DAS ERSTE KAPITEL. (3.B./1.K.)

 

VON DEM GROSSEN UND INWENDIGEN SCHATZ

EINES ERLEUCHTETEN MENSCHEN.

 

Inhalt.

1) Die gläubigen Herzen sind Wohnungen der heiligen Dreieinigkeit. 2) Dieser Schatz kann nicht erkannt und gesuchet werden, ohne einen innerlichen Sabbat des Herzens. 3) Davon wird ein allgemeiner Bericht aus Taulero, 4) und ein be-sonderer Bericht nach den fünf Hauptstücken des Katechismus gegeben.

 

Wisset ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel ist des heiligen Geistes, der in euch ist, welchen ihr habt von Gott? 1 Kor. 6,19.

 

Daß die gläubigen Herzen Wohnungen sind der heiligen Dreifaltigkeit, bezeuget die heilige Schrift an vielen Orten, als 3 Mos. 26,11. Jes. 44,3. Kap. 57,15. Joel 2,27. Joh. 14,23. Kap. 17,23. Röm. 15,18. 1 Kor. 2,11. Kap. 3,16. Kap. 6,19. 2 Kor. 6,16. Gal. 2,20. Eph. 3,17. Kap. 4,24. Kol. 3,10. 1 Joh. 4,13. Wer ist aber unter den Christen, der diesen Schatz in sich erkennet, groß achtet und suchet? Auf dass nun ein wahrer Christ seine eigene himmlische und geistliche Dignität und Würdigkeit erkennen lerne, und seinen höchsten Schatz in sich selbst suche und finde, wird in diesem dritten Buch genügsame Anleitung gegeben. Dazu ist auch zuvor im ersten Buch im 5. Kap. das Fundament geleget, nämlich, wie Gottes Wort müsse im Menschen durch den Glauben lebendig werden. Im zwei-ten Buch aber vom 27. bis 34. Kap. wie sich Gott der liebhabenden Seele zu erkennen gebe, als die höchste Liebe, Gütigkeit, Schönheit, Heiligkeit und Weis-heit etc.

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2. Weil aber solcher große Schatz im Herzen nicht kann erkannt und gesucht werden, ohne einen stillen und feierlichen Sabbat des Herzens, da der heilige Geist inwendig lehret, durch Betrachtung des Worts, da er erleuchtet, lebendig machet, da der Geist alles erforschet, auch die Tiefe der Gottheit, 1 Kor. 2,10. so ist vonnöten zu wissen, wie das Herz in einen solchen stillen Sabbat zu bringen, dazu im zweiten Buch, in dem Traktätlein vom Gebet, abermal der Grund gelegt ist. Hie aber in diesem dritten Buch wird es weiter ausgeführt, nämlich, wie der verborgene Schatz und Perle im Acker des Herzens zu suchen, Matth. 13,44.45. durch Einkehren in sich selbst, ja in Gott. Denn das ist der innerliche Herzens-sabbat eines solchen Herzens, so durch den Glauben gereiniget, Ap. Gesch. 15,9. und durch den heiligen Geist erleuchtet ist. Aus diesem Schatz des Geistes und Reichs Gottes, so im gläubigen Herzen verborgen liegt, ist alle Weisheit entsprungen der hocherleuchteten Männer Gottes, so je gelebt haben, auch der heiligen Apostel und Propheten. Diese Perle ist zu suchen, dieser Acker ist zu bauen, diese Gabe des Geistes und Gnade Gottes ist zu erwecken, als ein Fun-ken Feuer, so man aufbläset, wie St. Paulus sagt, 2 Tim. 1,6.

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3. Damit du aber im Eingang dieses Buchs, welches gar auf den innern Men-schen gerichtet ist, einen einfältigen, doch gründlichen Bericht haben mögest, wie die Kinder Gottes vom äußern Menschen abzuführen zu dem innern, d. i. in den Grund des Herzens, denselben zu erforschen, zu erkennen, zu reinigen, zu ändern, und in demselben ihren Herzensgrund Gottes und des Himmelreichs wahrzunehmen, will ich davon in diesem 1. Kapitel einen einfältigen, doch gründ-lichen Bericht insgemein und insonderheit tun, und dann im folgenden des geist-reichen Mannes Joh. Taulerii Theologie einführen, dessen Worte ich auch in diesem Buch, so viel immer möglich, und unsere jetzige zierliche deutsche Sprache erleiden will, behalten habe. Davon merket nun folgenden Bericht: Weil die ganze heilige Schrift auf das Herz des Menschen siehet und dringet, so ist die ganze Theologie des Taulerus auf den Menschen gerichtet, und auf den innern Grund des Herzens oder der Seele. Daher sagt er oft vom innern Grunde, dass man Gott und das Reich Gottes in demselben lauter haben, suchen und finden müsse. Das ist, was die heilige Schrift und rechtmäßige Erklärung der Schrift auswendig handelt, das soll im Herzensgrunde, in der Tat und Wahrheit, also befunden werden. Dazu ist vonnöten das Einkehren zu seinem eigenen Grunde. Und je mehr man nun von der Welt ausgehet in sich selbst, je mehr gehet man zu Gott ein in seinen ewigen Ursprung. Und je mehr dasselbe ein wahrer Christ tut, je mehr sich das Reich Gottes und der verborgene Schatz in ihm erinnert. Wer nun diese inwendige Frucht des Geistes, oder des neuen Menschen nicht davon bringt, der wird vor Gott wenig gelten mit seiner hohen Wissenschaft, sondern ist unter dem Urteil des Herrn begriffen, Matth. 7,22. Herr! haben wir nicht in deinem Namen geweissaget? Denn vor Gott gilt nichts Äußerliches, sondern das Innerliche; nicht was im Buchstaben bestehet, sondern was aus dem Geist gehet und im Geist bestehet. Darum ist (wie auch in der Vorrede vermeldet) ein großer Unterschied unter einem Weltgelehrten und Gottesge-lehrten, oder unter einem Gelehrten und Heiligen. Der Gelehrte lernet von außen aus dem Buchstaben, der Heilige lernet aus Gott, inwendig aus dem heiligen Geist, aus der Salbung, die uns alles lehret, 1 Joh. 2,27. Der Gelehrte hat seine Kunst in Worten, der Heilige in der Kraft. Denn das Reich Gottes bestehet nicht in Worten, sondern in der Kraft, 1 Kor. 4,20.

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4. Damit wir aber nicht bei den gemeinen Worten bleiben, sondern insonderheit den Einfältigen zu ihrem Grunde helfen, bis sie es besser begreifen können, so sollen sie Acht haben auf die fünf Hauptstücke ihres Katechismus, wie dieselbe nicht außer ihnen, sondern in ihnen sein müssen. Und erstlich, du glaubest, Gott habe sein Gesetz gegeben auf dem Berge Sinai, in zwei steinerne Tafeln ge-schrieben, und das Gesetz sei der heilige Wille Gottes, nach dem du leben sollst. Du glaubest recht. Es ist dir aber nichts nütze, wenn Gott mit dem Finger seines Geistes das Gesetz nicht in dein Herz schreibt, Jer. 31,33. und seinen göttlichen Willen in dir selbst vollbringt. Soll aber Gott solches tun, und zu diesem edlen Werk in dir gelangen, so mußt du ihm, weil du nun ein Christ worden bist, dein ganzes Herz geben, und ihm deinen Willen aufopfern, alsdann geschieht sein Wille in dir. Und weil dies ein hohes und edles Werk Gottes in uns ist, so bittet der königliche Prophet David so emsig darum, sonderlich Ps. 119. (denn dahin geht dieser ganze lange Psalm) dass ihn Gott nach seinem Gesetz und Zeugnis leiten, führen und lehren wollte, damit dies hohe heilige Werk Gottes in ihm nicht möge verhindert werden. Ferner, du glaubest, Christus sei deine Gerechtigkeit, Leben und Seligkeit, 1 Kor. 1,30. Du glaubest recht; denn es kann kein anderer Grund gelegt werden, denn welcher gelegt ist, Jesus Christus, 1 Kor. 3,11. Und ist in keinem andern Heil, ist auch kein anderer Name den Menschen gegeben, darinnen sie sollen selig werden, Ap. Gesch. 4,12. Aber du mußt Christum in dir haben, das ist, inwendig mit dem Glauben fassen, dass er dein eigen werde, mit seiner Person und mit seinem Amt. Siehe, wenn nun Christus dein ist, so ist alles dein, was Gottes ist, und wenn er tausend Himmelreiche hätte, und aber tausend Himmelreiche voll Gerechtigkeit und Seligkeit, so ist alles dein. Denn Christus mit seiner Gerechtigkeit ist mehr und größer, als tausend Himmel voll Gerechtigkeit und Seligkeit. Und so schadet dir auch deine Sünde nicht, und wenn tausend Welten voller Sünden auf deinem Halse lägen; also mußt du den Schatz in dir haben, nicht außer dir: Sehet, das Reich Gottes ist inwendig in euch, Luk. 17,12. d. i. Gerechtigkeit, Friede und Freude im heiligen Geist, Röm. 14,17. Du glau-best, dass Christus das ewige Wort des Vaters ist, das wahre Licht und Leben der Menschen, Joh. 1,4. Du glaubest recht. Siehe aber zu, dass dies Wort in dir rede, dass dies Licht in dir leuchte, dass dies Leben in dir lebe, oder es ist dir nichts nütze. Du mußt diesen Schatz in dir haben. Du mußt mit Christo durch den Glauben vereinigt sein. Du glaubst und weißt, dass es ein köstliches Ding ist, beten, dem Herrn danken, und deinen Namen loben, du Allerhöchster! Ps. 92,1.2. Du glaubest recht. Wenn aber Christus nicht in dir betet, und der heilige Geist in dir seufzet, Röm. 8,26. welcher ist ein Geist der Gnaden und des Gebets, Sach. 12,10. und du im rechten Tempel des Geistes und der Wahrheit, Joh. 4,23. im Grunde deines Herzens nicht betest, wird es dir nicht viel nützen. Du glaubst, dass dir in der Taufe Vergebung der Sünden gegeben werde, die neue Geburt, die Kindschaft Gottes. Du glaubest recht. Aber wenn du die Frucht der Taufe, die neue Geburt, die Salbung des Geistes, die wahre Erleuchtung nicht in dir hast, was wird dir es helfen? Du glaubst, dass du im äußerlichen Sakrament des Abendmahls den wahren wesentlichen Leib und das Blut Christi empfängst. Du glaubest recht, laut der Worte des Herrn, Matth. 26,26. Aber ist die innerliche geistliche Nießung nicht dabei, so wirst du nicht allein keinen Nutzen und Frucht davon tragen, sondern über das noch das Gericht essen und trinken, 1 Kor. 11,29. Du glaubst, Christus sei das geschlachtete und aufge-opferte Lamm Gottes am Kreuz, Joh. 1,29. Du glaubst recht; ist er aber nicht deine tägliche innerliche Speise, 1 Kor. 5,7. was wird er dir nützen? Also siehest du, wie dein Schatz in dir zu suchen, in dir sein muß, nicht außer dir.

 

Gebet um die gnädige Einwohnung Gottes.

 

Ach Herr! ich bin ja wohl nicht wert deiner so großen Gnade und Liebe, dass du zu mir kommen und Wohnung bei mir machen willst; weil es dir aber also gefällt, so laß mich dir doch nicht widerstreben, sondern die Türe meines Herzens auf-tun, wenn du anklopfest, und mich dir selbst zu einer Behausung und Tempel bereiten willst. Ach! heilige mich durch und durch, und erfülle mich mit deiner Gottesfülle, dass dein Reich samt deinen Schätzen möge in mir, und ich in dir sein und bleiben in Ewigkeit, Amen.

 

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