DAS ERSTE KAPITEL. (2.B./1.K.)

 

JESUS CHRISTUS, GOTTES SOHN, IST UNS VON UNSERM HIMMLISCHEN VATER GEGEBEN ZU EINEM ARZT UND HEILBRUNNEN, WIDER DAS VER-DAMMLICHE UND TÖDLICHE GIFT DER ERBSÜNDE, SAMT IHREN FRÜCH-TEN, UND WIDER ALLEN JAMMER UND ELEND LEIBS UND DER SEELE.

 

Inhalt.

1) Unsere große Krankheit erfordert eine große göttliche Arznei. 2) Diese können wir aus eigenen Kräften nicht annehmen. 3) Christi große Barmherzigkeit muß uns aufrichten, 4) durch welche er sich uns ganz zu eigen gegeben, dass wir ihn zu allem nützen sollen. 5) Denn er ist das höchste Geschenk, und alles in allem.

 

Ihr werdet mit Freuden Wasser schöpfen aus dem Heilbrunnen. Jes. 12,3.

 

Weil unsere Krankheit überaus groß, tödlich, verdammlich, und allen Kreaturen zu helfen unmöglich ist, so müssen wir auch eine große, hohe, göttliche, ewige Hilfe und Arznei haben, welche aus lauter Erbarmung Gottes herfließen muß; gleichwie unser tödlicher Erbschade hergekommen ist aus dem grimmigen Zorn, Haß und Neid des Teufels, Weish. 2,24. 1 Mos. 3,1. Darum billig der allmächtige Gott die tödliche Wunde unserer Sünden mit seiner Erbarmung heilet. Und weil der Satan seine höchste Weisheit, Kunst und Geschwindigkeit gebraucht hat, dass er uns vergifte, töte, verdamme; so hat auch Gott hinwieder seine höchste Weisheit gebraucht, durch seinen lieben Sohn, dass er uns heile, lebendig und selig mache. Darum hat er das göttliche Blut Christi zu unserer Arznei und Reini-gung unserer Sünden gemacht, sein lebendigmachendes Fleisch zum Brot des Lebens, seine heilige Wunden zu unserer Wundarznei, seinen heiligen Tod zur Wegnehmung unsers zeitlichen und ewigen Todes. 1 Joh. 1,7. Ap. Gesch. 20,28. Joh. 6,38. Jes. 53,5. Kap. 25,8.

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2. Diese köstliche Arznei können wir nun aus eigenen Kräften und Vermögen nicht annehmen, denn wir sind gar zu krank. Wir widerstreben dieser himmli-schen Kur von Natur. Darum darfst du, o getreuer und heilsamer Arzt, nicht auf mich warten, sonsten werde ich nimmermehr gesund, sondern zeuch mich jetzo zu dir, reiß mich von mir gar hinweg, und nimm mich ganz an, so du mich ganz heilen willst, Hohel. 1,4. lässest du mich in meiner Krankheit liegen, so muß ich ewig verderben. Darum bekehre mich, Herr! so werde ich bekehret, Jer. 31,18. Heile mich, Herr! so werde ich heil, hilf mir, so wird mir geholfen, denn du bist mein Ruhm, Kap. 17,14. So lang du deine Barmherzigkeit aufschiebest, so lange bleibe ich in meiner Krankheit und Tod, Ps. 30,3. So lange du verzeuchst, mich lebendig zu machen, so lange behalten mich die Bande des Todes. Darum schreiet David: Eile mir zu helfen, du bist mein Helfer und Erretter, mein Gott! verzeuch nicht, Ps. 70,6.

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3. Ach, lieber Herr! sollte deine Barmherzigkeit nicht so stark sein, mich armen, kranken Menschen aufzurichten, weil ich mich selbst nicht kann aufrichten? Solltest du nicht so freundlich sein, zu mir zu kommen, weil ich durch mich selbst zu dir nicht kommen kann? Hast du mich doch ehe geliebt, ehe ich dich geliebt habe, 1 Joh. 4,19. Ist doch deine Barmherzigkeit so stark, dass sie dich selbst überwunden hat, sie hat dich selbst an das Kreuz geheftet, und in den Tod ge-senket. Wer ist so stark, der die Starken überwinden kann, ohne deine Barm-herzigkeit? Wer hat doch so große Macht gehabt, dich zu fangen, dich zu binden, zu kreuzigen, zu töten, als deine Liebe, damit du uns geliebet hast, da wir doch tot in Sünden waren? Eph. 2,1. Denn du hast lieber den Tod leiden wollen, ehe wir sollten im Tode und in der Hölle ewig bleiben.

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4. Deine Barmherzigkeit hat dich uns gar zu eigen gemacht und gegeben; uns bist du geboren, da du ein Kind wurdest; uns bist du gegeben, da du ein Opfer wurdest, da dich Gott als ein Lamm für uns alle dahin gegeben, und alles mit dir geschenkt, Jes. 9,6. O der großen Gabe! Du bist ein verschenktes Gut, und unser eigenes Gut. Siehe aber allhie, lieber Christ! die Weisheit Gottes; Gott hat sich durch das geschenkte ewige Gut unser eigen gemacht, auf dass er uns dadurch ihm hinwieder zu eigen machte, 1 Kor. 6,19.20. Denn wer so ein hohes geschenktes Gut annimmt, der macht sich dadurch dem Geber zu eigen; hin-wieder, wer ein eigenes Gut hat, der macht ihm dasselbe zu Nutzen, aufs Beste er kann; also ist Christus unser worden, dass wir ihn zu unserer Seligkeit brau-chen können, wie wir wollen. Darum siehe, lieber Christ! du kannst ihn brauchen zu einer Arznei deiner Seele, zu deiner Speise und Trank, dich damit zu er-quicken, zu deinem Brunnen des Lebens wider deiner Seele Durst, zu deinem Licht in Finsternis, zu deiner Freude in Traurigkeit, zu deinem Advokaten und Fürsprecher wider deine Ankläger, zur Weisheit wider deine Torheit, zur Ge-rechtigkeit wider deine Sünde, zur Erlösung wider dein Gefängnis, zum Gnaden-stuhl wider das Gericht, zur Absolution wider das rechte Urteil, zu deinem Frie-den und Ruhe wider dein böses Gewissen, zu deinem Sieg wider alle deine Feinde, zu deinem Kämpfer wider deine Verfolger, zu deinem Bräutigam deiner Seele, zu deinem Mittler wider Gottes Zorn, zu deinem Opfer für deine Misse-taten, zu deiner Stärke wider deine Schwachheit, zu deinem Wege wider deine Irrsal, zu deiner Wahrheit wider die Lügen, zu deinem Leben wider den Tod, zu deinem Rat, wenn du keinen Rat weißt, zu deiner Kraft, wenn du kraftlos bist, zu deinem ewigen Vater, wenn du verlassen bist, zu deinem Friedensfürsten wider deine Widersacher, zu deinem Lösegeld für deine Schuld, zu deiner Ehrenkrone wider deine Verachtung, zu deinem Lehrer wider deine Unwissenheit, zu deinem Richter wider deine Beleidiger, zu deinem König wider des Teufels Reich, zu deinem ewigen Hohenpriester, der für dich bittet.

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5. Siehe, lieber Christ! dazu ist dir Christus geschenket und gegeben; bitte du nur täglich, dass du ihn also brauchen mögest, und dass er sein heilwärtiges Amt also an dir erfüllen möge. Denn, wenn er deine Arznei ist, so wirst du gesund; wenn er dein Brot ist, so wird deine Seele nicht hungern; ist er dein Brunn des Lebens, so wirst du nicht dürsten; ist er dein Licht, so wirst du nicht in Finsternis bleiben; ist er deine Freude, wer wird dich betrüben? ist er dein Advokat, wer wird dir abgewinnen? ist er deine Wahrheit, wer will dich verführen? ist er dein Weg, wer will dich verirren, ist er dein Leben, wer will dich töten? ist er deine Weisheit, wer will dich betrügen? ist er deine Gerechtigkeit, wer will dich verdammen? ist er deine Heiligung, wer will dich verwerfen? ist er deine Erlösung, wer will dich gefangen halten? ist er dein Frieden, wer kann dich unruhig machen? ist er dein Gnadenthron, wer will dich richten? ist er deine Lossprechung und Absolution, wer will dich verurteilen? ist er dein Kämpfer und Verfechter, wer will dich schla-gen? ist er dein Bräutigam, wer will dich entführen? ist er dein Lösegeld, wer will dich in den Schuldturm werfen? ist er deine Ehrenkrone, wer will dich verachten? ist er dein Lehrer, wer will dich strafen? ist er dein Richter, wer will dich beleidi-gen? ist er deine Versöhnung, wer will dich in Gottes Ungnade bringen? ist er dein Mittler, wer will dir Gott zuwider machen? ist er dein Fürsprecher, wer will dich verklagen? ist er dein Immanuel, wer will wider dich sein? ist er dein König, wer will dich aus seinem Reiche stoßen? ist er dein Hoherpriester, wer will sein Opfer und Fürbitte verwerfen? ist er dein Seligmacher, wer will dich unselig machen? Wie kannst du ein größeres Geschenk haben? Das Geschenk ist größer und mehr wert, als du, alle Menschen, alle Welt und aller Welt Sünde, Jammer und Elend. Denn Christus ist ganz unser mit seiner Gottheit und Menschheit. Denn wir haben durch die Sünde unsern höchsten Schatz verloren, das höchste ewige Gut, welches ist Gott selbst; denselben hat uns Gott in Christo wieder gegeben, und in ihm sich selbst. Darum heißt er Immanuel, Jes. 7,14. auf dass wir an Christo hätten beide einen Gott und einen Bruder. Siehe, lieber Christ, welch ein großes unendliches Gut hast du an Christo, wider allen deinen Jammer und Elend! Wirst du das recht verstehen lernen, so wird dir kein Unglück zu groß sein, kein Kreuz zu schwer; denn Christus ist dir alles, und in ihm alles dein, denn er ist selbst dein, nicht allein der gekreuzigte Christus, sondern auch der herrliche Christus mit aller seiner Herrlichkeit, 1 Kor. 3,22. Es ist alles euer es sei Paulus oder Apollo, es sei Kephas oder die Welt, es sei das Leben oder der Tod, es sei das Gegenwärtige oder das Zukünftige, alles ist euer; ihr aber seid Christi, Christus aber ist Gottes. O wir arme, elende, verworfene, verfluchte, ver-dammte Sünder! wie kommen wir zu einem solchen großen Geschenk? Denn du, Herr Jesu! bist uns der Gott unserer Gerechtigkeit, ein Mittler zwischen Gott und Menschen, unser ewiger Hoherpriester, der Gesalbte des Herrn, ein unbeflecktes Lamm, unser Versöhnopfer, Erfüllung des Gesetzes, das Verlangen der Patri-archen, ein Eingeber der Propheten, ein Meister der Apostel, ein Doktor der Evangelisten, ein Licht der Bekenner, eine Krone der Märtyrer, ein Lob der Heili-gen, eine Auferstehung der Toten, der Erstgeborene von den Toten, der Seligen Herrlichkeit, der Engel Freude, der Traurigen Tröster, der Sünder Gerechtigkeit, der Trübseligen Hoffnung, der Elenden Zuflucht, der Fremdlinge Hüter, der Pilgrimme Gefährte, der Irrenden Weg, der Verlassenen Hilfe, der Schwachen Kraft, der Einfältigen Beschirmer, der Aufgerichteten Stärke, der Gerechten Lohn, eine Entzündung der Liebe, ein Anfänger des Glaubens, ein Anker der Hoffnung, eine Blume der Demut, eine Rose der Sanftmut, eine Wurzel der Tugenden, ein Spiegel der Geduld, des Gebets Entzündung, ein Baum der Gesundheit, ein Brunn der Seligkeit, das Brot des Lebens, das Haupt der Kirche, ein Bräutigam der Seele, eine köstliche Perle, ein Fels des Heils, ein lebendiger Eckstein, ein Erbe über alles, ein König der Ehren, das Heil der Welt, ein Überwinder der Hölle, ein Fürst des Friedens, ein starker Löwe, ein ewiger Vater, ein Führer ins ewige Vaterland, die Sonne der Gerechtigkeit, ein heller Morgenstern, ein unaus-löschliches Licht des himmlischen Jerusalems, die Klarheit des ewigen Lichts, ein unbefleckter Spiegel, ein Glanz der göttlichen Majestät, das Ebenbild der väter-lichen Gütigkeit, ein Schatz der Weisheit, ein Abgrund der Ewigkeit, ein Anfang ohne Anfang, das ewige Wort, das alles trägt, eine Welt, die alles begreift, ein Leben, das alles lebendig macht, ein Licht, das alles erleuchtet, die Wahrheit, die alles richtet, ein Rat, der alles regieret, eine Richtschnur, die alles eben macht, die Liebe, die alles erhält, und ein ganzer Begriff alles vollkommenen Gutes. Siehe, das ist das große unendliche Geschenk, das Gott dem sterblichen Men-schen gegeben hat.

 

Gebet um wahre Zueignung Christi.

 

Gnädiger Gott und Vater! ich danke dir herzlich, dass du mein Elend angesehen, und deinen lieben Sohn mir zu einem Arzt und Heiland geschenket hast. Ach! laß mich doch solche heilsame Gnade recht erkennen, und zu meiner Seele Heil und Seligkeit anwenden, im wahren Glauben, dass ich Leben, Licht, Friede und Freu-de etc. haben, finden, empfinden und ewig erhalten möge, Amen.

 

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