DAS EINUNDZWANZIGSTE KAPITEL. (2.B./21.K.)

 

VON DER KRAFT DER EDLEN TUGEND DER DEMUT.

 

Inhalt.

1) Das ganze Leben Christi ist eitel Demut, 2) welche uns Christus mit Worten und mit der Tat gelehret, 3) davon sonderlich das Fußwaschen der Jünger zeu-get. 4) Die Demut erkennet ihre Nichtigkeit und Gottes Hoheit, da betet man denn recht, und liebet alles, was Gott liebet. 5) Solche Liebe meinet es herzlich mit dem Nächsten, und richtet niemand; 6) sondern urteilet sich selbst. 7) Demut stärket die Erkenntnis Gottes und die Hoffnung; 8) sie macht den Menschen lieblich und freundlich, und Christo gleich. 9) Sie schaffet innerlichen Frieden; 10) und wirket Verschwiegenheit. 11) Kurz: sie ist eine Schatzkammer voll himmli-scher Güter. Man erlangt sie aber durch andächtiges Gebet und Anschauung des gekreuzigten Christi.

 

Es haben dir die Hoffärtigen noch nie gefallen; aber allezeit hat dir gefallen der Elenden und Demütigen Gebet. Judith 9,13.

 

Ohne wahre Demut ist alles Gebet umsonst. Diese Tugend können wir am aller-besten von unserm Herrn Jesu Christo lernen, welcher ist ein vollkommener Spiegel aller Tugenden. Denn siehe an sein Leben, es ist eitel Liebe und Demut; siehe an seine Lehre, sie ist eitel Weisheit und Wahrheit, welche nicht in Worten bestehet, sondern in lebendiger Kraft und in der Tat selbst.

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2. Und dass wir ja diese Tugend recht von ihm lernen sollten, so hat er uns die-selbe nicht allein mit Worten, sondern mit der Tat und heiligem Exempel gelehret, indem er sich selbst erniedriget bis zum Tod am Kreuz, Phil. 2,8. Darum siehe, wo diese Tugend ihr Fundament und ihren höchsten Grund hat; nicht in einem Engel, nicht in einem Apostel oder andern Heiligen, sondern in Christo Jesu selbst. Darum spricht er: Lernet von mir, Matth. 11,29. Als wollte er sagen: Sehet mich an, wie ich mich unter alles hinunter lasse, da ich doch über alles bin; so viel niedriger ist meine Demut, so viel höher meine Majestät ist; um so viel lieber soll euch diese Tugend sein, weil ich, euer Herr und Gott, euch dieselbe mit meinem Leben vorbilde. Er spricht: Lernet von mir, nicht große Dinge und Wun-der zu tun, oder andere große Werke der Schöpfung, sondern demütig und sanftmütig sein. Und wo ich euch nicht selbst mit meinem Exempel dieselbe lehre, so sollet ihr mir nicht glauben, dass dieses so eine hohe edle Tugend sei.

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3. Zu dem Ende übte der Herr das demütige Werk, und wusch seinen Jüngern die Füße, Joh. 13,4.5.12. auf dass er die Tugend durch sein Exempel uns allen ins Herz pflanzte, wie er spricht: Wisset ihr, was ich euch getan habe? Als wollte er sprechen: Wenn ihr meiner Demut vergessen werdet, so werdet ihr ein für-nehmes Stück vergessen meiner Lehre und meines Exempels; darum laßt dies mein Exempel eine Regel und Richtschnur sein eures ganzen Lebens, und lasset euch dies Bild der Demut vor euren Augen stehen.

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4. Damit wir nun zu unserm Vornehmen kommen, wie das Gebet gleichwie ohne Glauben, also auch ohne Demut nichts sei; so wisset, dass die Demut im Herzen ein schönes Licht oder Erkenntnis ist, dadurch erkannt wird die Nichtigkeit des Menschen, und die hohe Majestät und überschwengliche Güte Gottes. Je mehr man nun dieselbe erkennt, desto mehr man in Erkenntnis seiner eigenen Nichtig-keit zunimmt. Denn wenn ein Mensch siehet seine Eitelkeit, dass er ganz leer ist alles Guten, so fängt er an, desto brünstiger zu beten um die Gnade und Barm-herzigkeit Gottes, und fängt an, Gott, als den Ursprung alles Guten, recht zu erkennen, zu loben und zu preisen, und siehet in solcher Demut Gottes Herrlich-keit und überschwengliche Liebe und Gnade. Dann fangen an die Gnadenströme abzufließen in eine solche gläubige und demütige Seele durch das Gebet. Durch solche Gnade Gottes wird der heilige Geist über uns mehr und mehr ausge-gossen, und seine Gaben vermehret, und durch den heiligen Geist die Liebe Gottes in unser Herz, Röm. 5,5. Denn wenn eine gläubige Seele siehet ihre Nichtigkeit, und dass gleichwohl Gottes Sohn selbst sich so tief herunterge-lassen, und nicht allein Mensch worden, sondern, um so elender Kreaturen willen, so ein schweres, hartes, unaussprechliches Kreuz erlitten; so wird in dieser Demut solches edle Flämmlein der Liebe Gottes vermehret, und durch den Glauben zu Gott gezogen, also, dass sie in Gott alle Menschen liebet, um der großen Liebe Gottes willen; denn sie siehet, wie hoch sie selbst und alle Men-schen in Christo geliebt werden. Und weil sie zu Gott gezogen, und in Gottes Liebe eingeschlossen ist, so liebt sie auch alles, was Gott liebt.

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5. Daher folget, dass die Liebe sich freuet über alles Gute, so dem Nächsten widerfähret, und trauert über alles Unheil, so ihm begegnet. Und weil sie freund-lich und gütig ist gegen den Nächsten, so richtet und urteilet sie ihn nicht bald, wenn sie sein Elend siehet, vielweniger wird sie aufgeblasen und stolz, ihn zu verachten, Kor. 13,4. Denn in wahrer Demut siehet sie ihr selbst eigenes Elend und ihre Nichtigkeit, und dass sie im gleichen Unglück und Sünden, und noch wohl größern stecke. So sie siehet, erkennet sie wohl, dass sie von ihr selbst und durch sich selbst nicht habe bestehen können, sondern sei durch Gottes Gnade erhalten.

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6. Die demütige Liebe richtet und urteilet sich allezeit selbst, ehe sie andere Leute urteilet, und gehet in sich selbst, wenn sie siehet des Nächsten Unglück und bedauert sich selbst. Denn sie siehet in des Nächsten Fall ihre eigene Ge-brechen, Sünde, Jammer und Elend.

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7. Durch Demut wird auch ein Mensch in der Erkenntnis Gottes gestärket, und in der Hoffnung. Denn wenn ein Mensch anschauet seine eigene Unwissenheit, Blindheit und Torheit in Gottes Sachen, so dankt er Gott für die Offenbarung sei-nes Worts, und nimmt es desto mehr zu Herzen; und wenn er betrachtet, dass all sein Vermögen und Kraft nichts ist, so wird er in der Hoffnung gestärket, dass er dieselbe allein auf Gott setzet.

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8. Durch die Demut wird auch ein Mensch lieblich und angenehm in seinem äußerlichen Leben. Denn dieselbe Tugend läßt einen Menschen nicht zank-süchtig, haderhaftig sein, sondern gelinde und freundlich; ja sie macht einen Menschen dem Herrn Christo gleich, der da spricht im Psalm: Ich muß sein wie ein Tauber, der nicht höret, und wie ein Stummer, der seinen Mund nicht auftut; und muß sein, wie einer, der nicht höret, und der keine Widerrede in seinem Munde hat, Ps. 38.14,15. Und ist dann ein solcher gläubiger Mensch ein leben-diges Glied Christi, in welchem Christus lebt.

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9. Die Demut wirket auch einen rechten, innerlichen Herzensfrieden, und macht, dass eine solche Seele durch kein Unglück und Kreuz beunruhigt, und allzusehr betrübt werde, sondern spricht mit St. Paulo: Wer will uns scheiden von der Liebe Gottes? Röm. 8,35. Laß dir an meiner Gnade genügen, 2 Kor. 12,9.

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10. Die Demut wirket auch Verschwiegenheit. Denn sie erkennet ihre eigene Un-wissenheit und Torheit, und unterstehet sich nicht, viel zu reden und zu lehren.

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11. Summa, es ist nicht auszusprechen, was für ein hohes geistliches Gut und edler himmlischer Schatz in dieser Tugend, als in einer geistlichen Schatz-kammer verborgen ist. Darum nicht ohne Ursache der Sohn Gottes, unser Licht, Leben, Schatz und Heil, dieselbe von ihm zu lernen befohlen. Und wollte Gott, es erfülleten alle Christen den heiligen Wunsch des Herrn, und lerneten diese Tu-gend von ihm.

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12. Wodurch aber, durch welches Mittel, durch welchen Weg kommen wir zu diesem edlen Schatz, der so viele Gnadengaben mit sich bringt? Durch zwei Wege: 1) Durch ein inbrünstiges, andächtiges herzliches Gebet; 2) durch An-schauung des gekreuzigten Christi, nämlich durch Betrachtung seines Leidens und seines Todes, in welchem, als in einem Buche des Lebens, wir so lange studieren und meditieren müssen, bis in unserm Herzen von Tage zu Tage diese Wurzel wachse, und in derselben, als in einem guten bereiteten Grunde und Acker, alle Tugenden.

 

Gebet um wahre Demut. (Siehe im Paradiesgärtlein.)

 

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