DAS DREIUNDZWANZIGSTE KAPITEL. (3.B./23.K.)

 

VOM GEHEIMNIS DES KREUZES,

WIE WIR DADURCH ZU GOTT GEZOGEN WERDEN.

 

Inhalt.

1) Alle wahren Jünger Jesu müssen ihr Kreuz tragen. Christi fünf Wunden lehren es uns. Gott verhängt es, zu unserm großen Nutzen. 2) Es gefällt Gott also, da-rum laß dir auch gefallen, es schadet dir nichts. 3) Anfechtung jagt zu Gott, und entdeckt uns unser Unvermögen, zu unserer Demütigung. 4) Darum laßt uns mit Christo alles leiden; das Kreuz macht unsern Willen zu nichte, und senket uns in Gott. 5) Niemand kann uns beleidigen, als wir selbst durch Ungeduld.

 

Wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt, und folget mir nach, der ist mein nicht wert. Matth. 10,38.

 

Alle, die wahre Jünger, Liebhaber und Nachfolger Christi sein wollen, die müssen ihr Kreuz tragen in dieser Zeit, es sei welcherlei es wolle; denn fliehet man eins, so fällt man ins andere. Fleuch, wohin du willst, und tue was du willst, es muß gelitten sein. Es ist so klein oder groß Kreuz nicht, Gott leget seine Hand unter, und träget die Bürde am schweresten Teil, dadurch wird der Mensch so fröhlich, und ihm das Kreuz so leicht gemacht, dass ihm nicht dünket, dass er je gelitten habe; so bald aber Gott unter der Bürde weggehet, so bleibet die Bürde des Leidens in ihrer Schwerheit und Bitterkeit. Darum hat der Sohn Gottes, Christus Jesus, das schwerste Joch getragen in der allerschweresten Weise und haben es ihm alle nachgetragen, die seine liebsten Freunde gewesen sind. Denn nie-mand das mit Worten aussprechen mag, wie ein unaussprechlich Gut im Leiden verborgen ist; denn Gott aus lauter Liebe und Treue das Kreuz aufleget, auf dass er dadurch seine Freunde zu sich ziehe, Christo gleich mache, und dass sie ihrer Seligkeit nicht beraubet werden, Röm. 8,29. Es sollen dich aber lehren, dein Kreuz recht tragen, die heiligen fünf Wunden unsers Herrn Jesu Christi, die-selben sollen dein Licht- und dein Kreuzbüchlein sein; als die Wunden seiner heiligen Füße sollen dich lehren meiden und leiden; meiden alle Lust, leiden alles, was über dich kommt, inwendig und auswendig. Diese beiden Kräfte sauge aus den Wunden der Füße Christi. Die heiligen Wunden seiner milden Hände sollen dich lehren schweigen und alle zeitlichen Dinge verachten. Die Wunden seiner heiligen Seite sollen dich lehren dich selbst verleugnen, und allein in Christo alle deines Herzens Lust und Wonne suchen. Der heilige bloße Leichnam deines Herrn am Kreuz soll dich lehren entblößen von allen Kreaturen. Denn gleichwie unser Herr bloß ans Kreuz geschlagen ward, dass nicht ein Fädlein an seinem Leibe bleibe, und seine Kleider wurden dazu verspielet vor seinen gött-lichen Augen, Psalm 22,19. Matth, 27,35. also sollst du wissen in der Wahrheit. Sollst du zu deiner Vollkommenheit kommen, so mußt du also bloß werden alles dessen, das Gott nicht ist, dass du einen Faden an dir nicht behaltest, und das-selbe muß dennoch vor deinen Augen verspielet werden, vernichtet, und von allen Menschen für ein Gespött und Torheit und Ketzerei geachtet und ge-schätzet werden. Es fällt nichts so klein auf uns, es ist alles von Gott zuvor an-gesehen, dass es also sein soll, und nichts anders, und dafür soll man Gott danken. Denn Gott verhängt das allergrößeste und schwereste Leiden über die, so ihm lieb sein; der böse Feind leget dem Menschen auch viele heimliche und verborgene Stricke, dass er ihn in guten Tagen stürze. Darum will unser lieber Gott seine Auserwählten aus großer Liebe und Erbarmung in dieser Zeit ohne Unterlaß kreuzigen, in mancher verborgenen fremden Weise, die uns oft unbe-kannt ist, und will ihnen keinerlei Ding in dieser Welt lassen zu lieb werden, auf dass die bösen Geister keine Gewalt über sie haben, sie zu betrügen und von Gott abzuführen. O wüßten wir, wie das Kreuz uns zu Gott führete, und was für große Ehre darauf folgen würde, und wie behende es den bösen Geist von uns triebe, wir liefen viele Meilen Wegs dem Kreuze entgegen. Denn Leiden und Kreuz ist so edel und nütze, dass unser lieber Gott alle seine Freunde ohne Lei-den nicht lassen will.

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2. Verstünden wir den Adel des Kreuzes, wir achteten uns desselben unwürdig, so eine große Gnade Gottes ist es, Christi Bild gleich zu werden. Christus hat der Welt nie gefallen, darum hat ihn auch die Welt verschmähet. Unter tausend Christen findet man kaum einen, der zu dieser Vollkommenheit kommen ist, dass er der Welt nicht begehre zu gefallen. Denn wer der Welt gefallen will, kann Gott nicht gefallen, und wer der Welt voll ist, der ist Gottes leer; denn so viel ein Men-sch der Welt und sich selbst stirbt und ausgehet, also viel gehet unser Herr Gott wieder ein, der das Leben ist. Kein Mensch gefället Gott besser, als der, an dem Gott seinen Willen vollbringet. Wäre ein König, dem ich gerne wollte gefallen, und ich wüßt gewiß, dass ich demselben besser gefiele in einem grauen Rock, als in einem andern, wie gut er auch wäre, so ist kein Zweifel, mir wäre das graue Kleid angenehmer und lieber, denn kein anders, es wäre, so gut als es wollte; also, weil du weißt, dass dein Kreuz Gottes Wohlgefallen ist, so soll dirs lieber sein, denn gute Tage. Willst du recht wissen, ob dein Leiden Gottes sei oder dein, so sollst du daran merken: Leidest du um dein selbst willen, in welcher Weise es sei, das Leiden tut dir wehe, und ist dir schwer zu tragen. Leidest du aber um Gott allein, das Leiden tut dir nicht wehe, und ist dir auch nicht schwer, denn Gott trägt die Last. Legt dir nun Gott einen Zentner auf, und trägt ihn selbst, so mehr legt er hundert auf, als nur einen, denn daselbst macht Gott die Last leicht, und das Joch süß. Matth. 11,30. Darum lege auf, lieber Gott, was du willst, und wie viel du willst, und hilf tragen, so trage ichs nicht, sondern du. So mußt du auch lernen, dass alle rechtschaffene Gaben Gottes müssen durch Leiden kommen; kommen sie aber vor dem Leiden, so müssen sie doch mit dem Leiden bewähret werden. Und dieweil das Leiden der Seele sehr nützlich und fruchtbar ist, darum hat Gott allen seinen lieben Heiligen und Freunden, und sonderlich seinem eingebornen Sohn, groß Leiden hie in dieser Zeit aufgeleget; darum, so leide auch um Gottes willen von wegen derselben Fruchtbarkeit. Die gottseligen Leute ergeben sich Gott ganz und gar, nehmen Süßes und Saures zugleich von ihm an, so müssen sie in der Demut bleiben, denn die höllischen Hunde lassen nicht ab, sondern versuchen allezeit, ob sie den Menschen von der Gottseligkeit abreißen mögen. Der himmlische Vater sandte seinen eingebornen Sohn, in menschlicher Natur zu leiden, so wollten wir gerne alle Leiden fliehen; aber ich sage euch fürwahr, wollen wir den sichersten Weg gehen und durchbrechen, so mag es nicht anders sein, wir müssen dem wahren Bilde unsers Herrn Jesu Christi in etwas durch Leiden nachfolgen. Alle Leiden eines Christen, sie seien so gering als sie wollen, kommen von Gott und aus seiner unaussprechlichen Liebe, und gereichen dem Menschen zum Nutzen. Es ist nimmer so ein klein Leiden auf dich kommen, Gott hat es zuvor ewiglich angesehen, und das beliebet ihm, und hat sein Wohlge-fallen daran. Wenn alle Teufel, die in der Hölle sind, zusammen geschworen hätten, sie könnten alle einem gläubigen Menschen, und einem Geliebten Gottes nicht schaden; und je mehr sie sich befleißigen, ihm zu schaden, je mehr er er-höhet wird von Gott, und wenn ein solcher Mensch gleich in die Hölle gezogen würde, so müßte er doch darinnen Gott, sein Himmelreich und Seligkeit haben.

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3. Die Jäger, welche einen Hirsch im Tiergarten hetzen, wenn sie sehen, dass der Hirsch so müde ist, weil sie wissen, dass sie seiner im Garten gewiß sein, halten die Hunde ein wenig, und lassen den Hirsch im Tiergarten ein wenig spazieren gehen, dass er etwas dadurch gestärket werde, damit er das Jagen darnach desto besser ausstehen möge. Also tut Gott dem Menschen auch, wenn er siehet, dass ihm das Jagen will zu viel werden, und die Anfechtung zu groß ist, so hält er ein wenig auf, tröstet, labet und erquicket den Menschen, dass ihm däucht, er habe seine Not nun ganz und gar überwunden. Dies ist darnach eine Stärkung zu einer neuen Jagd; und wenn der Hirsch am wenigsten darauf ge-denket, so sind ihm die Hunde wieder auf dem Halse, und setzen ihm mehr zu, denn zuvor. Und das tut Gott aus großer Treue und Liebe, denn durch die An-fechtung wird der Mensch zu Gott gejaget mit begierlichem Durst und fröhlichem Herzen, als zu dem Brunnen, da alle Wonne, Friede und Freude ist, also, dass ihm der Trunk, den er bekommt auf den Durst, desto süßer, lustiger und ange-nehmer werde, hie in dieser Zeit, darnach im ewigen Leben, da man den süßen Brunnen trinken wird mit voller Lust, aus seinem eigenen Ursprung, d. i. aus dem väterlichen Herzen. Das können die Klugen dieser Welt nicht begreifen, die hievon nichts wissen, was der heilige Geist für Wunder wirket in seinen Heiligen. Gott tut wie ein kluger Hausvater, der viel guten edlen Wein hat, geht hinweg, legt sich schlafen, so gehen denn seine Kinder hin, und trinken des guten Weins so viel, dass sie trunken werden, und wenn der Hausvater aufstehet, und das gewahr wird, so machet er eine Rute, und strafet die Kinder wohl, dass sie dar-nach so traurig werden, so fröhlich sie zuvor gewesen, und gibt ihnen darnach so viel Wasser zu trinken, dass sie davon wieder nüchtern werden. Also tut Gott seinen auserwählten Kindern; er tut gleich, als wenn er entschlafen wäre, und läßt seine Kinder zuvor seinen süßen Wein trinken, mit vollem Mund und ganzer Lust, wie sie es begehren, aber wenn er siehet, dass es ihnen zu viel und nicht nützlich sein will, so entzieht er ihnen den guten Wein, und machet sie so traurig, so fröhlich, als sie zuvor gewesen sind, damit sie nach ihm dürsten, und er sie zu ihm bringe, und dass sie sehen, was sie sind, und was sie aus eigenen Kräften vermögen, wenn Gott seine Gnade von ihnen abzieht, und dass sie gedemütiget werden; da sie zuvor gedachten, sie wollten wohl mehr leiden um Gottes willen, so sehen sie, dass sie nichts vermögen, und dass sie nicht nur ein kleines Werk oder Werklein um Gottes willen leiden oder vertragen mögen. Wir sehen, wie uns Christus vorgegangen ist in Armut, Elend, Verschmähung bis in den Tod; also müssen wir denselben Weg auch gehen, wollen wir anders mit ihm in den Himmel kommen. Da uns Gott sonst nicht kann demütigen, so läßt er uns oft in Schande und Trübsal fallen, dass es vor jedermann erbärmlich ist, auf dass wir in uns selbsten erniedriget werden; denn in der Anfechtung lernet der Mensch sich selber erkennen, wie er ist, oder was er ist. Denn mancher Mensch ist in dieser Welt verdorben, dem nichts anders gefehlet, denn die Anfechtung. Wenn du es recht bedächtest, solltest du dich von Herzen freuen, und dich nicht unwürdig dünken, dass man dich verschmähete, und dir Leid antäte, dass du es um Gottes willen leiden solltest. Denn wem Gott die Ehre und die Seligkeit gönnet, dass er das Kleid des Leidens um seinetwillen hie in dieser Zeit an sich tragen soll, es sei auswendig oder inwendig, das ist ein wahres Zeichen der Liebe Gottes, und führet den Menschen zu seinem eigenem Grund, dass er sich selbst für nichts hält, mehr denn ihn jemand halten mag.

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4. Welcher Mensch unserm Herrn Jesu Christo nachfolgen will, der muß der Natur und ihrer verkehrten Lust Urlaub geben. Man findet der Leute viel, die Gott gerne nachfolgten ohne Leiden und Arbeit, und dieselben suchen in sich selbst Trost, Friede und Freude, erlangen es aber nicht. Christus mußte leiden und sterben und also in seine Herrlichkeit eingehen, Luk. 24,26. Demselben Herzog unsers Lebens sollen wir nachfolgen, der uns das Panier des bittern Leidens so treulich hat vorgetragen, mit so großer Geduld inwendig und auswendig. Darum sollen alle Nachfolger Christi demütiglich auf sich nehmen das Kreuz ihres Lei-dens, und dasselbige geduldig und fröhlich tragen, um Christi willen, wovon es auch herkommt, es sei verschuldet oder unverschuldet, inwendig oder aus-wendig, so gehen sie mit Christo durch sein Leiden in die Herrlichkeit. Wir sehen ja, da mancher Mensch der Welt dienet und nachfolget, um ein wenig vergäng-licher Ehre und Ruhms willen, und sich fröhlich sein selbst verzeihet, und was er hat, und wagte sich in ein fremdes Land und in den Krieg, um zeitlichen Ehre und Guts willen; sollten wir um die ewige Krone nicht desto williger fechten und streiten? Es ist im Kreuz ein großer Sieg, wie du an deinem Herrn Christo siehest. Gott ist auch im Kreuz, denn Gott gibt sich dem Menschen ja so wohl durch harte schwere Anfechtungen, als durch Süßigkeit und Gütigkeit. Im Kreuz ist Gottes Wohlgefallen mehr, denn in guten Tagen. Denn so wenig das Fleisch behalten werden mag ohne Salz, dass es nicht faul werde, so wenig möchte der Mensch Gott Wohlgefallen ohne Leiden und Anfechtungen. Ja, je mehr der Mensch durchs Kreuz gesenkt wird in den Grund der wahren Demut, je mehr er gesenket wird in den Grund des göttlichen Wesens. Denn wenn sich der Mensch recht gründlich demütiget, so kann sich Gott nicht enthalten wegen seiner großen Gütigkeit, er muß sich senken und gießen in den demütigen Menschen. Darum brauchet Gott mancherlei Mittel, den Menschen zu demütigen, und in die Er-kenntnis seiner Nichtigkeit zu bringen, auf dass er des Menschen Willen zu nichte mache, dass er Gott diene ohne eigenen Willen, welches denn Gott sonderlich lieb ist. Es ist auch offenbar aus vielen Exempeln der Heiligen, dass sie mit harten Anfechtungen geplagt gewesen, und nicht haben können erlöset werden, bis sie sich gänzlich und gründlich dem Willen Gottes ergeben, und seiner gnädigen Vorsehung, und sich gänzlich verleugnet und aufgeopfert; also dass sie sich ergeben, die Zeit ihres Lebens solches Kreuz zu tragen, wo es Gott gefiele; und dadurch sind sie bald erlöset, nämlich durch eine solche Demut und Gehorsam, und Aufopferung ihres eigenen Willens. Denn da hat Gott erlangt im Menschen, was er wollte, nämlich die Verleugnung seiner selbst, um welcher Willen der Mensch das Kreuz leiden mußte.

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5. Letztlich hast du auch aus dem lieben Kreuz diese Lehre, dass du wissen sollst, dass dich niemand beleidigen kann, wo du dich nicht selbst beleidigest durch Ungeduld und Zorn. Du irrest, wenn du meinest, du seist von diesem oder jenem beleidiget. Denn was kann dich anderer Leute Spott oder Verachtung, oder Verleumdung beleidigen, wenn du in der Stille ruhig und geduldig bleibest? Glaube mir, die ganze Welt kann dich nicht beleidigen, wenn du ohne Ungeduld und Zorn bleibest. Schweig still, wie ein Toter im Grabe, und siehe, was dir die ganze Welt tun kann; wahrlich, sie tut nichts anders, als dass sie dir eine Krone bereitet deines Lobes bei Gott. O welche schöne drei Grade hat die Geduld, in welchen der rechte Sieg bestehet: 1) Leiden ohne Murren. 2) nicht allein Trübsal leiden, sondern dieselbe um der Liebe Christi willen begehren. 3) Sich in der Trübsal freuen. Das ist der allermächtigste und stärkste Sieg.

 

Gebet um Erkenntnis des Geheimnisses des Kreuzes.

 

Mein Jesu! offenbare mir das Geheimnis des Kreuzes, und mache mich willig, das Kreuz dir nachzutragen. Laß mich allezeit im Kreuz auf dich und deine hei-ligen fünf Wunden sehen, damit ich nicht matt und müde, sondern dadurch kräftig gestärket und aufgerichtet werde in dem Kampf, den du mir verordnet hast, mutig zu laufen, und durch das Leiden mit dir einzugehen zu deiner Herrlichkeit, Amen.

 

Ende des dritten Buchs.

 

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