DAS ZEHNTE KAPITEL. (4.B./2.T./10.K.)

 

WIE WEISLICH GOTT DEN MENSCHEN ERSCHAFFEN.

 

Inhalt.

1) Im Menschen sind drei Stände; der unterste ist die nährende Kraft, mit dem Leibe verbunden. 2) Der andere Teil die sinnlichen Kräfte, edler denn jene. 3) Der oberste und edelste, die Vernunft, Wille und Gedächtnis, sind ganz geistlich, und gleichsam die Ratsherren im Menschen.

 

Du hast alles weislich geordnet. Ps. 104,24.

 

Es sind drei unterschiedliche Stände im Menschen, als ein natürliches Reich. Der unterste Stand ist die nährende Kraft, das sind die Ackersleute, Arbeitsleute, die dem Leibe die Speise künstlich im Magen bereiten, kochen, zurichten, Appetit machen, an sich ziehen, behalten, austreiben, subtil machen, künstlicher denn ein Künstler. Diese untersten Kräfte dienen den obern, und arbeiten ohne Unter-laß Tag und Nacht, auf dass die obern erhalten werden; denn wenn eines seine Arbeit nicht tut, so liegt das ganze Werk, und die obern Kräfte werden ge-schwächt. Diese Kräfte aber sind mit dem Leibe verbunden und fast leiblich, darum sind sie unedler, als die obern.

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2. Darauf folgt der andere Stand, das sind sinnliche Kräfte, und sind edler, denn die untern, als Sehen, Hören, Schmecken, Riechen, Fühlen; und unter denselben ist eines edler, denn das andere. Das Sehen ist edler als das Hören, denn wir können weiter sehen, als hören; das Gehör übertrifft den Geruch, denn wir können weiter hören, als riechen; der Geruch übertrifft den Geschmack, denn wir können weiter riechen, als schmecken. Das Fühlen aber ist das unterste, und durch den ganzen Leib ausgestreckt.

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3. Der oberste und edelste Stand ist die Vernunft, der Wille und das Gedächtnis, und ist der Regimentsstand, denn dieser regiert die andern alle, und haben ihre unterschiedene Ämter, und sind nicht leiblich, sondern ganz geistlich, darum auch ganz edel, geschwinde und subtil, und die kann niemand zwingen, wie die untersten. Denn wer kann den Willen zwingen? Ein gezwungener Wille ist kein Wille, denn der Wille ist ganz frei, läßt sich nicht zwingen; denn was er will, das will er frei. Dies sind die Ratsherren im Menschen, so beschließen und voll-ziehen. Denn der oberste Stand im Menschen ist nun mit vielen Tugenden ge-schmückt, die sein Kleid sind. Als mit der Gerechtigkeit ist geschmücket der Wille, der Verstand mit der Weisheit, das Gedächtnis mit Beredtsamkeit, und mit vielen andern mehr. Das ist die Obrigkeit im Menschen, und das natürliche Reich, so Gott dem Menschen eingepflanzet hat.

 

Danksagung für unsere Erschaffung.

 

O weiser Gott! wie weislich hast du alles in mir geordnet, und die ganze Welt, ja gar den Himmel in mich gelegt. Erhalte in mir, durch deine Kraft, die nährenden und sinnlichen Kräfte in rechter Ordnung, und laß mich dieselbe samt Vernunft, Willen und Gedächtnis, und allem, was ich bin und habe, zu deinem Dienst und Lob anwenden, in Zeit und Ewigkeit, Amen.

 

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