pflicht versäumt, so darf doch darum nicht ein jeder nach eigenem Gutdünken sich von ihr trennen. Denn ein anderes ist es, den Umgang der Bösen fliehen; ein anderes, aus Hass gegen sie die Gemeinschaft der Kirche verlassen. Auch gehet uns dadurch, dass ein Unwürdiger das heilige Abendmahl mit uns hält, von dem Segen desselben nichts ab, so wir anders nur selbst uns würdig darauf vorbereiten. 

 

VON DER KIRCHENZUCHT. 

 

Welche die Kirchenzucht aufgehoben wissen wollen, oder ihre Wiederherstellung verhindern, sie mögen es nun mit Fleiß oder aus Unbesonnenheit tun, die suchen ganz gewiss die äußere Zerrüttung der Kirche. Denn was würde daraus werden, wenn einem Jeden freistünde zu tun, was ihm gefällt? Dies würde aber entstehen, wenn nicht zu der Predigt der Heilslehre besondere Ermahnungen, Bestrafungen, und andere Mittel dieser Art hinzukämen, welche der Lehre Kraft und Nachdruck geben. Die Kirchenzucht ist also gleichsam ein Zügel, womit diejenigen zurückgehalten und bezähmt werden, welche gegen die Lehre Christi wild angehen; oder gleich einem Sporn, womit die Trägen angefeuert; oder auch zuweilen wie eine väterliche Rute, wodurch die, welche sich schwer vergangen haben, mit sanftem christlichem Geiste gezüchtigt werden. Da nun eine so greuliche Verwüstung in der Kirche bereits sichtbar ist, weil so wenig Sorge getragen und auf Mittel gedacht wird, das Volk im Zaum zu halten, so tut es wohl Not, Heilmittel anzuwenden. Nun ist aber dies die einzige Arznei, welche Christus vorgeschrieben hat, und unter den Gläubigen stets im Gebrauch gewesen ist. Zuerst nun soll die Bußzucht in Ermahnungen bestehen, die in der Stille geschehen; d. h. wenn Jemand seine Pflicht nicht willig tut, oder sich ungebührlich beträgt, oder nicht ehrbar wandelt, oder etwas tadelnswertes begangen hat: so soll er sich erinnern und ermahnen lassen: auch soll ein Jeder sich befleißigen, wo es erforderlich ist, seinen Bruder zu ermahnen. Vornehmlich aber sollen die Hirten und Ältesten sich dies zur Pflicht machen; denn ihr Amt ist es nicht allein öffentlich dem Volke zu predigen, sondern dasselbe auch von Haus zu Hause zu ermahnen, weil die öffentliche Predigt nicht hinreicht: so berichtet Paulus (Apostelg. 20,20.26.), er habe gelehrt sonderlich und in den Häusern; und bezeugt, dass er rein sei von dem Blute Aller; denn er habe nicht 

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aufgehört, Tag und Nacht einen Jeden mit Tränen zu ermahnen. Denn alsdann behauptet die Lehre ihre Kraft und ihr Ansehen, wenn der Diener nicht allein Allen zugleich erklärt, was sie Christo schuldig sind, sondern auch berechtigt und befugt ist dasselbe von denen zu fordern, welche er als der Lehre ungehorsame kennen lernt. Wenn nun Jemand solche Ermahnungen aus dem Sinne schlägt, sie verachtet und in seinen Lastern fortfährt, so soll er, nachdem er zum andern Mal in Gegenwart einiger Zeugen ermahnt worden ist, nach dem Befehl Christi vor das Kirchengericht, welches eine Versammlung von Ältesten ist, vorgeladen werden; vor demselben soll er ernster, gleichsam im Namen der Gemeine erinnert werden, damit er aus Ehrfurcht gegen die Kirche Unterwerfung und Gehorsam erweise. Wenn er auch dann noch nicht gebrochen wird, sondern in seiner Gottlosigkeit beharrt, so soll er als ein Verächter der Kirche aus der Gemeinschaft der Gläubigen ausgeschlossen werden. Jedoch soll die Bußzucht nach diesen von Christo vorgeschriebenen Stufen nur bei heimlichen Sünden stattfinden, d. h. bei solchen, welche zwar den Menschen nicht ganz verborgen (wie die der Heuchler, welche dem Kirchengericht nicht anheim fallen), aber wie wohl nicht ganz ohne Zeugen, doch nicht eigentlich öffentlich sind. Was aber offenbare Vergehungen betrifft, die nicht allein mehrere Zeugen haben, sondern auch öffentlich und zum großen Ärgernis der Kirche begangen worden sind, so soll man bei ihnen bald zur öffentlichen Bestrafung in Gegenwart Aller schreiten, damit sich, wie Paulus sagt, auch die Andern fürchten (1 Tim. 5,20.). Auch muss man einen Unterschied machen zwischen geringen Vergehungen und groben Schandtaten. Bei jenen muss man nicht zu strenge verfahren, sondern da ist eine gelinde und väterliche Züchtigung mit Worten hinreichend, die den Sünder nicht erbittere, sondern zur Einkehr in sich selbst erwecke. Bei groben Schandtaten muss aber eine schärfere Arznei angewendet werden; so, dass offenbare Ehebrecher, Hurer, Diebe, Räuber, Aufrührer, Meineidige, Halsstarrige etc. aus der Gemeinschaft des heiligen Abendmahls und der Kirche überhaupt so lange ausgeschlossen werden sollen, bis sie glaubwürdige Zeichen einer gründlichen Besserung von sich gegeben haben. Dieser Kirchenbann hat einen dreifachen Zweck. Der erste ist, damit nicht zur Schmach Gottes diejenigen unter die Christen gezählt werden, welche ein schändliches und lasterhaftes Leben führen, gleich als wäre seine heilige Kirche eine Rotte gottloser und schändlicher Menschen. Denn da sie der Leib Christi ist, so kann sie mit solchen faulen und stinkenden Gliedern nicht besudelt werden, ohne dass auch einige Schmach das Haupt treffe (Koloss. 1,24.). Damit also in der Kirche nichts dergleichen gefunden werde, wodurch sein heiliger Name geschändet werde, so müssen diejenigen, deren abscheulicher Wandel dem Christennamen Schande bringen könnte, aus der Familie Christi ausgestoßen werden. Auch würde der zur Austeilung des heiligen Abendmahls verordnete Diener des Evangeliums, wenn er dasselbe einem Unwürdigen mit Wissen und Willen ausspendete, welchen er mit Recht abweisen konnte, hierdurch einer Schändung des Heiligen sich eben so schuldig mache, als wenn er den Leib des Herrn den Hunden vorwürfe. Der andere Zweck ist der, dass nicht durch beständige Gemeinschaft mit dem Bösen die From- 

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men verderbt werden. Denn da wir von Natur so leicht vom Wege uns verirren, so kann es leicht geschehen, dass wir durch böse Exempel von der rechten Laufbahn abkommen. Daher sagt der Apostel (1 Kor. 5,6.): „Ein wenig Sauerteig versäuert den ganzen Teig“. Desgleichen (1 Kor. 5,11.): „Ihr sollt nichts mit ihnen zu schaffen haben; wenn also Jemand ist, der sich lässt einen Bruder nennen, und ist ein Hurer oder ein Geiziger, oder ein Abgöttischer, oder ein Lästerer, oder ein Trunkenbold, oder ein Räuber; mit denselben sollt ihr nicht einmal essen“. Der dritte Zweck ist, dass sie selbst, von Scham ergriffen, zur Reue über ihr schändliches Leben gebracht werden. Es gereicht also zu ihrem Besten, wenn ihre Ruchlosigkeit gezüchtigt wird, damit sie, die durch Nachsicht hartnäckig geworden sein würden, durch die Empfindung der Rute zur Erweckung kommen möchten. Paulus spricht (2 Thess. 3,14.): „So Jemand unserm Wort nicht gehorcht, so bezeichnet ihn durch einen Brief, und habet nichts mit ihm zu schaffen, auf dass er schamrot werde“. Die ganze Verhandlung des Kirchen-bannes soll aber mit Anrufung des göttlichen Namens und mit dem feierlichen Ernst geschehen, dass man deutlich verspüren kann, Christus sei gegenwärtig und er führe in seinem Gericht den Vorsitz. Jedoch muss auch dies berührt werden, dass der Kirche ein solcher Ernst gezieme, der mit dem Geist der Sanftmut vereinigt sei. Denn man hat sich, wie Paulus vorschreibt, allezeit zu hüten, dass derjenige, welcher bestraft wird, nicht in allzugroße Traurigkeit versinke, denn so würde aus dem Heilmittel ein Verderben entstehen (2 Kor. 2,7.). Da nämlich dies durch den Kirchenbann beabsichtigt wird, dass der Sünder zur Buße gebracht und böse Exempel aus dem Wege geschafft, mithin der Name Christi nicht geschändet und Andere nicht zur bösen Nachfolge gereizt werden: so muss, wann der Sünder Bußbezeugung ablegt und somit das der Kirche gegebene Ärgernis, so viel an ihm ist, wieder aufhebt, nicht weiter mit Strenge gegen ihn verfahren werden; sonst überschreitet der Ernst sein Maß. Und so wie von der gesamten Kirche diese Sanftmut erfordert wird, dass sie gegen die Gefallenen nicht mit der äußersten Strenge sondern mit Liebe verfahre: so muss auch ein Jeder für sich diesen sanften, freundlichen Sinn beweisen. Es stehet uns also nicht zu, die aus der Kirche Ausgeschlossenen aus der Zahl der Erwählten auszustreichen, oder sie als bereits Verlorne aufzugeben; sondern wir sollen dafür halten, dass sie nur so lange von der Kirche, und mithin auch von Christo entfremdet sind, als sie abtrünnig bleiben. Wir sollen darum fleißig für sie zu Gott beten und ihre Besserung für die Zukunft hoffen. Wir sollen also nicht der Person selbst, die ja in Gottes Hand allein steht, das Todesurteil sprechen, sondern nur die Beschaffenheit der Werke eines Jeden nach dem göttlichen Gesetze beurteilen. Oder wollen wir der göttlichen Kraft und Barmherzigkeit ein Ziel setzen, nach deren Wohlgefallen so oft aus den Schlimmsten die Besten, und aus Fremdlingen Glieder und Hausgenossen der Kirche werden, um uns zu lehren, wie sehr wir uns alles ungebührlichen anmaßenden Urteilens enthalten sollen (Matth. 18,18.)? Wiewohl also die Kirchenzucht verbietet, in vertrautem Umgang mit den Ausgeschlossenen zu stehen, so sollen wir uns doch so viel als möglich bemühen, sie zur Besserung zu 

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locken, damit sie dadurch der kirchlichen Gemeinschaft wieder einverleibt werden. Paulus spricht (2 Thess. 3,15.): „Haltet sie nicht als Feinde, sondern strafet sie als Brüder. 

 

VON DEN SAKRAMENTEN. 

 

In den Sakramenten ist ein der Predigt des Evangeliums sehr verwandtes Mittel zur Unterstützung unsers Glaubens enthalten. Ein Sakrament ist nämlich ein äußerliches Zeichen, durch welches Gott die Verheißungen seiner gnädigen Gesinnung gegen uns unsern Gewissen versiegelt, um unsern schwachen Glauben zu stärken: dagegen wir sowohl vor ihm und seinen heiligen Engeln als vor den Menschen unsere Liebe und Ehrfurcht gegen ihn bezeugen. Man kann es auch nennen ein Zeugnis der göttlichen Gnade gegen uns, durch ein äußerliches Zeichen bestätigt, mit Gegenbezeugung der Liebe, die wir ihm schuldig sind. Es ist also das Sakrament nie ohne vorhergehende Verheißung, sondern es wird vielmehr derselben als ein Anhang beigefügt, um die Verheißung selbst zu bestätigen und zu versiegeln, und uns dieselbe desto gewisser und kräftiger zu machen, hiermit aber unserm Unverstand und unserer Schwachheit zu Hilfe zu kommen, und uns im Glauben an Gottes heiliges Wort zu stärken. Denn obwohl die im Worte Gottes enthaltene ewige Wahrheit selbst an und für sich schon gewiss und kräftig ist, und nicht erst anderswoher bestätigt zu werden braucht: so würde doch unser Glaube, wie er denn klein und schwach ist, bald erschüttert werden, wanken, straucheln und sogar dahin fallen, wenn er nicht von allen Seiten und auf alle mögliche Weise befestigt und unterstützt würde. Der Herr also richtet sich aus unermesslicher Gnade dergestalt nach unserm Fassungsvermögen, dass, da wir sinnlich sind, und immer auf Erden kriechend und im Fleische steckend nichts Geistliches denken und fassen, er es sich nicht verdrießen lässt, uns auch durch solche irdische Elemente zu sich zu leiten und uns selbst im Fleische einen Spiegel geistlicher Güter vorzustellen. Es besteht das Sakrament aus dem Worte und dem äußerlichen Zeichen; und zwar lehrt uns das gepredigte Wort, was das äußerliche Zeichen bedeute, nämlich die Verheißung, worauf dasselbe hinweiset. Wenn das Wort zum Element kommt, so wird es ein Sakrament, wie Augustinus sagt. Die Sakramente sind also Siegel, wodurch dasjenige bestätigt wird, was uns Gott von seiner Gnade gegen uns in seinem Worte verheißen und bezeugt hat. Wenn also ein Gläubiger die Sakramente anschaut, so bleibt er nicht am Äußerlichen kleben, sondern schwingt sich durch eine heilige Betrachtung zu den erhabenen Geheimnissen empor, welche in den Sakramenten verborgen enthalten sind. Und da der Herr seine Verheißungen Bündnisse nennt: so haben wir die Sakramente als Zeichen der Bündnisse anzusehen, wodurch die Bundesartikel bekräftigt werden. Sie sind Übungen, welche uns Gottes Wort gewiss machen, und weil wir sinnlich sind, so werden sie uns mit sinnlichen Dingen gereicht, damit sie uns nach unserm geringen Fassungsvermögen unterweisen, und 

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gleich als Zuchtmeister uns Kinder an der Hand führet. Der Glaube beruht auf Gottes Wort als auf dem Fundament; wenn aber die Sakramente hinzukommen, so wird er durch dieselben gleich als durch Säulen desto fester unterstützt. Man kann sie auch Spiegel nennen, in denen wir die göttlichen Gnadenschätze, die er uns mitteilt, anschauen können, und wodurch er uns seine Gnade auf's Klarste vorstellt. Der Herr bietet uns seine Barmherzigkeit und das Pfand seiner Gnade in seinem heiligen Worte und in den Sakramenten an; aber nur diejenigen empfangen dieselbe wirklich, welche das Wort und die Sakramente mit wahrem Glauben annehmen. Erstlich lehrt und unterweiset uns der Herr durch sein Wort; darnach gibt er uns eine kräftige Versicherung durch die Sakramente: zuletzt erleuchtet er unsere Herzen durch das Licht seines heiligen Geistes und macht dem Worte und den Sakramenten Bahn, dass sie unsere Gemüter durchdringen, indem sie sonst nur unsere Augen und Ohren berühren, keineswegs aber unser Inneres ergreifen würden. Es ist also in die Sakramente keine verborgene Kraft eingeschlossen, wodurch sie den Glauben aus sich selbst befördern und bekräftigen könnten; sie können vielmehr erst dann zur Stärkung und Vermehrung des Glaubens dienen, wenn der innere Lehrer der Seele mit seiner Kraft hinzukommt, durch welche allein unsere Herzen bewegt werden, die in den Sakramenten gegebene Versicherung von der Gnade Gottes in Christo gläubig anzunehmen. Wir müssen uns also vor einem doppelten Fehler hüten: erstlich, dass wir die Zeichen so annehmen, als wären sie uns vergeblich gegeben, und in Bosheit ihre verborgene Bedeutung aufheben oder verkleinern und dadurch verursachen, dass sie uns keinen Nutzen bringen; zum andern, dass wir nicht unsere Herzen über die sichtbaren Zeichen erheben, sondern dieselben so hochpreisen, als wären sie die Güter selbst, die uns doch von Christo allein geschenkt und durch seinen Geist zugeeignet werden. Denn obwohl der Herr Alles, was er durch die Zeichen verheißet und abbildet, wahrhaft leistet, so hat er doch seine Kraft und Wirksamkeit nicht den äußerlichen Zeichen übergeben, sondern wirket durch eigene ihm angehörige Kraft. So wie nun von Seiten des Herrn die Sakramente Zeugnisse der Gnade und Seligkeit sind: so sind sie dagegen unserseits Glaubenszeichen, wodurch wir feierlich dem Herrn Treue zuschwören; durch dieselben wird also ein gegenseitiger Bund geschlossen zwischen Gott und uns. Denn so wie Gott seinerseits verspricht, dass er in seinem eingebornen Sohne uns mit sich versöhnen und alle unsere Schuld und Strafe, die wir verwirkt haben, durchstreichen und tilgen wolle: so verpflichten wir uns dagegen unsererseits durch dieses Bekenntnis zum Fleiß in der Gottseligkeit und Heiligkeit. So sind also die Sakramente Ceremonien, mit welchen Gott sein Volk üben will, erstlich den Glauben innerlich zu pflegen, zu erwecken und zu stärken; zum andern, unsere Religion vor den Menschen zu bekennen. Da also Christus der Grund und das Wesen aller Sakramente ist, so wird man nur sofern Nutzen und Segen aus ihnen ziehen, als man durch dieselben zunimmt in der Gemeinschaft Christi. 

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VON DER HEILIGEN TAUFE. 

 

Nach der Absicht Gottes bei Einsetzung der Taufe ergibt es sich von selbst, wie wir dieselbe gebrauchen und empfangen sollen. Denn sofern sie zur Stärkung und Belebung unsers Glaubens dienen soll, müssen wir sie empfangen, wie aus der Hand des Stifters selbst, und für gewiss und sicher annehmen, dass er selbst es sei, der durch das Zeichen zu uns rede, dass er selbst es sei, der uns reinigt, abwäscht, das Gedächtnis unserer Sünden tilgt; dass er selbst es sei, der seines Todes uns teilhaftig macht, der des Satans Reich zerstört, der unsere bösen Lüste dämpft, ja, der ein Leib mit uns wird, damit wir, mit ihm bekleidet, zu den Söhnen Gottes gezählet werden. Überzeugt, sage ich, müssen wir sein, dass er dies Alles innerlich an unserer Seele so wahrhaftig und gewiss leiste, als wir sehen, dass unser Leib äußerlich abgewaschen wird. Überhaupt erlangen wir aus diesem Sakrament nur soviel, als wir mit dem Glauben ergreifen. Wenn der Glaube fehlt, so gereicht es zum Zeugnis unserer Undankbarkeit, wodurch wir vor Gott straffällig werden, weil wir seiner in derselben uns erteilten Botschaft keinen Glauben beigemessen haben. Wir müssen frei mit allen Christen bekennen, dass wir leider eine Zeit lang die in der Taufe uns gegebene Verheißung aus Blindheit und Unglauben nicht ergriffen haben, und dass deshalb für jene Zeit die Taufe uns nicht im Geringsten genützet hat. Aber seitdem wir durch Gottes Gnade angefangen haben Buße zu tun, beklagen wir unsere Blindheit und Herzenshärtigkeit, dass wir gegen eine so große Gnade so lange undankbar gewesen sind. Übrigens glauben wir, dass jene Verheißung selbst, weil sie von Gott war nicht verschwunden, sondern stets kräftig und wahrhaftig geblieben sei. Denn wenn auch alle Menschen lügenhaft und treulos sind, so hört doch Gott nicht auf, wahrhaftig zu sein; wenn auch alle verloren sind, so bleibt doch Christus unser Heil. Darum wollen wir also denken: Gott verheißt uns durch die Taufe Vergebung der Sünden, und wird das, was er versprochen hat, allen Gläubigen sicher halten. Diese Verheißung ist uns in der Taufe angetragen worden; darum wollen wir sie im Glauben annehmen. Lange zwar ist sie unsers Unglaubens wegen für uns begraben gewesen wir wollen sie daher jetzt durch den Glauben uns wieder zueignen. Sofern aber die Taufe ein Zeichen unsers Bekenntnisses vor den Menschen ist, sollen wir dadurch öffentlich bezeugen, dass unser Vertrauen in der Barmherzigkeit Gottes, und unsere Reinheit in Vergebung der Sünden bestehe, welche uns durch Jesum Christum erworben ist; und dass wir in die Gemeine Gottes eintreten, um in Eintracht des Glaubens und der Liebe mit allen Gläubigen zu leben. Hierauf deutet Paulus hin, wenn er sagt, wir seien alle in Einem Geist getauft, damit wir alle Ein Leib seien (1 Kor. 12,13.). Jedoch ist es nicht recht, wenn Privatpersonen sich die Verrichtung der Taufe anmaßen; denn die Ausspendung derselben, so wie auch die des Abendmahls ist ein Teil des Kirchenamtes, welches Christus allein den Aposteln und ihren Nachfolgern übertragen, und wovon er die Taufe ihnen 

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besonders befohlen hat (Matth. 28,19.). Denn man muss ja nicht meinen, als ob die Kinder, welche krank sind, wenn sie ohne Taufe stürben, darum aus dem Reiche Gottes ausgeschlossen wären. Denn Gott bezeugt, dass er unsere Kinder vor ihrer Geburt schon zu den seinigen zähle, weil er verheißt, dass er unser Gott sein wolle und unsers Samens nach uns. In diesem Wort ist ihre Seligkeit enthalten. Diese seine Verheißung ist wahrhaftig und kräftig, an und für sich und ohne Sakrament; und dieses ist bloß ein Siegel, nicht um der Verheißung Gottes, wie wenn diese an sich unkräftig wäre, erst Kraft zu geben, sondern uns dieselbe allein zu bestätigen. Wenn nur in Unterlassung der äußern Taufhandlung keine Nachlässigkeit, noch Geringschätzung oder Sorglosigkeit stattfindet, so sind wir außer aller Gefahr. 

 

VOM HEILIGEN ABENDMAHLE. 

 

Aus diesem Sakrament können unsere Seelen eine große Freude und Vertrauen schöpfen, weil wir hier ein Zeugnis haben, dass wir mit Christo in einem Leibe vereinigt sind, so, dass wir Alles, was sein ist, auch unser nennen können. Daraus folgt, dass wir uns sicher dies versprechen können, dass das ewige Leben, dessen Erbe er ist, unser sei, und dass das Himmelreich, dahin er gegangen ist, uns eben so wenig entrissen werden kann, als ihm; ferner, dass wir unserer Sünden wegen nicht verdammt werden können, weil er uns davon losgesprochen hat, indem er gewollt, dass ihm dieselben zugerechnet würden, als wären sie seine eigene. Das ist ein wunderbarer Wechsel, den er nach seiner unendlichen Güte mit uns gehalten hat, dass er mit uns ein Menschenkind geworden, uns dagegen mit sich zu Kindern Gottes gemacht hat, dass er durch seine Herabkunft auf die Erde uns eine Himmelfahrt verschafft, dass er durch Annehmung unserer Sterblichkeit uns seine Unsterblichkeit mitgeteilt, dass er durch Bekleidung mit unserer Schwachheit uns mit seiner Kraft angetan, dass er durch Annehmung unserer Armut uns seinen Reichtum zugeführt, dass er durch Anziehung unserer Ungerechtigkeit uns mit seiner Gerechtigkeit bekleidet hat. Von diesem Allem haben wir in diesem Sakrament ein so starkes Zeugnis, dass wir fest überzeugt sein sollen, dass uns dasselbe wahrhaftig geleistet werde, nicht anders, als wenn Christus selbst gegenwärtig vor unsern Augen stünde, und mit Händen betastet würde. Seine Verheißung (Joh. 6,48.58.), worin er bezeugt, dass sein Fleisch wahrhaftig eine Speise und sein Blut ein Trank sei, womit wir zum ewigen Leben gespeiset und getränket werden, wird in diesem Sakrament uns versiegelt und bestätigt, welches uns darum zum Kreuz Christi führet, wo diese Verheißung vollkommen erfüllt worden ist; denn wir essen Christum erst dann auf eine rechte und nützliche Art, wenn wir ihn als den Gekreuzigten essen, so, dass wir die Kraft seines Todes mit lebendigem Glauben ergreifen. 

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Das heilige Abendmahl besteht also aus zwei Dingen, nämlich aus den leiblichen sichtbaren Zeichen, welche uns die unsichtbaren Gaben nach 

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unserm schwachen Begriff vor Augen stellen, und aus der geistlichen Wahrheit, welche durch die Zeichen zugleich angedeutet und gegeben wird; die geistliche Wahrheit ist aber nichts anders, als die Erfüllung der Verheißung, dass Christus mit seinem Leib und Blut, an welchem er allen Gehorsam erfüllet hat, um uns die Gerechtigkeit zu verschaffen, wahrhaftig durch die Zeichen des Brotes und des Weins uns gegeben werde. Und dies geschieht, damit wir in Einem Leibe mit ihm vereinigt, seines Wesens teilhaftig, seine erlösende, heiligende, versöhnende Kraft empfinden und so aller seiner Güter in Zeit und Ewigkeit genießen. Denn obwohl Christus sein Fleisch von uns hinweggenommen, und mit seinem Leib gen Himmel gefahren ist, so erweiset er doch seine Gewalt allenthalben im Himmel und auf Erden, ist mit seiner Kraft gegenwärtig, und teilt das Leben mit, als wenn er leiblich gegenwärtig wäre; ja er speiset uns mit seinem eigenen Leib, dessen Gemeinschaft er uns durch die Kraft seines Geistes mitteilt. Jedoch ist Christus nicht an das Element des Brotes angeheftet, so dass der Leib Christi auf den Tisch oder Altar stiege und also daselbst leiblich gegenwärtig wäre, so dass er mit den Händen angerührt, mit den Zähnen gekaut, mit dem Munde verschluckt würde; denn wir zweifeln nicht daran, dass der Leib Christi seine begrenzte Größe habe nach Beschaffenheit eines menschlichen Leibes, und im Himmel, dahin er einmal aufgenommen ist, bleibt bis er wieder kommt zum Weltgericht. Apostelg. 1,9-11. Luk. 24,39. Apostelg. 3,21. Joh. 14,28. Matth. 26,11. Und zwar ist solches zum Genuss seiner Gemeinschaft nicht nötig, indem uns der Herr durch seinen Geist diese Wohltat mitteilt, dass wir mit Leib und Seele Eins mit ihm werden. Der Geist Christi ist also das Band dieser Vereinigung gleichsam ein Kanal, durch welchen alles, was in Christo ist, uns zugeführt wird. Denn da wir sehen, dass die Sonne, mit ihren Strahlen die Erde bescheinend, zugleich ihr Wesen einigermaßen zu uns herabläßt, um alles zu beleben und fruchtbar zu machen: warum sollten denn die Strahlen des Geistes Christi nicht so viel vermögen, die Gemeinschaft seines Leibes und Blutes uns einzuflößen? Daher sagt Paulus im Brief an die Römer, im 8. Kapitel, dass Christus durch seinen Geist in uns wohne. Dass wir aber unsere Herzen in den Himmel erheben, und nicht an den äußerlichen Zeichen des Brotes und Weines heften sollen, wird uns damit deutlich angezeigt, dass nach der ausdrücklichen Lehre der Schrift das Brot im Abendmahl nicht der eigentliche Leib Christi wird, sondern nach wie vor Brot ist und bleibet. So oft, heißt es, ihr von diesem Brot esset, und von diesem Kelch trinket, sollt ihr des Herrn Tod verkündigen, bis er kommt; ferner: der Mensch prüfe sich selbst, und dann esse er von diesem Brot und trinke von diesem Kelch. 1 Kor 11,26-28. Darum ist denn auch in der alten Kirche beim heiligen Abendmahl dem Volke vor der Einsegnung des Brotes und Weines zugerufen worden: Hinauf die Herzen! Wie denn auch die heilige Schrift, um uns alle fleischliche Gedanken hievon aus dem Sinne zu schlagen, uns befiehlt (Koloss. 3,1.), zu suchen, was droben ist, da Christus ist sitzend zur Rechten Gottes. 

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Einige, wenn sie die Leute zum würdigen Essen bereiten wollten, haben die armen Gewissen grausam gemartert und geplagt. Sie haben gesagt, dass diejenigen würdig essen, die im Stande der Gnade wären. Im Stande der Gnade sein, heißt bei ihnen so viel, als rein und frei von aller Sünde sein. Damit würden aber alle Menschen ohne Ausnahme vom Genuss dieses Sakraments ausgeschlossen. Nein: diese heilige Speise ist eine Arznei für die Kranken, ein Trost für die Sünder, ein Geschenk für die Armen; sie ist den Gesunden, den Frommen und Reichen von keinem Nutzen. Denn, weil darin Christus uns zur Speise gegeben wird, so erkennen wir, dass wir außer ihm verschmachten müssten; weil Christus uns zum Leben gegeben wird, so erkennen wir, dass wir ohne ihn, an und für uns selbst, ganz tot sind. Deswegen ist das die einzige und beste Würdigkeit, welche wir Gott darbringen können, wenn wir ihm unsere Nichtigkeit und Unwürdigkeit zum Opfer bringen, damit er durch seine Barmherzigkeit uns seiner würdig mache; wenn wir an uns selbst verzagen, damit wir in ihm getröstet werden; wenn wir uns demütigen, damit wir von ihm aufgerichtet werden; wenn wir uns anklagen, damit wir von ihm gerecht gesprochen werden; zudem, wenn wir nach der Einigkeit, die er uns in seinem Abendmahl vorstellt, streben, und gleich wie er uns Alle in ihm selbst Eins macht, so auch Eine Seele, Einerlei Herz und Zunge uns Allen anwünschen. Solche Gedanken können uns wohl beugen, aber nicht darnieder werfen. Wie sollten wir Armen und alles Guten Entblößten und mit so viel Sünden Besudelten, wir halb Toten den Leib des Herrn würdig essen? Wir werden vielmehr daran denken, dass wir als arme Bettler zu einem reichen Geber, als Kranken zu dem Arzt, als Sünder zu dem, der gerecht macht, als Tote zu dem, der lebendig macht, kommen; dass die Würdigkeit, die Gott verlangt, vornehmlich im Glauben bestehe, der Alles in Christo und nicht in uns sucht; darnach in der Liebe, welche man auch als unvollkommen Gott aufopfern soll, damit er sie verbessere und vermehre. 

 

VON DEM VERHALTEN DER CHRISTEN

GEGEN DIE WELTLICHE OBRIGKEIT. 

 

Der Untertanen erste Pflicht gegen die Obrigkeit ist, ihr Amt ganz in Ehren zu halten, so, dass sie dasselbe als von Gott eingeführt anerkennen, und sie deswegen hochachten und wert schätzen. Wenn Petrus gebietet, dass man den König ehren soll, so versteht er unter dem Wort Ehre eine reine aufrichtige Hochachtung. 1 Petr. 2,17. Und wenn Salomo will, dass man Gott und den König fürchten soll (Sprüchw. 24,21.), so gibt er dadurch, dass er den König neben Gott stellt, zu erkennen, dass man die Würde des Königs mit wahrer Ehrerbietung anerkennen soll. Und wenn Paulus sagt (Röm. 13,5.), dass wir der Obrigkeit nicht allein der Strafe wegen, sondern auch Gewissenshalber untertan sein sollen: so zeigt er hiemit an, dass die Untertanen sich nicht allein aus Furcht zum Gehorsam erweckt fühlen sollen, sondern darum, weil ein solcher Gehorsam 

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Gott selbst geleistet wird, indem ihre Gewalt von Gott ist. Denn wenn auch unter den Personen, welche die Obrigkeit ausmachen, manche ihrer Untugenden wegen oft gar nicht ehrwürdig sind, so müssen wir sie doch um ihres ehrenwerten Standes und Amtes willen hochschätzen. Daraus folgt denn auch, dass wir mit willigem Herzen den gebührlichen Gehorsam gegen sie leisten, er bestehe nun in der Beobachtung ihrer Gebote, oder in Bezahlung der Steuer, oder in sonstigen Diensten, die das gemeine Beste betreffen. Jedermann, sagt Paulus (Röm. 13,1.), sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn wer sich der Obrigkeit widersetzt, der widerstrebt Gottes Ordnung. Erinnere sie, schreibt er dem Titus (Tit. 3,1.), dass sie den Fürsten und der Obrigkeit untertan und gehorsam seien, und zu allen guten Werken bereit. Und Petrus spricht (1 Petr. 2,15.): „Seid untertan aller menschlichen Ordnung, um des Herrn willen, es sei dem Könige als dem Höchsten, oder den Hauptleuten, als den Gesandten von ihm zur Rache über die Übeltäter, und zum Lob den Frommen“. Und hierin soll Niemand sich selbst betrügen. Denn weil man der Obrigkeit nicht widerstehen kann, ohne auch zugleich Gott zu widerstehen: so ist, obgleich es sich oft ansehen lässt, als ob die wehrlose Obrigkeit ungestraft verachtet werden könnte, doch Gott gerüstet genug, die ihm dadurch zugefügte Verachtung strenge zu bestrafen. Zu diesem Gehorsam gehört auch, dass Privatpersonen sich still und eingezogen halten, sich nicht vorwitzig in öffentliche Händel mengen, oder freventlich der Obrigkeit in ihr Amt fallen, und überhaupt ohne ihren Befehl nichts öffentlich anfangen. Und selbst dann, wenn eine Obrigkeit böse ist, und die Untertanen drückt, müssen diese ihr dennoch gehorsam sein, weil auch sie von Gott eingesetzt ist, wenn auch nur, um durch dieselbe die Sünden seines Volkes zu bestrafen; so, dass also die Untertanen nicht befugt sind, solchem Unwesen ein Ende zu machen. (Dan. 2,37. 5,18. Jer. 17,5. 27,17. Sprüchw. 28,2. Hiob 12,18. 1 Sam. 24,11.), und nichts anders tun dürfen, als ihrer Sünden zu gedenken, und Gott um Hilfe anzurufen, in dessen Hand die Herzen der Könige und die Veränderungen der Königreiche stehen. Aber in diesem den Obern gebührenden Gehorsam muss man dieses sich vorbehalten, dass derselbe uns nicht vom Gehorsam gegen den abführe, dessen Willen aller Könige Begehren unterworfen ist, vor dessen Beschlusse alle ihre Befehle weichen, vor dessen Majestät alle Zepter sich neigen müssen. Und zwar, wie verkehrt würde das sein, wenn man, um den Menschen ein Genüge zu tun, den erzürnen wollte, um dessen willen man den Menschen gehorchen soll. Der Herr also ist ein König aller Könige; wenn er seinen heiligen Mund aufgetan hat, muss man ihn allein vor allen anhören: darnach sind wir den Menschen, welche uns vorgesetzt sind, unterworfen; aber nur in ihm, wenn sie etwas wider ihn gebieten sollten, soll man es nicht anhören. Denn man muss, wie Petrus sagt, Gott mehr gehorchen als den Menschen. Lieber müssen wir Alles leiden, als von der Gottseligkeit abweichen. 

 

J. Calvin, Institutio (Auszug).pdf
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