J. G. Hamann: Biblische Betrachtungen eines Christen

Der Text wird hier wiedergegeben nach: „Schriften J. G. Hamanns, ausgewählt und herausgegeben von Karl Widmaier, Leipzig 1921, S. 110-169“. Er wurde aber der neueren Rechtschreibung angenähert, soweit es möglich und geboten schien. 2024 / T.G.

 

J. G. Hamann

 

Biblische Betrachtungen

eines Christen

 

Jede biblische Geschichte ist eine Weissagung, die durch alle Jahrhunderte und in der Seele jedes Menschen erfüllt wird. Jede Geschichte trägt das Ebenbild des Menschen, einen Leib, der Erde und Asche und nichtig ist, den sinnlichen Buchstaben; aber auch eine Seele, den Hauch Gottes, das Leben und das Licht, das im Dunkeln scheint und von der Dunkelheit nicht begriffen werden kann. Der Geist Gottes in seinem Worte offenbart sich wie das Selbständige – in Knechtsgestalt, ist Fleisch – und wohnt unter uns voller Gnade und Wahrheit.

 

London, den 19. März, 

am Palm-Sonntag 1758.

 

104

Ich habe heute mit Gott den Anfang gemacht, zum zweitenmal die Heilige Schrift zu lesen. Da mich meine Umstände zu der größten Einöde nötigen, worin ich wie ein Sperling auf der Spitze des Daches sitze und wache, so finde ich gegen die Bitterkeit mancher traurigen Betrachtungen über meine vergangenen Torheiten, über den Missbrauch der Wohltaten und Umstände, womit mich die Vorsehung so gnädig unterscheiden wollen, ein Gegengift in der Gesellschaft meiner Bücher, in der Beschäftigung und Übung, die sie meinen Gedanken geben. Die Aussicht einer dürren Wüste, worin ich mich von Wasser und Ähren verlassen sehe, ist mir jetzt näher als jemals. Die Wissenschaften und jene Freunde meiner Vernunft, scheinen gleich Hiobs mehr meine Geduld auf die Probe zu stellen, anstatt mich zu trösten, und mehr die Wunden meiner Erfahrung blutend zu machen, als ihren Schmerz zu lindern. Die Natur hat in alle Körper ein Salz gelegt, das die Scheidekünstler auszuziehen wissen, und die Vorsehung (es scheint) in alle Widerwärtigkeiten einen moralischen Urstoff, den wir aufzulösen und abzusondern haben, und den wir mit Nutzen als ein Hilfsmittel gegen die Krankheiten unserer Natur und gegen unsere Gemütsübel anwenden können. Wenn wir Gott bei Sonnenschein in der Wolkensäule übersehen, so erscheint uns seine Gegenwart des Nachts in der Feuersäule sichtbarer und nachdrücklicher. Ich bin zu dem größten Vertrauen auf seine Gnade durch eine Rücksicht auf mein ganzes Leben berechtigt. Ich erkenne selbst in meiner gegenwärtigen Verfassung einen liebreichen Vater, der in ernsthaften Blicken warnt, der mich wie den verlornen Sohn hat in mich selbst gehen lassen und meine bußfertige Rückkehr zu ihm nicht nur mit der Zurückhaltung meiner verdienten Strafe, sondern auch mit einer huldreichen Vergebung und unerwarteten Aufnahme beantworten wird. Es hat weder an meinem bösen Willen gelegen noch mir an Gelegenheit gefehlt, in ein weit tieferes Elend, in weit schwerere Schulden zu fallen, als worin ich mich befinde. Gott, wir sind solche armselige Geschöpfe, dass selbst ein geringerer Grad unserer Bosheit ein Grund unserer Dankbarkeit gegen dich werden muss! Gott, wir sind solche unwürdige Geschöpfe, dass nichts als unser Unglaube deinen Arm verkürzen und deiner Freigebigkeit zu segnen Grenzen setzen und sie wider ihren Willen einschränken kann! 

105 

Wenn mich Anfechtung hat auf das Wort aufmerksam gemacht, so kann ich den Schriften des geistreichen Hervey das Zeugnis geben, was er den Nachtgedanken des ehrwürdigen Schwans dieser Insel schuldig gewesen. Die Lesung dieses frommen Schriftgelehrten hat die Göttlichkeit der Bibel so oft dem Gefühl meiner Seele mit eben derselben Lebhaftigkeit aufgedrungen, womit das neu gepflanzte Jerusalem das Gesetz Moses von den Lippen Esdras hörte. Er hat mir zu dem Vorsatz Anlass gegeben, meine Betrachtungen bei dieser wiederholten Lesung der Heiligen Schrift aufzusetzen und die Eindrücke zu sammeln, welche diese oder jene Stelle derselben in mir erwecken und veranlassen wird. Die Unparteilichkeit der Kritik und die ehrfurchtvolle Einfalt eines christlichen Herzens mögen mich hierin gleichfalls begleiten. Der große Urheber dieser heiligen Bücher hat die Absicht, jeden aufrichtigen Leser derselben weise zur Seligkeit durch den Glauben an seinen Erlöser zu machen. Die heiligen Männer, unter deren Namen sie erhalten worden, wurden getrieben durch den Heiligen Geist; die göttlichen Eingebungen wurden ihnen in der Verfertigung ihrer Schriften mitgeteilt, damit sie uns zur Lehre, zur Strafe, zur Züchtigung und Unterricht in der Gerechtigkeit nützlich sein sollten (2. Tim. 3,15.16.; 2. Pet. 1,21). Diese Wirkungen kann Gott keinem entziehen, der um selbige betet, weil der Heilige Geist allen denjenigen verheißen ist, die den himmlischen Vater darum bitten. Die Notwendigkeit, uns als Leser in die Empfindungen des Schriftstellers, den wir vor uns haben, zu versetzen, uns seiner Verfassung so viel möglich zu nähern, die wir durch eine glückliche Einbildungskraft uns geben können, zu welcher uns ein Dichter oder Geschichtschreiber so viel möglich zu helfen sucht, ist eine Regel, die unter ihren Bestimmungen ebenso nötig als zu andern Büchern ist.

106

Ich will einige allgemeine Anmerkungen über die göttliche Offenbarung machen, die mir einfallen werden. Gott hat sich geoffenbart dem Menschen in der Natur und in seinem Wort. Man hat die Ähnlichkeiten und die Beziehungen dieser beiden Offenbarungen noch nicht so weit auseinander gesetzt und so deutlich erklärt, noch auf diese Harmonie gedrungen, worin eine gesunde Philosophie sich ein weites Feld öffnen könnte. Beide Offenbarungen müssen auf eine gleiche Art in unzähligen Fällen gegen die größten Einwürfe gerettet werden, beide Offenbarungen erklären, unterstützen sich einander und können sich nicht widersprechen, so sehr es auch die Auslegungen tun mögen, die unsere Vernunft darüber macht. Es ist vielmehr der größte Widerspruch und Missbrauch derselben, wenn sie selbst offenbaren will. Ein Philosoph, welcher, der Vernunft zu Gefallen, das göttliche Wort aus den Augen setzt, ist in dem Fall der Juden, die desto hartnäckiger das Neue Testament verwerfen, je fester sie an dem Alten zu hangen scheinen. An diesen wird die Prophezeiung erfüllt, dass dasjenige ein Ärgernis und eine Torheit in ihren Augen ist, was zur Bestätigung und zur Erfüllung ihrer übrigen Einsichten dienen sollte. Die Naturkunde und Geschichte sind die zwei Pfeiler, auf welchen die wahre Religion beruht. Der Unglaube und der Aberglaube gründen sich auf eine seichte Physik und seichte Historie. Die Natur ist so wenig einem blinden Ungefähr oder ewigen Gesetzen unterworfen, als sich alle Begebenheiten durch Charaktere und Staatsgründe aufschließen lassen. Ein Newton wird als Naturkundiger von der weisen Allmacht Gottes, ein Geschichtschreiber von der weisen Regierung Gottes gleich stark gerührt werden.

107

Gott offenbart sich – der Schöpfer der Welt ist ein Schriftsteller –: was für ein Schicksal werden seine Bücher erfahren müssen; was für strengen Urteilen, was für scharfsinnigen Kunstrichtern werden seine Bücher unterworfen sein? – Wie viele armselige Religionsspötter haben ihr täglich Brot von seiner Hand genossen; wie viele starke Geister, wie Herostratus, in der Verwegenheit ihrer Schande eine Unsterblichkeit gesucht, deren Todesangst um eine bessere gefleht hat!

108

Gott ist gewohnt, seine Weisheit von den Kindern der Menschen getadelt zu sehen. Moses Stab war in keiner Gefahr, ohngeachtet ihn die Zauberstäbe der weisen Ägypter umzingelt anzischten. Diese Tausendkünstler waren endlich genötigt, den Finger Gottes in dem verächtlichsten Ungeziefer zu erkennen und dem Propheten des wahren Gottes auszuweichen. Der Begriff, dass das höchste Wesen selbst die Menschen einer besondern Offenbarung gewürdigt hat, scheint dem Witzling so fremde und außerordentlich zu sein, dass er mit Pharao fragt: was dieser Gott haben will und worin sein Gesuch besteht. Mit diesem Begriff sollte man aber notwendigerweise eine Betrachtung derjenigen verbinden, denen diese Offenbarung zugut geschehen. Gott hat sich Menschen offenbaren wollen; er hat sich durch Menschen offenbart. Er hat die Mittel, diese Offenbarung den Menschen nützlich zu machen, sie für solche einzunehmen, sie unter den Menschen auszubreiten, fortzupflanzen und zu erhalten, auf die Natur der Menschen seiner Weisheit am gemäßesten gründen müssen. Ein Philosoph, der Gott in der Wahl aller dieser Umstände und Wege, in welchen Gott seine Offenbarung hat mitteilen wollen, tadeln oder verbessern wollte, würde immer vernünftiger handeln, wenn er seinem Urteil hierin zu wenig zutraute, damit er nicht Gefahr liefe, wie jener gekrönte Sternkundige (Alphons X., König von Leon und Kastilien 1252-84), das Ptolemäische System oder seine Erklärung des Sternenlaufes für den wahren Himmelsbau anzusehen.

109 

Hat Gott sich den Menschen und dem ganzen menschlichen Geschlechte zu offenbaren die Absicht gehabt, so fällt die Torheit derjenigen desto mehr in die Augen, die einen eingeschränkten Geschmack und ihr eigenes Urteil zum Probestein des göttlichen Worts machen wollen. Die Rede ist nicht von einer Offenbarung, die ein Voltaire, ein Bolingbroke, ein Shaftesbury annehmungswert finden würden; die ihren Vorurteilen, ihrem Witz, ihren moralischen, politischen und epischen Grillen am meisten ein Genüge tun würde: sondern von einer Entdeckung solcher Wahrheiten, an deren Gewissheit, Glaubenswürdigkeit und Wichtigkeit dem ganzen menschlichen Geschlechte gelegen wäre. Leute, die sich Einsicht genug zutrauen, um eines göttlichen Unterrichts entbehren zu können, würden in jeder andern Offenbarung Fehler gefunden haben und haben keine nötig. Sie sind die Gesunden, die des Arztes nicht bedürfen.

110 

Gott hat es unstreitig seiner Weisheit am gemäßesten gefunden, diese nähere Offenbarung seiner selbst erst an einen einzigen Menschen, hierauf an sein Geschlecht und endlich an ein besonderes Volk zu binden, ehe er erlauben wollte, selbige allgemeiner zu machen. Die Gründe dieser Wahl lassen sich ebensowenig von uns erforschen, als warum es ihm gefallen, in sechs Tagen zu schaffen, was sein Wille ebenso füglich in einem einzigen Zeitpunkte hätte wirklich machen können. Ferner, Gott hat sich so viel möglich bequemt und zu der Menschen Neigungen und Begriffen, ja selbst Vorurteilen und Schwachheiten heruntergelassen. Dieses vorzügliche Merkmal seiner Menschenliebe, davon die ganze Heilige Schrift voll ist, dient den schwachen Köpfen zum Spott, die eine menschliche Weisheit oder eine Genugtuung ihrer Neugierde, ihres Vorwitzes, eine Übereinstimmung mit dem Geschmack der Zeit, in der sie leben, oder der Sekte, zu der sie sich bekennen, im göttlichen Worte zum voraus setzen. Kein Wunder, wenn sie in ihrer Vorstellung sich hintergangen sehen, und wenn der Geist der Schrift mit eben der Gleichgültigkeit zurückgewiesen wird, ja wenn dieser Geist ebenso stumm und unnütz scheint, als der Heiland dem Herodes, der ihn, ungeachtet seiner großen Neugierde und Erwartung zu sehen, mit mehr als Kaltsinn zu Pilatus bald zurückschickte.

111 

Wer sollte sich einbilden, dass man in den Büchern Mosis eine Geschichte der Welt hat suchen wollen? Viele scheinen ihn bloß deswegen zu lästern, dass er ihnen nicht Mittel gibt, die Fabeln eines Herodotus zu erklären, zu ergänzen oder zu widerlegen. Wie lächerlich, wie unglaublich würde ihnen vielleicht die Geschichte der ersten Welt vorkommen, wenn wir sie so vollkommen hätten, als sie selbige wünschen? 

112 

Diese Bücher sollten von den Juden erhalten werden. Es mussten also viele besondere Umstände dieses Volk so nahe angehen, wodurch sie für den Inhalt derselben eingenommen werden konnten. Die Geschichte dieses Volks ist an sich selbst von größerer Wichtigkeit in Ansehung unserer Religion als aller andern Völker ihre, weil Gott in der Hartnäckigkeit dieser Nation das traurigste Bild unserer verdorbenen Natur und in seiner Führung und Regierung desselben die größten Proben seiner Langmut, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit, kurz die sinnlichsten Offenbarungen seiner Eigenschaften zu erkennen gegeben.

113 

Warum Gott dieses Volk gewählt? Nicht seiner Vorzüge wegen. Die Freigeister mögen seine Dummheit und Bosheit in Vergleichung anderer Völker so stark auszeichnen, als sie wollen: hat Gott das Evangelium nicht gleichfalls durch unwissende und unansehnliche Werkzeuge in den Augen der Welt fortpflanzen wollen? Wer kann seinen Rat hierin erforschen?

114

So wenig also auch ein Voltaire und Bolingbroke in den fünf ersten Abschnitten des ersten Buche Mosis finden, um die erste Historie der Völker zu ergänzen und aufzuklären; von so großer Wichtigkeit sind die Entdeckungen desselben für das menschliche Geschlecht überhaupt.

115

Es hat an dem guten Willen der Philosophen nicht gefehlt, die Schöpfung als eine natürliche Begebenheit zu erklären. Es ist daher kein Wunder, dass sie Mose einen gleichen Einfall zugetraut haben und dieses anstatt einer Erzählung von ihm erwarten. Eine Erzählung, die nach dem Begriff der Menschen abgemessen und gewissermaßen mit den Begriffen der Zeit, in denen er schrieb, in Verwandtschaft stehen musste, kann Köpfen wenige Zufriedenheit geben, die eine Erklärung fordern; die die Begreiflichkeit einer Sache der Wahrheit vorziehen. Man weiß, in wieviel Torheiten die Neigung, künftige Dinge zu erforschen, verleitet hat; dass diese Neigung dem Menschen das Vertrauen gegeben, sich hiezu fähig zu halten; dass sie die Mittel dazu in Sternen, im Vogelfluge usw. für füglich und hinlänglich angesehen, um ihrem Vorwitz ein Genüge zu tun. Die Begierde, Dinge zu wissen, die uns zu hoch, die über unsern Gesichtskreis, die uns unerforschlich sind, aus eben der Schwäche, die uns die Zukunft so dunkel macht, hat die Menschen in eben solche lächerliche Methoden und Irrtümer geführt. Solche Leute verdienen mit ebensoviel Recht, Weltweise und Philosophen zu heißen, als man Zigeuner, Astrologen usw. Wahrsager genannt hat.

116

Lasst uns natürliche Begebenheiten mit natürlichen, und Wunder mit Wundern vergleichen, wenn wir von selbigen urteilen wollen.

117

Dass Mose von der Natur nach Aristotelischen, Cartesischen oder Newtonischen Begriffen sich hätte erklären sollen, würde eine ebenso lächerliche Forderung sein, als dass Gott sich in der allgemeinen philosophischen Sprache hätte offenbaren sollen, die der Stein der Weisen in so manchen gelehrten Köpfen gewesen.

118

Dass Mose für den Pöbel allein geschrieben, ist entweder ohne allen Sinn oder eine lächerliche Art zu urteilen. Geht die Sonne im Sommer für den Bauer allein so frühe auf, weil der faule Bürger und wollüstige Höfling ihres Scheins so manche Stunden länger entbehren können, oder denselben unnötig finden?

119

Paulus wurde entzückt. Er fand keine Worte, um seine Begriffe, die er vom dritten Himmel mit sich brachte, erzählen und deutlich machen zu können. So wie unsre Ohren, ohne vom Schall der Luft gerührt zu werden, nicht hören können, und alles verständliche Gehör von einer weder zu starken noch zu schwachen Zitterung der Luft abhängt, so ist es mit unsern Vorstellungen. Sie hangen von körperlichen Bildern ab und mangeln und lassen sich nicht mitteilen, wo uns diese fehlen, und wo wir solche nicht in andern erwecken können, die unsern eigenen gleichförmig sind. Man sieht, wie schwer es ist, die Figuren und Idiotismen einer Sprache in die andere überzutragen, und je mehr die Denkungsart der Völker verschieden ist, zu desto mehr Abweichungen und Ersetzungen oder Äquationen, dass ich so rede, ist man gezwungen. Wie soll daher eine Erzählung beschaffen sein, in der uns Dinge verständlich und vernehmlich gemacht werden sollen, die so weit außer dem ganzen Umfang unserer Begriffe abgesondert liegen? 

120

Mit was für Demut, mit was für stummer Aufmerksamkeit und tiefer Ehrfurcht müssen wir dasjenige annehmen, was uns der Schöpfer der Welt von dem Geheimnisse der großen Woche, worin er an unserer Erde gearbeitet hat, kundmachen will. So kurz die Erzählung von der Hervorbringung eines Werkes ist, das seinen Beifall fand, da es da war, das er würdig gefunden, so lange zu erhalten, und das er als ein bloßes Gerüste eines höheren Gebäudes auf die feierlichste Art zu vernichten sich vorbehalten hat, so wichtig muss sie in unseren Augen sein. So sehr er sich heruntergelassen, uns das wenige, was uns davon zu verstehen möglich, nötig und nützlich ist, zu offenbaren: so weit übersteigt es gleichwohl unsere Denkungskräfte.

121

I. B. Mose 1. Die Vernunft muss sich mit dem Urteile jenes Philosophen (Sokrates) über des Heraklitus Schriften begnügen: was ich verstehe, ist vortrefflich; ich schließe daher ebenso auf dasjenige, was ich nicht verstehe. Gottes eigenes Zeugnis kann uns allein vollkommen versichern, wo unsere Einsicht in die Natur unzureichend sein würde. Gott fällt dieses Urteil, nachdem er jeden Teil der Schöpfung besonders angesehen hat. Jeder wurde als gut erklärt. Der Zusammenhang aller dieser Teile gibt ihnen aber die höchste Güte.

122 

Gott schuf Stoff und Form; das Dasein und die Bestimmung desselben, dass Nichts Etwas wird und dieses Etwas alles, was er will. Wie können wir das in Worten ausdrücken, was wir nicht imstande sind, uns im geringsten vorzustellen? Wir müssen uns hier als solche ansehen, denen der Sinn des Gehörs in der Geburt versagt ist, und die man mit vieler Mühe gewisse Wörter aussprechen lehrt, deren Eindruck sie selbst nicht vernehmen.

123

I. B. Mose 2. Aus dieser Bildung des Menschen, wie sie uns Mose erzählt, erhalten wir einen Maßstab, unsere Natur zu beurteilen. So künstlich der Bau unseres Leibes ist, so übersieht hier Gott gleichsam, an seine Weisheit darin den Menschen zu erinnern: er findet es nötiger, ihn an den Staub der Erde, den er zu diesem Meisterstücke der körperlichen Welt gemacht hat, zu verweisen. Wenn also dieser Leib Staub ist, wie soll unsere Liebe und Pflege desselben beschaffen sein? Der Odem des Lebens in unserer Nase ist hingegen ein Hauch Gottes. Dasjenige also, was das sicherste Zeichen von der Vereinigung unserer Seele mit dem Leibe ist, beschreibt uns Mose als eine Wirkung des göttlichen Hauches. Die geheimnisvolle Natur der menschlichen Seele, ihre Abhängigkeit von ihrem Urheber, ist in dem sinnlichsten und einfachsten Bilde ausgedrückt. Longin hat Moses bewundert, wenn er den höchsten Gott sprechen lässt, und was er spricht, geschieht. Die Schöpfung des Menschen gibt in Moses Erzählung eine weit geheimnisvollere und feierlichere Handlung als sein bloßes Wort. Ein Ratschluss Gottes wird vorher eingeführt. Gott nimmt sich die Mühe, den Staub der Erde zu bilden. Die übrige Schöpfung scheint in Ansehung dieser ein opus tumultuarium zu sein. Das größte Geheimnis wird beschlossen, da Gott sein gebildetes Werk anhaucht. Dieser Hauch ist das Ende der ganzen Schöpfung. Der Ausdruck, dessen sich Mose für die Seele bedient, enthält zugleich ein Sinnbild des geistlichen Lebens derselben. So wie unsere Vereinigung des Körpers und der Seele mit dem Odem des leiblichen Lebens verbunden ist und beide zugleich aufhören, so besteht das geistliche Leben in der Vereinigung mit Gott und der geistliche Tod in der Trennung von ihm. Das Geschenk unseres Odems ist von Gott und steht in seiner Hand; der Gebrauch desselben kommt auf uns an. Lasset uns niemals vergessen, dass diejenige Natur, deren Dasein wir aus dem Odem des Leibes schließen, Gott nahe zugehört, mit ihm nahe verwandt ist; dass unsere Seele nicht ein bloßes Dasein seines Wortes, sondern ein Dasein seines Hauches hat; dass wir zu allen unsern Handlungen seinen Beistand so nötig haben, als das Odemholen zu unserem Leben. Wir können uns nicht selbst schaden, ohne Gott zu betrüben; nicht an seinem Willen teilnehmen, ohne an seinem Glück teilzunehmen. Wer sollte es glauben, wenn es uns Gott nicht selbst gesagt hätte, dass er seinen Ruhm in unserem Gehorsam und den Genuss seiner Herrlichkeit in unserer Gesellschaft und Teilnehmung findet? Das siebzehnte Kapitel Johannis ist ein Kommentar über die Schöpfung des Menschen, weil selbige mit der Erlösung desselben zusammengehalten werden muss, wenn man beide in ihrem rechten Lichte, in ihrem Zusammenhange bewundern will. Ps. 104,29.30.

124

I. B. Mose 3. Die Furcht, die Scham des bösen Gewissens, die Unhinlänglichkeit unserer Vernunft, die Bosheit unseres Herzens gutzumachen und zu bemänteln, sind in diesem Teile der Geschichte mit aller treuen Einfalt und Tiefsinnigkeit, deren kein menschlicher Pinsel fähig ist, geschildert. Die Schwierigkeiten, diese Umstände des Sündenfalles zu verstehen, fließen alle aus den Vorurteilen, die man sich von der Weisheit Adams gemacht, und von den falschen Begriffen, die man für die Weisheit Gottes vorgegeben hat. Dies ist die Kindheit des menschlichen Geschlechts, hierin bestand ihre Unschuld, die Gott erhalten, worin er seine Geschöpfe erziehen wollte, die unter seiner Pflege zu der herrlichen Höhe würden aufgewachsen sein, in welcher unser Heiland uns den Glauben vergleichungsweise mit dem Verhältnis eines Senfkorns zu dem vollkommenen Baume vorstellt. Die Unruhe eines bösen Gewissens ist derjenigen Bewegung ähnlich, die wir Scham und Furcht nennen. Wir müssen alle Nebenbegriffe hier verlieren und auf die bloße Bewegung der Seele sehen; unsere Worte sind Allegorien der Gedanken oder Bilder derselben. Unsern Eltern war ihr eigener Leib im Wege, sie wünschten, dass sie sich ihren eigenen Augen entziehen könnten.

125 

I. B. Mose 4. Der Fluch, den Adams Sünde gegen Gott auf die Erde gebracht hatte, wird durch Kains Sünde gegen seinen Bruder verdoppelt. Des ersten Arbeit soll schwer sein; Gottes Segen will sie gleichwohl mit ihren Früchten belohnen. Des letzteren gewissermaßen vergebens oder doch nicht von der Wirkung, die sich der Vater versprechen konnte. Die Erde sollte ihm ihre Stärke versagen. Je geselliger die Menschen leben, desto mehr genießen sie von dem Boden, an dem sie gemeinschaftlich arbeiten. Je genauer sie die Pflichten der Gesellschaft untereinander erfüllen, desto leichter wird es ihnen, ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Uneinigkeit macht ein fruchtbares Land zur Wüste, arme Einwohner, Flüchtlinge.

126

I. B. Mose 5. Das Geschlechts-Register dieses Kapitels zeigt, wie dauerhaft das Leben der ersten Menschen in Vergleichung mit unserem gewesen; es zeigt überdies, wie alle Dinge, die wir in den Lauf der Natur und zu ihren Gesetzen zählen, unmittelbar von Gott abhängen. Welches Gesetz der Natur ist allgemeiner und gewisser als: Mensch, du musst sterben? Selbst dieses Gesetz ist von dem Höchsten an dem Beispiele Henochs aufgehoben. So wie die Menschen ihre Natur oft ihrer Vernunft entgegensetzen und ihre Gewohnheit zu handeln zu einer Notwendigkeit machen, so hat man in der Weltweisheit öfters die Natur ihrem Schöpfer entgegensetzen wollen und von widernatürlichen und übernatürlichen Werken geredet. Wie viele Wunder hat Gott getan, möchte man sagen, dass wir nichts für Natur erkennen sollen; und was ist in der Natur, in den gemeinsten natürlichsten Begebenheiten, das nicht ein Wunder für uns ist, ein Wunder im strengsten Verstande?

127

Henoch wandelte mit Gott. Er sah dieses Leben als eine Reise an, als einen Weg, auf dem wir zu unserer Heimat, zur Wohnung Gottes kommen sollen. Glücklicher Pilgrim, der den Herrn der Ewigkeit, wo er durch den Glauben einzukehren hoffte, zu seinem Wegweiser und Führer wählte! Er fand einen Richtweg, den Gott nur zweien seiner Lieblinge entdeckt hat. Ebr. 11,13.

128 

I. B. Mose 9. Wir sehen hier den Stammvater des menschlichen Geschlechts trunken von dem Gewächse seines eigenen Weinberges, in einem Schlaf, der einen Rausch begleitet, in einem Zustande, dessen ein Wachender sich geschämt haben würde. Cham sieht die Blöße und alle die Umstände, womit sie begleitet war, mit einer Art von Augenweide, die man daraus schließen kann, dass er seinen zwei Brüdern Nachricht davon gibt, um, wie es scheint, sie an dem Schauspiele teilnehmen zu lassen. Wie vortrefflich ist in dieser Aufführung Chams das Verderben seiner Nachkommen vorher verkündigt, in denen wir die menschliche Natur in eben dem betrübten, schamvollen Zustande antreffen, im Rausche ihrer Lüste, in einer Fühllosigkeit der abscheulichsten Laster und gröbsten Abgötterei, worin sie so viele Jahrhunderte gleich eingeschlafenen Trunkenbolden begraben gelegen und noch liegen! Mit was für göttlicher Weisheit sind hingegen in der Aufführung Sems und Japhets die Sitten ihrer Nachkommen geschildert! Weit gefehlt, dass sie an den abscheulichen Ausschweifungen, worin die Chamiten besonders ein Vergnügen fanden, teilnehmen, suchen sie vielmehr den Abscheu und die Schwäche der menschlichen Natur, wie hier an ihrem Vater, mit einem Kleide zu bedecken. So wie der trunkene und nackte Noah unter demselben lag und nur weniger ins Gesicht fiel, so war es mit ihren Bemühungen um Erkenntnis und Tugend auch beschaffen. Sie waren nicht imstande, ihre trunkene, schlafende und bloße Natur in den Stand herzustellen, worin sich der wachende und nüchterne Noah befand, der alsdann mit Gott wandelte. Ein Kleid darauf zu decken, war alles, was sie tun konnten, so wie die ersten Eltern keine andern Hilfsmittel als Feigenblätter zu finden wussten. In zwei besondern Umständen wird die Unvollkommenheit und Unhinlänglichkeit ihrer Tugend noch schöner und sinnlicher ausgedrückt. Sie gehen rückwärts. Jesai. 44,25. Was waren die weisesten Heiden besser, als Menschen, die rückwärts gingen? Ihre Gesichter waren abgekehrt, dass sie die Blöße ihres Vaters nicht sehen konnten. Sie hatten keine Erkenntnis von der Größe der Schande, von der Tiefe des Elendes, worein die menschliche Natur verfallen war. Kann ein Blackmore, der seine Enthusiasterei für die Mythologie der Alten mit so vielem Witz der gelehrten Welt aufgedrungen, uns eine Allegorie aufweisen, die solche wichtige, nicht nur wichtige, sondern zugleich prophetische Wahrheiten in so einfache, lebhafte und so erstaunend ähnliche Bilder eingekleidet hat? Wenn wir hierzu die drei Worte Noahs nehmen, in die er beim Erwachen aus seinem Rausche, beim Erblicken des Kleides, womit er sich bedeckt fand, ausbricht; wenn wir die plötzliche Verwandlung eines Trunkenen, Fühllosen, in aller Blöße seiner Schande liegenden Menschen in einen Engel des Lichtes sehen, der über Jahrhunderte in die Zukunft sieht, der von einem Segen Gottes mit Entzückung redet, der mit seinem Fluche und Segen das Schicksal der Völker entscheidet: welche menschliche Zunge hat jemals mit so wenig Worten einen solchen Strom von Erkenntnis eingeschlossen und in eine Begebenheit, die ein so einfältiges Ansehen hat, den Sinn so vieler tiefen Geheimnisse gelegt!

129

I. B. Mose 11. Wir finden hier eine ungewöhnliche Einigkeit unter den Menschen, eine Einigkeit, die in den bösen Gedanken ihres Herzens ihre Stärke erhielt. So wie sie auch ohne Sündflut sich vermutlich bald würden aufgerieben haben, und die Sündflut in dieser Absicht nicht einmal als eine Strafe anzusehen ist, sondern als eine Wohltat, so würde die Zerstreuung und das Missverständnis auf eine betrübtere Art aus dieser Vereinigung wie ein Sturm auf eine Windstille erfolgt sein, als die Gott durch ein Wunder unter ihnen hervorbrachte.

130

Mose beschreibt den Eifer Gottes, das Vorhaben der Menschen zu verhindern, mit eben den Worten, womit er die Menschen den ihrigen ausdrücken lässt. Kommt – – – lasst uns niederfahren. Dies ist das Mittel, wodurch wir dem Himmel näher gekommen sind. Die Herunterlassung Gottes auf die Erde; kein Turm der Vernunft, dessen Spitze bis an den Himmel reicht, und durch dessen Ziegel und Schleim wir uns einen Namen zu machen gedenken; dessen Fahne der irrenden Menge zum Wahrzeichen dienen soll.

131

Gott hat sich die Vereinigung der Menschen vorbehalten zu einer einzigen Sprache, zu der einzigen wahren Erkenntnis. Die Ausbreitung des Evangelii ist das Hilfsmittel, unsere Herzen, unsere Sinne und Vernunft zu vereinigen. Die Propheten des alten und neuen Bundes vertrösten uns auf die Zerstörung Babels, und dass die Zerstreuung des menschlichen Geschlechts sowohl ein Ende nehmen wird als des jüdischen Volkes seine. Die Erhaltung und Regierung der Welt wird ein fortdauerndes Wunder bleiben, bis das Geheimnis Gottes zu Ende sein wird.

132 

I. B. Mose 14. Die Zurückhaltung, mit welcher Mose hier des Königs Melchisedek erwähnt, ohngeachtet der Wichtigkeit seiner Person und des Amtes, das er ihm gibt, zeigt, wie Gott sich eingeschränkt, Mose als einen bloßen Geschichtschreiber des jüdischen Volkes und seiner Regierung desselben zu brauchen. Paulus konnte den Hebräern dasjenige sagen, worüber Gott ihrer Schwachheit wegen sich gar nicht durch Mose ihnen erklären wollte. Ein Jude musste das Gesetz als die einzige wahre Religion, als den einzigen Gottesdienst ansehen; wir dürfen aber nicht denken, dass in Ansehung Gottes dieses Gesetz als die einzige Bedingung nötig gewesen, um ihm zu gefallen. Gott hatte seine treuen Diener und Verehrer vermutlich sowohl in Japhets als Sems Linie, die Noahs Erkenntnis und Glauben zu erhalten suchten, weil wir hier einen Priester dieser Ordnung finden. Es gefiel aber Gott, einen abgöttischen Abraham zu sich zu rufen, ihn besonderer Gnaden zu würdigen, seine Nachkommen unter eine besondere Regierung zu nehmen und uns von den Wohltaten, die er diesem Volk erwiesen und dem Bezeigen desselben gegen ihn zu unterrichten; dieses alles um die Welt auf den Messias vorzubereiten.

133

Ich bediene mich dieses Umstandes insbesondere, um einen rechten Begriff von der Absicht der göttlichen Offenbarung zu geben. Durch die Juden sollte dieselbe ausgebreitet werden; sie musste ihnen also so interessant als möglich gemacht werden, durch eine genaue Beschreibung des Lebenslaufes ihrer Vorfahren, die sie für die kleinsten Umstände einnehmen sollten, durch alle die Hilfsmittel, welche die Neigung eines Volkes beschäftigen und an sich ziehen können. Es ist also eine gleiche Torheit, in Mose eine Geschichte anderer Völker, außer insofern ihre Verbindung mit den Juden selbige unentbehrlich macht, als eine ganze Entwicklung des göttlichen Systems in einer Offenbarung zu suchen, die für Menschen geschehen.

134 

I. B. Mose 27. Man muss mit Bewunderung sehen, wie Gott sich in alle kleinen Umstände einlässt und die Offenbarung seiner Regierung in gemeinen Begebenheiten des menschlichen Lebens den seltenen und außerordentlichen vorzieht; wie er die Vorurteile, die Irrtümer, die guten und bösen Neigungen der Menschen in seiner Gewalt hat, sie zu seinem Rate lenkt, und denselben, ungeachtet aller menschlichen Hindernisse, gleichwohl durch sie selbst herrlich ausführt. Unterdessen wir unwissende, arme Menschen an nichts als an unsere kleinen Leidenschaften und Projekte denken und jenen zu Gefallen diese auszuführen suchen, spielt uns Gott sein eigenes Muster in die Hände, an dem eine unbekannte Hand wie an ihrem eigenen wirkt, und wo ein Isaak, ungeachtet seines Widerwillens, selbst die Hände anlegen muss. Umsonst, dass er mit einem großen Zittern stark zittert, dass ihn ein heftiger Schauder nach dem andern überfällt... Ich habe ihn gesegnet; ja, er soll gesegnet sein! – 

135 

Wollen wir noch an der göttlichen Regierung zweifeln, da die Schrift alle große Begebenheiten, alle wichtige Umstände gleichgültig ansieht und Gottes Aufmerksamkeit sich auf die kleinste Bewegung unserer Seele, auf Isaaks Liebe zu Wild, auf Esaus Linsengericht, auf Jakobs steinernen Polster erstreckt und diese Proben seiner Vorsehung, die den meisten gleich Torheit sind, seiner Offenbarung allein wert schätzt? 

136 

Das Wort Gottes ist gleich jenem flammenden Schwerte, das allenthalben sich hinkehrt, oder gleich dem Lichte, das alle Farben in sich hält.

137 

I. B. Mose 33. Jakob kauft hier ein Stück Feld, um sein Gezelt aufzuschlagen im Lande der Verheißung, das ganz seinen Nachkommen gehören sollte. So kaufte Gott das jüdische Volk als einen Fleck der ganzen Erde in der Absicht, alle Völker zu überführen, dass sie ihm ebenso teuer seien, ihn ebenso nahe angehen sollten als dieses; und wie die Juden ein ebenso großes Recht zu dem ganzen Lande hatten als Jakob zu diesem Flecke, so ist das Recht aller Völker gegen das Recht dieses einzigen. Ein Fleck Ackers, um ein Gezelt aufzuschlagen – wie vollkommen stimmt dieses mit dem irdischen Kanaan, mit der Stiftshütte, ja selbst mit dem Tempel Salomons überein gegen die ewige Herrlichkeit, die aller Welt aufgehen soll und aufgegangen ist! Der Geist der Weissagung ist das Zeugnis Jesu (Offenb. 19,10). Diese Regel dient der ganzen Heiligen Schrift zum Eckstein und muss ein Probierstein aller Ausleger sein.

138

III. B. Mose 3. Mose hat uns Gott beschrieben, dass er ruhte nach der Schöpfung. Hier finden wir ein größeres Geheimnis in den Friedensopfern ausgedrückt. Gott erklärt sie für seine Speise; der süße Geruch derselben soll seine Speise sein. Wie in den Brandopfern die Strafe unserer Sünden, die Unreinigkeit unserer Natur in Vorbildern von Gottes Augen entfernt wurden, so sah er in diesen Friedensopfern das Leben der neuen Kreatur, sein Bild erweckt, wiederhergestellt. Dies ist die Speise Gottes, die wir Menschen ihm bringen. Er hatte Wein von seinem Weinstocke verlangt; der Gärtner brachte ihm Weinessig mit Galle vermischt. Diesen trank sein Sohn für ihn am Kreuz. Gott, welche Wunder in deiner Erlösung, in deinem Wesen, in deinen Eigenschaften! Die Natur verschwindet vor deinem Worte. Hier ist das Allerheiligste; die ganze Schöpfung ist nur ein Vorhof gegen dasjenige, was wir in diesem Worte sehen.

139

III. B. Mose 13. Es ist eine bekannte Beobachtung aller Ausschläge, dass, je mehr sie auswärtig erscheinen, desto weniger sie gefährlich sind, weil die Ausbreitung des Giftes die Schärfe desselben schwächt, und je mehr die Oberfläche des Körpers damit bedeckt ist, desto mehr sind die innern Teile davon erleichtert. War der Aussatz der Zöllner und Sünder in den Augen unseres Seelenarztes nicht gleichfalls reiner als der Pharisäer und Schriftgelehrten ihrer? 

140

III. B. Mose 19,33. Wir finden der Fremden so oft in der Heiligen Schrift gedacht, dass Gott besondere Ursachen gehabt zu haben scheint, den Juden die Pflicht zu empfehlen, sich der Fremden anzunehmen.

141

Die Vereinigung der Menschen untereinander war ein tief angelegtes Projekt des Satans, um seine Herrschaft über sie durch das natürliche Verderben bequemer, dauerhafter und seine Sklaverei schwerer zu machen. Daher sehen wir die Gottheit den feierlichen Entschluss fassen, dieser Absicht zuvorzukommen. Wenn gleich eine allgemeine Blindheit die Menschen überzogen hätte, so wäre sie doch nicht von gleichem Grade bei allen Völkern und aus gleichen Irrtümern zusammengesetzt gewesen. Jedes Geschlecht baute jetzt den Grund seines Unkrautes nach seiner Phantasie. Die Menschen mussten folglich in ihren Urteilen und Neigungen sehr abzuweichen anfangen, aus dem natürlichen Reichtum ihres Bodens, so schlecht auch das Gewächs desselben an sich war. So nachteilig also die Zusammenbindung der ausgearteten Menschen für sie gewesen wäre, so vorteilhaft war ihre Zusammenkunft, nachdem sich ein Unterschied zwischen ihren Gebräuchen, Art zu denken usw. befand. Nichts ist so vorteilhaft als die Vergleichung verschiedener Meinungen und Neigungen für die Vernunft, und nichts der Vernichtung augenscheinlicher Ungereimtheiten und grober Laster förderlicher.

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V. B. Mose 4. Was für ein herrliches Kapitel! Jedes Wort, das aus dem Munde Gottes geht, ist eine ganze Schöpfung von Gedanken und Bewegungen in unsrer Seele. – Gott will uns selbst nahe sein und kommt in unsere Herzen, nicht nur wie aus der wüsten und leeren Erde ein Paradies aus denselben zu machen, sondern das Gezelt des Himmels selbst hier aufzuschlagen. O wie sollte uns dieser Erdenkloß heilig sein, auf dem Gott würdigt, seine Hütte aufzuschlagen, weil unser armer Geist darunter wohnt! 

143

Gott, wie bin ich wohl imstande, das alles aufzuschreiben, was mein Herz fühlt, was mein Herz angibt! Wenn Johannes als ein Mensch geschrieben hätte, so würde er niemals aufgehört haben. Er sagte die Wahrheit seines Herzens, dass die Bücher zu groß sein würden für die ganze Welt. 

144

V. 39. Wie die ganze Dauer der Zeit nichts als ein Heute der Ewigkeit ist! Die ganze Zeit macht einen einzigen Tag in Gottes Haushaltung aus, wo alle Stunden zusammenhängen und in einen Morgen und einen Abend eingeschlossen sind. Die Ankunft unseres Heilandes machte den Mittag der Zeit aus. Gott, was ist die Ewigkeit, und was ist der Herr derselben! Wie viel Millionen Tage haben dazu gehört, wie viel Millionen Bewegungen hat die Erde gemacht, ehe sie zu derjenigen gekommen, die sie heute macht; und wie viele Millionen werden auf selbige folgen, die du alle gezählt hast, wie die vergangenen gezählt sind! Wie diese Ewigkeit von Tagen, die in der Welt gewesen sind und noch sein sollen, nichts als Heute für dich sind, so ist der heutige Tag eine Ewigkeit für mich, ja der jetzige Augenblick eine Ewigkeit für mich. Herr, dein Wort macht uns klug, wenn es uns auch nicht mehr gelehrt hätte, als diese unsre Tage zählen. Was für ein Rausch, was für ein Nichts sind sie in unsern Augen, wenn die Vernunft sie zählt! Was für ein All, was für eine Ewigkeit, wenn sie der Glaube zählt! Herr, lehre mich meine Tage zählen, auf dass ich klug werde! Alles ist Weisheit in deiner Ordnung der Natur, wenn der Geist deines Wortes den unsrigen aufschließt. Alles ist Labyrinth, alles Unordnung, wenn wir selbst sehen wollen. Elender als blind, wenn wir dein Wort verachten und es mit den Täuschgläsern des Satans ansehen. Unsre Augen haben die Schärfe des Adlers, gewinnen das Licht der Engel, wenn wir in deinem Worte alles sehen, dich, liebreicher Gott, Himmel und Erde, die Werke deiner Hände, die Gedanken deines Herzens gegen beide und in beiden. Der Christ allein ist ein Mensch, er allein liebt sich, die Seinigen und seine Väter, weil er Gott liebt, der ihn zuvor geliebt hat, da er noch nicht da war. Der Christ allein ist ein Herr seiner Tage, weil er ein Erbe der Zukunft ist. So hängt unsere Zeit mit der Ewigkeit zusammen, dass man sie nicht trennen kann, ohne beiden das Licht ihres Lebens auszublasen. Ihre Verbindung ist die Seele des menschlichen Lebens, so ungleich sie auch ihrer Natur nach sind, wie die Verbindung der Seele mit dem Leibe das zeitliche Leben ausmacht.

145

V. B. Mose 30,11. Welche Geheimnisse unserer Natur finden wir in Gottes Wort aufgeklärt! Der ganze Mensch scheint ohne dasselbe nichts als Erde zu sein, ohne Gestalt, leer und Finsternis auf der Fläche der Tiefe. Hier ist eine Tiefe, die kein menschlicher Verstand absehen kann; eine Tiefe, auf der Dunkelheit liegt, die unsern Augen nicht einmal erlaubt, die Oberfläche recht zu unterscheiden. Wollen wir etwas wissen, so lasset uns den Geist fragen, der über dieser Tiefe schwebt, der diese ungestalte, leere, geheimnisvolle Welt in die Schönheit, die Klarheit, die Herrlichkeit versetzen kann, gegen welche die übrige Schöpfung ihren Glanz zu verlieren scheint.

146 

Das Gebot, das uns Gott gibt, ist nicht verborgen, – ist nicht fern von uns; das Urteil ist dir nahe, Mensch – es ist in deinem Munde, in deinem Herzen – dass du dich nicht entschuldigen kannst mit der Schwierigkeit, es zu tun, oder mit der Freiheit, es zu unterlassen. Dieses Gebot ist dergestalt in dein Wesen verflochten, dass dieses aufhören muss, wenn du jenes Wort in deinem Munde verleugnen oder brechen willst.

147

V. B. Mose 32,6. Der Satan bemächtigt sich nicht nur unserer sinnlichen Werkzeuge und Kräfte, sondern auch der Vernunft selbst. Das Leben unseres Heilandes und die wunderbaren Kuren, die er tat, waren mehrenteils in der Einlösung oder Wiedererstattung dieses oberen und unteren Mühlsteins, aus deren Vereinigung die Bewegung und Bedingung unserer Natur und unseres Lebens besteht.

148 

Jos. 1,18. Hier finden wir ein neues Exempel, wie Gott das zum voraus befiehlt, was der Mensch, wenn er sich selbst überlassen ist, als notwendig und als seine eigene Pflicht ansieht. Daher ist im Abgrunde unseres Herzens eine Stimme, die uns der Satan selbst nicht hören lässt, die aber Gott hört, und auf die er uns aufmerksam zu machen sucht. Wenn wir zur Selbsterkenntnis gelangen, wenn wir von ungefähr uns selbst in unserer wahren Gestalt zu Gesicht bekommen; wie wünschen, wie flehen, wie ängstigen wir uns, wie fühlen wir die Notwendigkeit von all dem, was Gott ohne unser Wissen, ohne dass wir Anteil daran genommen und darnach gefragt hätten, sich nicht ermüdet hat, uns vorzuhalten, uns anzubieten und zur Annehmung desselben aufzumuntern, ja einzuschrecken! Wir hören alsdann das Blut des Versöhners schreien; wir fühlen es, dass der Grund unseres Herzens mit dem Blute besprengt ist, das zur Versöhnung der ganzen Welt vergossen worden. Alle Wunder der Heiligen Schrift geschehen in unserer Seele. Großer Gott, unsere verderbte Natur, in welcher du Himmel und Erde hast vereinigen und zugleich erschaffen wollen, ist dem Chaos nur gar zu ähnlich, seiner Ungestalt, seiner Leere und Dunkelheit nach, welche die Tiefe vor unseren Augen bedeckt, welche dir allein bekannt ist. Mache diese wüste Erde durch den Geist deines Mundes, durch dein Wort, zu einem guten, zu einem fruchtbaren Lande, zu einem Garten deiner Hand!

149 

Richter 6. Wir lesen so oft: die Israeliten schrien, Mose schrie, die Erde schreit. So wenig Gott Ohren bedarf, um zu hören, so wenig bedarf er einer Stimme, die er hören soll. Seine Allgegenwart, seine Allwissenheit sind sein Ohr und sein Auge; seine Barmherzigkeit und Weisheit gibt der ganzen Schöpfung eine Stimme; das heißt, jeder hat sein Maß, das er füllen muss. Gott hört unser Schreien, wenn der Schlaf oder Rausch der Sünde uns an nichts weniger als an uns selbst denken lässt; desto mehr denkt er dann an uns. Er weiß die Not, in der wir alsdann sind; diese unsere Not ist das Geschrei, das er hört. Wie unglücklich würden selbst die Raben sein, wenn Gott mit der Schöpfung ihres Futters so lange warten wollte, bis sie hungerte und sie ihn darum anzurufen anfingen! Nichts würde so alt werden auf der Welt, um eine Stimme brauchen zu können. Wir würden verhungern, ehe unsere Zunge lallen lernte. Wie eine Mutter das Geschrei ihres Kindes ohne Sprache versteht, so Gott unsern Hunger und Durst, unsere Blöße und Unreinigkeit; und er hat für alles gesorgt, noch ehe wir etwas von diesen Bedürfnissen wussten, noch ehe wir ihm ein gut Wort darüber gegönnt hatten, ja ohne dass ihm die meisten Menschen dafür danken und sein Geschrei hören, mit dem er uns seinen Himmel anbietet.

150 

Ruth 1. Gott hat mit einer bewundernswürdigen Weisheit eine Harmonie, ein so außerordentliches Band und Scheidewand zugleich zwischen den Kräften des Leibes und der Seele, zwischen den Gewässern oben und unten eingeführt, dass sie sich einander ersetzen, gegeneinander dienstfertig sind und in ihrer Entfernung einen Zusammenhang finden. Gott hat unserem Leibe das Gefühl des Hungers gegeben, dass wir eben eine solche Notwendigkeit in unserem Geiste voraussetzen sollen. Ja, vielleicht macht der Hunger, der Kummer, die Dürre, worin unser Geist lebt, den Leib so schwach, so gierig. Mose, unser Heiland und seine Nachfolger erfuhren mit ihren Sinnen die Nahrung, die wir in der Vollbringung des göttlichen Wortes fühlen sollen; wie ein wahrer Christ das Wort Gottes, je länger, je mehr er es liest, von allen Büchern durch ein Wunderwerk unterschieden findet, den Geist des Wortes in seinem Herzen schmelzen und wie durch einen Tau des Himmels die Dürre desselben erfrischt fühlt, wie er es lebendig, kräftig, schärfer denn kein zweischneidig Schwert an sich prüft, das durchdringt bis zur Scheidung der Seele und des Geistes, der Gebeine und des Markes in denselben.

151 

I. B. Sam. 9. Wie hat sich Gott der Vater gedemütigt, da er einen Erdenkloß nicht nur bildete, sondern auch durch seinen Odem beseelte! Wie hat sich Gott der Sohn gedemütigt! Er wurde ein Mensch, der geringste unter den Menschen; er nahm Knechtsgestalt an; er wurde für uns zur Sünde gemacht. Wie hat sich Gott der Heilige Geist erniedrigt, da er ein Geschichtschreiber der kleinsten, der verächtlichsten Begebenheiten auf der Erde geworden ist, um dem Menschen in seiner eigenen Sprache, in seinen eigenen Geschäften, in seinen eigenen Wegen die Ratschlüsse, die Geheimnisse und die Wege der Gottheit zu offenbaren!

152

Stellt euch das Geheimnis vor, wodurch ihr euch einem Volke wolltet verständlich machen, das taub und blind geboren wäre, oder dessen Augen und Ohren durch Zauberei verschlossen wären. Nur Gott würde zu einem solchen Volke reden können; nur derjenige, der Augen und Ohren geschaffen hätte, und der mit seinem Finger alle Macht der Zauberer Ägyptens zuschanden machte, würde sich einem solchen Volke entdecken können. Die Natur ist herrlich; wer kann sie übersehen? Wer versteht ihre Sprache? Sie ist stumm, sie ist leblos für den natürlichen Menschen. Die Schrift, Gottes Wort, ist herrlicher, ist vollkommener, ist die Amme, die uns die erste Speise gibt und uns stark macht, allmählich auf unsern eigenen Füßen zu gehen.

153

Der Heilige Geist erzählt uns in der Begebenheit einer Moabitin die Geschichte der menschlichen Seele; in dem Rat und Trost, in der Zärtlichkeit, in der verborgenen Führung ihrer Schwiegermutter seine eigene Leitung der Menschen. So sehen wir in der Geschichte Sauls eben dasselbe unter einem neuen Lichte, in einem neuen Kleide. So ist die Natur; Gott lässt seine Güte die Menschen schmecken in tausend Gestalten, in tausend Verwandlungen, die nichts als Schalen seiner Güte sind, die durch die ganze Schöpfung als Grund ihres Daseins, ihres Segens fließt. Lasst uns die ganze Schrift als einen Baum ansehen, der voller Früchte, und in jeder einzelnen Frucht ein Same, ein reicher Same eingeschlossen ist, in dem gleichfalls der Baum selbst und die Früchte desselben liegen. Dies ist der Baum des Lebens, dessen Blätter die Völker heilen, und dessen Früchte die Seligen ernähren sollen. 

154 

I. B. Sam. 21. Der Heilige Geist ist ein Geschichtschreiber menschlich törichter, ja sündlicher Handlungen geworden. Er hat die Lügen eines Abraham, die Blutschande Lots, die Verstellungen eines Mannes nach dem Herzen Gottes, erzählt. Gott, deine Weisheit hat die Torheit der Menschen, die Sünde der Menschen durch einen Rat, den keine Vernunft genug bewundern und verehren kann, zu unserem Zuchtmeister auf Christum, zu unserem Ruhme in Christo gemacht. Gott, wie hat der Stolz in das menschliche Herz kommen können! Die ganze Schrift ist in einer Art geschrieben, worin du dich selbst hast demütigen wollen, um uns die Demut zu lehren; um den Stolz des Philisters zuschanden zu machen, der deine Wunder unter dem Griffel, mit dem du sie an die Pforte vor den Augen Himmels und der Erde schreibst, für die Schrift eines Wahnwitzigen ansieht; dass die Söhne der Schlange um die Weisheit kommen, den gesegneten Weibessamen zu binden, weil sie ihn gleichfalls für verrückt ansehen; dass dein Apostel öffentlich der Raserei beschuldigt werden musste; warum? Weil dein Geist durch ihn Worte der Wahrheit und Nüchternheit sprach.

155

I. B. Sam. 26,3. David sieht und schickt gleichwohl Kundschafter aus, um dadurch zu erfahren, was er sieht. Ist nicht allenthalben der Geist Gottes, der die Höhen unserer Vernunft niederreißt, um uns ein himmlisches Gesicht dafür mitzuteilen; der unsere Vernunft zu verwirren scheint, indem er sein Licht in ihr scheinen lässt und die Finsternis absondert?

156 

I. B. d. Kön. 3. Alle Werke Gottes sind Zeichen und Ausdrücke seiner Eigenschaften; und so, scheint es, ist die ganze körperliche Natur ein Ausdruck, ein Gleichnis der Geisterwelt. Alle endliche Geschöpfe sind nur imstande, die Wahrheit und das Wesen der Dinge in Gleichnissen zu sehen.

157

I. B. d. Kön. 8. Verliert sich nicht alle Pracht, alle Aufmerksamkeit auf die Baukunst und den Reichtum des Königs, wenn wir Salomon vor dem Altare des Herrn stehend und seine Arme gen Himmel ausgebreitet sehen? Der Geist des Gebetes quillt aus seinem Herzen, er füllt seinen Mund, wie der Rauch den Tempel gefüllt hatte. Wir haben nicht nötig, und wir sind nicht vermögend, wie Salomon zu bauen; unser Haus ist schon fertig, von dem dieses nur ein Schatten war, ja unser Herz ist Gott angenehmer als dieser Tempel. Wir können alle wie Salomon beten. Das Gebet unsers Königs und Hohenpriesters macht alle unsere Seufzer, so gebrochen, so verstümmelt, so kurz sie sind, ebenso voll, so reich, so kräftig.

158

I. B. d. Kön. 19. Der Gott, der den Sturm, das Erdbeben, das Feuer zu seinen Boten hat, wählt eine stille, leise Stimme zum Zeichen seiner Gegenwart. Diese Stimme hört ein Elias, der den Sturm, das Erdbeben und das Feuer gesehen und gefühlt hatte unbewegt, diese Stimme hört ein Elias und verhüllt sein Gesicht im Mantel. Dies ist die stille, leise Stimme, die wir mit Zittern in Gottes Wort und in unserem Herzen hören.

159 

I. B. d. Chron. 12,32. Der Verstand der Zeiten gibt uns den Verstand unserer Pflichten. Der Herr der Zeit kennt selbige allein; er kann uns also allein sagen, von was für Wichtigkeit der Augenblick ist, den er uns schenkte. Der gegenwärtige Augenblick ist nur ein toter Rumpf, dem der Kopf und die Füße fehlen; er bleibt immer auf der Stelle, worauf er liegt. Das Vergangene muss uns offenbaret werden und das Zukünftige gleichfalls. In Ansehung des ersten können uns unsere Nebengeschöpfe etwas helfen; das letzte ist uns gänzlich versagt; selbst der Odem der folgenden Stunde ist sein eigener Herr, wenigstens hängt er von der vorigen so wenig ab, als er seinem Nachbar und Nachfolger gebieten kann. Jeder Augenblick der Zeit ist vollkommen rund; dass eine Schnur aus demselben wird, rührt von dem Faden her, den die Vorsehung durch denselben gezogen, und der ihm eine genaue Verbindung gibt, welche unser schwaches Auge uns nicht beobachten lässt. Dieser Faden macht den Zusammenhang der Augenblicke und Teile der Zeit so fest und unauflöslich, dass alles aus einem Stücke besteht.

160 

I. B. d. Chron. 23,5. Der Geist Gottes hat sich Menschen und durch Menschen geoffenbart. Mit den Werkzeugen, die ich gemacht habe. Er ist der Geist, der uns lehrt, Gott im Geiste und in der Wahrheit anzurufen; der unsern Mund zum Lobe Gottes zubereitet; der die Harfe Davids stimmte. Er lässt es uns merken, dass er es ist, der Gott, der die Stimme des Tons, der Erde und Asche so angenehm, so wohlklingend als das Jauchzen des Cherubs und Seraphs macht. Gott, wie gnädig bist du! Bloß unsertwegen scheinst du Gott zu sein! Wie groß ist unsere Undankbarkeit, wenn wir nicht dieses erkennen und dir allein leben und sterben!

161

V. 11. Wie der Geist Gottes die kleinsten Ordnungen, die sie in seinem Dienste gemacht haben, aufzeichnungswert findet und die kleinsten Umstände anmerkt! Es ist eben dieses die Art, wie er in unsern Seelen wirkt. Wer den Geist Gottes in sich fühlt, wird ihn gewiss auch in der Schrift fühlen. Wie er die kleinsten Umstände, die uns begegnen, anzuwenden weiß, um den Menschen zu erbauen, aufzurichten, zu erfreuen, zu trösten, zu warnen und ihm zuzureden! So wahr ist es, dass seine Absicht gewesen, keinen andern als Gläubigen, als wahren Christen durch sein Wort zu gefallen. Der Ungläubige geht ihn nichts an; er mag so einfältig oder so gelehrt sein, als er will, er ist versiegelt für ihn; der Gläubige allein ist sein Vertrauter; er lässt sich schmecken von dem einfältigsten und dem tiefsinnigsten Verstande mit gleicher Wollust, mit gleichem Maße, mit gleichem Reichtum himmlischer Wahrheit und übernatürlicher Gnade.

162 

I. B. d. Chron. 26. Der ganze Gottesdienst der jüdischen Kirche, die Opfer, die Lieder, der Tempel, die Harfen, alles war prophetisch: alles waren Sinnbilder von dem Dienste Gottes, den wir Christen mit unseren Gedanken, Worten, Handlungen, mit unserem ganzen Leibe, mit jedem Gliede desselben, mit jedem Werkzeuge unseres Berufes, unseres Vergnügens, unseres Wandels und unserer Andacht durch den Glauben an seinen Sohn bezeugen würden. Unser ganzes Leben, aller Gottesdienst eines Christen, alle seine Handlungen sind prophetisch, sind Prophezeiungen von dem himmlischen Dienste, den wir Gott vor seinem Throne, mitten unter seinen Engeln, und dem Lamme Gottes, mitten unter seinen Zeugen und Brüdern, bringen werden. So waren der Mantel des Propheten, so der Stab seiner Diener Wundertäter.

163

II. B. d. Chron. 21. Wie der Gottlose alle seine Untertanen und Bundesgenossen gegen sich aufstehen sieht, die ihn seinen Ungehorsam durch ihren eigenen fühlen lassen! Unsere Vernunft, unsere Begierden, unsere Bedürfnisse, die Zeit, das Leben selbst, alles steht gegen uns auf. Wie entgegengesetzt ist der Friede des Christen mit Gott und sich selbst! 

164

Esra 4. Die Feindschaft des Schlangensamens gegen den gesegneten Weibessamen läuft durch die ganze Heilige Schrift, die eine Erklärung der ersten Prophezeiung und eine fortdauernde Bestätigung derselben bis zur Zeit der Erfüllung enthält. Die Feinde Judas und Benjamins fangen mit glatten Worten an und wollen den Söhnen der Verpflanzung einbilden, sie suchten einen Gott mit ihnen, sie täten und opferten ihm wie jene.

165

Esra 7. Unser Ausgang, der Anfang, den wir in unserem Berufe machen, und die Vollendung desselben, die Heimkunft nach verrichtetem Tagwerke, hängen alle von der guten Hand unseres Gottes über uns ab. Wir müssen überführt sein, dass der Regierer der ganzen Welt unser Gott ist; wir müssen durch den Glauben den Anteil an seiner Gegenwart und Gnade fühlen. Wir müssen aber auch zugleich unsere Schritte und Wege so tun, dass der Schatten der göttlichen Hand über uns ein Wegweiser und der Wolke gleich ist, die Israel in der Wüste führte; wir müssen uns immer befleißigen, unter derselben, niemals neben derselben, weder zur Rechten noch zur Linken zu wandeln. Wie jene Morgenländer den Stern über dem Hause sahen, so müssen wir beständig Gottes Hand über unserem Haupte zu sehen trachten. Wodurch war aber die Hand Gottes, seines Gottes über Esra? Weil das Gesetz Gottes niemals aus der Hand Esra war, und das Gesetz Gottes die Weisheit Gottes ist.

166

Esra 9. Die vornehmsten Gaben des Heiligen Geistes leuchten in Esra hervor; vornehmlich der Geist des Gebetes, das ihm so natürlich in allen seinen Geschäften muss gewesen sein, dass er mitten in der Aufsetzung der Geschichte, nach der Mitteilung der königlichen Urkunde und Vollmacht, in ein Gebet ausbricht. In diesem Kapitel finden wir ein längeres und alle Stärke der Buße, der Furcht, der Andacht ausgegossen. Die zweite Gabe des guten Geistes in Esra ist der Geschmack Gottes, der herzliche Eifer, das Gefühl des göttlichen Wortes, davon sein ganzes Wesen scheint durchdrungen zu sein.

167

Hiob 1,21. Welche Gleichgültigkeit gegen alle Güter der Erde, worauf Satan seine Macht baut, und worin alle seine Zauberkünste über die blöden Sterblichen bestehen! Wie stark war Hiobs Vernunft, einen bloßen Wink der Natur zu einem so starken Nagel des Glaubens zu gebrauchen! Nackend kam ich aus dem Leibe meiner Mutter, und nackend soll ich wieder dahin zurückgehen. Diese Blöße, in der ich auf die Welt kam, machte Gott mitleidig, mir mehr, unendlich mehr zu geben, als ich nötig hatte; er setzt mich jetzt wieder in eben die Blöße und lässt mich in dieselbe wieder zurückgehen; er hat mir gegeben und hat also ein Recht zu nehmen; ja, vielleicht braucht er dieses Recht bloß, um mir einen größeren Reichtum, von dem ich nichts weiß, zu geben in einem Zustande, der mir jetzt so fremd ist, als mir diese Erde war im Schoße meiner Mutter. Er wird sich offenbaren, wie er bisher sich gegen mich geoffenbart hat.

168

Hiob 3,14-19. Was macht das Los des menschlichen Lebens so betrübt, und was sind die Sorgen, welche Hiob in demselben gefunden hat? Könige und Ratgeber der Erde, die wüste Plätze bauen für sich selbst – Fürsten, die Gold haben und ihre Häuser mit Silber füllen – unzeitige Früchte, denen nicht Zeit gelassen wird, das zu sein, was sie sein sollen – Kinder, welche das Licht nicht zu sehen bekommen – Bösewichter, die niemals ruhig sind – Müde, die keine Kräfte bekommen können – Gefangene, die nichts als die Stimme des Unterdrückers hören – Große und Kleine, Herren und Knechte, die einander zur Strafe sind. Wie Hiob in dem Lobe des Grabes die Mühseligkeit des Lebens ausdrückt, so sehen wir diese auch in dem Fluche seiner Geburt – Dunkelheit, wo wir Licht haben sollten. Das Licht, das auf alles, was Gott erschaffen hat, zurückfällt, scheint in dem Menschen ausgelöscht zu sein. Alle diejenigen Dinge, die einen Tag schrecklich und eine Nacht fürchterlich machen können, sind im menschlichen Leben vereinigt.

169

Die Vernunft entdeckt uns nicht mehr, als was Hiob sah – das Unglück unserer Geburt – den Vorzug des Grabes – und die Unnützlichkeit und Unhinlänglichkeit des menschlichen Lebens, weil wir keine Einsichten haben, und Leidenschaften und Triebe in uns fühlen, deren Absicht uns unbekannt ist.

170

Hiob 4. Satan gebraucht die Freunde Hiobs zu einem Versuche, die menschliche Natur zu erniedrigen, das Verderben zu vergrößern, das er selbst in sie gepflanzt hat, die Gerechtigkeit und Heiligkeit Gottes als seine einzigen Eigenschaften uns einzudrücken, uns durch parteiische Erkenntnis und Einsicht, durch einzelne und verstümmelte Wahrheiten, durch abgesonderte und aus dem Zusammenhange der göttlichen Weisheit und Haushaltung gerissene Gründe niederzuschlagen, zu verwirren und in Verzweiflung zu bringen. So entschuldigt er sich in Adam: „Das Weib, das du mir gabst“; so demütigte er Kain: „Meine Sünde ist größer denn deine Vergebung.“

171

Die Reden der Freunde Hiobs belehren uns, wie unhinlänglich ein Glaube oder eine Erkenntnis des göttlichen Namens, die sich auf seine allgemeinen Eigenschaften gründet, ist; ja, wie wir selbige durch eine unrechte Anwendung auf einzelne Fälle sogar missbrauchen und, anstatt Gottes Weisheit und Heiligkeit zu rechtfertigen, selbige verleugnen können; wie Gott ein menschlich Mitleiden mit den Schwachheiten und Leiden unseres Nächsten ein angenehmerer Dienst als eine Rettung seiner Wege ist.

172 

Hiob konnte seine Plagen unmöglich als Gottes Willen ansehen; er war nicht imstande zu zweifeln, Gott habe sich die Aufrichtigkeit und Unschuld seines Herzens gefallen lassen. Er wünschte nichts, als mit Gott selbst hierüber sich besprechen zu können. Gott erhörte diesen Wunsch und in ihm den Wunsch des ganzen menschlichen Geschlechts. 

173 

Wir finden also in diesem Buche den Geist der übrigen Bücher der Heiligen Schrift, den Geist, der sich allenthalben durch sich selbst aufklärt und sein Zeugnis von der Erlösung durch Christum überall zum Ziele seiner göttlichen Offenbarung setzt.

174 

Psalm 3,4. Du bist der Aufrichter meines Hauptes. Gott muss uns allein die gerade, aufgerichtete Stellung geben, die uns Menschen unterscheidet. Die Niedergeschlagenheit unseres Geistes ist Gott allein imstande zu heben. Der Aufrichter des Hauptes ist der Erlöser.

175

Psalm 5,4. Was ist die Stimme unseres eigenen Herzens, die wir das Gewissen oder das Lispeln der Vernunft oder unsern Schutzengel nennen? Ach, mehr als unser Herz und als ein Engel! Der Geist Gottes verkleidet sich in unsere eigene Stimme, dass wir seinen Zuspruch, seinen Rat, seine Weisheit aus unserem eigenen, steinigen Herzen hervorquellen sehen.

176

Sprüchw. 5. Wenn Hiob uns die Natur aufschließt, und Gott uns in diesem Buche lehrt, wie wir die Werke seiner Schöpfung in einem widerscheinenden Lichte betrachten sollen, so finden wir im Salomo einen Schlüssel zu dem, was man die große Welt nennt. – Wie treu finden wir die Neigungen des Verführers in dem Bilde einer Hure ausgedrückt, das Salomo hier schildert! Dies ist die große Zauberkunst der Buhlerinnen, gleich den seidenen Stoffen alle Farben zu spielen und das Auge durch den Irrtum, worin man es unterhält, zu vergnügen, damit wir uns nicht besinnen können, weil eine beständige Zerstreuung uns alle Aufmerksamkeit auf uns selbst und alle übrigen Dinge entzieht.

177

Sprüchw. 6. Die Schrift kann mit uns Menschen nicht anders reden als in Gleichnissen, weil alle unsere Erkenntnis sinnlich, figürlich ist, und die Vernunft die Bilder der äußerlichen Dinge allenthalben zu Zeichen abstrakter, geistiger und höherer Begriffe macht. Außer dieser Betrachtung sehen wir, dass es Gott gefallen hat, seinen Rat mit uns Menschen zu verbergen, uns so viel zu entdecken, als zu unserer Rettung nötig ist und zu unserem Troste; dieses aber auf eine Art, welche die Klugen der Welt, die Herren derselben hintergehen sollte. Daher hat Gott nichtswürdige, verächtliche, ja Undinge, wie der Apostel sagt, zu Werkzeugen seines geheimern Rates und verborgenen Willens gemacht. Er bediente sich eben derselben Schlingen, welche der Satan den Menschen gelegt hatte, um ihn selbst zu fangen.

178

Ich wiederhole mir selbst diese Betrachtung so oft, weil sie mir ein Hauptschlüssel gewesen ist, Geist, Hoheit und Geheimnis, Wahrheit und Gnade da zu finden, wo der natürliche Mensch nichts als eine poetische Figur, Tropen oder Idiotismen der Grundsprache, der Zeiten des Volks, kleine Wirtschaftsregeln und Sittensprüche findet. So bleibt man in der Offenbarung, die Gott dem Hiob geschehen ließ, bei den physischen Seltenheiten stehen, bei den Tieren, bei dem Leviathan, bei der Ameise, anstatt auf den Kern dieser Schale zu sehen; auf die Beziehung dieser sichtbaren Werke Gottes auf unsichtbare und geistliche.

179 

Sprüchw. 9,17. Gott hat unsern Seelen einen Hunger nach Erkenntnis, ein Verlangen zu wissen, eine Unruhe, wenn wir uns an einem dunkeln Orte befinden – er hat unsern Seelen einen Durst der Begierden gegeben, die lechzen, die schreien nach einem Gute, das wir so wenig zu nennen wissen als der Hirsch das frische Wasser, das wir aber erkennen und in uns schlucken, sobald wir es antreffen. So wie wir für unsern zeitlichen Hunger und Durst einen reichen Vorrat der Natur finden, die für jeden Geschmack gesorgt hat, so hat Gott gleichfalls Wahrheit und Gnade zur Nahrung und Stärkung unserer Seele zubereitet. Das gönnt uns der Satan nicht; er hat unzählige Erfindungen gemacht, Moden und Vorurteile aufgebracht, um sein gestohlenes Wasser als ein süßes Linderungsmittel aller menschlichen Begierden und sein heimliches Brot als ein angenehmes Mittel gegen den Hunger zu empfehlen. Wir sehen, wie unser Seelenfeind unseren Begierden, die uns Gott gegeben, und die also aus seiner Hand und mit seiner Kost allein gesättigt werden können, kümmerliche, abgeschmackte, ja giftige Hilfsmittel als Nahrung vorsetzt.

180

Sprüchw. 10,19. In der Menge der Worte fehlt es nicht an Sünde; derjenige aber, der seine Zunge zurückhält, der ist weise. Wie unerschöpflich sind die Beweise dieser Wahrheit! Der Reiche sucht in der Menge seiner Güter den Mangel des Geizes umsonst zu sättigen; die Erde macht keine Seele reich; sie macht sie immer ärmer, immer durstiger. Daher ist der reichste Geist der ärmste, der unglücklichste, der geizigste. Worte sind den Schätzen der Erde gleich; sie sind die Scheidemünze der Weisheit, deren Menge uns beschwerlich, unbrauchbar, eitel wird. Alle Bedürfnisse des menschlichen Lebens und der menschlichen Natur sind sich einander ähnlich; sie sind Kundschafter, die uns ein entfernteres Land entdecken sollen. Der Hunger ist uns nicht deswegen gegeben, dass wir nichts als essen sollen; die Scham und Blöße nicht, dass wir uns nichts als Kleider anschaffen sollen; die Zunge nicht, dass wir nichts als reden sollen; der Leib nicht, dass wir nichts als für das tägliche Brot mit demselben arbeiten oder bei Müßiggang desselben pflegen sollen. Gott hat uns so viele Bedürfnisse gegeben, er hat sie so untergeordnet, dass uns die bloße Natur den Wert derselben, die Ordnung, in der wir sie befriedigen sollen, lehren könnte. Dessen ungeachtet hat Gewohnheit, Mode, Torheit und die Sünde in allen möglichen Gestalten diese Ordnung aufgehoben. So hat der Satan uns mit Worten anstatt Wahrheit abzuspeisen gewusst. Wie lange hat er den Bauch der Vernunft mit diesem Winde aufgeblasen! Die christliche Religion zäumt daher unsere Zunge, die Schwatzhaftigkeit der Sünde in uns, so stark ein, indem sie uns entdeckt, wie Gott jedes unnütze Wort richten wird. In welchen Gesellschaften wird am meisten gesündigt, als wo es eine Schande ist, still zu schweigen, und für Wohlstand gehalten wird, für Kunst zu leben, nichts zu reden. Wie sind die Sitten durch diese Freiheit des Umganges verdorben worden! Wie sind die Sprachen schwer gemacht worden, um uns mit einer unnützen und eiteln Beschäftigung von dem Nötigen und Nützlichen abzuhalten! Welche Schriften müssen am meisten auf die Wahl und den Reichtum der Sprache bedacht sein? Die leersten, die abgeschmacktesten, die sündlichsten. Daher gehört es mit zu der Güte eines vorzüglichen Werkes, alles Unnütze soviel als möglich abzuschneiden, die Gedanken in den wenigsten Worten und die stärksten in den einfältigsten zu sagen. Daher ist die Kürze ein Charakter eines Genies, selbst unter menschlichen Hervorbringungen, und alle Menge, aller Überfluss eine gelehrte Sünde. Ist die Sünde nicht selbst die Mutter der Sprachen gewesen, wie die Kleidung eine Wirkung unserer Blöße? Würde der Geist Gottes selbst so viele Bücher nötig gehabt, sich so oft wiederholt, eine solche Wolke von Zeugnissen und Zeugen gebraucht haben, wenn dies nicht selbst unsere Sünde, die Größe unseres Unglaubens unentbehrlich gemacht hätte?

181

Prediger 1,13. Alle menschliche Weisheit arbeitet und hat Sorge und Verdruss zum Lohne; je weiter die Vernunft sieht, desto größer ist das Labyrinth, in dem sie sich verliert. Alles ist eitel und quält den Geist, anstatt ihn zu beruhigen und zu befriedigen. Es geht der Vernunft wie den Augen mit einem Vergrößerungsglase, wo die zarteste Haut ekel, das schmackhafteste Gericht zu einem Haufen Würmer und das feinste Werk der Kunst zu einer Pfuscherarbeit wird. Wir sehen die Unmöglichkeit, allen Ungleichheiten in der menschlichen Gesellschaft abzuhelfen, und wir sehen eine überwiegende Anzahl von Mängeln und Gebrechen in derselben; ja, die Blödigkeit unserer Sinne und Verstandeskräfte lässt uns Fehler in Schönheiten finden, indem wir alles nur stückweise betrachten.

182

Prediger 2,10. Hier finden wir eine Spur der göttlichen Güte, ungeachtet der Eitelkeit aller Wollüste und des bittern Nachgeschmacks, den sie zurücklassen, die, ungeachtet der Eitelkeit aller unserer Werke, doch in der Arbeit, in der Beschäftigung und besonders in nützlichen Beschäftigungen, die in die Augen fallen und unsern und anderer Beifall erhalten, eine Art von Freude, ein Gewürz von Lust gelegt hat, die uns mehr vergnügt als die Arbeit selbst, weil wir öfters dasjenige nicht achten, was uns so angenehm war, als wir es unter Händen hatten, hervorzubringen.

183 

Prediger 2,26. Alle die Eitelkeit, alle die Arbeit, alle die Bemühungen der Menschen um Weisheit, um Glück, um Ruhe, die in so verschiedenen Wegen die Menschen nach dem Grabe führen, wo all der Unterschied, den sie sich auf der Erde zu geben suchen, aufhört, sind nicht dem Frommen von Gott zugedacht; sondern sie sind ein Fluch, den die Sünde dem Menschen aufgelegt hat, den aber Gott zum Segen für die Seinigen machen will. Denn diese emsigen, diese unruhigen Geschöpfe sammeln und häufen für diejenigen, die in Gottes Augen gut sind; und diese sollen etwas, das der Sünder sucht und nicht findet, um das er arbeitet und das er nicht genießen kann, umsonst durch des Sünders Arbeit empfangen: Weisheit, Erkenntnis, Freude.

184 

Was ist das göttliche Wort, und woher ist die Weisheit, Erkenntnis, Freude, die in demselben liegt, genommen? Ist sie nicht Honig, der in einem erschlagenen Tiere von Bienen angebaut ist? Was sind die Geschichten, die sie uns liefert, als Beispiele von der Sünder Arbeit, von der Eitelkeit und Torheit, worin die Menschen verfallen sind? 

185 

Prediger 3. Wir finden hier eine Reihe widersprechender Dinge und Handlungen, welche in dem menschlichen Leben vorkommen, die unmöglich zugleich bestehen können und daher ihre besondere und verschiedene Zeit erfordern. Für jedes ist derjenige Augenblick bestimmt, welcher der geschickteste und beste für dasselbe ist.

186

Die Schönheit der Dinge besteht in diesem Augenblicke ihrer Reife, den Gott abwartet. Wer die Blüte der Kirschen für die Früchte kosten wollte, würde ein schlechtes Urteil darüber fällen; wer den kühlen Schatten der Bäume nach der Witterung des Winters und nach ihrer Gestalt in dieser Jahreszeit beurteilen wollte, würde sehr blind urteilen; und diese Schlüsse machen wir gleichwohl über Gottes Regierung und über die Absichten derselben.

187

Jesaja 30,23. Die fette Weide der Herden, das schmackhafte Futter der Ochsen... So hängt das Glück der Tiere von unsern Tugenden und Lastern ab. Diese pressen der Kreatur Seufzer aus; jene erzeigen ihnen Wohltaten. Denken wir Menschen an die Dienste, die uns die unvernünftigen Geschöpfe vermöge der weisen Ordnung der Natur erweisen? Missbrauchen wir nicht unsere Herrschaft über dieselben? In Sparta strafte man die Grausamkeit eines Kindes gegen einen Vogel. Unsere Üppigkeit und angeborne Bosheit verderbt die Sitten der häuslichen und zahmen Tiere; unsertwegen mussten sie ihren Instinkt verlieren, Unarten annehmen, die ihnen nicht natürlich sind. – Erkennet, Menschen, mit den Zauberern Ägyptens auch in dem verächtlichsten Gewürm den Finger Gottes. Verachtet nicht diese unmündigen Sittenlehrer, deren Gaukeltugenden euch beschämen, deren Handlungen äsopische Spiegel eurer Leidenschaften, Sinnbilder der Natur sind, die euch spielend unterrichten.

188 

Jerem. 38,11. Wir liegen alle in einem so sumpfigen Gefängnis wie Jeremias. Alte Lumpen dienten ihn herauszuziehen; diesen sollte er seine Rettung zu danken haben. Nicht das Ansehen derselben, sondern die Dienste, die sie ihm taten, und der Gebrauch, den er davon machte, erlösten ihn aus der Gefahr des Lebens.

189 

Ezechiel 29,14. Wer erstaunt nicht, wenn die größten Völker der Erde in ihren Kriegen und Eroberungen, in ihren Siegen und Verwüstungen zu nichts als Propheten unsichtbarer Dinge, zu einem Puppenspiele der göttlichen Vorsehung gedient haben, um sich den Gläubigen durch diese Zeichen zu offenbaren! Wir müssen die ganze Erde bloß als eine Himmelskugel der Sternseher betrachten und die ganze Geschichte derselben als eine Landkarte oder als einen mathematischen Riss zu einer Aufgabe der höhern Mess- und Bewegungskunst.

190 

Nahum. Nächst dem Reichtum Gottes in der Natur, der aus nichts entstand, ist keine größere Schöpfung als diese der menschlichen Begriffe und Empfindungen zu himmlischen und göttlichen Geheimnissen; diese Allmacht der menschlichen Sprache zu den Gedanken der Cherubim und Seraphim. Wie schwellen, wie glühen, wie rauschen die sinnlichen Eindrücke zum Gefühl und Augenschein des Glaubens und des Geistes! Jede einzelne Traube des göttlichen Wortes ist eine ganze Weinernte für einen Christen. Alle Wunder sind tägliche Begebenheiten, stündliche Erfahrungen des Lebens in Gott. Es ist einem Christen so unmöglich, an Gottes Wort zu zweifeln, als einem getauften Heiden, daran zu glauben. Es ist mehr als das Zeugnis der Sinne und der Vernunft, was zur Religion gehört. Sie hat ein festeres Siegel als den Beifall dieser Unmündigen nötig, dieser bestochenen Hüter, die uns erzählen, was sie im Schlafe sehen.

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Haggai 1. Die Gottseligkeit hat die Verheißung dieses und des zukünftigen Lebens. Wie bald würde die Blindheit der Menschen aufhören, wenn sie imstande wären, ihre eigenen Wege zu betrachten! Wie leicht würde es ihnen werden, sich Häuser zu bauen, die gebauten zu erhalten, ja, was noch mehr ist, genug zu haben, mehr als genug zu haben, mit Zufriedenheit und Danksagung die Wohltaten der Natur zu empfangen, zu genießen, durch Mäßigkeit zu vervielfältigen und die Lieblichkeit Gottes in jeder Kreatur zu schmecken! Was ist der Grund der kümmerlichen Ernte von einer großen Aussaat, des Hungers und Durstes, der niemals gestillt werden kann, der Kälte, die uns unsere Kleider nicht vertreiben wollen, und der durchlöcherten Beutel, worin wir unsere Einnahme aufzuheben glauben? Der Mangel des göttlichen Gedeihens; und dieses fehlt, weil uns Gott und sein Dienst ein Nebenwerk, ein entbehrliches Ding, ein Überfluss, ja leider ein Hindernis in unserm Berufe scheint. Dieser Mangel der Religion in den Menschen macht überhaupt schon eine Unordnung in den Leidenschaften, die immer noch viel vor sich sehen und wenig zu empfangen glauben und das Wenige selbst durch hundert kleine Lüste und Näschereien derselben, durch allerhand Ausschweifungen, Nachlässigkeiten und Torheiten bald zu Spreu machen.

192

Matth. 4. Die Versuchung unseres Heilands muss man mit der Geschichte von Adams Fall zusammennehmen. Unser Stammvater war im Garten, den Gott gepflanzt hatte, unter einem Überflusse der schönsten Früchte; wir sehen unsern Erlöser in der Wüste. Eine Zubereitung von einem vierzigtägigen Fasten, welches vermutlich strenger zu halten, er eine Wüste erwählt hatte. Man stelle sich das Fasten unseres Heilands nicht nach den Begriffen der Eitelkeit vor, die unsere Mönche darin finden, noch seine Einöde gleich ihrer, dass sein Leben darin so leer gewesen als der Boden, auf dem er sich befand.

193 

Alle die Vorteile, die der Satan in der Einsamkeit, besonders einer traurigen, über uns hat, und deren Pfeile kein Sterblicher aufzufangen imstande wäre, waren dem Verführer hier über unsern Erlöser gegeben.

194 

Wir sind so wenig zu Einöden geboren, dass uns die bloßen Fußstapfen der Menschen zur Aufmunterung dienen. Hier ist unser Heiland in eine Einöde der Gesellschaft und Natur versetzt; er sieht nichts als Steine um sich. Wir fühlen die Bedürfnisse der menschlichen Natur stärker, wenn wir uns selbst überlassen sind, und je weniger wir eine Möglichkeit sehen, ihnen genugzutun. Man setze also den Hunger des Erlösers hier in Vergleichung mit dem Übermute, den Adam trieb, von dem verbotenen Baume zu essen. Nicht Hunger, nicht Mangel, sondern die Verachtung des göttlichen Wortes, der Glaube an die Verheißungen der Schlange war es, was ihn verführte. 

195

Hier nun, unter allen diesen Anläufen, die einer menschlichen Natur so überlegen zu sein scheinen, was wäre natürlicher gewesen, als sie durch ein Wunder der göttlichen Allmacht zu erleichtern; was wäre menschlicher gewesen, als die Gelegenheit, die Satan gab, ihn zu überführen, dass der Erlöser Gottes Sohn sei, zur Unterstützung der menschlichen Kräfte anzuwenden? Nein! Hier war der Augenblick, in dem ein Mensch der Göttlichkeit, die in ihm kein Raub war, sich entäußern musste, um das Verbrechen Adams zu büßen. Nein, Gott hielt Satan nicht wert, ihn seine Allmacht sehen zu lassen, die er nur als überwunden fühlen sollte.

196

Jesus bedient sich keiner andern Waffen als des göttlichen Wortes, und die Kraft desselben ist durch den Gebrauch, den er davon bei dieser außerordentlichen Gelegenheit machte, an allen denjenigen gesegnet worden, die sich desselben unter gleichen Umständen bedienen werden. Es war dem Satan, wie es scheint, an nichts mehr gelegen, als zu wissen, ob Jesus Gottes Sohn sei. Er bediente sich eines gefährlichen Umstandes dazu; er fiel ihn in der Schwäche des Hungers an, um ein Wunder herauszulocken. Er legt ihm die Gelegenheit eines zweiten Wunders nahe, wozu er ihm den Weg durch eine Prophezeiung zu machen sucht, wobei er sich in einen Engel des Lichts verstellen will. Da ihm dieser Versuch fehlschlug, so schöpfte er einen Verdacht gegen die Göttlichkeit der Person. Er nimmt also die Maske dreist ab aus Verzweiflung oder aus Verachtung. 

197

Sobald er sich unserm Heilande als der Verführer zeigt, begegnet ihm dieser mit dem Ansehen der menschlichen Natur, das ihr durch den Gebrauch ihrer Kräfte über alle Tiere auf dem Felde, und das listigste derselben, gegeben ist. – Hebe dich weg! 

198 

Der Sieg des Menschen über den Satan ist am leichtesten, wo dieser sich am deutlichsten als das, was er ist, offenbart. Die zehn Gebote, wenn sie in unser Herz geschrieben sind und wir sie gegen ihn aussprechen, können ihn vertreiben. Am gefährlichsten aber ist er, wenn er uns in den Bedürfnissen unserer Natur, wo wir durch eine Verletzung unserer Pflichten keine andere Absicht zu haben scheinen, als aus Steinen Brot zu machen, und in dem Vertrauen auf unsere Kräfte versucht. 

199 

Mark. 9,49. Wir sind uns selbst als Opfer dem Heiland schuldig, nicht wie er es war, sondern wie seine Vorbilder es waren. Anstatt des Feuers kommen wir mit dem Salze ab, mit dem Gefühle unseres Elends und dessen, was Christus dafür gelitten hat, mit einem Glauben und Annehmen seines Verdienstes, das ohne Schmerzen, ohne Empfindlichkeit nicht geschehen kann; aber hierin liegt unsere Erhaltung und das Gewürz, das uns Gott als Opfer, als Bilder seines Sohnes, angenehm macht. Kein Opfer ist also angenehm, zu dem das rechte Salz desselben fehlt, die Empfindung unserer Sünde und der Glaube an den, welcher das Feuer der Sünde ausgelöscht hat. Dieses Salz ist das einzige Gegengift des Stolzes, Neides und aller Sünde; dieses sollten die Jünger in sich zu erhalten suchen.

200 

Luk. 20. Wie der Glaube an die Auferstehung Jesu sich auf das Zeugnis eben des Geistes gründet, der Moses und den Propheten ihre Rede eingegeben und sie in unsern Herzen glaubwürdig macht, so war Johannes‘ Taufe und unseres Heilands Evangelium, gleich jenen göttlichen Offenbarungen, ein Heilmittel der Menschen. Wenn der Mensch diesen Geist unterdrückt, so sind keine Wunder stark genug, ihn zu überführen, sondern wie Pharao wird er nur immer härter. Die Pharisäer brauchen hier ihre Vernunft; sie machen schlaue Schlüsse, verleugnen ihre eigenen Gedanken, geben eine Unwissenheit vor, die sie nicht hatten, die eine Folge der größten Beruhigung unserer Vernunft ist. Je näher sie der Wahrheit sind, desto steifer verleugnen sie dieselbe, als die einzige Ausflucht, ihr zu entgehen. Diese Begebenheit schildert etwas von den Wundern, die der Satan in unserm Herzen hervorzubringen vermag, wenn wir es ihm einräumen.

201 

Johann. 12. Wie die geringsten Umstände in der Heiligen Schrift prophetisch sind! Hier werden zwei Ausschweifungen der menschlichen Vernunft angezeigt, die bis zu unseren Zeiten fortdauern; die Stimme Gottes durch natürliche Wirkungen zu erklären oder durch untergeordnete Wunder. Ehe die Menschen Gott sehen und glauben wollen, bilden sie sich lieber einen Donner oder einen Engel ein. Dies ist zugleich die Wirkung, die Gottes Offenbarung auf die Sünder und Frommen haben würde. Der Ungläubige wird ein Ungewitter, einen Donnerschlag hören, wenn der Gläubige und Christ Engelsstimmen zu sich sprechen hört.

202

Ap.-Gesch. 17. Die Neugierde ist eine Art des Aberglaubens und der Abgötterei. Sokrates, dem die Weltweisen sich vereinigen, den Namen eines Weisen beizulegen, bekannte, er wisse nichts. Salomo, dem der Geist Gottes mit mehr Recht diesen Titel zusprach, hat uns in seinem Prediger ein Zeugnis hinterlassen, das noch betrübter ist. Nichts neu – und Mühe, Gram, Ekel, weise zu sein.

203

Wenn die Neugierde eine Mutter, Amme der Wissenschaft ist, so können wir von der Wurzel und ihrem Nahrungssafte auf die Früchte leicht den Schluss machen. Alle natürliche Erkenntnis ist offenbart; die Natur der Gegenstände gibt den Stoff, und die Gesetze, nach denen unsere Seele empfindet, denkt, schließt, urteilt, vergleicht, geben die Form. Alle natürliche Erkenntnis ist daher so alt als die Natur selbst; und weil diese unveränderlich bleibt, so kann keine Neuigkeit in den Empfindungen derselben in eigentlichem Verstande stattfinden. Derjenige Teil der Erde, den man die Neue Welt nennt, ist ein sinnlich Exempel des Missverständnisses, das der Sprachgebrauch in Begriffen verursacht, oder vielmehr, wie die Schwachheit und Undeutlichkeit unserer Gedanken die Worte verfälschen; und durch eben diesen Betrug nehmen wir die falsche Münze für wichtig und voll ein. Nicht also im Laufe der Natur und im Gesichtskreise unserer Vernunft und jedes vernünftigen Geschöpfes ist etwas Neues anzutreffen; dies muss außer diesem Bezirke stattfinden. Gott muss den Lauf der Natur ändern oder uns in einen andern Gesichtskreis versetzen oder denselben erweitern, wenn wir etwas Neues oder mehr als das Alte entdecken und erkennen sollen. Das Neue selbst kann unter dem Kleide des Alten erscheinen, wie uns das Alte durch den Schein des Neuen hintergeht, weil wir nichts als die Oberfläche und diese Oberfläche selbst öfters nur in Dunkelheit und durch einen Nebel sehen. Es ist also Gott allein, der Neues hervorbringen, der uns Neues entdecken und der uns das Neue zu unterscheiden und wahrzunehmen lehren kann. Gott schreibt sich dieses alles ausdrücklich in der Heiligen Schrift zu; und der Prediger Salomo scheint hauptsächlich in der Absicht geschrieben zu sein, dass er als der Weiseste aller Sucher der Weisheit auf die Offenbarung Gottes im Fleisch und die Predigt seines Königreiches als die einzige Neuigkeit, die für die Erde und ihre Einwohner wichtig, allgemein und wirklich neu wäre, ja niemals aufhören würde, neu zu sein, verweisen sollte. Gott ließ daher ein Gerücht von dieser Neuigkeit sich solange vorher auf der Erde ausbreiten, und die Engel waren Boten des Himmels, die selbige als eine große Freude, die allem Volke wichtig wäre, verkündigen mussten. Die Predigt des Evangeliums wird daher die fröhliche Zeitung des Königreiches Gottes genannt. Und das ausgerüstete Werkzeug Gottes, Paulus, der bis in den dritten Himmel gewürdigt wurde, entzückt zu werden, wusste nichts als Jesum den Gekreuzigten. Dies ist also der einzige Gegenstand, für den uns der Trieb der Neugierde von Gott eingepflanzt ist; dies ist der einzige Gegenstand, der demselben genugtun kann, der unsere Neugierde in Weisheit verwandelt. Dies ist ein Durst, den wir ungeachtet unserer Erbsünde fühlen, den alle irdische Brunnen nur vermehren, und den nur die lautere, himmlische Quelle stillt. Je mehr er davon trinkt, desto reicher wird der Zufluss, und es ist unmöglich, davon zu viel zu trinken.

204

Ap.-Gesch. 17,23. Dies ist einer von den unzähligen Widersprüchen, die wir in unserer Natur finden und deren Auflösung uns unmöglich ist. Die Vernunft ist geneigt, einem unbekannten Gott zu dienen, aber unendlich entfernt, ihn zu kennen. Sie will ihn nicht kennen und, was noch erstaunender ist, wenn sie ihn erkannt hat, hört sie auf, ihm zu dienen. Dies ist der Grund, warum Gott so spät und so langsam sich entdeckt; er weiß, dass seine Kenntnis den Menschen ein Anstoß, ein Ärgernis ist, sobald er sich ihnen offenbaren und zu erkennen geben will. Die Athener waren andächtig genug, um vor einem unbekannten Gott niederzufallen; sobald aber dieser unbekannte Gott ihnen entdeckt wird, ist ihnen nichts mehr daran gelegen; sie spotten darüber.

205

Röm. 2. In der Bibel finden wir eben die regelmäßige Unordnung, die wir in der Natur entdecken. Alle Methoden sind als Gängelwagen der Vernunft anzusehen und als Krücken derselben. Die Einbildungskraft der Dichter hat einen Faden, der dem gemeinen Auge unsichtbar ist und den Kennern ein Meisterstück zu sein scheint. Alle verborgene Kunst ist bei ihm Natur. Die Heilige Schrift ist in diesem Stücke das größte Muster und der feinste Probestein aller menschlichen Kritik.

206 

2. Thessal. 2. Gott wiederholt sich, wie in der Natur, in der Schrift, in der Regierung der Welt, in der Aufbauung der Kirche, im Wechsellaufe der Zeiten; wenigstens scheint es uns so und ist notwendig für uns, dass wir Wiederholung sehen. Es sind nicht dieselben Früchte und sind doch dieselben, die jeder Frühling hervorbringt; es ist nicht derselbe Leib und doch derselbe, den wir aus Mutterleibe bringen und in den Schoß der Erde säen; es ist nicht derselbe Fluss und doch derselbe, der sich selbst zu verschlingen scheint. Wer ein Sonnenstäubchen erklären kann, der hat das Rätsel der ganzen Natur. Ja, der Geist, der die Tiefen der Gottheit erforscht, legt dem Simson ein Geheimniswort in den Mund, ein Geheimniswort, das durch eine sehr gleichgültige Begebenheit verständlich wird und dessen Sinn durch eben das Geheimnis offenbart wurde, dessen Apostel Paulus war, und das er (Röm. 16,25.26) sein Evangelium nennt.

207 

Tit. 1,12. Wie alle Hilfsmittel den Christen geheiligt sind, sie zur Ausbreitung des Evangeliums anzuwenden! Vornehmlich ist eine Kenntnis des moralischen Charakters und ein Geschmack der Sitten dazu notwendig. Die Poeten helfen dazu und sind die größten Proben, die uns die Denkungsart und die Neigungen der Menschen und eines Volkes aufschließen und am getreuesten und stärksten malen. Die Zeugnisse der menschlichen Kunst, Wissenschaft und Geschichte dienen alle zum Siegel, zum menschlichen Siegel der Offenbarung, und man hat als Christ so wenig Ursache, dieselben zu versäumen und aufzuheben als Paulus, seinen Überrock in Troas im Stiche zu lassen. Paulus tat einem Dichter die Ehre an, ihn einen Propheten seines Volkes zu nennen. Die wahre Poesie ist eine natürliche Art der Prophezeiung.

208

Philem. Wie das Amt der Kirche uns nicht das geringste Vorzugsrecht in weltlichen Händeln gibt! Wie Paulus vorsichtig ist, den geringsten gezwungenen Gebrauch des Evangeliums für sich selbst zu machen! Selbst die guten Werke sollen uns nicht abgepocht werden; das Amt der Predigt ist zu heilig, um es dazu anzuwenden. Dieser Brief Pauli ist ein herrliches Muster der Bescheidenheit, der Furcht, mit der wir die Grenzen unseres Amtes vor Augen behalten müssen, es nicht zu unseren eigenen Absichten, Wünschen, Eigennutz missbrauchen dürfen. Liebe ist Gott angenehm, unzeitiger Eifer allemal gefährlich. Eine Denkungsart, wie wir sie bei Paulus finden, ist dem natürlichen Menschen nicht eigen. Der Nächste ist uns nichts schuldig, wenn er nicht will. – Was für Waffen hat denn der Christ über seinen Nächsten? Das Beispiel der Demut, der Verleugnung, der Uneigennützigkeit, der Großmut, das in Paulus so liebenswürdig, so mächtig spricht, und das mehr ist als alle Gesetze der menschlichen Billigkeit, als alle Einfälle des Witzes und als alle listige Griffe der schlauen Welt.

209

Hebr. 11,3. Ohne Glauben können wir selbst die Schöpfung und die Natur nicht verstehen – daher die Bemühungen, Gottes Wort und Willen zu entfernen, das Dasein durch Hypothesen und wahrscheinliche Fälle zu erklären, und die vielen Zweifel, die man gegen Moses Erzählung erhoben hat.

210 

1. Petr. 4,11. Die Heilige Schrift sollte unser Wörterbuch, unsere Sprachkunst sein, worauf alle Begriffe und Reden der Christen sich gründeten, woraus sie bestünden und zusammengesetzt würden.

211 

2. Petr. 1,20. Die Prophezeiung der Heiligen Schrift ist von keiner einzelnen oder menschlichen Auslegung. Es sind nicht Abrahams Werke und Moses Wunder und Israels Geschichte der Inhalt derselben; es betrifft nicht einzelne Menschen, nicht einzelne Völker, ja nicht einmal die Erde allein, sondern alles ist ein Vorbild höherer, allgemeiner, himmlischer Dinge. Wenn Mose den Willen gehabt hätte, auf eigenen Antrieb, wie ein Cäsar, zu schreiben, so dürften wir vielleicht nichts als eine Sammlung von Urkunden und einzelnen Nachrichten von ihm erwarten. Es ist nicht Mose, nicht Jesaja, die ihre Gedanken und die Begebenheiten ihrer Zeit in der Absicht irdischer Bücherschreiber der Nachwelt hinterlassen haben. Es ist der Geist Gottes, der durch den Mund und den Griffel dieser heiligen Männer sich offenbarte; der Geist, der über den Wassern der ungebildeten, jungen Erde schwebte, der Maria überschattete, dass ein Heiliger geboren wurde; der Geist, der die Tiefen der Gottheit allein zu erforschen und zu entdecken vermag. Mit wieviel Ehrfurcht soll dies uns bewegen, das göttliche Wort zu lesen und zu genießen!

212 

2. Joh. Johannes nennt Wahrheit, was andere Apostel Evangelium, die Predigt Jesu, den Glauben an ihn u.s.f. nennen. Man sieht hieraus, dass die Wahrheit der Lehre nicht auf Worten, auf Formeln, sondern auf dem Geiste, dem Sinne, den Begriffen beruht; wenn diese mit Gottes Wort übereinstimmen, so kann man jedem seine Ausdrücke lassen. Liebe selbst hat öfters den Begriff des Glaubens und ist nichts als ein tätiger Glaube, der Odem oder das Leben des Glaubens.

213 

Offenb. Joh. 1. Die Schrift lehrt uns Christen die Zeit, die ganze Dauer derselben, nach Gottes Rechnung betrachten. Was unser Leben ist, das ist die Dauer der ganzen Welt, nichts mehr als ein Heute vor Gott und für jedes Geschöpf. Was ist unser Tod, den wir stets so nahe als jeden künftigen Augenblick ansehen müssen? Sind wir es, die wir sterben? Nein, die Welt, die uns stirbt, für uns vergeht. Der Tod jedes Menschen ist also die Zeit, wo diese Offenbarung zum Teil an der Seele jedes Menschen erfüllt wird. In diesem Verstande ist es buchstäblich wahr, dass die Zeit der Erfüllung nahe ist.

214 

Wie unvollkommen und unzureichend die Begriffe der Menschen sind, um himmlische und geistliche Dinge sich vorzustellen! Die Ewigkeit Gottes kann uns nicht anders begreiflich gemacht werden, als durch die Teile der Zeit, durch eine Verbindung von drei Augenblicken, die wir aus Unvollkommenheit unterscheiden und miteinander vergleichen müssen. Die Unveränderlichkeit Gottes, in dem, wie Jakobus sagt, nicht ein Schatten eines Kehrens oder Wendens ist, kann uns nicht anders als durch die Vergänglichkeit irdischer Dinge deutlich gemacht werden. Nach unseren Begriffen geht das Vergangene vor dem Gegenwärtigen her; bei Gott ist das Gegenwärtige der Grund des Vergangenen und Zukünftigen. Was kann uns einen wunderbareren Begriff geben von Gottes Unveränderlichkeit, überschwänglicher Größe und unerforschlicher Hoheit als diese Vernichtung aller menschlichen Begriffe oder diese Übersteigung derselben?