DAS ZWANZIGSTE KAPITEL. (1.B./20.K.)

 

DURCH CHRISTLICHE, WAHRE REUE

WIRD DAS LEBEN TÄGLICH GEBESSERT,

DER MENSCH ZUM REICHE GOTTES GESCHICKT,

UND ZUM EWIGEN LEBEN BEFÖRDERT.

 

Inhalt.

1) Das wahre Christentum bestehet in reinem Glauben und heiligen Leben. 2) Dazu gehöret kindliche Furcht Gottes, 3) welche ein Ursprung vieler Andacht und Weisheit ist. 4) Durch tägliche Reue wird der Mensch täglich erneuert. 5) Be-trachtung der ewigen Pein und ewigen Freude bewahret vor weltlicher Freude und Traurigkeit. 6) Worüber man sich freuen oder betrüben soll? 7) Der Glaube und die göttliche Reue bessern den Menschen täglich. 8) Weise und selig ist der Mensch, der da meidet, was seiner Seele schädlich ist. 9) Willst du dich bessern, so siehe auf dich selbst. 10) Betrübe dich nicht über die Verachtung der Welt. 11) Die göttliche und weltliche Freude sind ganz wider einander. 12) In Trübsal sich freuen ist übernatürlich. 13) Trübsal ist eines Christen Freude. 14) Ein recht Demütiger achtet sich vieles Leidens, aber nicht Trostes wert. 15) Er hat mehr Ursache zu weinen, denn sich zu freuen. 16) Andenken des Todes, Gerichts und der Hölle Pein würde den Menschen bessern. 17) Des Fleisches Leben ist des Geistes Tod. 18) Alle Heiligen haben Tränenbrot gegessen. 19) Das macht der Glaube süße. 29) Die Traurigkeit der Welt aber wirket den Tod. 21) Die zeitlichen Güter muß man im Tode verlassen; 22) darum liebe sie nicht allzusehr. 23) Denn es gebieret nur Traurigkeit. 24) Die Liebhaber der Welt haben keine Ruhe. 25) Darum verlaß die Welt in der Welt, 26) denn im Sterben kannst du nichts mit-nehmen. 27) Gedenke, was Paulus 2 Kor. 7,10. sagt:

 

Die göttliche Traurigkeit wirket eine Reue zur Seligkeit, die niemand ge-reuet; die Traurigkeit der Welt aber wirket den Tod. 2 Kor. 7,10.

 

Das wahre Christentum besteht allein in reinem Glauben, in der Liebe und hei-ligen Leben. Die Heiligkeit aber des Lebens kommt aus wahrer Buße und Reue, und aus Erkenntnis seiner selbst, dass ein Mensch täglich seine Gebrechen erkennen lernet, und dieselbigen täglich bessert, und durch den Glauben der Gerechtigkeit und Heiligkeit Christi teilhaftig wird, 1 Kor. 1,30.

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2. Soll nun dasselbige geschehen, so mußt du, lieber Christ! stets in kindlicher, untertäniger Furcht Gottes leben, und in deinem Gemüte nicht allzu frei sein, zu tun, was deinem Fleische wohlgefällt: Wir haben wohl alle Macht, spricht St. Paulus, aber es nützet nicht alles, 1 Kor. 6,12. das ist, es bessert nicht alles, 1 Kor. 10,23. Gleichwie ein Kind im Hause nicht alles tun darf aus eigener Freiheit, was ihm gut dünket, sondern muß sich vor dem Vater fürchten, und ein Auge haben auf sein Wohlgefallen: also auch ein wahrer Christ und Kind Gottes muß bewahren seine Sinne in christlicher Zucht, nichts reden noch tun ohne Gottes-furcht, wie ein wohlgezogenes und furchtsames Kind zuvor den Vater ansiehet, wenn es etwas reden oder tun will, und mit Furcht alles tut.

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3. Die meisten Leute ergeben sich der zeitlichen Freude, ohne alle Gottesfurcht. Besser ist es, stetige Furcht Gottes im Herzen haben, als stetige Weltliebe. Denn diese Furcht Gottes ist ein Ursprung vieler Andacht und vieler Weisheit; aber durch die leichtfertige Freude dieser Welt verliert man die göttliche Weisheit, alle Andacht, alle Furcht Gottes.

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4. Durch tägliche Reue und Tötung des Fleisches wird der Mensch täglich er-neuert, 2 Kor. 4,16. Ob unser äußerlicher Mensch verweset, so wird doch der innerliche täglich erneuert, und bringt göttliche himmlische Freuden mit sich; da hingegen der Welt Freude Traurigkeit gebieret, und einen bösen Wurm im Herzen. Wenn der Mensch den großen Schaden seiner Seele, und den großen Verlust der himmlischen Gaben wüßte, so ihm widerfährt durch Wollust des Fleisches und dieser Welt Freude, er würde sich fürchten und erschrecken vor aller Weltfreude.

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5. Zwei Dinge sind, wenn ein Mensch diese recht bedenken, und in seinem Herzen betrachten möchte, so würde er durch der Welt Freude nimmer fröhlich, und durch zeitliches Unglück nimmermehr traurig werden. Das erste ist die ewige Pein der Verdammten. Wenn diese ewige Pein im Herzen recht betrachtet wird, so läßt sie einen Menschen nimmermehr fröhlich werden, und das darum, weil sie ewig ist. Das andere ist die ewige Freude des ewigen Lebens. Wenn das Herz dieselbe recht begreift, so läßt sie den andächtigen Menschen von keinem Unglück dieser Welt betrübt werden, und das darum, weil sie ewig ist. Aber die Leichtfertigkeit unsers Herzens macht, dass wir dieser keines recht bedenken. Darum kommt selten weder heilsame Reue noch Traurigkeit, noch heilsame, himmlische Freude in unser Herz.

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6. Ein Christ soll sich keines zeitlichen Dinges allzusehr freuen, sondern Gottes und des ewigen Lebens. Er soll sich auch über kein zeitliches Ding allzusehr betrüben; aber um eine verlorne Seele, die ewig verloren ist, wohl sein Lebtage trauern. Denn das zeitliche Gut der Christen kann nicht verloren werden, man findet es tausendfältig im ewigen Leben wieder, Matth. 19,29. aber eine verlorne Seele wird weder hier noch dort wieder gefunden.

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7. Selig ist der Mensch, der also recht göttlich traurig, und recht geistlich und himmlisch fröhlich sein kann. Wir lachen oft leichtfertig und üppig, da wir billig weinen sollten. Es ist keine wahre Freiheit noch Freude, als in der Furcht Gottes mit einem guten Gewissen. Ein gutes Gewissen aber kann ohne den Glauben und ohne ein heiliges Leben nicht sein. Der Glaube und die göttliche Reue durch den heiligen Geist bessern des Menschen Gebrechen täglich. Wer täglich seine Gebrechen nicht bessert, der versäumt das Allerbeste in diesem Leben, wider-strebt der neuen Geburt, und hindert das Reich Gottes in sich selbst, und kann von der Blindheit seines Herzens nicht erlöset werden.

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8. Der ist ein weiser und kluger Mensch, der mit Fleiß alles flieht und meidet, was da hindert die Besserung seiner Gebrechen, und das Zunehmen in den himmli-schen Gaben. Selig ist der Mensch, der vermeiden lernet, nicht allein was seinem Leib und Gute schädlich ist, sondern vielmehr was seiner Seele schädlich ist, und dieselbe beschweret.

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9. Lerne männlich streiten, denn eine lange und böse Gewohnheit kann über-wunden werden mit einer guten Gewohnheit. Denn St. Paulus spricht: Röm. 12,21. Laß dich nicht das Böse überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem. Der Mensch kann wohl gebessert werden, wenn er nur seine Augen und Gedanken auf sich selbst wendet, und seine eigene Gebrechen, und nicht auf andere Leute, Sir. 18,21. Siehe dich allemal immer selbst an, ehe du andere beurteilest, und ermahne dich selbst, ehe du andere, deine liebsten Freunde, strafest.

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10. Lebest du nun in göttlicher Traurigkeit und steter Reue, und wirst darüber verachtet, hast nicht viel Gunst unter den Leuten, so traure nicht darum, sondern darum traure, dass du ein Christ genannt bist, und kannst nicht so christlich leben, als du solltest; dass du Christi Namen trägst, und tust doch nicht viel christliche Werke. Es ist dir gut und heilsam, dass dich die Welt betrübet, denn so erfreuet dich Gott. Ich, der Herr, wohne im Himmel, im Heiligtum, und bei denen, die zerbrochenen Herzens sind, dass ich ihren Geist erquicke, Jes. 57,15.

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11. Gottes Freude und der Welt Freude sind gar wider einander, und können zugleich auf einmal in dem Herzen schwerlich sein, ja es ist unmöglich, denn sie haben ungleichen Ursprung. Der Welt Freude wird in guten Tagen geboren, und die himmlische Freude in der Trübsal.

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12. Es ist nicht natürlich, dass sich ein Mensch in der Trübsal freuen könne, wie St. Paulus spricht: 2 Kor. 6,9.10. Als die Traurigen, und doch allezeit fröhlich; als die Sterbenden, und doch nicht ertötet; als die Armen, und die doch viel reich machen. Aber die Gnade Gottes bessert die Natur: darum freuten sich die Apostel, dass sie würdig wurden, etwas zu leiden, um des Namens Jesu willen, Ap. Gesch. 5,41.

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13. Ein Christ ist eine neue Kreatur, dem Trübsal eine Freude ist: Wir rühmen uns der Trübsal, Röm. 5,3. Den alten Menschen betrübt die Trübsal, den neuen Menschen erfreuet sie. Es ist die himmlische Freude viel edler, denn die irdische Freude. Die Schmach und Verachtung Christi ist einem Christen eine Freude, wir aber sind selbst schuld daran, dass wir die himmlische Freude so selten empfin-den, weil wir so sehr an der Weltfreude hangen.

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14. Ein recht demütiger Mensch achtet sich würdig vieler Leiden und Betrüb-nisse, aber Gottes Trostes achtet er sich nicht wert; je mehr er aber sich dessen mit demütigem und zerbrochenem Herzen unwürdig achtet, je mehr ihn Gott seines Trostes würdiget; je mehr ein Mensch seine Sünden bereuet, je weniger Trostes hat er, an der Welt, ja je bitterer und schwerer wird und ist ihm die ganze Welt. 15. Wenn ein Mensch sich selbst ansiehet, so findet er mehr Ursache zu trauern, als sich zu freuen; und wenn er anderer Leute Leben recht ansiehet, so findet er mehr Ursache, über sie zu weinen, als sie zu beneiden. Warum weinete der Herr über Jerusalem, die ihn doch verfolgte und tötete? Ihre Sünde und Blindheit war die Ursache seines Weinens, Luk. 19,41. Also die größte Ursache zu weinen soll unsere Sünde sein, und die Unbußfertigkeit der Leute.

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16. Gedächte ein Mensch so oft an seinen Tod, und wie er vor Gericht muß, so oft er an sein Leben gedenkt, dass er das erhalten möge, er wäre mehr traurig, und würde sich ernstlicher bessern. Bedächte ein Mensch die Höllenpein, es würde ihm alle Lust dieser Welt vergehen, und in eine große Bitterkeit verwandelt werden, und gegen der ewigen Pein würde ihm das größte Leiden in dieser Welt süß werden. Dieweil wir aber die Schmeichelung des Fleisches so lieb haben, so werden wir nicht mit solcher brünstigen Andacht entzündet.

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17. In Summa, das muß ein Christ lernen: ist seinem Leibe wohl, und lebt der-selbe in Freuden, dass ist des Geistes Tod; kreuziget er aber den Leib samt den Lüsten und Begierden, so lebet der Geist. Eines ist hier des andern Tod. Soll der Geist leben, so muß der Leib geistlich sterben, und geopfert werden zu einem lebendigen Opfer, Röm. 12,1.

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18. Alle Heiligen haben von Anfang also gelebt: sie haben mit Danksagung ihr Tränenbrot gegessen, und mit Freuden ihren Tränentrank getrunken, wie David spricht im 80. Ps. V. 6. Du speisest mich mit Tränenbrot, und tränkest mich mit großem Maß voll Tränen. Item Ps. 42,4. Meine Tränen sind meine Speise Tag und Nacht, dass ich vergesse mein Brot zu essen, Ps. 102,5.

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19. Solches Tränenbrot macht der Glaube süß, und solcher Tränentrank wird gepresset aus der zarten Weintraube der andächtigen Herzen, durch wahre Buße; und das ist die Reue zur Seligkeit, die niemand gereuet.

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20. Im Gegenteil wirket die Traurigkeit dieser Welt den Tod, spricht St. Paulus 2 Kor. 7,10. Dieser Welt Traurigkeit kommt her aus dem Verlust zeitlicher Ehre und zeitlicher Güter, darüber viele Leute in solche Traurigkeit geraten, dass sie sich selbst erhenken und erstechen; der Exempel sind mächtig viele geschehen unter den Heiden. Christen aber sollten es ja besser wissen. Was sollte der Verlust zeitlicher Güter einen Menschen um das Leben bringen, da doch das Leben besser ist, als alle Güter der Welt?

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21. Traure nicht um den Verlust zeitlicher Güter, sondern um den Verlust des ewigen Guts. Die zeitlichen Güter besitzen wir doch nur eine kleine Weile, und im Tode werden wir derselbigen alle beraubt werden; im Tode werden wir alle gleich arm, und unsere Herrlichkeit fähret uns nicht nach, Ps. 49,18. Die Schmach des Todes tragen wir alle am Halse; es muß eines Königs Leib sowohl verfaulen und verwesen, als eines armen Bettlers Leib. Da ist ein lebendiger Hund besser, als ein toter Löwe, sagt Salomo in seinem Prediger Kap. 9, v. 4. Aber Gott wird die Todesschmach einmal aufheben von seinem Volk, und die Hülle, womit alle Völ-ker verhüllet sind, er wird den Tod verschlingen ewiglich, und alle Tränen von unsern Äugen abwischen, Jes. 25,7.8. Offenb. 7,17.

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22. Darum betrübe dich nicht so sehr um des Zeitlichen willen. Es ist die ganze Welt nicht so viel wert, als deine Seele, für welche Christus gestorben ist. Liebe auch das Zeitliche nicht allzusehr, dass es dich nicht bis in den Tod betrübe, wenn du es verlierest. Denn was man allzusehr lieb hat, das betrübt allzusehr, wenn man es verliert; du mußt es doch endlich im Tode verlieren. Die Arbeit des Narren wird ihm sauer und betrübt ihn, spricht der Pred. Sal. Kap. 10,15.

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23. Ein Weltkind erwirbt seine Güter mit großer Arbeit, besitzt sie mit großer Furcht, und verläßt sie mit großem Schmerzen; das ist der Welt Traurigkeit, die den Tod wirket.

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24. Offenb. 14,11. steht: Die das Tier angebetet haben, die haben keine Ruhe. Also die das große schöne Tier des weltlichen Reichtums und ihren bestialischen viehischen Geiz anbeten, können keine Ruhe haben, sondern viele Plagen. Sie sind gleich den Kamelen und Maultieren, mit welchen man über die hohen Ge-birge köstliche Seidenwaren, Edelsteine, Gewürz und köstliche Weine führet, und dieselben haben viele Trabanten, die ihrer warten, und bei ihnen her laufen, weil sie die Kleinodien tragen; aber wenn sie in die Herberge kommen, werden die schönen bunten Decken und köstlichen Dinge von ihnen genommen, und sie haben nichts mehr davon, als Schläge und Striemen, und dass sie müde sein, und werden im Stall allein gelassen. Also hat einer in dieser Welt, der Seiden und Kronen getragen hat, auf den Abend seines Abschieds nicht mehr davon, als Striemen und Schläge seiner Sünden, die er getan hat, durch den Missbrauch seines Reichtums, und wenn er noch ein so herrlicher Mensch gewesen ist.

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25. Darum lerne die Welt verlassen, ehe sie dich verläßt, sie wird dich sonsten schrecklich betrüben. Wer in seinem Leben, in seiner Seele die Welt verläßt, ehe er sie mit seinem Leibe verlassen muß, der stirbt fröhlich, und kann ihn das Zeitliche nicht betrüben. Da die Kinder Israel jetzt wollten aus Ägypten gehen, legte ihnen Pharao immer mehr und mehr unerträgliche Last auf, und vermeinete sie zu vertilgen, 2 Mos. 5,9. Also der höllische Pharao, der Teufel, gibt uns in das Herz, dass je näher unser Ende ist, je mehr wir uns mit dem Zeitlichen beschwe-ren, dass er uns ewig unterdrücke und vertilge.

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26. Man kann ja aus dem irdischen Reich nichts mitnehmen in das himmlische Reich, auch unsern eigenen Leib müssen wir hinter uns lassen, bis zur fröhlichen Auferstehung, es ist ein solcher, schmaler Weg zum Leben, der da alles der Seele abstreifet, was irdisch ist, Matth. 7,14. Der Weg ist eng und schmal, der zum Leben führt, und wenig ist ihrer, die ihn finden. Gleichwie man auf der Tennen den Weizen und Spreu scheidet, also geschieht es im Tode; dem Wei-zen der gläubigen Seele werden erst durch den Tod alle Hülsen dieser Welt abgeklopfet, und die zeitlichen Güter und Ehre sind als Spreu, die der Wind zer-streut, Ps. 4,1.

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27. Gedenke nun an St. Paulum: Die Traurigkeit der Welt wirket den Tod; die göttliche Traurigkeit aber wirket zur Seligkeit eine Reue, die niemand gereuet etc. 2 Kor. 7,10.

 

(Gebet um Verschmähung der Weltlust siehe im Paradiesgärtlein.)

 

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