DAS ACHTE KAPITEL. (3.B./8.K.)

 

GOTTES BERUF IST HERZLICH UND GRÜNDLICH,

UND LEITET UNS ZU IHM SELBST.

 

Inhalt.

1) Gott rufet uns kräftig zu sich durch alle seine Worte und Werke; 2) teils durch Kreuz und Leiden, zur Sanftmut und Geduld Christi; 3) teils durch Anzündung seiner Liebe im Herzen.

 

Gott ruft Himmel und Erde, dass er sein Volk richte. Ps. 50,4.

Gott hat uns berufen mit einem heiligen Ruf. 2 Tim. 1,9.

 

Gott, der himmlische Vater, ruft uns mit allem, was er hat und was er vermag; das alles rufet, leitet und locket uns zu ihm und in ihm. Denn Gott hat so ein wahrhaftiges und brünstiges Verlangen nach uns, als ob all sein Wesen und Seligkeit an uns gelegen wäre. Sintemal alles, was er erschaffen hat im Himmel und auf Erden, mit aller seiner Weisheit und Güte, und alles, was er jederzeit wirkt und tut, das tut er, und hat alles darum getan, dass er uns dadurch rufe und leite in unsern Ursprung, und wiederbrächte in sich; und alle seine Worte und Werke sind ein lauteres Rufen zu unserm Ursprung, dass er die Seele wieder-bringe, dass sie seine Stimme hören soll, und ihn lieb haben, gleichwie sie zuvor des Satans Stimme gehört, und von seiner Liebe abgewichen.

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2. Er hat uns berufen, an seinen lieben Sohn zu glauben, und dessen Fußtapfen nachzufolgen in Sanftmut und Geduld; denn dadurch ruft und zieht er uns in sich selbst, wie er den Elias rief, und vor ihm überging in Feuer und starkem Winde, der die Felsen zerriß, aber im sanften Sausen war und kam der Herr, 1 Kön. 19,11.12. Also senket er sich in ein stilles, sanftmütiges, demütiges Herz. Gleich-wie der König Ahasverus die Esther umfing, da sie vor ihm niedersank, Esth. 8,3.4. Also geschieht auch dem Menschen, wenn er an allen seinen Kräften und Vermögen verzagt, und niedersinkt in sein eigenes Nichts. Wenn er denn von den Armen der göttlichen Kraft nicht erhalten wird, so däucht ihn, er müsse zu einem lautern Nichts werden; alsdann dünket dem Menschen, er sei geringer in allem seinem Verstand und Vermögen, denn alle Kreaturen. So nun dieser Himmels- und Gnadenkönig das siehet, so stärkt er die blöde und demütige Seele, und gibt ihr seinen göttlichen Kuß; das rühret her von der gründlichen, wahren Demut, denn je niedriger, je höher; denn Gottes Hoheit siehet eigentlich in das tiefe Tal der menschlichen Demut. So du aber von außen wegen deiner Niedrigkeit verachtet wirst, so wirst du noch tiefer in dein Nichts gesenket, als-dann wird es mit dir gar gut. Denn darinnen wird der Geist des Friedens geboren, der alle Vernunft übertrifft, Phil. 4,7. Darum ruft dich Gott wunderbarlich durch mancherlei Kreuz und Verachtung, dass er dich bereite, denn du mußt in der Wahrheit und Tat bereitet werden, wieder in Gott einzukehren, und er zu dir und in dich; welches denn nicht geschieht mit Gedanken oder mit Worten, sondern durch vieles Leiden. Denn dass ein Mensch oft gedenket und redet von der De-mut, wird er darum nicht demütig, und hilft ihm gar nicht, wenn er nicht unter-drückt wird unter die Menschen und verschmähet wird. Desgleichen, wenn du oft und viel redest von der Geduld ist es doch nichts, du werdest denn stark ange-fochten von allen Kreaturen; sonst ist es ganz nichts, und erlangest nicht das Wesen der Tugend, sondern es fällt alles wieder ab, wie es ein- und zugefallen ist. Darum wäre es billig, dass du einem solchen Menschen, der dich schmäht und verachtet, einen besondern Liebesdienst erzeigtest; denn diese zwei edle Tugenden, Sanftmut und Geduld müssen durch große, bittere, harte Wider-wärtigkeit erstritten werden. Denn wo du keine Widerwärtigkeiten hättest, wie wolltest du diese edle Tugenden in Übung und Erfahrung bringen? Denn die Sanftmut geht auf den inwendigen Grund des Gemüts, welchen du vielleicht nie geprüft noch erforschet hast; die Geduld aber auf den inwendigen Menschen, welcher mit Christo hinaus gehen, und seine Schmach tragen muß, Heb. 13,13. Und so vergleicht man sich dem unschuldigen, heiligen Leben unsers Herrn Jesu Christi, dadurch lebt Christus in dir, und sein bitteres Leiden und Sterben ist in dir.

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3. So ist auch eine Art des innerlichen Berufs Gottes, wenn Gott seine Liebe im Menschen anzündet; denn dadurch gibt er sich dem Menschen selbst, weil er selbst ist die Liebe. Denn es ist ja so unmöglich, dass der Mensch Gott habe, ohne die Liebe, so unmöglich es ist, dass der Mensch lebt ohne Seele. Denn dass Christus durch den Glauben in unsern Herzen wohnet, Eph. 3,17. wird durch die Liebe bezeuget und offenbar, 1 Joh. 4,16. Es kann aber diese Liebe Gottes in uns nicht Raum oder Statt finden, wo die Weltliebe nicht ausgetrieben, und Gott nicht lauter gemeinet wird in allen Dingen, 1 Joh. 2,15. Darum sehe ein jeglicher Mensch oft in seinen inwendigen Grund, und erforsche da mit Fleiß, was in ihm am allermeisten geliebt und gemeint werde, ob Gott es sei, oder er selber, oder die Kreaturen, Leben oder Tod; was da allermeist besitzet dein Herz und Seele, und worauf deine Begierde und Lust haftet. Denn ist dein Grund etwas anders, das da gemeinet und geliebt wird, das nicht wahrhaftig und lauter Gott ist, und dessen Gott nicht eine wahre Ursache ist; so kommt Gott nicht in deine Seele, und weintest du so viele Zähren, so viel Tropfen im Meer sind, es hilft dich nichts, und mußt ihn entbehren in Ewigkeit. O ihr arme Menschen, womit geht ihr um? Wie lasset ihr euch die listige Natur also betrügen durch die Kreaturliebe, die euch so heimlich und verborgen besitzt, an der innersten Stätte eurer Seele, da Gott allein sitzen sollte? Denn darum sind wir in der Welt, dass wir durch Absterben unsers Willens, und durch Absagen der Welt und Kreaturen wieder in Gott und zu Gott kommen, und wie der Leib in die Erde begraben wird, also die Seele in die grundlose Gottheit. Und so wir das hie versäumen, so ist es ewiglich versäumt; denn mit wem du dich freuest, und mit wem du dich betrübest, mit dem sollst du geurteilt werden. Ein Ding sollst du wissen und zu Herzen nehmen, nämlich dieses: Wärest du allein ledig der Bilder der Kreaturen, du würdest Gott ohne Unterlaß haben und besitzen; denn er möchte sich nicht enthalten, weder im Himmel noch auf Erden, er müßte in dich kehren, er müßte deine Seele er-füllen, so er sie ledig fände. Darum kehre es und wende es, wie du willst, so lange als die Kreaturen in dir sein, so lange mußt du Gottes entbehren. Denn so viel ein Mensch Rast und Ruhe in den Kreaturen, und in allen Dingen nimmt, das Gott nicht selbst ist, so viel scheidet er sich von Gott. Wie ein hartes Kreuz nun dasselbe sei, so man also tragen muß, ist wohl zu denken. Aber nicht mit Wohl-sein, sondern mit Kreuz erlangt man Gott.

 

Gebet um Gnade, dem göttlichen Beruf zu folgen.

 

Ich danke dir, mein lieber himmlischer Vater, dass du mich so herzlich und gründ-lich lockest, leitest, und zu deinem Reich rufest, durch alle deine Werke, durch mancherlei Kreuz und Trübsal, durch so viele geist- und leibliche Wohltaten. Gib mir ein gehorsames Herz, gläubig zu folgen, und demselben würdiglich zu wan-deln bis an mein seliges Ende, Amen.

 

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