Des hocherleuchteten Lehrers,

HERRN JOHANN ARNDTS,

weiland General-Superintendenten des Fürstentums Lüneburg,

SECHS BÜCHER

VOM

WAHREN CHRISTENTUM,

welche handeln

von heilsamer Buße, herzlicher Reue und Leid über die Sünde

und

wahren Glauben, auch heiligem Leben und Wandel der rechten wahren Christen;

desgleichen wie ein solcher Sünde, Teufel, Hölle, Welt, Kreuz und alle Trübsal

durch festen Glauben an Gottes Wort und Gebet überwinden soll.

Nebst beigefügtem Lebenslauf des seligen Herrn Autors,

ingleichen

kurzen Gebeten nach jedem Kapitel, Morgen- und Abendsegen

auf alle Tage in der Woche,

und nötigen Registern, auch mit 66 feinen Holzschnitten geziert,

nebst dessen

PARADIESGÄRTLEIN.

Nach den ältesten Ausgaben ganz unverändert aufs Neue herausgegeben.

Philadelphia:

Herausgegeben von J. Kohler, No. 104 Nord Vierte Straße.

New York, zu haben bei Wm. Radde, No. 322 Broadway.

1854.

 

In Jesu Christo geliebte, Erbauung suchende Seele.

 

Zu den großen und auserwählten Rüstzeugen, welche auf Gottes Befehl von Zeit zu Zeit in unserer christlichen Kirche auftreten, gehört der erleuchtete Johannes Arndt. Ob er gleich von vielen seiner Zeitgenossen um seines lebendigen Glaubens willen so gar verfolgt wurde, ließ er doch nicht nach, stets mit lauter Wächterstimme zu rufen: Zeiget mir euren Glauben mit euren Werken! und schärfte beständig neben dem festen herzinnigen Glauben an Christus wahre Selbst- und Welt-Verleugnung ein. Dieser treue Wächterruf hat auch Eingang gefunden. Viele tausend Seelen hat er für seinen Heiland gewonnen. Darum wurde er von wahrhaft frommen Christen zu aller Zeit hoch gehalten und sogar der Adler*) d. i. der König unter den Gottesgelehrten genannt. Diesen Ruhm verdankt er vorzüglich dem von ihm verfaßten Paradiesgärtlein und seinen 6 Büchern vom wahren Christentum, welche du, lieber Leser! vor dir hast. Der wahrhaft christliche Verfasser sucht in denselben die Seele vornemlich auf den Grund verderbten Zustand des Herzens zu führen, und sie von der Notwendigkeit einer wahren Sinnesänderung und neuen Geburt aus Gott bündig zu überzeu-gen, Jedermann auf Jesum und seine einzig geltende Gerechtigkeit hinzuweisen; zudem unterläßt er nicht, mit kräftigen Worten zu zeigen, wie nur der Glaube etwas gelte, der durch die Liebe tätig ist. Je mehr du, mein Lieber, in diesem eben so geistreichen als wahrhaft christlichen Buch liesest, desto inniger wirst du Gott dafür danken, dass er diesen christlichen Schatz in deine Hände gebracht hat. Noch größeren Wert wird dieses Buch für dich haben, wenn du bedenkest, dass der Mann, der dich hier beruhigt und tröstet, auch in mancher Kreuzschule gewesen, dass er, der so oft Gedrückte, auch von manchem Kummer beschwert worden ist, der

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*) Anmerkung. Ein frommer Dichter sagte mit Anspielung auf den Vornamen und Zunamen Johannes und Arndt, so viel als Arend, so viel als Adler, folgendes von ihm:

Er soll, er soll Johannes heißen;

Denn seine Seel ist Gnadenvoll;

Die Welt mag ihn mit Schmähen schmeißen,

Und auf ihn schütten Gall und Groll.

So bleibt er doch ohn’ allen Streit

Der größte Adler seiner Zeit.

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vielleicht jetzt gerade an deiner Seele nagt. Wenn du selbst voll Sünden in dieser Welt voll Sünden fast verzweifeln möchtest, so höre meinen Rat: lies neben dem Buch der Bücher, der heiligen Schrift, dieses Buch, in welchem der Kern des Christentums enthalten ist, und was du sonst nirgends so verständlich, nirgends so klar gefunden hast, das wirst du hier finden, –Trost für deine matte Seele und Ruhe für dein zerschlagenes und zerknirschtes Herz.

Eben deshalb hat dieses Buch, obgleich es schon vor 300 Jahren zum erstenmal aufgelegt worden ist, immer noch einen so hohen Wert bei allen wahrhaft Gläubigen. Während tausend andere sogenannte Erbauungsbücher, die aber freilich oft nichts anders enthalten, als wahre Lästerungen auf Jesum Christum den Gekreuzigten, ohne alle Nachfrage in den Bücherladen aufgehäuft liegen, werden des geistreichen Arndts Schriften immer noch stark gesucht – natürlich – denn Gottes Sache wird ja in seinen Büchern verteidigt, und die kann nicht untergehen. Um nun den vielen Nachfragen nach Arndts Schriften, namentlich nach seinem wahren Christentum und Paradiesgärtlein, Genüge zu leisten, und um recht Vielen die Hand zu bieten, welche am Abgrunde des Verderbens stehen, dass sie umkehren und ihre Seele erretten, habe ich mich entschlossen, Arndts wahres Christentum und Paradiesgärtlein, rein von sinnentstellenden Druckfehlern, die sich in so viele andere Ausgaben eingeschlichen haben, aufs Neue aufzulegen, und mit schönen, dem Inhalt des Buches angemessenen Bildern auszuschmücken. Das wenige Geld, lieber Christ, das du hiefür auszu-geben hast, wird dich niemals reuen; denn, was du durch Arndt an Geist und Herz gewinnen wirst, das läßt sich nach keiner Erdenmünz messen. Der fromme Gottesgeist, der in diesen Blättern atmet, möge nur auch deiner sich bemächti-gen. Bitte inständig um diesen Geist vor dem Lesen, unter dem Lesen und nach dem Lesen, und der gnädige und barmherzige Gott, der kein frommes Herz verschmäht, wird auch dich erhören und zu seiner Zeit, zur rechten Zeit auf-nehmen in sein himmlisches Reich – Amen.

                                                                                                     Der Verleger.

 

 

KURZER BERICHT

VON

DER PERSON DES SELIGEN JOHANN ARNDT.

 

Dieser treue und gesegnete Knecht des Herrn, Sohn des Jakob Arndt, Predigers zu Ballenstädt im Fürstentum Anhalt, ist daselbst geboren im Jahr Christi 1555, den 27. Dezember, am Tage Johannis des Evangelisten. Kaum 10 Jahre lang hatte er die Pflege und Fürsorge seines Vaters genossen, der ihn wegen seines fähigen Verstandes schon in früher Jugend dem Studieren gewidmet hatte – als der himmlische Vater beschloß, ihn in den Waisenstand zu setzen im Jahre 1565, aber nun des verwaisten Knaben um so kräftiger und gnädiger sich annahm. Durch die Herzen-lenkende Kraft seines himmlischen Vaters wurden ihm gute Gönner erweckt, durch deren reichliche Unterstützung er in den Schulen zu Aschersleben, Halberstadt und Magdeburg sich mehrere Jahre lang aufhalten konnte, woselbst er denn auch einen guten Grund zu höheren Wissenschaften gelegt hatte. Im Jahre 1576 besuchte er die Universität zu Helmstädt. Hier gewann er anfangs das Studium der Arzneiwissenschaft lieb, und wendete großen Fleiß auf dasselbe. Der Herr aber, der ihn zu einem ganz besonders gesegneten Werkzeug für die evangelische Kirche ausersehen hatte, ließ ihn in eine tödliche Krankheit fallen, in welcher sein Herz auf Jesum Christum hingewiesen würde, so dass er feierlich gelobte, wenn ihn Gott wieder gesund machen würde, hinfort die Forschung der heiligen Schrift sein Hauptwerk sein zu lassen, und sich der Gottesgelehrtheit zu widmen. Um nun ein gründlicher Gottesgelehrter zu werden, besuchte er nach einjährigem Aufenthalt zu Helm-städt auch die hohen Schulen von Wittenberg, Straßburg und Basel, wo seiner besondern Aufsicht ein junger polnischer Freiherr übergeben war, welcher ihn, als er einmal unversehens in den Rheinstrom gefallen war, bei den Haaren herauszog, und vom augenscheinlichen Tod errettete. In dieser letztgenannten Stadt war es auch, wo er zum erstenmal zwar nicht als öffentlicher doch als Privat-Lehrer auftrat, indem er jungen Studierenden neben andern Vorlesungen, die er über die Weltweisheit hielt, mit ganz besonderm Glück den Brief an die Römer erklärte.

Im Jahr 1582 kehrte er in sein Vaterland, Anhalt, zurück. In dem darauf folgenden Jahr, dem 28. seines Lebens, wurde er vom Herr Joachim Ernst, Fürsten und Herrn zu Anhalt, zum Prediger in Badeborn berufen, und den 10. Oktober zu Bärenburg ordiniert. Dieses Jahr war auch darum für ihn von besonderer Wichtigkeit, weil er sich in demselben nach göttlichem Willen eine Lebens-Gefährtin auserwählte, Anna Wagner, mit welcher er 38 Jahre lang in friedlicher Ehe lebte, ohne dass jedoch diese Ehe mit Kindern gesegnet wurde. Sieben Jahre lang verkündigte er hier lauter und rein das Evangelium von Jesu Christo dem Gekreuzigten, mußte aber, weil er fest und standhaft nur Gottes Wort und nicht Menschen-Satzungen verkündigte, mancherlei Verfolgungen erdulden, so dass er im Jahr 1590 sogar seines Predigt-Amtes entsetzt wurde. Furcht vor denen, die nur den Leib töten, aber die Seele nicht mögen töten (Matth. 10,28.), hielt ihn nicht ab, der Sache seines Heilandes treu zu bleiben. Diese seine Treue wurde ihm auch reichlich belohnet. Gerade in der Zeit, da er von seinem undank-baren Vaterlande so sehr misskannt wurde, fügte es Gott, dass ihm zwei Stellen, die eine zu Mansfeld, die andere zu Quedlinburg, angetragen wurden. Er folgte dem Ruf nach Quedlinburg, woselbst er, an der Nikolai-Kirche angestellt, seinem Heiland treulich diente. Allein auch hier mußte der treue Arbeiter im Weinberg des Herrn mancherlei Unannehmlichkeiten von etlichen Zuhörern erdulden, so dass er, nach 9jähriger ruhmvollen Verwaltung des Predigt-Amtes daselbst, im Jahre 1599 sich entschloß, Quedlinburg zu verlassen, und einen Ruf nach Braun-schweig anzunehmen.

Hier wurde der Fleiß, mit welchem er sein geistliches Amt verwaltete, mit vielem Segen gekrönt. Aber eben dieser Segen und die Liebe, mit der ihm seine Ge-meinde zugetan war, erweckte bei einigen seiner Amtsbrüder einen geheimen Neid, so dass sie sich nicht entblödeten, ihre Zuhörer im Beichtstuhl und bei andern Gelegenheiten vor Arndts Lehre zu warnen, ja selbst auf der Kanzel gegen ihn loszuziehen. Dieser Haß wurde noch verstärkt, als er hier im Jahr 1606 das erste Buch vom wahren Christentum herausgab, und dieses mit vielem Lob und Beifall aufgenommen wurde. Seine Feinde suchten sogar den Druck der übrigen Bücher zu verhindern. Jedoch hatte er sich auch der Gunst und Freund-schaft des dortigen Superintendenten, Johann Wagner, so wie des Stadt-magistrats und aller redlichen Bürger zu erfreuen, welche wohl einsahen, dass er nicht seine, sondern seines Gottes Ehre suche, und die Menschen zu einem lebendigen tätigen Glauben und zu wirklicher Nachfolge Christi bringen, und seine Lehre durch einen unsträflichen Wandel bekräftigen wolle. Nachdem er hier zehnthalb Jahre an der St. Martinskirche als treueifriger Lehrer gedienet hatte, wurde er nach Gottes Ratschluß von Braunschweig, welches damals von Kriegs-Unruhen schwer heimgesucht wurde, nach Eisleben berufen, welchem göttlichen Wink er auch im Jahr 1608 folgte. Zwei und ein halbes Jahr stand er der Ge-meinde daselbst mit besonderem Ruhm als Prediger vor, und verwaltete auch das Amt eines Assessors beim dortigen Consistorium. Doch auch hier war noch nicht der Ort seiner Ruhe.*) Gott wollte dieses helle Licht auf einen noch höhern Leuchter

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*) Anmerkung. Du wirst dich, lieber Leser, über die öftern Veränderungen des lieben seligen Arndt vielleicht wundern; aber hüte dich, diesen öftern Wechsel etwa einem veränderlichen Gemüt zuzuschreiben. Hiezu gaben andere wichtige Umstände Veranlassung, was genugsam daraus zu erkennen ist, dass er man-chen Ruf, der ihm zukam, ausschlug; z.B. nach Nordhausen 1564; in die Graf-schaft Schwarzburg als Superintendent 1597; nach Halberstadt 1605; nach Grüningen 1608; nach Weissenfels als Superintendent 1609; nach Magdeburg als Domprediger und an andere Orte.

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stellen. Im Jahr 1611 nämlich wurde er von Herrn Georg, Herzog zu Braun-schweig-Lüneburg nach Celle als General-Superintendent über die beiden Fürstentümer Braunschweig und Lüneburg und die dazu gehörigen Herrschaften berufen. Dieses hohe und wichtige Amt übernahm er nach reifer Überlegung, und verwaltete es mit großer Wachsamkeit und Weisheit, begleitet von dem sicht-baren Segen dessen, um dessen Namen willen er so manches Kreuz tragen, so manches Ungemach erdulden mußte. In seinen Predigten war es ihm haupt-sächlich darum zu tun, auf die Herzen seiner Zuhörer einen solchen Eindruck zu machen, dass sie nicht bloß gerührt, sondern auch mit dem festen Vorsatz weggingen, ihr grundverdorbenes Herz auch von Grund aus zu bessern. Gründ-liche Gelehrsamkeit, ein hoher Schatz lebendiger Erkenntnis Gottes und seines Heilandes, eine stete Lauterkeit in der evangelischen Wahrheit waren Haupt-vorzüge, durch welche er sich vor vielen andern Gottesgelehrten seines Zeit-alters auszeichnete. Bei seinen oft so schweren Verfolgungen betrug er sich sanftmütig, gelinde und geduldig; gegen Arme war er mildreich, so dass er oft mehr Almosen gab, als seine ganze Besoldung betragen hatte. Im Gebet war er inbrünstig; im wahren ungefärbten Christentum tat es ihm Keiner zuvor; in seinem ganzen Leben bekräftigte er seine Lehre mit der Tat.

So wirkte, so lebte unser lieber Arndt teils als Seelsorger und Prediger, teils als Vorsteher eines großen Teils der evangelischen Geistlichkeit. Selten wurde sein sonst so sorgen- und mühevolles Leben durch Krankheiten getrübt. Erst ein Jahr vor seinem Tode begannen seine Kräfte bedeutend abzunehmen; dennoch setzte er seine Amtsverrichtungen mit großem Eifer bis ans Ende seiner Tage fort. Am 3. Mai 1621 hielt er seine letzte Predigt über die merkwürdigen Worte Ps. 126,5.6. „Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten“ etc. Als er aus der Kirche nach Hause kam, sagte er zu seiner Gattin: „Jetzt habe ich meine Leichenpredigt getan,“ und legte sich alsbald zu Bette.

Ein hitziger Fluß im Halse, wozu sich bald ein hitziges Fieber gesellte, verzehrte seine bereits gesunkenen Kräfte. So sehr er seine Kraftlosigkeit vor den Seinigen verbergen wollte, so sehr fühlte er selbst am besten, dass seine Prüfungs-Zeit nun bald zu Ende gehen werde. Er berief deshalb den 9. Mai, Morgens 6 Uhr, seinen Beichtvater, Wilhelm Storch, zu sich und begehrte von ihm das heilige Abendmahl. Er ließ sich zu dem Ende auf einen Stuhl bringen, und darauf sitzend legte er seine Beicht mit Andacht ab, und bezeugte es feierlich, dass er bei dem reinen Wort Gottes und der daraus im Lichte des heiligen Geistes erkannten und wider alle irrige Gegenlehre bisher verteidigten Wahrheit bis an sein Ende beharren wolle. Hierauf empfing er das heilige Abendmahl mit dem frohen Mut eines Christen, der sich im Glauben an seinen Erlöser auf die Ewigkeit freuen kann. Als er am 11. Mai nach demütigem Gebet: „Herr, gehe nicht ins Gericht mit deinem Knechte“ etc. Ps. 143,2. und nach tröstlichem Zuspruch aus dem Wort Gottes, besonders Joh. 5,24. eingeschlafen war, und bald darauf wieder erwach-te, so brach er mit aufgehobenen Augen in die Worte aus: „Wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingebornen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit.“ Auf die Frage seiner Hausfrau: wann er solche Herrlichkeit gesehen habe? antwortete er: „Jetzt habe ich sie gesehen; ei! welch eine Herrlichkeit ist das! die Herrlichkeit ist es, die kein Auge gesehen, kein Ohr gehört, und in keines Menschen Herz gekommen ist. Diese Herrlichkeit habe ich gesehen.“ So ließ Gott diesen treuen Diener noch vor seinem Abscheiden die Seligkeit des künftigen Lebens schmecken, um ihn zum letzten Kampf zu stärken. Denselben Abend fragte er um 8 Uhr: wie viel es schlage? Um 9 Uhr wiederholte er diese Frage, und, als man ihm antwortete: es schlage 9 Uhr, so sagte er: „Nun habe ich überwunden.“ Dies ist das letzte Wort dieses tätigen Geistes auf Erden gewesen. Still und ruhig lag er bis halb zwölf Uhr; da winkte der Engel des Todes, und – seine Augen schlossen sich für diese Erde. Seine irdische Hülle begleiteten zum Grabe zwei Herzoge von Braunschweig zum Beweis ihrer Ehrfurcht vor diesem unvergeßlichen Lehrer. Wilhelm Storch predigte über die Worte Pauli: „Ich habe einen guten Kampf gekämpfet“ etc. In der Pfarrkirche zu Celle findest du, lieber Leser, sein Grab, und seinen Grabstein mit der schönen Überschrift: „Qui Jesum vidit, qui mundum et daemona vicit, Arndius in scriptis vivit ovatque suis.“ Zu Deutsch: Der den Herrn geschaut, der Welt und Teufel bezwungen, Arndt lebt in seinen Schriften siegreich fort.

Dein Gedächtnis, lieber unvergeßlicher Lehrer! wird noch lange im Segen blei-ben. Preis aber und Ruhm und Dank sei dir, du Herr und Haupt der Kirche! für den reichen Segen, mit dem es dir gefallen hat, den Dienst dieses treuen Arbei-ters in deinem Weinberge zu krönen. Amen.

 

 

KURZE ANWEISUNG,

WIE MAN DES SEL. HERRN ARNDTS

BÜCHER VOM WAHREN CHRISTENTUM

MIT NUTZEN LESEN SOLL,

IN FRAG UND ANTWORT VORGESTELLT.

 

Glaubest du, dass du sterben mußt?

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Antwort: Ja.

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Wie bald wirst du sterben?

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Antw. Das weiß ich nicht.

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Kannst du diesen Tag oder diese Nacht noch sterben?

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Antw. Ja.

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Wo wirst du denn hinkommen, wenn du stirbst?

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Antw. In den Himmel.

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Weißt du das gewiß?

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Antw. Ich hoffe es.

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Kommen alle in den Himmel, die es hoffen ober glauben?

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Antw. Nein, sondern viele werden nicht hineinkommen, ob sie es schon hoffen und darnach trachten, Luk. 13,2.24.

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Woher kommt das?

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Weil sie nicht den rechten Weg zum Himmel gehen; denn, wenn zum Exempel einer vom Abend gegen Morgen gehen wollte, er ginge aber den Weg nach Mittag zu, so würde er nimmermehr nach Morgen kommen, so lange er auf dem Wege nach Mittag bleibet, wenn er es gleich glaubt und hoffet, sondern er muß umkehren, und den rechten Weg suchen.

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Welches ist der rechte Weg?

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Der schmale. Matth. 7,14.

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Gibts denn auch einen breiten Weg?

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Ja, und darauf wandeln die meisten Menschen zur Verdammnis. Matth. 7,14.

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NB. Prüfe dich, auf welchem Weg du seiest.

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Was ist der schmale Weg?

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Die gläubige Nachfolge Christi, da ein Mensch durch Wirkung des heiligen Geistes die Gnadenverheißungen Gottes in Christo ergreift, und sich so fest darauf verläßt, dass er sich ihm gänzlich übergibt, sich selbst verleugnet, sein Kreuz täglich auf sich nimmt, Christo gleich gesinnet wird, und ihm in seiner Demut, Sanftmut, Geduld, und übrigen Tugenden nachfolget, Joh. 1, v. 12. Heb. 11, v. 1. Luk. 9, v. 23. 1. Petr. 2, v. 21.

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Was ist der breite Weg?

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Der Wandel in den Lüsten des Fleisches, das ist, in den Begierden nach zeit-lichen Gütern und Wollust, oder der irdische Sinn, Phil. 3,18.19. da man trachtet nach irdischen Dingen, oder nach dem, das auf Erden ist. Kol. 3,2.

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Wandeln nicht alle Menschen auf dem breiten Wege?

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Ja, von Natur sind sie alle darauf. Wer nun nicht umkehret, sondern auf solchem Wege immer fortgeht, der kann nicht anders als in die Verdammnis kommen.

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Wie kommt man auf den schmalen Weg?

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Den kannst du nicht finden, es sei denn durch Erleuchtung des heiligen Geistes; sonst wirst du den schmalen Weg für Torheit, und die darauf wandeln, für Narren und einfältige Leute halten, Apost. Geschichte 26,18. 2. Kor. 4,4. Weish. 5,3.7.

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Hat man aber keine Anleitung, auf diesen Weg zum Himmel zu kommen, und da-rauf zu bleiben?

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Ja, die findet man gar schön in Johann Arndts Büchern vom wahren Christentum. ----------

Worinnen bestehet solche Anleitung?

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Er zeiget 1) wie man auf den rechten Weg zum Himmel kommen kann, im 1. Buch vom 1. Kap. bis zum 11. 2) Woran man erkennen kann, ob man auf dem rechten Wege sei. Vom 11. Cap. bis zum Ende des 2. Buchs. 3) Was man tun soll, dass man auf dem rechten Weg bleibe, im 2., 3. und 4. Buch.

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Was gibt er für Anleitung, dass man auf den rechten Weg komme?

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Die bestehet darin:

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1) Bedenke, wie und zu was Ende Gott den Menschen geschaffen hat. 1. Buch, Cap. 1.

2) Bedenke das tiefe Verderben und das Elend, darein alle Menschen gefallen, und noch stecken nach dem Fall. Kap. 2.

NB. In diesen beiden Stücken bestehet die Selbsterkenntnis, die auch von den Heiden angepriesen worden ist.

3) Lerne, wie der Mensch aus solchem tiefen Verderben errettet werden, und zu der verlornen Glückseligkeit wieder kommen könne, nämlich durch die Erneue-rung in Christo, oder durch Buße und Glauben. Kap. 3.

4) Gebrauche das Mittel, dadurch du zur Erkenntnis jetztgedachter drei Stücke kannst gebracht werden.

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Was ist das Mittel?

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Gottes Wort, sowohl das äußerlich geoffenbarte, als das inwendig geschriebene. Kap. 6 und 7.

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Werden denn alle bekehrt, die Gottes Wort hören und lesen?

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Nein; sondern die allein, die es recht hören und lesen.

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Wie muß man das Wort Gottes recht hören?

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Das Wort muß in dir zur Kraft kommen, davon wir gehandelt Kap. 6.

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Was ist das innerlich im Herzen geschriebene Wort Gottes?

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Es ist das Gesetz der Natur. Kap. 7.

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Es ist oben gesagt, dass der Mensch müsse erneuert werden durch Buße und Glauben. Ist denn die Buße so notwendig?

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Ja; denn sonst kann er nimmermehr in den Himmel kommen.

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Warum ist die Buße so notwendig?

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1) Weil ohne die Buße niemand sich Christi und seines Verdienstes trösten kann. Kap. 8.

2) Weil durch ein unbußfertiges Leben Christus verleugnet wird. Kap. 9. 10.

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Wo kann ich erkennen, ob ich auf dem rechten Wege bin?

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An den Früchten der Buße.

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Welches sind die Früchte?

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1) Die Nachfolge Christi. Kap. 11.

2) Die Verleugnung seiner selbst und der Welt. Kap. 12. 13. 14. 15.

3) Ein steter Kampf wider das Fleisch und die alte Natur. Kap. 16.

4) Rechter Gebrauch der zeitlichen Güter. Kap. 17. 18.

5) Armut des Geistes, oder Erkenntnis seines Elends. Kap. 19.

6) Tägliche Reue und Vermeidung der Freude oder Traurigkeit über zeitliche Güter. Kap. 20.

7) Der wahre Gottesdienst. Kap. 21.

8) Tägliche Erneuerung und Besserung des Lebens, Kap. 22. Wozu erfordert wird, dass man sich weltlicher Geschäfte, so viel möglich, entschlage, seinen Wandel mit Furcht führe, und nicht sicher sei. Kap. 23.

9) Die Liebe Gottes und des Nächsten, die Früchte solcher Liebe. Kap. 24 bis 35.

10) Hunger und Durst nach dem himmlischen Manna, und rechter Gebrauch des-selben. Kap. 36.

11) Die Verklärung in das Bild Christi. Kap. 37.

12) Übereinstimmung des Lebens mit der Lehre. Kap. 38.

13) Ein heiliges Leben und tätiges Christentum. Kap. 39. 40.

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Wenn ich nun bekehret und auf dem rechten Wege zum Himmel bin, kann ich auch wieder vom rechten Wege abkommen?

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Ach ja; wenn du dich nicht in Acht nimmst, und deine Seligkeit mit Furcht und Zittern schaffest, Phil. 2,12., so kann dich der Satan bald überwinden, dich vom rechten Wege abbringen, und wieder auf den breiten Weg zur Hölle ziehen.

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Wie soll ichs denn machen, dass ich auf dem rechten Wege bleibe, und das Ende dieses Weges, nämlich die ewige Seligkeit erreichen möge?

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1) Studiere und forsche fleißig und täglich in dem Buche des Lebens, Jesu Christi, im 2. Buch.

2) Forsche fleißig nach dem Glaubensschatz, den dir Christus erworben, im 3. Buch.

3) Studiere fleißig in dem großen Weltbuche der Natur, im 4. Buch.

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Wie muß ich denn in dem Buche des Lebens studieren?

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1) Dass du immer deinen Glauben einzig und allein auf die Verheißung Gottes und das Verdienst Christi gründest, und durch Genießung seines Leibes und Blutes dich mit ihm vereinigst, 2. Buch, Kap. 1. 2. 3.

2) Dass du dich in den Früchten des Glaubens an Christum täglich besserst.

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Welches sind die Früchte des Glaubens?

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1) Die Reinigung des Herzens. Kap. 4.

2) Ein heiliger Wandel. Kap. 5.

3) Das Absterben seines eigenen Willens, Weisheit und Vermögens, und sich göttlicher Wirkung ganz ergeben. Kap. 6.

4) Tägliche Buße und Tötung des alten Adams. Kap. 7. 8. 9. 10.

5) Die Nachfolge Christi. Kap. 11 bis 25.

6) Lebendige Erkenntnis Gottes. Kap. 26 bis 33.

7) Das Gott gefällige Gebet. Kap. 34 bis 40.

8) Lob Gottes. Kap. 41 bis 43.

9) Geduld in Kreuz und Anfechtung. Kap. 44 bis 56.

10) Trost wider den Tod. Kap. 57.

11) Der Sieg des Glaubens und Gebets über den natürlichen Himmel und die ganze Welt. Kap. 58.

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Wie soll ich nach dem Glaubens-Schatze, den mir Christus erworben, forschen, und denselben in mir suchen?

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1. Betrachte, was es sei, im 3. B. Kap. 1.

2. Durch was Mittel man dazu gelange; nämlich:

1) Durch den lebendigen Glauben. Kap. 2. 3.

2) Durch Einkehrung in sich selbst. Kap. 4.

3) Durch wahre Demut. Kap. 5. und 20.

4) Durch einen stillen Sabbat des Herzens. Kap. 6.

5) Wenn man mit seiner Lust und Freude an keiner Kreatur hängen bleibt.

Kap. 7.

6) Wenn man auf den innerlichen und äußerlichen Beruf Gottes Achtung gibt, und demselben folget. Kap. 8.

7) Durch Reinigung des Herzens von der Weltliebe und den unordentlichen Neigungen. Kap. 9.

8) Durch Tötung der natürlichen Vernunft, und innerliche Erleuchtung Gottes. Kap. 10.

9) Wenn man nach solchem innerlichen Licht äußerlich wirket, und nicht seinen Nächsten, sondern sich selbst richtet. Kap. 11.

10) Wenn man sich täglich zu Gott wendet. Kap. 12.

11) Wenn die Liebe der Kreaturen ausgehet. Kap. 13.

12) Durch Sanftmut und Geduld. Kap. 14.

13) Durch Aufmerkung auf die Stimme des heiligen Geistes in Demut und Niedrigkeit des Herzens. Kap. 15. 16.

3. Woran man merken könne, dass man diesen inwendigen Schatz habe, und dass der heilige Geist in uns sei. Kap. 17. 18.

4. Wodurch dieser Schatz verhindert, oder verloren werde, nämlich:

1) Durch den Weltgeist. Kap. 18.

2) Wenn der Mensch seine Lust und Freude nicht an Gott, sondern an den Gaben hat. Kap. 21.

3) Durch Missbrauch der Gaben und Befleckung der Seelen. Kap. 22.

5. Wodurch dieser Schatz sonderlich erhalten und vermehret werde: nämlich durch das Kreuz, dessen Geheimnis du aus dem Exempel Christi lernen mußt. Kap. 23.

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Wie soll ich in dem großen Weltbuche der Natur studieren?

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1) Betrachte die Werke der Schöpfung.

2) Betrachte die Christenpflichten, so aus solchen Werken folgen.

Alles beides findest du im 4. Buch.

 

 

VORREDE

DES SELIGEN HERRN JOHANN ARNDTS

ÜBER DAS

ERSTE BUCH VOM WAHREN CHRISTENTUM.

 

An den christlichen Leser.

 

Was für ein großer und schändlicher Missbrauch des heiligen Evangelii in dieser letzten Welt sei, christlicher, lieber Leser! bezeugt genugsam das gottlose, un-bußfertige Leben derer, die sich Christi und seines Worts mit vollem Munde rühmen, und doch ein ganz unchristliches Leben führen, gleich als wenn sie nicht im Christentum, sondern im Heidentum lebeten. Solch gottloses Wesen hat mir zu diesem Buch Ursache gegeben, damit die Einfältigen sehen möchten, worin das wahre Christentum bestehe, nämlich in Erweisung des wahren, lebendigen, tätigen Glaubens, durch rechtschaffene Gottseligkeit, durch Früchte der Gerech-tigkeit; wie wir darum nach Christi Namen genennet sind, dass wir nicht allein an Christum glauben, sondern auch in Christo leben sollen, und Christus in uns; wie die wahre Buße aus dem innersten Grund des Herzens gehe, wie Herz, Sinn und Mut müsse geändert werden; dass wir Christo und seinem heiligen Evangelio gleichförmig werden; wie wir durch das Wort Gottes zu neuen Kreaturen müssen erneuert werden. Denn gleichwie ein jeder Same seines Gleichen bringet, also muß das Wort Gottes in uns täglich neue geistliche Früchte bringen; und so wir durch den Glauben neue Kreaturen werden, so müssen wir auch in der neuen Geburt leben. Summa, wie Adam in uns sterben, und Christus in uns leben soll. Es ist nicht genug, Gottes Wort wissen, sondern man muß auch dasselbige in die lebendige tätige Übung bringen.

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2. Viele meinen, die Theologie sei nur eine bloße Wissenschaft und Wortkunst, da sie doch eine lebendige Erfahrung und Übung ist. Jedermann studieret jetzt, wie er hoch und berühmt in der Welt werden möge, aber fromm sein, will nie-mand lernen. Jedermann sucht jetzt hochgelehrte Leute, von denen er Kunst, Sprachen und Weisheit lernen möge, aber von unserm einzigen Doktor, Jesu Christo, will niemand lernen Sanftmut und herzliche Demut, da doch sein heili-ges, lebendiges Beispiel die rechte Richtschnur unsers Lebens ist, ja die höchste Weisheit und Kunst, dass wir billig sagen: Christi reines Leben, kann uns Allen Lehre geben.

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3. Jedermann wollte gern Christi Diener sein, aber Christi Nachfolger will nie-mand sein. Er spricht aber Joh. 12, v. 26. Wer mir dienen will, der folge mir nach. Darum muß ein rechter Diener und Liebhaber Christi auch ein Nachfolger Christi sein. Wer Christum lieb hat, der hat auch lieb das Exempel seines heiligen Lebens, seine Demut, Sanftmut, Geduld, Kreuz, Schmach und Verachtung, ob es gleich dem Fleisch wehe tut. Und ob wir gleich die Nachfolge des heiligen und edeln Lebens Christi in dieser Schwachheit nicht vollkommen erreichen können (dahin auch mein Buch nicht gemeinet), so sollen wir's doch lieb haben und darnach seufzen; denn also leben wir in Christo, und Christus in uns, wie St. Johannes in der 1. Epist. 2,6. spricht: Wer da saget, dass er in ihm bleibet, der soll auch wandeln, gleich wie er gewandelt hat. Jetzt ist die Welt also gesinnet, dass sie gerne alles wissen wollte; aber dasjenige, was besser ist, denn alles Wissen, nämlich Christum lieb haben, Ephes. 3,19. will niemand lernen. Es kann aber Christum niemand lieb haben, er folge denn auch nach dem Exempel seines heiligen Lebens. Viele sind, ja die meisten in dieser Welt, die sich des heiligen Exempels Christi schämen, nämlich seiner Demut und Niedrigkeit; das heißet, sich des Herrn Christi schämet, davon der Herr sagt Mark. 8,38. Wer sich meiner schämet in dieser ehebrecherischen Welt, deß wird sich auch des Men-schen Sohn schämen, wenn er kommen wird. Die Christen wollen jetzt einen stattlichen, prächtigen, reichen, weltförmigen Christum haben; aber den armen, sanftmütigen, verachteten, niedrigen Christum will niemand haben, noch be-kennen, noch demselben folgen. Darum wird er einmal sagen: Ich kenne euer nicht! Matth. 7,23. Ihr habt mich nicht wollen kennen in meiner Demut, darum kenne ich euer nicht in eurer Hoffart.

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4. Nicht allein aber ist das gottlose Leben und Wesen Christo und dem wahren Christentum ganz zuwider, sondern es häufet täglich Gottes Zorn und Strafe, also, dass Gott alle Kreaturen wider uns rüsten muß zur Rache, dass Himmel und Erde, Feuer und Wasser wider uns streiten müssen, ja die ganze Natur ängstet sich darüber und will brechen. Daher muß elende Zeit kommen, Krieg, Hunger und Pestilenz, ja die letzten Plagen dringen so heftig mit Gewalt herein, dass man fast vor keiner Kreatur wird sicher sein können. Denn gleichwie die greulichen Plagen die Ägypter überfielen vor der Erlösung und Ausgang der Kinder Israel aus Ägypten, also werden vor der endlichen Erlösung der Kinder Gottes schreckliche, greuliche, unerhörte Plagen die Gottlosen und Unbußfer-tigen überfallen. Darum ist es hohe Zeit, Buße zu tun, ein anderes Leben anzu-fangen, sich von der Welt zu Christo zu bekehren, an ihn recht glauben und in ihm christlich leben, auf dass wir unter dem Schirm des Höchsten und Schatten des Allmächtigen sicher sein mögen, Psalm 91,1. Dazu uns auch der Herr ermahnet, Luk. 21,36. So seid nun wacker allezeit und betet, dass ihr würdig werden möget zu entfliehen diesem allen. Solches bezeuget auch Ps. 112,7.

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5. Dazu wird dir, lieber Christ, dieses Buch Anleitung geben, wie du nicht allein durch den Glauben an Christum Vergebung deiner Sünden erlangen, sondern auch wie du die Gnade Gottes zu einem heiligen Leben recht gebrauchen, und deinen Glauben in einem christlichen Wandel zieren und beweisen sollst. Denn das wahre Christentum besteht nicht in Worten, oder äußerlichem Schein, son-dern im lebendigen Glauben, aus welchem rechtschaffene Früchte und allerlei christliche Tugenden entspringen, als aus Christo selbst; denn weil der Glaube menschlichen Augen verborgen und unsichtbar ist, so muß er durch die Früchte erwiesen werden; sintemal der Glaube aus Christo schöpfet alles Gute, Gerech-tigkeit und Seligkeit.

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6. Wenn er nun beständig erwartet die verheißenen Güter, die dem Glauben versprochen sind, so entspringet aus dem Glauben die Hoffnung. Denn was ist Hoffnung anders, als ein beständiges, beharrliches Erwarten der verheißenen Güter im Glauben? Wenn aber der Glaube dem Nächsten die empfangenen Güter mitteilet, so entspringt aus dem Glauben die Liebe, und tut dem Nächsten wieder also, wie ihm Gott getan hat; wenn aber der Glaube in der Probe des Kreuzes bestehet, und sich dem Willen Gottes ergibt, so wächset die Geduld aus dem Glauben. Wenn er aber im Kreuz seufzet, oder Gott für die empfangenen Wohltaten danket, so wird das Gebet geboren. Wenn er Gottes Gewalt und des Menschen Elend zusammen fasset, und sich unter Gott schmieget und bieget, so wird die Demut geboren. Wenn er sorget, dass er nicht möge Gottes Gnade ver-lieren, oder, wie St. Paulus spricht: mit Furcht und Zittern schaffet, dass er selig werde, Phil. 2,12, so ist die Gottesfurcht geboren.

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7. Also siehest du, wie alle christlichen Tugenden des Glaubens Kinder sind, und aus dem Glauben wachsen und entspringen, und können nicht vom Glauben, als von ihrem Ursprung getrennt werden, sollen es anders wahrhaftige, lebendige, christliche Tugenden sein, aus Gott, aus Christo, und aus dem heiligen Geist entsprossen. Darum kann kein Gott wohlgefälliges Werk ohne den Glauben an Christum sein. Denn wie kann wahre Hoffnung, rechte Liebe, beständige Geduld, herzliches Gebet, christliche Demut, kindliche Furcht Gottes ohne Glauben sein? Es muß alles aus Christo, dem Heilbrunnen, durch den Glauben geschöpfet werden, beides Gerechtigkeit und alle Früchte der Gerechtigkeit. Du mußt dich aber wohl vorsehen, dass du bei Leibe deine Werke und angefangenen Tugen-den, oder Gaben des neuen Lebens, nicht mengest in deine Rechtfertigung vor Gott. Denn da gilts keines Menschen Werk, Verdienst, Gaben oder Tugend, wie schön auch dieselben sein, sondern das hohe, vollkommene Verdienst Jesu Christi durch den Glauben ergriffen, wie solches im 5. 19. 34. und 41. Kap. dieses Buchs, und in den drei ersten Kapiteln des andern Buchs genugsam aus-geführet ist, darum siehe dich wohl vor, dass du die Gerechtigkeit des Glaubens, und die Gerechtigkeit des christlichen Lebens nicht in einander mengest, sondern wohl unterscheidest, denn dies ist der ganze Grund unserer christlichen Religion. Nichts desto weniger aber mußt du dir deine Buße lassen einen rechtschaffenen Ernst sein, oder du hast keinen rechtschaffenen Glauben, welcher täglich das Herz reinigt, ändert und bessert. Sollst auch wissen, dass der Trost des Evangelii nicht haften kann, wo nicht rechtschaffene wahre Reue und göttliche Traurigkeit vorhergeht, dadurch das Herz zerbrochen und zerschlagen wird, denn es heißt: Den Armen wird das Evangelium geprediget, Luk. 7,22. Und wie kann der Glaube das Herz lebendig machen, wenns nicht zuvor getötet und durch ernstliche Reue und Leid, und wahre Erkenntnis der Sünden? Darum sollst du nicht gedenken, dass die Buße so schlecht und leicht zugehe. Bedenke, wie ernstliche und scharfe Worte der Apostel Paulus brauchet, da er gebeut, das Fleisch zu töten und zu kreuzigen samt den Lüsten und Begierden, seinen Leib aufzuopfern, den Sünden abzusterben, der Welt gekreuziget werden, Kol. 3,5. Röm. 6,6. C. 12, 1. Petr. 2,24. Gal. 5,24. Kap. 6,14. Wahrlich, dies geschieht nicht mit Zärtelung des Fleisches. Die heil. Propheten malen auch die Buße nicht lieblich ab, wenn sie ein zerbrochen, zerschlagen Herz, und einen zerknirschten Geist fordern und sagen: Zerreisset eure Herzen, heulet, klaget und weinet, Joel 2,13.17. Jerem. 4,8. Wo findet man jetzt solche Buße? Der Herr Christus nennts, sich selbst hassen, verleugnen, absagen allem dem, das man hat, will man anders sein Jünger sein, Luk. 9,23. Matth. 16,24. Solches geht wahrlich nicht mit lachendem Munde zu. Dessen allem hast du ein lebendiges Exempel und Conterfait in den sieben Bußpsalmen. Die Schrift ist voll des göttlichen Eifers, dadurch die Buße neben ihren Früchten erfordert wird, bei Verlust der ewigen Seligkeit; darauf kann denn der Trost des Evangelii seine rechte natürliche Kraft erzeigen: beides aber muß Gottes Geist durch das Wort in uns wirken.

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8. Von solcher ernstlichen, wahrhaftigen, inniglichen Herzens-Buße, und von derselben Früchten handelt dieses mein Buch, und von der Praxi und Übung des wahren Glaubens, auch wie ein Christ alles in der Liebe tun soll; denn was aus christlicher Liebe geschiehet, das geht aus dem Glauben. Es sind aber in dem-selben, sonderlich im Frankfurtischen Druck, etliche Reden nach Art der alten Scribenten, Tauleri, Kempis und anderer mit eingemischet, die das Ansehen haben, als wenn sie menschlichem Vermögen und Werken zu viel zuschrieben (dawider doch mein ganzes Buch streitet); darum soll der christliche Leser freundlich erinnert sein, dass er fleißig sehe nach dem Ziel dieses Buchs, so wird er finden, dass es vornehmlich dahin gerichtet ist, dass wir den verborgenen, angebornen Gräuel der Erbsünde erkennen, unser Elend und Nichtigkeit betrach-ten lernen, an uns selbst und an unserm Vermögen verzagen, uns selbst alles nehmen, und Christo alles geben, auf dass er alles allein in uns sei, alles in uns wirke, allein in uns lebe, alles in uns schaffe, weil er unserer Bekehrung und Seligkeit Anfang, Mittel und Ende ist; wie solches deutlich und überflüßig an vielen Orten dieses Buchs erkläret ist; dadurch der Papisten, Synergisten, Majoristen Lehre ausdrücklich widerlegt und verworfen wird. Auch ist der Artikel von der Rechtfertigung des Glaubens in diesem, sonderlich aber im andern Buch also geschärfet, und so hoch getrieben, als es immer möglich. Doch damit aller Missverstand aufgehoben werde: so habe ich dieselbe in diesem jetzigen Druck corrigieret, und bitte den treuherzigen Leser, er wolle den Mömpelgartischen, Frankfurtischen, und allen vorigen Druck, und Lüneburgische, Braunschwei-gische Exemplaria, nach dieser corrigierten Magdeburgischen Edition verstehen und judicieren. Protestiere auch hiemit, dass ich dieses Buch, gleichwie in allen andern Artikeln und Punkten, also auch im Artikel vom freien Willen und Recht-fertigung des armen Sünders vor Gott, nicht anders, denn nach dem Verstand der Symbolischen Bücher der Kirchen Augsburgischer Confession, (als da sind, die erste unveränderte Augsburgische Confession, Apologie, Schmalkaldische Artikel, beide Katechismi Lutheri und Formula Concordiae) will verstanden haben.

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Gott erleuchte uns alle mit seinem heiligen Geist, dass wir lauter und unanstößig seien im Glauben und Leben, bis auf den Tag unsers Herrn Jesu Christi, (wel-cher nahe vor der Tür ist) erfüllet mit Früchten der Gerechtigkeit, zum Lob und Preis Gottes, Amen.

 

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