DAS NEUNZEHNTE KAPITEL. (4.B./2.T./19.K.)

 

VERGLEICHUNG DER ZWEIERLEI DIENSTE,

DER KREATUREN GEGEN DEN MENSCHEN,

UND DES MENSCHEN GEGEN GOTT.

 

Inhalt.

1) Der Dienst der Kreaturen gegen den Menschen verpflichtet ihn, Gott zu die-nen. 2) Denn was hilft natürlich leben ohne gottselig leben? 3) Tut er das nicht, so hat er die Kreaturen schändlich betrogen und gemissbraucht.

 

Mein Kind, laß die Weisheit nicht von deinen Augen weichen, so wirst du glückselig und klug sein; das wird deiner Seelen Leben sein. Sprüch. Sal. 3,21.22.

 

Dieweil nun zweierlei Dienste sind, der Menschendienst der Kreaturen, und der Gottesdienst der Menschen, alle beide aber dem Menschen zum Nutzen kom-men, so müssen wir sehen, worin sich diese beiden Dienste mit einander ver-gleichen, und worinnen sie unterschieden sind. Der Mensch kann der Kreaturen Dienste nicht belohnen, denn er hat nicht, womit, weil alles, was er hat, Gottes ist; und ist auch nicht vonnöten, weil aller Kreaturen Gütigkeit ein Ausfluß ist von Gott. Darum nicht den Kreaturen die Liebe und Dank gebühret, sondern Gott, dem Ursprung und Ausfluß alles Guten. Der Mensch bedarf täglich der Kreaturen Dienst zu seinem Leben und Notdurft; aber darum soll er nicht die Kreaturen lieben, sondern den Schöpfer; denn Gott macht durch die Kreaturen ihm den Menschen verpflichtet, der Kreaturen Dienst macht, dass der Mensch lebet, und ohne ihren Dienst könnte der Mensch nicht eine Stunde leben; aber dadurch will Gott den Menschen reizen, dass er hinwieder Gott diene und Gott lebe.

----------

2. Denn was hilft leben durch Hilfe der Kreaturen, wenn man nicht auch Gott lebet? Darum will Gott so viel zu uns sagen: Siehe, du lebest durch der Kreaturen Dienst, und hast durch sie das natürliche Leben, auf dass du an ihnen lernen solltest, mir zu dienen, und mir zu leben. Denn so bald der Kreaturen Dienst auf-höret, und der Mensch nicht mehr ihrer Hilfe gebrauchet, als der Luft und des Atems etc., so bald stirbet der Mensch, und verlieret sein natürliches Leben; also, so bald der Mensch aufhöret Gott zu dienen und zu leben in Christo, so stirbet er Gott ab, und ist lebendig tot. Und gleichwie es dem Menschen nichts nütze ist, dass er lebe, wenn er nicht auch gottselig lebet; also ist es ihm auch nichts nütze, dass ihm die Kreaturen dienen, wenn er nicht auch Gott dienet. Und gleichwie es besser und größer ist, gottselig leben, denn natürlich leben; also ist es viel besser und größer, dass der Mensch Gott diene, denn daß ihm alle Kreaturen dienen; ja der Mensch, der Gott nicht dienet, ist nicht wert, dass ihm eine einzige Kreatur diene. Denn gleichwie die Kreaturen darum leben, dass sie dem Menschen die-nen, also lebet der Mensch darum, dass er Gott diene.

----------

3. Derowegen dienen alle Kreaturen dem Menschen darum, dass der Mensch Gott wieder dienen soll; und wenn das nicht geschieht, so ist aller Kreaturen Dienst vergeblich geschehen und verloren, und so hat denn ein Mensch alle Kreaturen, die ihm gedienet haben, schändlich betrogen, und dieselben miss-braucht. Wie es nun verordnet ist, dass alle Kreaturen dem Menschen dienen zum natürlichen Leben; also hat Gott den Menschen dadurch lehren wollen, dass er schuldig sei, Gott zu dienen, und gottselig zu leben. Siehe, das ist die Verglei-chung der zweierlei Dienste, der Kreaturen gegen den Menschen, und des Men-schen gegen Gott.

 

Gebet um Vergebung, dass man der Kreaturen gemißbraucht.

 

Laß mich, lieber Gott! der Kreaturen Dienst recht gebrauchen, und sie nicht zum Seufzen wider mich durch Missbrauch reizen; sondern, wie sie mir zum natürli-chen Leben dienen: so gib, dass ich auch an ihnen lerne, dir zu dienen und gott-selig zu leben, in Christo Jesu, unserm Herrn, Amen.

 

- Zum nächsten Kapitel -