DAS ZWÖLFTE KAPITEL. (4.B./2.T./12.K.)

 

WOMIT DER MENSCH

SEINER VERPFLICHTUNG GEGEN GOTT

GENUG TUN KÖNNE.

 

Inhalt.

1) Durch die Liebe kann der Mensch seiner Verpflichtung genug tun. 2) Gott liebt im höchsten Grad; das ist der Mensch auch Gott schuldig. 3) Die Liebe ist auch angenehm, und Gott verschmähet keines Menschen Liebe. 4) Arndt sagt nicht, was der gefallene Mensch könne, sondern was er solle und schuldig sei.

 

Herzlich lieb hab ich dich, Herr! meine Stärke. Ps. 18,2.

 

Dieweil aber Gott dem Menschen freiwillig, ungezwungen alles Gute tut, und sich damit den Menschen verpflichtet gemacht hat, so folgt notwendig, dass etwas im Menschen sein müsse, das er Gott wieder zu geben schuldig sei; und dasselbe muß eine solche Gabe sein, die nicht außer dem Menschen ist, dass sie ihm niemand wehren und entwenden könne wider seinen Willen. Denn alles, was außer dem Menschen ist, kann ihm genommen werden, wider seinen Willen; derowegen ist es nicht wahrhaftig sein, und kann auch mit solchen äußerlichen Dingen Gott keine schuldige dankbare Ehre antun. Denn sein Leib und Leben kann ihm genommen werden wider seinen Willen, und derowegen ist dasselbe nicht in seiner Gewalt. Weil nun Gott sein Höchstes und Bestes dem Menschen umsonst gibt, nämlich seine Liebe, so ist der Mensch verpflichtet, dasselbe wie-derum zu tun. Es ist aber dem Menschen nichts Bessers, Höhers, Edlers, denn seine Liebe, dieselbe ist der ganze Schatz des Menschen; wem er seine Liebe gibt, dem gibt er sich selbst. Wem soll nun der Mensch diesen Schatz billiger geben, denn Gott allein, vollkommen über alle Dinge, aus natürlichem Recht und Verbindlichkeit, auf dass Liebe mit Liebe vergolten werde?

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2. Also wie Gott seine höchste Liebe dem Menschen gibt im höchsten Grad, also ist der Mensch hinwieder Gott seine Liebe schuldig im höchsten Grad, von gan-zem Herzen und Seele und allen Kräften, 5 Mos. 6,5. welches uns die Vernunft und die Natur lehret. Denn die Vernunft lehret uns ja, dass, wer im höchsten Grad liebet, der solle und müsse auch im höchsten Grad wiederum geliebet wer-den, oder man ist nicht wert der bezeigten Liebe. Und dies ist die höchste Klage Gottes über den Menschen: siehe, wie lieb habe ich euch, und ihr wollet mich nicht wieder lieben. Wie nun die höchste Wohltat Gottes seine Liebe ist, also ist die höchste Wiedervergeltung des Menschen Liebe, sonst begehrt Gott nichts.

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3. So ist auch die Liebe an ihr selbst lieblich, anmutig, angenehm, süß und hold-selig, und ist ohne die Liebe nichts angenehm und lieblich. Denn was ist die Furcht ohne Liebe, Ehre ohne Liebe, oder alle Gaben? Die Liebe ist allezeit angenehm, sie gefällt allezeit wohl. Kein Reicher und Gewaltiger der sonst alles hat, ist jemals gewesen, der eines Menschen Liebe und Gunst verworfen hätte; denn er will ja gern von jedermann geliebt werden, also auch Gott, weil er der Höchste, Reichste und Gewaltigste ist, so verschmähet er doch keines Men-schen Liebe, sondern ist ihm angenehm. Und weil nun die Liebe der höchste Schatz des Menschen ist, so ist er billig dieselbe Gott schuldig, weil auch Gott seinen höchsten Schatz, nämlich seine Liebe, dem Menschen gegeben hat.

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4. Dies Kapitel ist nicht also zu verstehen, dass die Liebe nach dem Fall in unsern eigenen Kräften stehe, oder dass wir durch die Liebe unserer Pflicht gegen Gott könnten genug tun, oder die Liebe und Wohltaten Gottes dadurch vergelten, sondern wir werden nur erinnert und überzeugt in unserem Gewissen, dass wir Gott wieder zu lieben schuldig sind; nicht allein Gottes Wort, sondern auch das Licht der Natur überzeuget uns.

 

Gebet um Entzündung der Liebe Gottes.

 

Ach Herr! wie kann ich dir vergelten alle deine Barmherzigkeit, die du an mir Unwürdigen tust? Entzünde mich in deiner Liebe, dass ich dich über alles liebe von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von allem Vermögen, durch Jesum Christum, unsern Herrn, Amen.

 

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