DAS VIERUNDZWANZIGSTE KAPITEL. (2.B./24.K.)

 

VON DER EDLEN TUGEND DER LIEBE

UND IHRER KRAFT, LAUTERKEIT UND REINIGKEIT.

 

Inhalt.

1) Die Liebe ist die größte unter allen Tugenden. 2) Man kann aber in der Liebe gar leichtlich irren, 3) selbst in der Liebe zu Gott und dem Nächsten. 4) Wer Gott um zeitlichen Dinges willen liebet, der liebet sich mehr als Gott; 5) denn er liebet Gott und göttliche Dinge um seines Nutzens willen. 6) Solche unreine Liebe bringt unreine Früchte. 7) Andere lieben Gott, dass er sie nicht straft, das ist eine schwache Liebe. 8) Andere, dass er ihnen soll Weisheit und Gaben geben. 9) Etliche lieben die Tugend, sich einen Namen zu machen. Dies alles ist nicht die rechte Liebe. 10) Es gibt auch eine unordentliche Liebe des Nächsten. 11) Unsere Liebe muß durch den heiligen Geist regieret, und nach Christi Exempel eingerichtet werden. 12) Solcher reinen Liebe ist kein Kreuz zu schwer. 13) Sie folget dem Geliebten in seinen Tugenden, obwohl in Schwachheit. 14) Sie wirket alles Gute im Menschen, ohne Zwang mit Freuden; 15) gleichwie Gott, die wesentliche Liebe, unermüdet Gutes tut. 16) Solche Liebhaber Gottes erlangen alles durch Gebet von Gott. 17) Prüfe deine Liebe nach vier Eigenschaften, 18) die sich auch an Christi Liebe finden. 19) Ach! laßt uns ihn wieder lieben, so wird er sich uns offenbaren. 20) Schluß: Ohne Liebe kann kein Gebet geschehen.

 

Wer nicht Liebe hat, den kennet Gott nicht, denn Gott ist die Liebe.

1 Joh. 4,8.

 

Die Liebe ist die größte unter allen Tugenden, sagt St. Paulus, 1 Kor. 13,13. und ohne dieselbe sind alle Gaben untüchtig; darum spricht er: Alle eure Dinge lasset in der Liebe geschehen, 1 Kor. 6,14. Also sollen wir auch in der Liebe beten, wie unser Herr spricht: Wenn du deine Gabe auf den Altar opferst, und wirst allda eingedenk, dass dein Bruder etwas wider dich hat; so gehe hin und versöhne dich mit deinem Bruder. Matth. 5,23. Und im Gebet des Herrn ist des Nächsten Vergebung an Gottes Vergebung gebunden, und hinwieder, Matth. 6,12.

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2. Es ist aber die Liebe eine solche wunderbare Tugend, darinnen ein Mensch so leichtlich irren kann, als in keinem andern Dinge. Darum soll man nichts so ver-dächtig halten, als die Liebe. Denn nichts ist, das unser Gemüt so kräftiglich nei-get, zwinget und hindert, und sogar durchdringet, als die Liebe. Darum, wo die Liebe nicht vom wahren Licht, dem heiligen Geist, regieret wird, stürzet sie die Seele in tausenderlei Unglück.

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3. Und das sage ich nicht von der Liebe des Bösen, denn dieselbe soll von allen Christen geflohen werden, als ein teuflisches Ding; sondern ich rede von der Lie-be, die da ist zwischen Gott und dem Menschen und seinem Nächsten. Denn die Liebe, wenn sie nicht durch göttliche Weisheit regieret wird, kann leicht betrogen, verführet, und aus ihrer rechten Ordnung getrieben werden, also, dass sie nicht das rechte Ende erreichet. Viele meinen, sie haben Gottes Liebe, und haben doch der Welt Liebe, und ihre eigene Liebe, ja, wohl die des Satans.

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4. Dessen nehmet ein Beispiel: Wenn jemand Gott den Herrn nur um zeitlichen Dinges willen liebt, dass er ihn vor zeitlichem Unglück bewahren soll, der liebt sich mehr denn Gott, und setzet seine eigene Wohlfahrt Gott vor; das heißt eine unordentliche Liebe. Denn er sollte Gott mehr lieben, als sich selbst, ja über alles, und sollte alle Dinge lieben um Gottes willen, Glück und Unglück.

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5. Weil aber der Mensch sich selbst der Liebe Gottes vorziehet, so macht er sich selbst zum Gott, indem er sich selbst mehr liebt als Gott; und indem er Gott nicht liebt als Gott, um sein selbst willen, sondern um seines eigenen Nutzens willen, so hat er eine falsche betrogene Liebe. Denn der eine solche Liebe hat, der liebt alles um seinetwillen, und um seines Nutzens und der Ehre willen, so er davon hat. Er liebt auch heilige Leute, ja auch Gottes Wort nur darum, damit es ihm ei-nen Schein und Namen der Heiligkeit gebe, und nicht um des edlen Gutes willen, das darinnen verborgen ist.

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6. Und weil solche Liebe eine unreine Liebe ist, so bringt sie auch unreine Früch-te, die nichts anders sein, als Eigennutz, Eigenehre, Eigenlust, welches alles fleischliche und nicht himmlische, geistliche Früchte sind. Also liebt mancher große Kunst, damit er andern vorgezogen werde und über sie herrsche; nicht aus Gottes und des Nächsten Liebe, sondern aus eigener Liebe, große Ehre zu er-jagen.

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7. Es sind auch andere, die Gott darum lieben, dass er ihrer Sünden schone, und nicht schrecklich strafe, ja darum, dass er ihnen soll zeitlich Gutes tun; aber die-selbe ist eine sehr schwache Liebe. Denn sie lieben auch Gott um ihres eigenen Nutzens willen, und nicht um seiner selbst willen, darum, dass er das edelste und höchste Gut ist.

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8. Andere lieben Gott darum, dass er ihnen viele Gaben gebe an Verstand und Weisheit, dadurch sie mögen gerühmet werden.

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9. Etliche lieben auch die Tugend, nicht um der Tugend selbst willen, sondern dass sie einen großen Namen haben mögen, und für tapfere tugendhafte Leute gehalten werden. Dies alles ist nicht die rechte Liebe, denn sie gehet nicht zum rechten Ende.

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10. Es entstehet auch oft eine Liebe zwischen etlichen Personen, die sich also miteinander vereinigen, und durch eine geschöpfte Liebe verbinden, welche in ihnen so hoch wächst und steigt, dass sie sich alles gefallen lassen, was der-jenige tut, den sie lieb haben. Denn die Liebe folget ihrem Geliebten, weil sie ganz und gar an demselben hängt. Und dadurch wird man oft mit hingerissen zum Bösen, oder der Liebhaber reizet seinen Geliebten selbst dazu, weil er weiß, dass es ihm also gefällt, und wird durch solche falsche betrogene Liebe abge-halten vom Gebet und allen andern Tugenden.

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11. Darum ist nun höchst vonnöten, dass unsere Liebe durch den heiligen Geist geführet und regieret werde, und durch Betrachtung des ganzen Lebens Christi und seines heiligen Leidens, aus welchem nichts anders als lauter reine Liebe leuchtet. Er hat Gott lauter und rein über alles geliebt, und nicht sich selbst; er hat den Menschen mit reiner unbefleckter Liebe geliebt, und nicht sich selbst, er hat nichts um seinetwillen, sondern alles um unsertwillen getan und geredet. Alles, was er getan und geredet, ist uns zu Gute geschehen. Er hat keinen Nutzen davon, sondern wir. Alle seine Mühe und Arbeit, ja seine höchste Marter und Pein ist ihm nicht zu schwer gewesen, dass wir nur allein Nutzen davon hätten, und dadurch selig würden; ja, dass er Gottes Willen vollbringen möchte, ist ihm sein Kreuz eine Freude gewesen.

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12. Dies ist eine reine unbefleckte Liebe, der nichts zu schwer ist, die nirgends über etwas klagt, ja, die sich selbst nicht schonet, sondern sich selbst dahin gibt, um des Geliebten willen, auch in den Tod. Dieselbe nimmt auch alles für gut, was ihr Gott für Kreuz und Leiden zuschicket. Denn, weil sie siehet, dass es Gottes Wille ist, so wollte sie lieber vielmehr leiden wegen des heiligen Willens Gottes, und ist mit allem dem wohl zufrieden, was Gott will. Denn sie weiß, dass Gott alles recht und wohl ordnet.

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13. Und weil die Liebe sich vereiniget mit dem Geliebten, so lernet sie auch desselben Sitten, und folget ihm auch um seiner Liebe willen, tut, was ihm wohlgefällt. Also, wer Christum recht lieb hat, der lernet sein Leben und Tugend von ihm. Denn er weiß, dass es ihm wohlgefällt, und wird seinem Bilde ähnlich, bleibt die ganze Zeit seines Lebens unter dem Joch und Kreuze Christi, wie Christus in seinem ganzen Leben das Kreuz der Armut, Verachtung und Schmerzen getragen hat. Ob nun wohl kein Mensch in dieser Schwachheit die vollkommene Liebe erreichen kann, so soll sich doch ein jeder Christ befleißigen, dass seine Liebe nicht falsch, sondern rein sei, so viel möglich, wie St. Paulus sagt: 1 Tim. 1,5. Liebe von reinem Herzen, von gutem Gewissen, und von unge-färbtem Glauben.

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14. Diese reine Liebe, so aus Christo und dem heiligen Geist entstehet, die wirket denn auch im Menschen alles Gute, und ist gar nicht müßig, und ihr eine Freude, wenn sie soll Gutes tun, denn anders kann sie nicht; gleichwie Gott der Herr spricht: Es soll meine Lust sein, dass ich euch Gutes tue, Jer. 32,41. Warum? Weil Gott die Liebe selbst ist, die nichts anders tun kann, denn was sie selbst ist. Und das ist ein Zeichen der reinen rechten Liebe. Denn diese Liebe sagt nicht: Ich bin dies oder das nicht schuldig zu tun, sondern wo kein Gesetz ist, da macht sie ihr selbst ein Gesetz, auf dass sie nur viel Gutes tun möge, denn sonst bliebe die Liebe nicht Liebe.

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15. Daraus ist nun offenbar, wie doch Gott, der Allmächtige, nicht müde wird, Gutes zu tun, und warum es das unendliche Gut ist, so nimmer aufhöret. Denn er ist die ewige Liebe, die nicht aufhören kann, Gutes zu tun, sonst hörte Gott auf, die Liebe zu sein. Darum, wenn auch Gott strafet und züchtiget, so macht er doch aus dem Bösen alles Gute, und richtet es zum guten Ende, und zu unserer Seligkeit, alles aus lauter Liebe.

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16. Diese reine Liebe Gottes macht denn rechtschaffen beten. Denn gleichwie ein Freund seines Freundes versichert ist zu allen Dingen, also ist ein solcher Liebhaber Gottes ein Freund Gottes, und erlanget von Gott, was er bittet; daher, weil Lazari Schwester wußte, dass der Herr Jesus nicht allein Gottes Freund, sondern der liebste Sohn Gottes war, sprach sie: Ich weiß, was du bitten wirst, das wird dir Gott geben, Joh. 11,22. Und weil Maria Jesum lieb hatte, so ward sie auch erhöret von dem Herrn, und er gab ihr ihren Bruder wieder. Von solcher Liebe, die von Gott alles erlanget, sagt der heilige David: Habe deine Lust am Herrn, der wird dir geben, was dein Herz wünschet, Psalm 37,4.

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17. Damit du aber ein Zeichen dieser Liebe haben mögest, so merke diese vier Eigenschaften der wahren Liebe: 1) Es unterwirft sich die Liebe dem Willen des Geliebten. 2) Es verlässet die wahre Liebe alle andere Freundschaft, welche seinem Geliebten zuwider ist. 3) Es offenbaret ein Freund dem andern sein Herz. 4) Es befleißiget sich auch der rechte Liebhaber, seinem Geliebten gleich zu werden mit Sitten und mit seinem ganzen Leben. Also, ist der Geliebte arm, so wird der Liebhaber mit ihm arm; ist der Geliebte verachtet, so trägt auch der Liebhaber seine Verachtung; ist er krank, so ist der Liebhaber auch krank. Also macht die Liebe eine Gleichheit unter ihnen, dass sie einerlei Glück und Unglück haben. Denn es muß zwischen dem Liebhaber und Geliebten eine solche Ge-meinschaft sein, da eines des andern Glück und Unglück teilhaftig wird. Das ist denn nicht allein eine Gemeinschaft, sondern eine Vereinigung zweier gleicher Gemüter, und mit nichten ungleicher Herzen.

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18. Auf diese Weise ist nun unser Herr Jesus Christus unser Freund worden. Denn seine Liebe hat sich 1) dem Willen der Menschen unterworfen, und ist gehorsam worden bis zum Kreuz; ja, er hat seinen Willen jedermann, auch den Feinden unterworfen, um des Menschen willen. 2) Hat er alle andere Freund-schaft hintangesetzet, so er in der Welt hat haben können, ja er hat sein selbst vergessen, und seines eigenen Leibes und Lebens nicht geschonet, um unsert-willen. 3) Hat er uns sein Herz geoffenbaret in seinem Evangelio, darum spricht er: Ich will euch nicht meine Knechte heißen, sondern meine Freunde, denen ich mein Herz offenbaren will, Joh. 15,15. 4) Ist er uns gleich worden in allem, aus-genommen die Sünde, Phil. 2,7. Er ist arm worden, wie wir; sterblich, wie wir.

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19. Wenn wir nun seine rechten Liebhaber sein wollen, so müssen wir dies alles auch tun. Weil er aber in allen Dingen, in allem unserm Elend, uns ist gleich worden, warum wollten wir denn uns nicht befleißigen, ihm gleich zu werden? Werden wir ihn also lieb haben, so werden wir durchs Gebet alles von ihm er-langen, wie er spricht: Wer mich lieb hat, dem will ich mich offenbaren, Joh. 14,21. O der freundlichen, holdseligen, lieblichen Offenbarung im Herzen, durch Empfindung himmlischer Freude, Trost, Weisheit und Erkenntnis. Und hie ist die rechte hohe Schule, und der einige wahrhaftige Weg, Verstand und Weisheit zu erlangen; welches so hoch gerühmet wird von dem König Salomon, in dem Buch der Weisheit und in Sprichwörtern. Dieselbe, spricht er, habe er allein durch das Gebet erlangt. Ich bat, und es kam mir der Geist der Weisheit, Weish. 7,7.

 

20. Darum schließen wir mit Recht, dass ohne Liebe kein rechtes Gebet ge-schehen kann.

 

Gebet um herzliche brünstige Liebe. (Siehe im Paradiesgärtlein.)

 

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