DAS ACHTUNDZWANZIGSTE KAPITEL. (4.B./2.T./28.K.)

 

DIE ERSTE EIGENSCHAFT DER LIEBE IST,

DASS SIE DEN LIEBHABER MIT DER GELIEBTEN VEREINIGET,

UND DEN LIEBENDEN IN DAS GELIEBTE VERWANDELT.

 

Inhalt.

1) Durch die Liebe gibt man sich dem Geliebten, und wird in das Geliebte frei-willig verwandelt. 2) In der Natur aber werden geringe Dinge in bessere verwan-delt; darum sollen wir unsere Liebe Gott, dem Alleredelsten und Würdigsten ge-ben.

 

Gott ist die Liebe: Wer in der Liebe bleibet, der bleibet in Gott, und Gott in ihm. 1 Joh. 4,16.

 

Die Ursache, warum sich die Liebe mit dem Geliebten vereiniget, ist diese: die-weil der Liebe Natur und Wesen ist, dass sie sich selbst mitteilet, austeilet und schenket, darum läßt sich die rechte Liebe nicht halten, sie gibt sich selbst, und teilt sich selbst mit. Und weil die Liebe nicht kann gezwungen werden, denn es kann niemand einen zwingen zu lieben; derohalben ist sie eine freiwillige Gabe, die sich selbst von ihr selbst gibt und mitteilet. Was nun einem andern gegeben ist, das ist in seiner Gewalt; derohalben so ist nun die Liebe dessen, dem sie gegeben wird, und wird dessen, den man liebt. Dieweil nun der Mensch nichts mehr eignes hat, denn seine Liebe, derohalben, wem er seine Liebe gibt, dem gibt er sich selbst, und auf diese Weise wird der Liebende mit dem Geliebten vereiniget, und wird ein Ding mit ihm, und aus zweien eins ins andere verwandelt, und diese Verwandlung ist nicht genötiget noch gezwungen, hat nicht Pein oder Furcht, sondern ist freiwillig, lieblich und süß, und verwandelt den Liebenden in das Geliebte, also, dass die Liebe ihren Namen von dem Geliebten bekommt. Denn so man ein irdisches Ding liebt, so heißt es eine irdische Liebe; liebt man etwas Totes, so heißt es eine tote Liebe; liebt man viehische Dinge, so heißt es eine viehische Liebe; liebt man Menschen, so heißt es eine Menschenliebe, liebt man Gott, so heißt es eine göttliche Liebe. Also kann der Mensch verwandelt werden durch die Liebe in ein edles und unedles Ding, von ihm selbst und frei-willig.

----------

2. Weil es auch offenbar ist, dass auch die Liebe den Willen verwandelt, eine jegliche Verwandlung aber geschehen soll in ein Besseres und Edleres; dero-wegen sollen wir unsere Liebe nicht geben einem Geringen, sondern dem Aller-edelsten, Höchsten und Würdigsten, nämlich Gott alleine, sonst wird unsere Lie-be und Wille unedel und nichtig. Denn das lehret uns die Natur, sintemal alle-wege die geringen Dinge der Natur in edlere und bessere verwandelt werden; denn die Elemente, als da sein Erde, Wasser, Luft, werden in Kräuter und Bäume verwandelt, die Kräuter aber in die Natur der Tiere, die Tiere aber in des Men-schen Fleisch und Blut. Also soll unser Wille in unserer Liebe in Gott verwandelt werden, sonst wäre es wider die ganze Natur, darum schreiet und rufet die ganze Natur, dass Gott das Erste und Beste und Edelste sei, das von uns soll geliebet werden, weil er besser ist, denn alle Kreaturen.

 

Gebet um die Liebe Gottes, als des höchsten Gutes.

 

Laß deine Liebe, mein Gott! der du die Liebe selber bist, in mein Herz ausge-gossen werden durch den heiligen Geist, dass ich derselben Süßigkeit und Kraft schmecke, mit dir unauflöslich vereiniget, und in dich verwandelt werde. Das wirke und schaffe in mir, durch deinen Geist, um Jesu Christi willen, Amen.

 

- Zum nächsten Kapitel -