DAS FÜNFZEHNTE KAPITEL. (1.B./15.K.)

 

IN EINEM WAHREN CHRISTEN

MUSS DER ALTE MENSCH TÄGLICH STERBEN,

UND DER NEUE MENSCH TÄGLICH ERNEUERT WERDEN;

UND, WAS DAS HEISSET, SICH SELBST VERLEUGNEN,

AUCH WAS DAS RECHTE KREUZ DER CHRISTEN SEI.

 

Inhalt.

1) Zum Selbsthaß gehöret zweitens, dass man täglich der Sünde oder dem alten Menschen absterbe. 2) Was der alte Mensch sei? 3) Was der neue Mensch sei? 4) Warum und wie ein Mensch sich selbst verleugnen muß. 5) Wird durch Ver-gleichung eines fleischlichen und geistlichen Menschen erläutert. 6) In der Ver-leugnung ist Christus und seine Heiligen uns vorgegangen. 7) Was, sich selbst verleugnen, heiße. 8) Das rechte Kreuz Christi ist dem Fleische sehr bitter. 9) Denn der ganze alte Mensch muß sterben, wenn der neue soll leben. 10) Und das um der Liebe Christi willen. 11) Weil aber die meisten voll Ehrsucht und eigener Liebe sind, 12) so sind wenige, die dies tun. 13) Wer aber zuerst abstirbt, den erfreuet Gott.

 

Wer mir folgen will, der verleugne sich selbst, und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach. Luk. 9,23.

 

Vom alten und neuen Menschen spricht St. Paulus Ephes. 4,22.23.24. So leget nun von euch ab, nach dem vorigen Wandel, den alten Menschen, der durch Lüste in Irrtum sich verderbet. Erneuert euch aber im Geiste eures Gemüts, und ziehet den neuen Menschen an, der nach Gott gebildet ist, in rechtschaffener Gerechtigkeit und Heiligkeit. Er setzet aber 1 Kor. 6,19.20. die Ursache: Ihr seid nicht euer selbst, denn ihr seid teuer erkauft. Darum preiset Gott an eurem Leibe und an eurem Geist, welche sind Gottes.

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2. Nun ist aber der alte Mensch nichts, als Hoffart, Geiz, Wollust des Fleisches, Ungerechtigkeit, Zorn, Feindschaft, Haß, Neid etc. Diese Dinge aber müssen in einem wahren Christen sterben, soll der neue Mensch hervorkommen, und täg-lich erneuert werden.

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3. Wenn nun dieser alte Mensch stirbt, so wird dagegen der neue Mensch leben-dig, nämlich: wenn die Hoffart in dir stirbt, so wird dagegen die Demut durch den Geist Gottes erwecket; wenn der Zorn stirbt, so wird dagegen die Sanftmut gepflanzet; wenn der Geiz stirbt, so wird dagegen das Vertrauen auf Gott in dir vermehret; wenn die Weltliebe in dir stirbt, so wird dagegen Gottes Liebe aufge-richtet. Das ist nun der neue inwendige Mensch mit seinen Gliedern, es sind Früchte des heiligen Geistes, es ist der lebendige, tätige Glaube, Gal. 5,22. Es ist Christus in uns und sein edles Leben, es ist der neue Gehorsam, das neue Ge-bot Christi, es ist die Frucht der neuen Geburt in uns, in welcher du leben mußt, willst du ein Kind Gottes sein. Denn die in der neuen Geburt leben, die sind allein Gottes Kinder.

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4. Daher kommt es nun, dass ein Mensch sich selbst verleugnen muß, das ist, sich selbst verzeihen seiner Ehre, seines Willens, seiner eigenen Liebe und Wohlgefallens, seines eigenen Nutzens und Lobes, und was dessen mehr ist, ja sich selbst verzeihen seines Rechts, und sich aller Dinge unwürdig achten, und seines Lebens. Denn ein wahrer Christ, in dem die Demut Christi ist, erkennet wohl, dass ein Mensch zu keinem Dinge, so von oben herrühret, Recht hat. Darum braucht er alles mit Furcht und Zittern, als ein fremdes Gut, zur Notdurft, und nicht zur Wollust, nicht zu seinem eigenen Nutzen, Lob und Ehre.

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5. Zum Exempel, laßt uns gegeneinander halten einen rechten wahren Christen, der sich selbst verleugnet, und einen falschen Christen, der mit eigener, un-ordentlicher Liebe besessen ist. Wenn ein solcher verachtet wird, so tut ihm die Verachtung sehr wehe, wird zornig, ungeduldig, fluchet, lästert wieder, will sich selbst rächen mit Worten und Werken, und kann darauf noch wohl einen Eid schwören; das ist der alte Mensch, der ist ein solcher Tölpel, zürnet leicht, ist feindselig und rachgierig. Dagegen, der sich selbst verleugnet, ist sanftmütig, geduldig, verzeihet sich aller Rache, achtet sich würdig und schuldig, alles zu leiden; das heißt, sich selbst verleugnen.

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6. In solcher hohen Geduld, Sanftmut und Demut ist der Herr Christus dir vorge-gangen. Er hat sich selbst verleugnet, da er sprach: Matth. 20,8. Des Menschen Sohn ist nicht kommen, dass er sich dienen lasse. Item: Ich bin mitten unter euch wie ein Diener, Luk. 22,27. Des Menschen Sohn hat nicht so viel, dass er sein Haupt hinlege, Luk. 9,58. Ich bin ein Wurm, und kein Mensch, Ps. 22,7. Also verleugnete sich David selbst, als ihm Simei fluchte, und sprach 2 Sam. 16,10. Der Herr hats ihn geheißen. Also wollte er sprechen: Du bist vor Gott ein armer Wurm, und Wert, dass du alles leidest. Also, die lieben Heiligen und Propheten haben sich selbst verleugnet, sich unwürdig geachtet alles, was einem Menschen zu gut geschehen mag, darum haben sie alles erduldet; hat ihnen jemand ge-flucht, sie haben ihn dafür gesegnet; hat sie jemand verfolget, sie haben Gott dafür gedankt, Ap. Gesch. 5,40.41. Hat sie jemand getötet, sie haben für ihn gebetet. Ap. Gesch. 7,59. Und sind also durch viel Trübsal in das Reich Gottes eingegangen, Ap. Gesch. 14,22.

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7. Siehe, das heißt, sich selbst verleugnen, sich nicht wert achten alles, was ihm möchte zu gut und liebe geschehen, und hinwieder sich wohl würdig halten, alles deß, das ihm zu leide geschiehet.

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8. Dies Verleugnen ist nun das Kreuz Christi, das wir auf uns nehmen sollen, wie der Herr spricht: Luk. 9,23. Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, und nehme sein Kreuz auf sich, und folge mir nach. Das ist dem Fleische ein bitteres Kreuz; denn es wollte lieber sicher, frei, ruchlos, nach seinen eigenen Lüsten leben, als dass es sollte leben in der Demut, Sanftmut und Geduld Christi, und das Leben Christi an sich nehmen. Denn dies Leben Christi ist dem Fleisch ein bitteres Kreuz, ja es ist sein Tod, denn der alte Mensch muß sterben.

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9. Alles, was dem Menschen von Adam angeboren ist, das muß in einem rechten Christen sterben. Denn wenn man will die Demut Christi an sich nehmen, so muß die Hoffart sterben; will man die Armut Christi an sich nehmen, so muß der Geiz sterben; will man die Schmach Christi tragen, so muß die Ehrsucht sterben; wenn man die Sanftmut Christi an sich nehmen will, so muß die Rachgier sterben; will man die Geduld Christi an sich nehmen, so muß der Zorn sterben.

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10. Siehe, dies alles heißt, sich selbst verleugnen, sein Kreuz auf sich nehmen, und Christo folgen; und dies alles nicht um seines Verdienstes, Lohns, Nutzens, Ruhms und Ehre willen, sondern allein um der Liebe Christi willen, weil er es getan hat, weil dies sein edles Leben ist, und weil er uns ihm zu folgen befohlen hat. Denn das ist das Bildnis Gottes in Christo und in uns, welches des Men-schen höchste Ehre ist, daran sich ein Mensch billig soll genügen lassen, und aufs emsigste darnach streben.

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11. Und was ist es, dass ein Mensch so sehr nach Ehren dieser Welt strebet, da er doch dadurch vor Gott nicht besser wird, als andere Leute? Das bezeuget die Stunde unserer Geburt und des Todes. Der Allergrößte in der Welt hat eben einen Leib von Fleisch und Blut, wie der geringste Mensch; also ist kein Mensch um eines Haares breit besser, als der andere. Einer wird geboren wie der andere, einer stirbt wie der andere; doch plaget uns die Ehrsucht also. Das macht alles die eigene Liebe, die verboten ist, weil wir uns selbst hassen sollen. Nun ist das gewiß, wer sich selber also liebet, das ist, sich selber wohlgefällt, Hoffart treibet und stolzieret, Ruhm und Ehre suchet, der wendet seine Seele von Gott und Christo ab auf sich selbst und auf die Welt. Da kommt nun Christus, und spricht: Willst du selig werden, so mußt du dich selbst hassen und verleugnen, und nicht so lieb haben, oder du wirst deine Seele verlieren. Das will nun der alte Adam nicht tun, sondern will immer etwas in der Welt sein.

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12. Ach, wie wenig sind ihrer, die diese adamische Unart in sich erkennen, und derselben widerstreben! Und weil uns dieselbe angeboren, und mit uns geboren wird, so müssen wir auch derselben absterben. Ach, wie wenig sind ihrer, die dieses tun! Alles, was uns von Adam angeboren wird, das muß in Christo ster-ben. In der Demut Christi stirbt unsere Hoffart; in der Armut Christi stirbt unser Geiz; in dem bittern Leiden Christi stirbt unsere Wollust; in der Schmach Christi stirbt unsere Ehre; in der Geduld Christi stirbt unser Zorn.

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13. Wer nun sich selber also abstirbt, der kann auch darnach leicht der Welt absterben, und dieselbige mit all ihrem Reichtum und Herrlichkeit verschmähen, also, dass er keine weltliche Ehre, Reichtum und Wollust begehret, sondern seine Ehre, Reichtum und Wollust allein an Gott hat. Gott ist seine Ehre, Reich-tum und Wollust; er ist ein rechter Gast und Fremdling in dieser Welt, er ist Gottes Gast, und Gott wird ihm bald das fröhliche Jubeljahr in seinem Herzen anrichten, und ihn voller geistlicher Freude machen, und dann dort das fröhliche Jubeljahr mit ihm halten etc.

 

Gebet um Verleugnung seiner selbst. (Siehe im Paradiesgärtlein.)

 

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