DAS ERSTE BUCH

VOM WAHREN CHRISTENTUM, HEILSAMER BUSSE, HERZLICHER REUE UND LEID ÜBER DIE SÜNDE, WAHREN GLAUBEN, HEILIGEN LEBEN UND WANDEL DER RECHTEN WAHREN CHRISTEN.

 

DAS ERSTE KAPITEL. (1.B./1.K.)

 

WAS DAS BILD GOTTES IM MENSCHEN SEI?

 

Inhalt.

1) Beschreibung des Bildes Gottes überhaupt. 2) Der Mensch ist ein Bild der heiligen Dreieinigkeit. 3) Je reiner die Seele ist, je klarer leuchtet Gottes Bild in ihr. 4) Worin das Bild Gottes insonderheit bestehe. 5) Rechter Gebrauch des Bildes Gottes; nämlich: 1. Gott aus demselben zu erkennen, wie er alles Gut wesentlich ist. 6) 2. Sich selbst daraus zu erkennen, also, dass erstlich nichts im Menschen sollte leben und wirken, als Gott. 7) Wie Christus, nach seiner Menschheit, ein vollkommenes Bild Gottes gewesen. 8) Das Bild sollte Adam in Demut bewahret haben. 9) Zweitens, dass sich Gott dadurch den Menschen mitteilen wollte. 10) Drittens, dass er in der Vereinigung mit Gott die höchste Ruhe hätte.

 

Erneuert Euch im Geist Eures Gemüts, und ziehet den neuen Menschen an, der nach Gott geschaffen ist in rechtschaffener Gerechtigkeit und Heilig-keit. Eph. 4,23.24.

 

Das Bild Gottes im Menschen ist die Gleichförmigkeit der menschlichen Seele, des Verstandes, Geistes, Gemüts, Willens und aller inner- und äußerlichen Leibes- und Seelenkräfte, mit Gott und der heiligen Dreifaltigkeit, und mit allen ihren göttlichen Arten, Tugenden, Willen und Eigenschaften. Denn also lautet der Ratschluß der heiligen Dreifaltigkeit: Lasset uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei; die da herrschen über die Fische im Meer, über die Vögel unter dem Himmel, über alles Vieh, und über die ganze Erde. 1 Buch Mos. 1,26.

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2. Daraus erscheinet, dass sich die heilige Dreifaltigkeit im Menschen abgebildet, auf dass in seiner Seele, Verstand, Willen und Herzen, ja in dem ganzen Leben und Wandel des Menschen, lauter göttliche Heiligkeit, Gerechtigkeit, Gütigkeit erscheinen, und leuchten solle; gleichwie in den heiligen Engeln eitel göttliche Liebe, Kräfte und Reinigkeit ist; daran wollte Gott seine Lust und Wohlgefallen haben, als an seinen Kindern. Denn gleichwie ein Vater sich selbst siehet und erfreuet in seinem Kinde, also hat auch Gott am Menschen seine Lust gehabt. Spr. 8,31. Denn obwohl Gott der Herr sein Wohlgefallen gehabt an allen seinen Werken, so hat er doch sonderlich seine Lust an dem Menschen gesehen, weil in demselben sein Bild in höchster Unschuld und Klarheit geleuchtet. Darum sind drei fürnehme Kräfte der menschlichen Seele von Gott eingeschaffen: der Ver-stand, der Wille, und das Gedächtnis. Dieselbe zeuget und bewahret, heiliget und erleuchtet die heilige Dreifaltigkeit, und schmücket und zieret dieselbe mit ihren Gnadenwerken und Gaben.

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3. Denn ein Bild ist, darin man eine gleiche Gestalt siehet; und kann kein Bildnis sein, es muß ein Gleichnis haben dessen, nachdem es abgebildet ist. Nämlich, in einem Spiegel kann kein Bild erscheinen, es empfange denn die Gleichheit oder gleiche Gestalt von einem andern; und je heller der Spiegel, je reiner das Bild erscheinet; also je reiner und lauterer die menschliche Seele, je klarer Gottes Bild darin leuchtet.

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4. Zu dem Ende hat Gott den Menschen rein, lauter, unbefleckt erschaffen, mit allen Leibes- und Seelenkräften, dass man Gottes Bild in ihm sehen sollte; nicht zwar als einen toten Schatten im Spiegel, sondern als ein wahrhaftiges und lebendiges Conterfait und Gleichnis des unsichtbaren Gottes, und seiner überaus schönen, innerlichen und verborgenen Gestalt, das ist, ein Bild seiner göttlichen Weisheit, im Verstand des Menschen, ein Bild seiner Gütigkeit, Langmut, Sanft-mut, Geduld in dem Gemüt des Menschen; ein Bild seiner Liebe und Barmherzig-keit in den Affekten des Herzens des Menschen; ein Bild seiner Gerechtigkeit, Heiligkeit, Lauterkeit und Reinigkeit in dem Willen des Menschen; ein Bild der Freundlichkeit, Holdseligkeit, Lieblichkeit und Wahrheit in allen Gebärden und Worten des Menschen; ein Bild der Allmacht in der gegebenen Herrschaft über den ganzen Erdboden, und über alle Tiere; ein Bild der Ewigkeit in der Unsterb-lichkeit des Menschen.

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5. Daraus sollte der Mensch Gott seinen Schöpfer und sich selbst erkennen; den Schöpfer also, dass Gott alles, und das einige höchste Wesen wäre, von wel-chem alles sein Wesen hat, auch dass Gott alles wesentlich wäre, dessen Bild der Mensch trüge. Denn weil der Mensch ein Bild der Gütigkeit Gottes ist, so muß Gott wesentlich das höchste Gut und alles Gut sein; er muß wesentlich die Liebe, wesentlich das Leben, wesentlich heilig sein. Darum auch Gott alle Ehre, Lob, Ruhm, Preis, Herrlichkeit, Stärke, Gewalt und Kraft gebühret, und keiner Kreatur, sondern allein Gott, der dies alles selbst wesentlich ist. Darum als Matth. 19,17. einer den Herrn fragte, der ihn für einen pur lautern Menschen ansah: Guter Meister, was muß ich tun, dass ich das ewige Leben ererbe? antwortete der Herr: Was heißest du mich gut? Niemand ist gut, denn der einige Gott, das ist: Gott ist allein wesentlich gut, und ohne und außer ihm kann kein wahres Gut sein.

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6. Sich selbst sollte aber der Mensch aus seinem Bildnis also erkennen, dass ein Unterschied sein sollte zwischen dem Menschen und zwischen Gott. Der Mensch soll nicht Gott selbst sein, sondern Gottes Bild, Gleichnis, Conterfait und Ab-druck, in welchem allein sich Gott wollte sehen lassen, also, dass nichts Anders in dem Menschen sollte leben, leuchten, wirken, wollen, lieben, gedenken, reden, freuen, denn Gott selbst. Denn wo etwas anders in dem Menschen sollte gespürt werden, das nicht Gott selbst wirket und tut, so könnte der Mensch nicht Gottes Bild sein, sondern dessen, der in ihm wirket und sich in ihm sehen läßt. So gar sollte der Mensch Gott ergeben und gelassen sein, welches ein bloß lauter Leiden des göttlichen Willens, dass man Gott alles in sich läßt wirken, und sei-nem eigenen Willen absagt. Und das heißt, Gott ganz gelassen sein, nämlich, wenn der Mensch ein bloß, lauter, reines, heiliges Werkzeug Gottes und seines heiligen Willens ist, und aller göttlichen Werke, also, dass der Mensch seinen eigenen Willen nicht tue, sondern sein Wille sollte Gottes Wille sein; dass der Mensch keine eigene Liebe habe, Gott sollte seine Liebe sein; keine eigene Ehre, Gott sollte seine Ehre sein; er sollte keinen eigenen Reichtum haben, Gott sollte sein Besitz und Reichtum sein, ohne alle Kreatur- und Weltliebe. Also sollte nichts in ihm sein, leben und wirken, denn Gott ganz allein. Und das ist die höchste Unschuld, Reinigkeit und Heiligkeit des Menschen. Denn dieses ist ja die höchste Unschuld, wenn der Mensch nicht seinen eigenen Willen vollbringet, sondern läßt Gott alles in sich wirken und vollbringen; ja das ist die höchste Einfalt, wie man siehet an einem einfältigen Kinde, in dem keine eigene Ehre, keine eigene Liebe ist.

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7. Also sollte Gott den Menschen ganz besitzen von innen und außen, wie wir dessen ein Exempel haben an unserm Herrn Jesu Christo, welcher ein voll-kommenes Bild Gottes ist, indem er seinen Willen ganz aufgeopfert seinem himmlischen Vater in höchstem Gehorsam, Demut und Sanftmut, ohne alle eigene Ehre, ohne alle eigene Liebe, ohne alle eigenen Nutz und Besitz, ohne alle eigene Lust und Freude, sondern er hat Gott alles in ihm und durch ihn lassen wirken, was er gedacht, geredet und getan. Summa, sein Wille war Gottes Wille und Wohlgefallen. Darum Gott vom Himmel gerufen: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe, Matth. 3,17. Also ist das rechte Bild Gottes, aus welchem nichts anders leuchtet, denn allein das, was Gott selbst ist, nämlich eitel Liebe und Barmherzigkeit, Langmut, Geduld, Sanftmut, Freundlichkeit, Heiligkeit, Trost, Leben und Seligkeit. Also wollte der unsichtbare Gott in Christo sichtbar und offenbar werden, und sich in ihm dem Menschen zu erkennen geben; wiewohl er auf eine viel höhere Weise Gottes Bild ist, nach seiner Gott-heit, nämlich Gott selbst, und Gottes wesentliches Ebenbild, und der Glanz sei-ner Herrlichkeit, Hebr. 1,3. Davon wir auch diesmal nicht reden, sondern allein, wie er in seiner heiligen Menschheit gewandelt und gelebt hat.

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8. Eine solche heilige Unschuld ist das Bild Gottes in Adam auch gewesen, und dasselbe sollte er in wahrer Demut und Gehorsam bewahret und erkannt haben, dass er nicht selbst das höchste Gut wäre, sondern dass er nur des höchsten Guts Bild sei, das sich in ihm abgebildet hätte. Da er es aber selbst sein wollte, das ist, Gott selbst, da fiel er in die greulichste und schrecklichste Sünde.

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9. Fürs andere sollte der Mensch sich also selbst erkennen, dass er durch dies Bildnis Gottes fähig worden seie der göttlichen, lieblichen, holdseligen Liebe, Freude, Friede, Lebens, Ruhe, Stärke, Kraft, Lichts, auf dass Gott alles allein im Menschen wäre, allein in ihm lebete und wirkete. Und also in dem Menschen nicht wäre Eigenwille, eigene Liebe, eigene Ehre und Ruhm, sondern dass Gott allein des Menschen Ruhm und Ehre wäre, und allein den Preis behielte. Denn ein Gleiches ist seines Gleichen fähig und keines Widerwärtigen. Ein Gleiches freuet sich je seines Gleichen, und hat seine Lust an demselbigen; also wollte sich Gott ganz ausgießen in den Menschen mit all seiner Gütigkeit, so ein ganz mitteilendes Gut ist Gott.

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10. Und letztlich sollte der Mensch aus dem Bilde Gottes sich also erkennen, dass er dadurch mit Gott vereiniget wäre, und dass in dieser Vereinigung des Menschen höchste Ruhe, Friede, Freude, Leben und Seligkeit bestünde; wie im Gegenteil des Menschen höchste Unruhe und Unseligkeit nirgend anders her entstehen kann, als wenn er wider Gottes Bild handelt, sich von Gott wendet, und des höchsten ewigen Gutes verlustig wird.

 

Gebet um Erneuerung des göttlichen Ebenbildes.

 

Ich danke dir, liebreicher Gott! dass du mich nicht nur Anfangs nach deinem Bilde geschaffen, aus allen meinen Leibes- und Seelenkräften göttliche Wahrheit, Gerechtigkeit, Heiligkeit und Weisheit hervorleuchten lassen, in mir wohnen, leben, wirken, und alles in allem sein und bleiben wollen, sondern auch nach-gehends, als ich dies dein Bild in Adam verloren, durch dein wesentliches Ebenbild, Jesum Christum, als den andern himmlischen Adam, dasselbe in mir wieder aufzurichten gesucht. Ach! schaffe in mir ein reines Herz, gib mir einen neuen Geist, erleuchte meinen Verstand, dich und mich recht zu erkennen, erfülle meinen Willen mit Liebe und Gehorsam, heilige meine Affekten, Sinnen und Begierden durch und durch, dass ich möge dein Tempel und Wohnung werden, Christus in mir eine Gestalt gewinne, und ich also in sein Bild verkläret werde von einer Klarheit zu der andern, bis ich dein Antlitz schaue in Gerechtig-keit, durch deine Gnade, Kraft und Geist in Ewigkeit, Amen.

 

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