DAS ZWÖLFTE KAPITEL. (3.B./12.K.)

 

EIN CHRIST SOLL ZUM WENIGSTEN DES TAGES EINMAL

VON ALLEN ÄUSSERLICHEN DINGEN SICH ABWENDEN,

UND IN DEN GRUND SEINES HERZENS EINKEHREN;

UND WAS ER DAVON FÜR GROSSEN NUTZEN HAT.

 

Inhalt.

1) Gott suchet unsere zerstreute Seele zu sammeln und sich mit ihr zu vereini-gen. 2) Darum soll ein Christ täglich wenigstens einmal in sein Herz kehren, wel-ches sehr heilsam und nützlich, 3) und höchst nötig ist.

 

Sei nun wieder zufrieden, meine Seele! (oder kehre wieder in deine Ruhe,) denn der Herr tut dir Gutes. Ps. 116, 7.

 

Die Seele des Menschen, so sich in den äußerlichen Dingen so weit ausbreitet, und den Kreaturen allein anhangt, ist gar verirret, wie ein verirrtes Schaf. Daran legt nun Gott der Herr, all seinen Fleiß, dass er eine solche Seele wieder sammle, dieselbe von den Kreaturen erledige, in sich selbst einkehre, auf dass er sein edles göttliches Werk in ihr vollbringen möge. Daher der heilige königliche Prophet, Psalm 119,176. mit den Worten beschließt: Ich bin wie ein verirret Schaf, suche deinen Knecht. Welcher Beschluß einem fleischlichen Menschen närrisch däucht, aber einem gottweisen zeigt er das ganze Werk der Erleuchtung und himmlischen Weisheit. Denn die Seele des Menschen ist gesetzt zwischen Zeit und Ewigkeit. Wendet sie sich zu der Zeit, so vergißt sie der Ewigkeit, und werden ihr alle Dinge ferne, die Gott zugehören; wendet sie sich aber zu der Ewigkeit, so vergißt sie der Kreaturen, erlanget ihre Freiheit und wird Gott nahe; so zieht sie Gott zu sich, und das ist seine höchste Freude, dass er sein Werk in des Menschen Seele haben mag, da empfindet denn die Seele ihre rechte Ruhe, ihre rechte Speise, ihr rechtes Leben, die Früchte der Salbung, davon du ein Christ genennet bist.

----------

2. Siehe, sollte nun ein wahrer Christ nicht täglich zum wenigsten einmal diese himmlische Seelenspeise, welche Gott selber ist, zu genießen, der Seele ihre rechte Ruhe geben, und ihr rechtes wahres Leben? Verstündest du das, du würdest tausendmal mehr laufen nach dem Ewigen, als nach dem Zeitlichen. Und wenn du dann gleich ein ganzes Königreich hättest, wie David, es würde dir nicht schaden, würde dich auch nicht hindern oder aufhalten. Denn die Kreaturen schaden dir nicht, wenn sie nur die Seele nicht gefangen halten, oder wie Ps. 62,11. sagt: Wenn du dein Herz nicht daran hängest, denn dasselbe soll allein an Gott hangen. Aus diesem Grunde spricht David: Ps. 73,25. Herr! wenn ich nur dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erde. Wenn die süße Begierde und Liebe Gottes die Seelen berühret, so vergessen solche gottliebende Seelen in solcher süßen Liebe Gottes alles Leiden, achten es klein und gering, be-kümmern sich nicht, ob man sie liebe oder hasse. Denn sie haben steten Frieden in Gott mit allen Kreaturen, mit Feinden und Freunden, und diesen Menschen ist allezeit des Herrn Christi Joch süß, Matth. 11,30. denn sie sind in Christo, und Christus in ihnen, Christus trägt sein Joch in ihnen, und sie in Christo; seine Bürde macht er ihnen leicht, denn er trägt sie in ihnen, und sie in ihm. Darum sa-gen sie mit St. Paulo, Phil. 4,13. Wir vermögen alles in Christo.

----------

3. Siehe nun, wie höchst nötig es einem Christen ist, und wie heilsam und nütz-lich täglich zum wenigsten einmal einzukehren in sein eigen Herz, in Gott in Christum, um der Ruhe willen seiner edlen Seele, um des rechten Gebrauchs willen des Zeitlichen; welches Zeitliche dir Gott wohl gönnet und erlaubt, so du in Demut und Gottesfurcht wandelst, und in Gott täglich wieder einkehrest; ja auch um deiner Armut willen, denn eine solche Seele verläßt Gott nicht, es müßten ihr eher alle Kreaturen dienen; und endlich um deines täglichen Kreuzes und Bürde willen, dass es dir in Christo süß und leicht werde. So erinnert dich solches der Geist Gottes, der in dir ist, dass du wünschest und seufzest, dass du Gott lauter allein lieben mögest, und wenn du daran verhindert wirst, so ist dir es leid; und das ist denn der rechte innerliche Beruf des heiligen Geistes, oder das Anklopfen deines Bräutigams an die Türe deines Herzens, Offenb. 3,20. zum lebendigen Zeugnis, dass dein Herz soll seine eigene Brautkammer sein.

 

Gebet um rechten Gebrauch der Kreaturen.

 

Herr Jesu! du rufest mich gnädig zu dir, und zeigest mir, wie ich durch Abkehrung von der Welt und allen äußerlichen Dingen, und durch Einkehrung in dich, Ruhe für meine Seele finden möge; ach! zieh mich doch selbst zu und nach dir, und führe mich aus dieser unruhigen Welt in die ewige Ruhe, Amen.

 

- Zum nächsten Kapitel -