DAS VIERUNDDREISSIGSTE KAPITEL. (2.B./34.K.)

 

WIE EIN MENSCH DURCH DAS GEBET

DIE WEISHEIT GOTTES SUCHEN SOLL.

DABEI EIN SCHÖNES NÜTZLICHES TRAKTÄTLEIN

UND UNTERRICHT VOM GEBET,

WIE DAS HERZ DAZU ZU ERWECKEN,

UND IN EINEN STILLEN SABBAT ZU BRINGEN SEI,

DASS GOTT DAS GEBET IN UNS WIRKE.

 

Begreift zwölf Kapitel.

 

KAPITEL 1

 

WAS WIR IN ADAM VERLOREN HABEN,

FINDEN WIR GANZ UND VOLLKOMMEN IN CHRISTO WIEDER.

 

Inhalt.

1) Vor dem Fall mangelte dem Menschen nichts, nach dem Fall fehlte ihm alles. 2) Darum ward Christus Mensch, uns den Weg zur Seligkeit zu zeigen. 3) Durch ihn werden wir Gottes Kinder; 4) in ihm finden wir alles Verlorne wieder, 5) wenn wir es mit emsigem Gebet suchen.

 

In Christo sind alle Schätze der Weisheit und Erkenntnis verborgen.

Kol. 2,5.

 

Der Mensch ist von Gott aus einem Erdenkloß geschaffen und formiert, und durch den lebendigen Odem, 1 Mos. 2,7. mit einer lebendigen unsterblichen Seele begabt, welche geziert worden mit vollkommener Weisheit, Gerechtigkeit, Heiligkeit und Seligkeit, als mit dem Bilde Gottes. Denn, wo die Weisheit Gottes ist, da ist auch die Seligkeit, und wo die Seligkeit ist, da ist auch die Weisheit Gottes, B. Weish. 7,2. Es gefällt Gott niemand, er bleibe denn in der Weisheit. Also hat dem Menschen nichts gemangelt im Paradies; aber nachdem er sich durch Verführung der Schlange von Gott abgewandt, und in die Sünden gefallen, ist dies Bildnis Gottes im Menschen verblichen, und ist solcher Weisheit beraubt worden, darneben auch in die Gewalt des Teufels, Todes und Elends geraten. Denn indem durch solche Übertretung das göttliche Bild ganz verdorben war, sahe und fand der Mensch nach dem Fall nichts mehr, als seinen eigenen Scha-den, Trübsal, Blindheit und Verdammnis.

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2. Damit aber Adam, d. i. alle Menschen in Adam nicht ganz verdärben, ward Gott selber Mensch, d. i. er ließ seinen Sohn als Mensch geboren werden von einer Jungfrau; derselbe Sohn hat uns wiederum den Weg zur Seligkeit und Weisheit gezeigt mit seiner Lehre und Leben, als mit einem Fürbilde und Form, welcher wir sollen nachfolgen. Denn indem er durch seinen bittern Tod uns er-löset hat von allen Sünden, befiehlt er auch darneben, dass wir wandeln sollen, gleichwie er gewandelt hat, 1 Joh. 2,6.

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3. Also werden wir durch den Glauben aus ihm wiedergeboren, zu Kindern Gottes, und werden Söhne und Kinder in dem Sohn, und mit dem Sohn. Denn gleichwie er ist, also sind auch wir in dieser Welt, 1 Joh. 4,17.

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4. In diesem Sohne sind verborgen alle Schätze der Weisheit Gottes, Kol. 2,3. Denn was wir in Adam verlieren, finden wir in Christo ganz vollkommen wieder, Röm. 5,18.19.

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5. Wollen wir aber in dieser Zeit den Anfang solcher Schätze schmecken, und die Weisheit besitzen, so muß es durch Beten, Suchen, emsiges Anklopfen gesche-hen. Denn niemand mag in das Reich Gottes kommen, er wandle denn in der neuen Geburt, und bitte denn darum. Niemand mag von Sünden los, vom Teufel errettet werden, er tue denn Buße, und bete im Namen Christi. Denn obschon alle Güter durch Christum zuvor erlanget und erworben sind, so kann doch keiner derselben teilhaftig werden, ohne durch den Glauben, durch welchen er auch muß beten, suchen und anklopfen. In Summa, es muß alles von oben herab durch das Gebet erlanget werden, Jak. 1,17.

 

Gebet um die Erlangung verlorner Güter.

 

O ewiger Gott und Vater! lehre mich durch deinen Geist erkennen, dass, gleich-wie ich in Adam sterbe, und alles verliere, ich also auch in Christo wieder leben-dig werden, und alles reichlich wieder erlangen möge. Hilf, dass ich mir selbst absterbe, durch tägliche Reue und Buße, mich dir ganz lasse und ergebe, so werde ich gewiß in Christo, meinem Erlöser, alle verlornen Güter wieder erlangen und überkommen, Amen.

 

KAPITEL 2

 

WIE GROSSER SCHADEN ENTSPRINGT UND FOLGET,

SO MAN DAS BETEN UNTERLÄSST.

 

Inhalt.

1) Wer das Beten unterläßt, der übertritt 1. Gottes Befehl. 2) 2. Verachtet die teure Verheißung Gottes. 3) 3. Wird schwach im Glauben, und verliert ihn allge-mach. 4) 4. Beraubet sich Christi, des ewigen Lichts. 5) 5. Gerät in ein sicher freches Leben. 6) 6. Wirft sich in die Gewalt des Teufels und böser Menschen. 7) 7. Ist der unglückseligste Mensch im Leben und Tode.

 

Ihr habet nichts, darum, dass ihr nichts bittet. Jak. 4,2.

 

Wenn man das Beten unterlässet, wird 1) Gottes und des Herrn Christi Befehl übertreten. Der gebietet ohne Unterlaß zu beten, Matth. 7,7. Luk. 18,1. seq. nicht seinetwegen, weil er ohne das weiß, was wir bedürfen, Matth. 6,32. sondern unserthalben, damit wir gewahr werden des Schatzes und Erbteils von Gott. Nicht beten ist eine große Sünde wider das erste und andere Gebot; gleichwie Gott lästern, fluchen etc. eine große Sünde ist, wo nicht größer, als sich selbst töten.

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2. 2) Ist es eine Verachtung der teuren Verheißung Gottes, die er an seinen Be-fehl hänget: Rufe mich an, so will ich dich erretten, Ps. 50,15. Bittet, so werdet ihr nehmen, Joh. 16,24. Und wird also Gott für einen nichtigen losen Mann gehalten, der zusaget, und nicht haltet, dessen Güter nichts wert sein.

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3. 3) Wenn das Gebet nicht ohne Unterlaß geübet wird, so nimmt der Glaube ab, und verliert sich allgemach, welcher doch eine Kraft und Stärke sein muß des Menschen. Denn mit Waffen und Leibesstärke können wir Sünde, Tod, Teufel nicht überwinden, sondern durch den Glauben in Christo, 1 Joh. 5,4. Das Gebet ist eine Nahrung des Glaubens, dadurch müssen wir die Kraft des Glaubens üben. Das ist die Weisheit und das ewige Leben, die wir suchen sollen.

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4. 4) Der Herr Jesus Christus weichet von denen, die nicht beten; dadurch wer-den sie blind, wandeln in der Finsternis, erkennen sich selbst nicht, noch Gott; Gottes Wille bleibt in ihnen unerkannt. Sie berauben sich selbst Gottes und sei-nes Reichs, und weil sie kein Licht haben, Gottes Willen zu erkennen, müssen sie in der Anfechtung große Schläge leiden, oftmals wohl gar verzweifeln; wo aber der heilige Geist und Glaube ist, wird auch die Welt überwunden.

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5. 5) Folget hieraus ein sicher freches Leben in allen Sünden und Schanden, und gerät der Mensch aus einem Laster in das andere. Denn ein nicht Betender fühlet nicht, wie tief er in Sünden stecket, tut dem Teufel Türe und Fenster auf. Die Güter der Welt, so ihm Gott mitteilet, Gesundheit, Reichtum, meinet er, fallen ihm von ungefähr zu, oder er bekomme sie durch eigenen Fleiß und Arbeit ohne Gott; und wird also seinem Schöpfer undankbar.

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6. 6) Weil der Mensch nach dem Fall in Gefahr Leibes und der Seele lebt, so wirft er sich auch in die Gewalt des Teufels, der bösen Geister und aller bösen Men-schen, die dem Teufel gleich, auch den Frommen nachstellen, öffentlich und heimlich sie zu verderben. Wer nun ohne Gebet lebet, der wird von solchem Unglück getrieben, wie ein Schiff von den Wellen des Meers, hat keinen Schutz, Hilfe noch Trost wider solche Gefahr.

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7. 7) Ein solcher ist der Unglückseligste in seinem Wandel und Leben, stehet immer in Angst und Furcht, ist ungewiß und zweifelhaft, wie sein Vorhaben einen Ausgang gewinnen werde; mit Mühe und Arbeit suchet er und findet Stückwerk, zuletzt kann es doch nie wohl geraten. Es sagt wohl die Schrift: Es gehe den Gottlosen wohl, sie grünen und blühen eine Zeit lang; aber ehe du dich um-siehest, sind sie nimmer da, Ps. 37,35.36. Wie ein Pfeil durch die Luft fähret, und man siehet seinen Weg nicht, oder ein Vogel über die Stadt fliegt, B. Weish. 5,11.12. Wie der Rauch verschwindet, die Spreu verwehet wird, also sind die Gottlosen, Ps. 1,4. Aber die da beten, grünen wie ein Palmbaum an den Wasser-bächen etc. V. 3. Der Gerechte muß viel leiden, Ps. 34,20. aber der Gottlose siebenmal, ja hundertmal mehr, die Hölle zu erlangen, als die Frommen den Himmel, 3 Mos. 26,18.

 

Gebet um Aufmunterung zum Beten.

 

O gnädiger und gütiger Vater! du weißt sehr wohl, dass der Mensch durch seine Faulheit und Nachläßigkeit sich selbst quält und plagt, indem er dein Gebot verläßt, das Gebet versäumt, deine ungezweifelte Zusage und tröstliche Ver-heißung vernichtet und gering schätzet; darum treibst du ihn so heftig zum An-rufen: denn du bist ein Liebhaber der Kreaturen, und willst keinen verderben lassen, so viel an dir ist. Lehre mich solches bedenken, auf dass ich in Christo Jesu, deinem Sohn, recht beten möge, so werde ich gewiß vor allem obgemelde-ten Schaden und Unrat bewahret und sicher sein, Amen.

 

KAPITEL 3

 

DASS DER MENSCH GROSSEN NUTZEN UND FROMMEN HABE

VON STETER ÜBUNG DES GEBETS.

 

Inhalt.

1) Ein wahrer Beter ehret 1. Gott und sein Gebot. 2) 2. Achtet die Zusage Gottes hoch. 3) 3. Wächset im Glauben täglich, wie ein Baum. 4) 4. Bleibet eine Wohnung des heiligen Geistes, und im Besitz des Reiches Gottes. 5) 5. Verhütet Sicherheit, und kämpfet wider die Sünde. 6) 6. Widerstehet dem Teufel, bösen Menschen und allen Anfechtungen. 7) 7. Kann sich immer freuen im heiligen Geist.

 

Bittet, so werdet ihr nehmen, dass eure Freude vollkommen sei. Joh. 16,24.

 

Der Mensch nach dem Fall ist faul und ungehorsam worden zu allen göttlichen Sachen. Dass er nun darinnen nicht bleibe noch verderbe, soll er sich durchs Gebet aufmuntern und erwecken, durch mancherlei Betrachtungen, und erstlich bedenken den großen Nutzen, Trost und Frommen des heiligen Gebets, dass er nämlich den ewigen, wahren lebendigen Gott bekenne, ehre, anbete, und keine fremde Götter erdichte und anrufe, sondern den einigen und wahren Gott; des-selben Befehl und Gebot hat er in Acht, als ein gehorsames Kind, bittet, suchet, klopfet, rufet, preiset seinen Schöpfer, Vater und Seligmacher etc.

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2. 2) Zudem verachtet er nicht die Zusage Gottes, sondern gibt mit seinem Gebet zu erkennen, dass sie hoch zu achten, und der wahrhaftige Gott nicht wohl könne lügen.

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3. 3) Zum dritten nimmt der Glaube zu, wächset täglich wie ein Baum. Denn im Glauben bestehet alle unsere Kraft, Trost und Stärke, wider alle unsere Feinde und Widerwärtigkeit, ja er ist der Sieg, der die Welt überwindet, 1 Joh. 5,4. auch die Ungläubigen, so uns Übels wünschen.

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4. 4) Über das empfangen wir den heiligen Geist, Luk. 11,13. Sach. 12,10. d. i. wir geben ihm Raum und Statt zu herrschen, er bleibt und macht Wohnung bei uns, Joh. 14,23. Wir werden erwecket in dem wahrhaftigen Licht und Erkenntnis Gottes, dass wir seinen Willen recht verstehen, und bleiben im Reich Gottes teilhaftig aller himmlischen Güter.

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5. 5) Auch verhüten wir hierdurch Sicherheit, widerstreben den Sünden, Fleisch und Blut, wandeln im fröhlichen Gewissen, üben eine selige Ritterschaft, behal-ten den Glauben und gut Gewissen, 1 Tim. 1,19.

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6. 6) Desgleichen widerstehen wir großer Anfechtung, Gefahr und Elend, dem Teufel, bösen Menschen. Denn das Gebet ist ein starker Turm wider alle Feinde, eine feste Burg Gottes, zu der wir durchs Gebet fliehen, Eph. 6,17. Spr. Sal. 18,10. Ps. 31,3. Und ob der Teufel oder böse Menschen einen Eingriff tun, muß es doch den Frommen zum Besten gereichen.

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7. 7) Letztlich kann ein stets betender Mensch sich immer freuen im heiligen Geist mit Dankbarkeit, nach der Lehre St. Pauli, 1 Thess. 5,16.17.18. Freuet euch allezeit, betet ohne Unterlaß, seid dankbar in allen Dingen. Keine Angst, keine Unlust, Bekümmernis, Traurigkeit entstehet aus dem Gebet, sondern Freude, Wonne, Lust, wegen des leiblichen Gesprächs mit Gott, dem ewigen Könige. Und nach dem Gebet wird man gewiß, unsere Sachen werden einen glückseligen Ausgang gewinnen. Alle Sorgen werfet auf den Herrn, 1 Petr. 5,7. Gott ist nahe, sorget nicht, Phil. 4,6. Befiehl dem Herrn deine Wege etc. Ps. 37,5. Alle Bekümmernis entstehet aus dem Misstrauen gegen Gott. Das Misstrauen kommt von Unterlassung des Gebets. Der Glaube und das Gebet trauen Gott, vertreiben alle Sorgen etc.

 

Um Aufmunterung zum Gebet.

 

O Herr Gott! hilf mir, dass ich erkenne, wie du mich treibest und ermahnest zu meinem großen Nutzen, nämlich zu dem wahren Gebet, womit aller Nutzen erlangt wird. Erwecke mich, so erwache ich; ermuntere mich, so stehe ich auf, und folge Christo nach allein, Amen.

 

KAPITEL 4

 

DASS EIN WAHRER CHRIST

VIEL LIEBER WILL DEN SCHMALEN WEG IN CHRISTO WANDELN,

ALS DEN BREITEN IN ADAM.

 

Inhalt.

1) Gleichwie dem Adam, also ist auch uns Leben und Tod vorgelegt. 2) Das sind zwei Wege, einer der Welt, der andere Gottes. Auf beiden muß man leiden. 3) Wer betet, der streitet, sieget und kommt zur Ruhe, 4) Wer nicht betet, streitet nicht, muß doch viel leiden, und wird verdammt. 5) Besser ist jenes, als dieses erwählen.

 

Wir rühmen uns der Trübsal. Röm. 5,3.

 

Die Schrift sagt: Adam sei gesetzet in das Paradies, und Gott habe ihm gezeigt den Baum des Lebens und Todes, und vor dem Baum des Todes gewarnet, 1 Mos. 2,9. seq. da ist er gesetzt worden zwischen Zeit und Ewigkeit, dass er möchte nach dem Ewigen über sich trachten in dem engen Wege. Also ward ihm vorgelegt Leben und Tod, Licht und Finsternis, 5 Mos. 30,15. Wie es nun mit Adam zuging, also ist es noch. Denn nach dem Fall kommt Christus, weiset uns von Adam aus dem breiten Wege zu sich selber in den engen Weg, ohne allen Notzwang. Denn er will keinen zwingen zur Verdammnis, noch zur Seligkeit. Er zeiget dir den Weg durch die vorlaufende Gnade, die da keinen Menschen ver-säumet, er sei jung oder alt. Nun spricht Christus: Gehet ein durch die enge Pforte, denn die Pforte ist weit, und der Weg ist breit, der zur Verdammnis ab-führet, und ihrer sind viele, die darauf wandeln. Und die Pforte ist enge, und der Weg ist schmal, der zum Leben führet, und wenige sind ihrer, die ihn finden. Matth. 7,13.14.

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2. Hieraus siehet man klar zwei Wege: Einen der Welt, darauf viele wandeln; Ursache: sie bleiben in Adam, und wollen den Weg des Herrn Christi nicht; den andern Gottes, auf welchem wenige wandeln, weil sie den breiten Weg in Adam lieber haben. Gehe aber, welchen Weg du willst, so mußt du etwas dulden, es wird dir sauer werden. Lebest du nach der Welt, so mußt du viel leiden, und kommest nicht zum Grunde der Wahrheit, hast endlich ewige Verdammnis. Gehest du in dem Wege Gottes durch Christum, übest dich in dem Gebet, so mußt du zwar auch mit Christo von der bösen Welt viel leiden, aber du erkennest den Grund der Wahrheit, und kommst endlich in das ewige Leben, 2 Tim. 2,11.12. Kap. 3,12.

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3. Wer da betet, streitet wider sich selber und den Teufel, überwindet sich selber, den alten Adam, und alle seine Feinde, und kommt endlich in die ewige Ruhe mit Christo, seinem Feldhauptmann.

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4. Wer nicht betet, der streitet auch nicht wider seine Feinde, sondern ist in ihrer Gewalt, muß dennoch in der Welt viel leiden, und fährt endlich mit dem Fürsten der Finsternis in die ewige Verdammnis.

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5. Es ist viel besser, kämpfen, und hernach als ein Siegesmann eingehen in die ewige Freude, als nicht streiten und doch viel leiden, und hernach als ein Ge-fangener in das ewige höllische Gefängnis geworfen werden.

 

Gebet um die Gnade, auf dem rechten Weg zu gehen.

 

O möchten die Menschen solches mit Fleiß bedenken! gewißlich, sie würden der Welt satt werden, sich selbst hassen und verleugnen, und dem einigen Christo auf dem engen Wege nachfolgen! Dass wir solches ernstlich betrachten, dem alten Adam in uns Urlaub geben, den neuen Menschen, Jesum Christum an-ziehen, und durch die enge Pforte eindringen zum ewigen Leben; das wolle in uns wirken und verleihen der wahre Gottes-Sohn, Jesus Christus! Amen.

 

KAPITEL 5

 

WAS EIN MENSCH FÜRNEHMLICH BEDENKEN SOLL,

DAMIT SEIN HERZ ÜBER SICH ZU GOTT GERICHTET WERDE.

 

Inhalt.

1) Damit wir zum innigen Gebet erwecket werden, muß man bedenken: 2) 1. Dass Gott alles weiß. 3) 2. Dass Gott Erhörung zusaget. 4) 3. Dass Gott alle gleich lieb hat. 5) 4. Dass wegen eigener Frömmigkeit beten so große Sünde sei, als wegen seiner Unwürdigkeit das Beten unterlassen. 6) 5. Dass Gott uns an allen Orten höre, 7) 6. und zu allen Zeiten. 8) 7. Dass man ohne Gebet nichts erlange. 9) Diese Stücke erwecken kräftig zum Gebet, und lehren: 10) 1. Dass Gott das Gebet um unsertwillen fordere. 11) 2. Uns mit seiner Allwissenheit zuvorkomme. 12) 3. Das Gebet uns nur aufwecke. 13) 4. Dass Gott lieber gebe, als wir nehmen. 14) 5. Dass Gott von unermeßlicher Güte, der Mensch aber von unermeßlicher Faulheit sei. 15) 6. Dass der Mensch Ursache seines Elends sei. 16) 7. Dass man allezeit beten kann. 17) 8. Wer nicht betet, schadet sich selbst. 18) 9. Ein fleißiger Beter nutzet sich selbst. 19) Dies lasset uns glauben und üben.

 

Bin ich nicht ein Gott, der nahe ist, und nicht ein Gott, der ferne ist? spricht der Herr. Jer. 23,23.

 

Auf dass wir einfältige und anhebende Menschen zum innigen Gebet, im Geist und in der Wahrheit kommen mögen, welches Gott allein fordert und haben will, wollen wir etliche Punkte erklären, dadurch wir zum Gebet erweckt und bereitet werden.

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2. 1) Dass Gott alle Dinge zuvor besser wisse, was uns not sei, ehe denn wir be-ten, Matth. 6,8.

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3. 2) Dass Gott alle Menschen locke, reize, treibe und ermahne zum Gebet, und auch gewisse Erhörung zusage, Ps. 50,15.

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4. 3) Dass Gott kein Anseher der Person sei, sondern er habe sie alle gleich lieb, Ap. Gesch. 10,34.

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5. 4) Dass es eben so große Sünde sei, beten wegen eigener Frömmigkeit, Würdigkeit, Heiligkeit, als sein Gebet unterlassen wegen der Unwürdigkeit und vorbegangenen Sünde, Luk. 18,11.

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6. 5) Dass man Gott nicht weit dürfe nachlaufen an einen gewissen Ort, sondern ihn finde allenthalben, Joh. 4,21.

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7. 6) Dass Gott in seiner Ewigkeit unwandelbar bleibe, und zu einer Zeit sowohl höre, als zur andern, und mit nichten an gewisse Zeit gebunden sei, 1 Thess. 5,17.

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8. 7) Dass Gott lange zuvor komme und herausgebe alle natürliche und über-natürliche Güter, und doch keiner dieselbige erlange noch genieße, er bete denn darum.

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9. Wer diese Stücke täglich betrachtet und übet, des Herz und Gemüt wird er-neuert und erwecket vom Schlaf, Eph. 5,14. gereiniget und geläutert vom Irrtum und Blindheit, bestätiget und befestiget im Grunde der Wahrheit, aufgerichtet zu Gott, angezündet zum Gebet. Denn daraus folgen diese Lehren:

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10. 1) Dass Gott heiße, treibe und ermahne zum Gebet, nicht seinethalben, als wüßte er unser Anliegen nicht, sondern unsertwegen, dass wir durch das Gebet erwecket, auch solches erkennen und wissen.

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11. 2) Dass Gott unsers Gebets langer Erzählung nicht bedürfe, sondern komme uns zuvor mit seiner gegenwärtigen Allwissenheit, Ps. 139,2. Jes. 65,24.

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12. 3) Dass Gott durch unser Geschrei, Fasten und Wachen nicht erwecket werde, indem er allezeit ein wachendes Auge ist; Ps. 33,18. Ps. 34,16. sondern der Mensch müsse durch solche Übungen vom Schlaf der Sünden erwecket werden.

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13. 4) Dass Gott sei tausendmal bereiter zu hören und zu geben, als der Mensch zu nehmen, Jer. 32,41.

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14. 5) Er sei von unermeßlicher Güte und Barmherzigkeit gegen den Menschen, Psalm 103,13. Der Mensch aber von übermäßiger Faulheit und Nachlässigkeit im Beten, Suchen und Anklopfen, Matth. 7,7.

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15. 6) Dass Gott unparteiisch gerecht bleibe in allen seinen Werken, und keine Ursache unserer Blindheit, Unwissenheit, Mangel oder Elends sei, sondern der verkehrte Mensch selber, der nicht bitten noch suchen will, 5 Mos. 32,4.5. Ps. 92,7.

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16. 7) Ein wahrer Anbeter hat an allen Orten und Zeiten einen freien Zutritt zum Vater in Christo, im Geist und Wahrheit mit Gott zu handeln, sofern er sich selber nicht aufhält, Jon. 4,23. Luk. 18,1.

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17. 8) Ein Fauler und Verächter des Gebets beraubet sich selbst des lieblichen Gesprächs mit Gott, Ps. 19,15. Es strafet also ein jeder Sünder sich selbst.

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18. 9) Ein fleißiger Anbeter frommet und nützet sich selber, nicht von sich selbst, sondern durch die göttliche vorlaufende Gnade, welche allen Menschen zuvor-kommt ohne Unterschied.

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19. Wem dies fünfte Kapitel unbekannt ist, der ist noch weit von Christo, hat die Wahrheit noch wenig geschmecket. Wers aber weiß, und nicht glaubt, der tut sehr Unrecht. Wers glaubt und übets nicht, erwecket sich nicht, lebet in den Tag, gleich als zweifelte er daran, der ist ein großer Sünder, und muß desto mehr Streiche leiden, als der Unwissende, Luk. 12,47. Darum mag ein solcher wohl zusehen, dass er sich bekehre, sonst wird er in Sünden umkommen.

 

Gebet, dass man ein rechter Anbeter sein möge.

 

O gütiger Herr und Vater! wecke mich auf durch deinen Geist, dass ich solches nicht allein wisse, sondern im wahren Glauben übe, und ein wahrhaftiger Anbeter werde, im Geist und in der Wahrheit, Amen.

 

KAPITEL 6

 

DASS DER ALLWISSENDE GOTT ALLES WISSE UND HÖRE,

WAS WIR BEDÜRFEN, EHE DENN WIR ANFANGEN ZU BETEN.

 

Inhalt.

1) Dass Gottes Augen alle Dinge haarklein gegenwärtig, ja voraus sehen; 2) welches mit zwei Gleichnissen erläutert wird. 3) Das sollen Ungeübte lernen erkennen, und sich dadurch zum Beten erwecken.

 

Du verstehest meine Gedanken von ferne. Ps. 139,2.

 

Solches ist gegründet, Matth. 6,8. Euer himmlischer Vater weiß, was ihr bedürfet, ehe denn ihr bittet. Ps. 94,9. Der das Ohr gepflanzet hat, sollte der nicht hören? Hebr. 4,12. Er ist ein Richter der Sinne und Gedanken. Man darf Gott nicht mit langen Worten unser Anliegen vortragen, wie einem sterblichen Menschen. Denn vor seinen Augen sind alle Zeiten nur eine Zeit oder Blick, in welchem er alle vergangene und künftige Dinge gegenwärtig siehet. Darum hat er unsere Haare gezählt, ehe wir geboren waren, weiß alle unsere Gedanken, ehe wir beten. Summa, seinen Augen ist alles offen. Also müssen Einfältige, Anhebende sich erwecken zum Gebet, dass sie Sprüche haben der heiligen Schrift, den Nutzen derselben betrachten, und in kurze Gebete fassen; die Geübten aber sehen es selbst.

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2. Wenn ich im flachen Felde gehe am Tageslicht, so umgibt mich solches Licht ganz; wäre es nicht leiblich, sondern geistlich, so durchdränge es meinen Geist auch. Also sind alle Geschöpfe, sichtbare und unsichtbare, vor den Augen Gottes; er durchdringet und umfasset alle Dinge, es hindert ihn nichts. Die Finsternis muß vor ihm Licht sein, wie der Tag, Ps. 139,12. Wie ein lauter und schöner Crystall oder eine Wasserblase in meiner Hand, darinnen auch vor meinen leiblichen Augen das geringste Härlein oder Stäublein nicht kann ver-borgen bleiben; also und noch weit mehr sind alle Geschöpfe und Gedanken vor dem Geist Gottes, welcher das Auge selber ist, sonst hat er kein anderes Auge, Buch der Weisheit 1,6.7.

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3. Das ist den Ungeübten auch nütze, damit sie ihre Herzen reinigen vom großen dicken Nebel der Blindheit und Unwissenheit. Es macht sie auch wacker zum wahren Gebet, dadurch wir ermuntert und erwecket, zu sehen und zu erkennen, was wir zuvor nie gesehen oder erkannt haben. Viele meinen, was sie nicht sehen noch wissen, das sehe und wisse Gott auch nicht. Welches eine große Blindheit und Unwissenheit ist zur Rache über den, der sie hat. Ps. 7,10.

 

Gebet um Gelassenheit im Gebet.

 

O allmächtiger, ewiger Gott und Vater! der du bist ein Herzenskündiger und Richter des Sinne und Gedanken, der du alle Dinge zuvor siehest, hörest und weißt, ehe sie bei uns Menschen geschehen. Ich komme und bringe mein An-liegen vor dich, nicht in der Meinung, dich durch mein Geschrei zu erwecken, als wissest du es nicht zuvor, sondern dass ich mich selber erinnere und erwecke, zu verstehen und zu erkennen, wie du all mein Anliegen kennest, ja alle meine Haare auf meinem Haupte selber zählest. Hilf, lieber Vater! dass ich solches recht wisse und betrachte, dadurch mein Herz in deinen gnädigen Willen setze, denn der ist der allerbeste; und dass ich in voller Gelassenheit und geduldigem Auswarten verharre, Amen.

 

KAPITEL 7

 

GOTT REIZET, LOCKET, ERMAHNET, TREIBET

ALLE MENSCHEN ZUM GEBET,

SAGT ALLEN GEWISSE ERHÖRUNG ZU.

 

Inhalt.

1) Gott hat gewisse Erhörung zugesaget, 2) und macht die stillen Seelen seiner göttlichen Gnade teilhaftig.

 

Wer den Namen des Herrn wird anrufen, der soll errettet werden. Joel 2,32.

 

Dies soll vor allen Dingen betrachtet werden. Denn wissen, dass Gott alle Dinge zuvor weiß, ist nicht genug; man muß auch wissen, dass Gott das Beten fordert, und Erhörung zusaget Joh. 16,23. So ihr den Vater etwas bitten werdet in mei-nem Namen, so wird er's euch geben. Matth. 7,8. Wer da bittet, der empfähet, wer da suchet, der findet, und wer da anklopfet, dem wird aufgetan. Luk. 18,1. Man muß allezeit beten, und nicht müde werden. Jak. 1,5. So jemand unter euch Weisheit mangelt, der bitte von Gott, der da gibt einfältig jedermann, und rückt es niemand auf, so wird sie ihm gegeben werden. 1 Joh. 5,14. So wir etwas bitten nach seinem Willen, so erhöret er uns. Matth. 21,22. Was ihr bitten werdet, so ihr glaubet, so werdet ihr es empfangen. Da stehet der Befehl und Zusage, wer hiedurch nicht bewogen wird, muß ein steinernes Herz haben: wer es nicht glaubt, hat ein heilloses Herz, ist nicht wert, dass er Mensch heiße. Dies ist nicht unbekannt, warum glauben wir es aber nicht? Oder warum beten wir nicht? Warum werden wir nicht erhöret? Warum erlangen wir den heiligen Geist nicht? Darum, dass wir nicht im rechten Glauben beten, und Gott stille halten und auswarten. Denn der rechte Glaube hält Gott stille in ganzer Gelassenheit; wer aber zweifelt, ist treulos, machet erst sein Gebet selbst zunichte. Denn Gott kann ihm nichts geben. Zum andern hält er Gott für einen Lügner und ohnmächtigen Gott, der entweder nicht wolle oder nicht könne geben, was uns mangelt. Dies sind zwei böse Stücke.

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2. Der Glaube aber hält das Herz stille, macht es fähig göttlicher Gnaden. Gott fordert nichts mehr von dem Menschen, als den Sabbat, Ruhe von allen seinen Werken, 1 Mos. 2,2. von ihm selbst fürnehmlich. Unser Geist und Gemüt ist wie ein Wasser, darüber der Geist Gottes ohne Unterlaß schwebet, Kap. 1,2. So bald er stille wird, und von keinem Wind der zeitlichen Gedanken hin und her bewe-get, bleibt Gott darinnen, spricht sein kräftiges Wort in solches stille Wasser. Dieser Blick ist besser und edler, als die ganze Welt. Siehe das 8. Kapitel der deutschen Theologie, und Dr. Taulerum an vielen Orten. Stille Wasser werden leichtlich erwärmt von der Sonne, die schnellen rauschenden Flüsse selten, oder gar nicht. Der Unglaube raubet Gott seine Ehre und Namen der Treue und Wahr-heit. Dadurch wird ein Christ gar zum Heiden und Verleugner Gottes. Wenn er darinnen bleibet, so ist er gewiß ewiglich verdammt.

 

Gebet um wahren Glauben.

 

O ewiger, treuer und wahrhaftiger Gott! der du nicht lügen kannst; ich erkenne durch deine Gnade, dass du alle Menschen reizest, ermahnest und treibest zum Gebet, zu ihrem großen Nutzen und Frommen, erbietest dich mit deiner Güte allen gleich: Hilf, lieber Vater! dass ich solches mit Ernst bedenke, und dadurch zum rechten, beständigen wahren Glauben kommen möge, auf dass ich deine große Güte an mir nicht lasse vergebens sein, sondern durch den Glauben dir stille halte, und in beständiger Geduld auf dein Licht in mir warte, Amen.

 

KAPITEL 8

 

GOTT IST KEIN ANSEHER DER PERSON,

SONDERN HAT SIE ALLE GLEICH LIEB.

 

Inhalt.

1) Gott siehet keine Person an, er will alle erhören. 2) Dawider streiten die Sprü-che nicht, Röm. 9,13.16.18. man verstehe sie nur recht, 3) und verkehre sie nicht zu großem Seelenschaden.

 

Du, Herr! bist gut und gnädig, und von großer Güte allen, die dich anrufen. Ps. 145,8.

 

Ich weiß nun, dass Gott mein Anliegen besser weiß, als ich es ihm kann vorbrin-gen, hat das Beten befohlen und Erhörung zugesagt; ich zweifle aber daran, ob er mich auch heiße beten, und erhören wolle. Da lerne, dass Gott kein Anseher der Person sei, obwohl die blinden Leiter aus etlichen Sprüchen, als Röm. 9,13. Mal. 1,2. und dergleichen, Gott wollen parteiisch und zum Menschenfeind machen, wider die klaren unwidersprechlichen Zeugnisse der Schrift, die wir uns wohl einbilden, und davon in keinem Weg abtreiben lassen sollen, Ap. Gesch. 10,34. Nun erfahre ich in der Wahrheit, dass Gott die Person nicht ansiehet, sondern aus allerlei Volk, wer ihn fürchtet und recht tut, der ist ihm angenehm, 5 Mos. 10,17. Der Herr, euer Gott, ist ein Gott aller Götter, und Herr aller Herren, ein großer Gott, mächtig und erschrecklich, der keine Person achtet, und keine Geschenke annimmt, und schaffet Recht den Waisen und Witwen, und hat die Fremdlinge lieb, dass er ihnen Speise und Kleider gebe, Gal. 2,6. Gott achtet das Ansehen der Menschen nicht, Kol. 3,25. Bei Gott gilt kein Ansehen der Person, Weish. 6,8. Der, so aller Herr ist, wird keine Person fürchten, noch die Macht scheuen; er hat beide, die Kleinen und Großen gemacht, und sorget für alle gleich, Ezech. 33,11.12. So wahr ich lebe, spricht der Herr, ich habe keinen Gefallen am Tode des Gottlosen, sondern dass sich der Gottlose bekehre und lebe. Wenn ein Gottloser fromm wird, soll es ihm nicht schaden, dass er ist gott-los gewesen, und aller seiner Sünden, die er getan hat, soll nicht gedacht wer-den, 1 Tim. 1,15.16. Das ist je gewißlich wahr, und ein teuer wertes Wort, dass Christus Jesus gekommen ist in die Welt, die Sünder selig zu machen, unter welchen ich der fürnehmste bin. Aber darum ist mir Barmherzigkeit widerfahren, auf dass an mir fürnehmlich Jesus Christus erzeigete alle Geduld, zum Exempel denen, die an ihn glauben sollten, zum ewigen Leben, 1 Tim. 2,4. Gott will, dass allen Menschen geholfen werde, und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen, 2 Petr. 3,9. Gott will nicht, dass jemand verloren werde, sondern dass sich jeder-mann zur Buße bekehre. Solche und dergleichen Zeugnisse mache sich ein jeder bekannt, damit er wisse, wie Gott keinen vor dem andern lieb habe, sondern alle zugleich ohne Unterschied. Denn er hat sie gleich geschaffen zu seinem Bildnis, und durch Christum wieder erlöset. Er hat bei sich geschworen, dass er keinen Sünder will verderben lassen. Gott kommt uns allen zuvor mit Gnade; er wartet nicht, bis wir würdig werden, denn, ehe wir zu ihm kommen, kommt er zu uns, ehe wir ihn kennen, kennet er uns, ehe wir ihn lieben, liebet er uns. Er hat uns geliebt, da wir noch seine Feinde waren, Röm. 5,10. Blind und gottlos ist der Mensch, der sagen darf: Gott hat einen lieber als den andern. Ein solcher ver-schmähet die göttliche Majestät, macht Gott geradezu parteiisch, zum Anseher der Person.

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2. Dass aber gesagt wird: Gott habe Jakob lieb, und Esau hasse er, Röm. 9,13. ist nicht zu verstehen von ihrem menschlichen Wesen, oder von bloßem Haß, sondern von der Ausschließung des Erbteils im gelobten Lande, nicht von dem Haß der verweigerten Seligkeit, sondern des verweigerten irdischen Segens. Und ob wir gleich alle Sünder sind, dennoch liebet Gott die, so ihn lieben vor denen, so in Sünden und Blindheit stecken und bleiben, und Gott nicht wollen für ihren Vater erkennen, noch Buße tun; daran aber Gott kein Gefallen trägt, sondern wollte viel lieber, dass alle Menschen selig würden. Item: Röm. 9,18. Er erbarmet sich, weß er will, und verstocket, wen er will. Ist recht. Er will aber keinen ver-stocken, als der sich selbst verstocket durch seinen Unglauben und Unbuß-fertigkeit. Solche läßt er, wiewohl ungern, fahren, so sind sie genug und allzusehr verstockt. Item: v. 16. Es liegt nicht an jemands Laufen, sondern an Gottes Er-barmen. Denn Gott läuft uns zuvor, erwählet uns, und nicht wir selbst. Darum ist alles Gottes Gabe und Gnade; nichts soll uns zugeschrieben werden, ob wir gleich etwas Gutes tun.

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3. Dies ist die rechte Erklärung solcher Sprüche; aber die eigensinnigen Köpfe drehen sie nach ihrer Vernunft, machen den Haufen der Verdammten groß aus Gottes Ordnung und Vorsehung; aus Gott einen Menschenfeind, neidischen Saturnum, der seine eigene Kinder fresse und hasse. Daher nichts folget als Zerstörung des Glaubens, Verzweiflung, ein rohes, wildes, epikurisches Leben, wie vor Augen ist. Gott behüte uns vor solchen Stricken des leidigen Satans! Amen.

 

Gebet um Erkenntnis der allgemeinen Liebe Gottes.

 

O ewiger, unparteiischer Gott! der du nicht achtest die Person der Menschen, liebest sie alle gleich, einen wie den andern, bist also gütig, dass du allen zuvor-kommst mit deiner Gnade, wartest nicht, bis der Mensch tüchtig werde, sondern durch deine vorlaufende Gnade machst du ihn selber würdig und tüchtig. Lehre mich durch deinen Geist dankbarlich erkennen solche deine unermeßliche Güte gegen alle. Laß mir das Licht aufgehen in meinem Herzen, dass ich das gegen-wärtige mir anvertraute Gut, das herrliche Erbteil, den Schatz im Acker, mit der blinden Welt nicht verleugne, sondern denselben fleißig suche, finde, fühle und ihn schmeckend gewahr werde, Amen.

 

KAPITEL 9

 

BETEN WEGEN EIGENER WÜRDIGKEIT IST JA SO GROSSE SÜNDE,

ALS GAR NICHT BETEN, WEGEN VORBEGANGENER SÜNDE.

 

Inhalt.

1) Man muß nicht beten um eigener Gerechtigkeit willen; 2) aber auch das Beten nicht unterlassen um begangener Sünden willen. 3) Denn eigene Würdigkeit hilft nichts, Unwürdigkeit schadet nichts.

 

Vater! ich habe gesündiget im Himmel, und vor dir, und bin nicht wert, dass ich dein Sohn heiße. Luk. 15,21.

 

So einer betet wegen seiner Frömmigkeit und Heiligkeit, bleibt er nicht in der Mitte und in der Einfalt, wie ein Kind, sondern lenket sich zur Rechten, läuft vor Christo her, wie ein Dieb und Mörder, stiehlt ihm seine gebührliche Ehre, (denn er allein unsere Gerechtigkeit, Würdigkeit und Frömmigkeit sein soll, 1 Kor. 1,30.) und schreibet es seinen nichtigen Werken zu, als verdiene es der Mensch, und nicht Christus alleine; als erhöre Gott das Gebet wegen menschlicher Werke, und nicht um seines Sohns willen. Da doch geschrieben stehet: Bei dir gilt nichts denn Gnad und Gunst, Ps. 103,4. So wenig der Mensch hilft dem Sonnenschein, so wenig helfen unsere Werke der Gnade Gottes. Abraham, Isaak, Jakob, Elias etc. sind alle aus Gnaden selig worden, haben alle sagen müssen: Gehe nicht ins Gericht mit deinem Knecht. Ps. 143,2.

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2. Unterläßt aber jemand das Gebet wegen seiner vorbegangenen Sünden, achtet sich derowegen unwürdig und unheilig, der fällt aus der Mitte zur linken Hand in sein Elend und Jammer, nämlich in die Lästerung des Sohnes Gottes; und wenn er darinnen verharret, fällt er in endliche Verzweiflung, gleich als wäre Christi Leiden und Tod nicht genug für die Sünden der ganzen Welt. Dawider soll man sich aufrichten mit diesen Sprüchen: Ob bei uns ist der Sünden viel, bei Gott ist vielmehr Gnade etc. Wo die Sünde mächtig ist, da ist die Gnade viel mächti-ger, Röm. 5,20. Unser Elend ruft an Gottes Barmherzigkeit, unsere Schwachheit Gottes Stärke, unsere Unwürdigkeit Gottes herrliche Majestät, unsere Unge-rechtigkeit Gottes Gerechtigkeit. Es ist ein teures, wertes Wort, dass Jesus Christus kommen ist in die Welt, die Sünder selig zu machen, 1 Tim. 1,15. So wahr als ich lebe, spricht der Herr, Herr, ich habe keinen Gefallen am Tode des Gottlosen, sondern dass sich der Gottlose bekehre von seinem Wesen, und lebe, Ezech. 33,11. Es ist nichts Verdammliches an denen, die in Christo Jesu sind, die nicht nach dem Fleisch wandeln, sondern nach dem Geist, Röm. 8,1. Es soll dem Bekehrten nicht schaden, dass er gottlos gewesen ist, Ezech. 33,12. Darum (um die Vergebung der Sünden) werden dich bitten alle Heiligen, Ps. 32,6. sei nicht allzugerecht und allzuweise, dass du dich nicht verderbest. Sei nicht allzu-gottlos und narre nicht, dass du nicht sterbest zur Unzeit, Pred. Sal. 7,17.18. Werden wir unsere Sünden bekennen, so ist Gott treu und gerecht, dass er uns die Sünden vergibt, und reiniget uns von aller Untugend, 1 Joh. 1,9. Seine Ge-rechtigkeit siehet vom Himmel, Ps. 85,12.

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8. Sollte ich nicht eher beten, ich fände mich denn würdig oder tüchtig, so dürfte ich nimmermehr beten. Sollte mir Gott nicht eher zu Hilfe kommen, oder etwas geben, ich wäre denn heilig oder gerecht von mir selbst, so dürfte er mir nimmer-mehr etwas geben. Lieber Mensch! was willst du dem geben, der deines Guten nicht bedarf? Röm. 11,35. Was wolltest du mit deinen nichtigen Werken oder Frömmigkeit von Gott erwerben? Röm. 3,24. Nichts. Es müssen fliehen alle Werkheiligen, und vor ihm schweigen alle Kreaturen. Deine Würdigkeit hilft nichts, deine Unwürdigkeit schadet nichts, Christus hat sie zugedeckt und ver-geben, Ps. 32,1. Derowegen sage bei dir also: Wie ein Tropfen Wassers vom Meer verschluckt wird, also sind meine Sünden gegen der unbegreiflichen Gnade Jesu Christi.

 

Gebet wider eigene Vermessenheit und wider Verzweiflung.

 

O gütiger Gott und gnädiger Vater! der du mich unterweisest in deinem Wort, wie ich soll in Christo, deinem Sohn, wandeln, auf dass ich in der Mitte bleibe, und nicht falle zur Rechten noch zur Linken, das ist, dass ich in meinem Sinn nicht fromm sei, und nicht verderbe, auch nicht zu böse, und in meinen Sünden sterbe. Lehre mich mit Ernst bedenken, wie mich meine eigene Würdigkeit nicht fördere, auch meine große Sünde in Christo Jesu nicht hindere; so werde ich fest und beständig bleiben in allen meinen Anfechtungen, und mich nicht lassen ein-nehmen vom schönen Teufel, der im Mittage verderbet, Laßdünkel genannt. Laß mich auch nicht erschrecken vor dem Grauen des Nachts, und vor der Pestilenz, die in der Finsternis schleicht; so werde ich in meinen Sünden nicht verzagen, sondern mit fröhlichem Trost im Glauben beharren. Das wollest du, Herr Jesu Christe! in mir anrichten, wirken und vollbringen, Amen.

 

KAPITEL 10

 

EIN WAHRER ANBETER DARF NICHT ZU GOTT LAUFEN

AN EINEN GEWISSEN ORT,

SONDERN ER FINDET IHN ALLENTHALBEN

IM GEIST UND IN DER WAHRHEIT.

 

Inhalt.

1) Gott kann man an allen Orten glauben. 2) Denn das Reich Gottes ist an keinen äußerlichen Ort gebunden.

 

Es kommt die Zeit, dass ihr weder auf diesem Berge, noch zu Jerusalem anbeten werdet. Denn die wahren Anrufer werden den Vater anbeten im Geist und in der Wahrheit. Joh. 4,21.23.

 

Wo finde ich nun Gott? Jer. 23,23. Bei St. Jakob? Am Ende der Erden? Zum finstern Stern? Zu Jerusalem? Auf dem Berge Tabor? Antwort: Joh. 4,23. Im Geist und in der Wahrheit. Zu Fürsten und Herren muß man weit reisen, seine Not vorzubringen; aber Gott ist überall, er erfüllet Himmel und Erden, Jer. 23,24. ist allen Kreaturen näher, als sie ihnen selbst sein; ist in und außer allen, durch alle, Eph. 4,6. Alle Örter sind vor ihm ein einiger Ort, alle Zeiten eine Zeit, Ps. 139,7. Wenn einer am Tage im flachen Felde wandelt, so ist es licht um ihn, er sehe oder sei blind; also und näher ist Gott allen Kreaturen. Denn sie sind das Wasser, darüber Gott schwebet, der durchdringt alle Geister, wie pur, rein und lauter sie sein, Weish. 7,23. Gott ist uns allen gegenwärtig, aber wir sind ihm nicht alle gegenwärtig, das ist, wir befinden seine Gegenwart nicht, gleichwie ein Blinder das Tageslicht nicht siehet. Gott wendet sich nicht von uns, wir aber wenden uns von ihm, dadurch fallen wir in Blindheit, dass wir sagen: Gott habe sich auch von uns gewandt, er sei zornig, ungnädig. Solche Änderung geschieht nur in uns und in unsern Herzen, da befinden wir es also, und reden davon, wie wir es befinden. Also strafet und quälet sich ein jeder Sünder selbst durch seine Abwendung von Gott; er aber bleibt immer, wie er ist, gütig und unwandelbar, gerecht in seinen Werken, Ps. 145,8. obschon der blinde, abgekehrte Mensch ihn für zornig, ungerecht und ungnädig achtet.

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2. Hieraus werden recht verstanden die Sprüche vom Reich Gottes, wie dasselbe nicht außer, sondern in uns sei etc. Luk. 17,21. Item: Was gehen mich die draußen an? 1 Kor. 5,12. Dies wird nicht verstanden vom äußerlichen Ort, son-dern nach dem Glauben, im Geist oder innern Menschen. Sonst, wo man das Reich Gottes an einen äußerlichen Ort bindet, ist es antichristisch, wie der Herr geweissaget hat, dass man sagen werde: Siehe, hie ist Christus, da ist Christus, Matth. 24,23. Ort oder Stelle macht weder selig noch verdammt; sonst wäre Luzifer kein Teufel im Himmel worden, an einem seligen Orte, auch wäre Adam im Paradies nicht in Sünden gefallen etc. Und so der Ort sollte verdammen, würde kein Mensch selig, denn wir sind alle in der Welt, unter des Teufels Reich, der ein Fürst der Welt ist. Also kann ein Mensch im Reich Gottes sein auch in der Tiefe des Meers, wie Jonas, wenn er nur glaubt. Dagegen kann einer in des Teufels Reich sein durch den Unglauben, ob er schon mitten in der Kirche wäre, Predigt hörete, und Sakrament brauchte, ein solcher ist dennoch vor den Augen Gottes draußen.

 

Gebet um Erkenntnis der Allgegenwart Gottes.

 

O Herr Jesu Christe! du einiger Weg, Licht und Pforte zum Himmel. Ich preise dich von Herzen, dass du mich durch solche Betrachtung verständigest, wie ich in dir, und du in mir seiest, ich sei gleich, an welchem Ende der Welt ich wolle. Ja, du lehrest mich, wie du wahrhaftiger einiger Priester bei mir seiest, und absol-vierest mich von Sünden, so oft ich seufze. Ob ich schon wandele im finstern Tal, fürchte ich mich nicht; denn du bist bei mir. Lehre mich, Herr! solches erkennen, dass ich solchen Schatz im Acker nicht mit der undankbaren Welt verleugne noch versäume, sondern denselben im wahren Glaube erwarte, finde, fühle und in mir schmecke, Amen.

 

KAPITEL 11

 

MAN DARF GOTT NICHT ZU GEWISSEN ZEITEN ANRUFEN,

SONDERN MAG IHN ALLE STUNDEN ANSPRECHEN,

WOFERN SICH DER MENSCH NICHT SELBST VERHINDERT.

 

Inhalt.

1) Ein Gläubiger ist selig, er sei, an welchem Ende er wolle, 2) und wird erhöret, er bete zu welcher Zeit er wolle.

 

Jetzt ist die angenehme Zeit, jetzt ist der Tag des Heils. Suchet den Herrn, weil er zu finden ist, rufet ihn an, weil er nahe ist. Jes. 49,8. Kap. 55,6. 2 Kor. 6,2.

 

Daß wir etwas vom Ort wiederholen! Wie selig ist der Mensch, der im Reich Gottes ist, denn er hat den Schatz in ihm, er sei an welchem Ort der Welt er wolle. Wer aber wegen Unglaubens nicht im Reich Gottes ist, der bleibt ausge-schlossen, ob er schon mit andern Christen Predigt hörete, und das Sakrament brauchte. Denn der Ort seliget noch verdammet keinen, sondern Glaube oder Unglaube, welches im Herzen der Menschen, im Geist vollbracht wird. Ein Christ sei, wo er wolle, so hat er die Gnade, Absolution und Vergebung der Sünden bei sich, denn Christus ist in ihm. Aber dies ist nicht zu verstehen, dass man das mündliche Predigtamt verachte, sondern zum Trost aller frommen Herzen, dass sie in Not, Krankheit, fremden Orten in Christo sind, und nicht draußen. Item, es wird gesagt zum Schrecken der Gottlosen und Unbußfertigen, ob sie schon mitten in der Versammlung der Christen sind, dennoch sind sie ausgeschlossen vor Gottes Augen. Denn ein jeder Ungläubiger schließt sich selbst aus, und beraubet sich des Schatzes in ihm. Also hilft einem gottlosen, ungläubigen Kranken gar nicht das Sakrament, Priester, Papst, wenn er gleich mitten in der Kirche ist, so er nicht glaubet. Glaubet er aber, so schadet ihm nichts, ob er in der Türkei, Tiefe des Meers, ohne Priester und Sakrament stirbt, denn er hat Christum, den rechten Priester, das Reich Gottes in sich, wie Christus genugsam bezeuget, Joh. 4,21. Luk. 17,21. Matth. 24,23. O elende Leute, die ihre Seligkeit suchen bei sterblichen Menschen, an einen leiblichen Ort sich binden, auf das Auswendige sehen. Wie viele Tausend tun das, und verlieren darüber den Schatz in ihnen. Äußerliche Dinge sind nur Mittel, die man nicht verachten soll; aber sie sind nicht der Schatz selber, sondern Christus und Gott, der kann auch ohne Mittel kommen, wenn wir die nicht haben können. Wir kommen alle an einem gewissen Orte zusammen, in der Kirche, damit wir uns einmütiglich er-mahnen und erinnern der Gegenwärtigkeit Gottes, rufen ihn an für das gemeine Anliegen und Not, üben uns in andern göttlichen Sachen, alles unserthalben, dass wir arme blinde Menschen erwecket, sehen und verstehen lernen, wie Gott an keinem Ort verschlossen sei, den die Himmel nicht begreifen können, 1 Kön. 8,27. Der höher ist, denn die Himmel, tiefer denn die Hölle, breiter als die Erde wie Hiob 11,8. sagt.

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2. Wie sichs nun verhält mit dem Ort, also auch mit der Zeit, an welche Gott mit seiner Ewigkeit nicht gebunden ist, weil er immer unwandelbar bleibt, höret eine Zeit, wie die andere. Ein irdischer Herr höret nicht allewege, ja gar selten; jetzt schläft er, dann jaget er, oder hat etwas anders zu tun, wird oft verhindert; unsern Gott aber hindert die Welt nicht, er siehet alle Dinge in einem Blick, höret, weiß alles, auch deine Gedanken, ehe du geboren bist, Ps. 139.2. Zählet die Haare deines Hauptes, Matth. 10,30. Tausend Jahr sind vor ihm wie ein Tag, und hinwieder Ps. 90,4. Er nimmt weder zu noch ab, hat weder Zeit noch Ort, ist immer bereit zu helfen und zu geben, stehet alle Augenblicke vor unserer Türe, wartet bis ihm aufgetan wird, seine Zeit ist allezeit, aber unsere Zeit ist nicht allezeit. Halten wir stille im Glauben, so werden wir bald erhöret. Ach Herr Gott, wie reich tröstest du, die gänzlich sind verlassen? Die Gnadentür geht nimmer zu, Vernunft kann das nicht fassen etc. Zeitliche Dinge bringen Veränderung in unserm Gemüte, halten uns ab vom innigen Gebet; darum müssen wir vergessen Zeit, Ort und aller Kreaturen, d. i. wie die deutsche Theologie Kap. 30. sagt: Du mußt verlassen hie und da, dies und das, heut und morgen, und ganz in einen Stillstand kommen aller deiner Kräfte und Gemüts. Wenn du betest, so bricht solcher Sabbat an in deinem Herzen, du ruhest von allen zeitlichen Sorgen und Gedanken, Gott kommt alsdann mit seinem Wort aus der Höhe; da wirst du gewahr und schmeckest die Treue, Güte und Wahrheit Gottes, wie sie lang zuvor auf dich wartete, ehe du ihn kanntest. Da mußt du bei dir mit Mose 2 Mos. 34,6. sagen: Ach Herr, du bist treu, gnädig, barmherzig, langmütig, voll großer Güte, kommst allen zuvor, ehe sie bitten. Da wirst du dich verwundern, dass du aus eigener Blindheit deinem lieben Gott eine solche Unvollkommenheit angedichtet hast, als müßte er durch Zeremonien, Geschrei, Gebet, erst erwecket und ermuntert werden, oder als bedürfte Gott deines Gebets, langer Worte: so er doch dein Herz gesehen und alle Gedanken gemerket, ehe du geboren warest, Ps. 139,2.

 

Gebet um Erkenntnis, dass man Gott an allen Orten und zu allen Zeiten anbeten könne.

 

O allmächtiger, ewiger, gütiger Gott und Vater! deine Güte und Wahrheit ist höher denn der Himmel, tiefer als der Abgrund, breiter denn die Erde, vor dir sind alle Örter ein Ort, alle Zeiten eine Zeit. Du bist über alle Örter und Zeiten, durch-dringest und erfüllest alles, bist mir näher, als ich mir selber bin, kommst mir mit deiner Gnade zuvor, liebest mich armen Sünder, ehe ich solches erkenne. Lehre mich durch deinen Geist, solches alles mit Ernst zu betrachten, so werde ich dir, o allwissender, allgegenwärtiger Vater! hinfort aus meiner Unwissenheit nicht zumessen, als müßte ich dich durch mein Geschrei erst erwecken, hin und her laufen, dich suchen und zu gewisser Zeit anreden, sondern ich werde verstehen, dass dich die wahren Anbeter finden an allen Orten und zu allen Zeiten, und deine Güte gegenwärtig; Niemand aber derselben genieße, noch deine Süßigkeit schmecke, er werde denn durch das heilige Gebet von dir dazu ermuntert und erwecket. Dass ich nun hiezukommen möge, wollest du durch deinen heiligen Geist selber in mir wirken und geben, Amen.

 

KAPITEL 12

 

AUS OBGEMELDTEN BETRACHTUNGEN

WIRD NICHT ALLEIN DAS HERZ ZUM WAHREN GEBET BEREITET, SONDERN ES FOLGEN AUCH DARAUS ANDERE SCHÖNE LEHREN.

 

Inhalt.

1) Wir lernen, 1. dass Gott alles zuvor weiß, ehe wir beten. 2) 2. Dass Gott nicht langer Erzählung, sondern wir täglicher Übung bedürfen. 3) 3. Dass Gott be-gieriger sei zu geben, als wir zu nehmen. 4) 4. Dass nicht Gott dürfe auferweckt werden, sondern vielmehr wir. 5) 5. Dass Gott unermeßlich gütig, die Menschen aber ungläubig und faul seien. 6) 6. Dass nicht Gott, sondern wir Ursache unsers Mangels seien. 7) 7. Dass Gott allezeit und allenthalben wolle angebetet werden. 8) Dies müssen wir wissen und tun.

 

Ehe sie rufen, will ich hören, und wenn sie noch reden, will ich ihnen antworten. Jes. 65,24.

 

Wir lernen hieraus 1) dass Gott nicht seinethalben das Beten gebiete, weil er alles zuvor weiß, sondern dass wir dadurch erwecket, erkennen, wie er zuvor alles wisse. Denn so sorgfältig ist Gott für uns, dass er ein Ding nicht eher wissen will, wir haben es denn auch erfahren in uns, dass er alles wisse. Darum, wenn wir nicht fleißig beten, dünket uns gleich, als wüßte es Gott nicht. Wenn wir uns aber im Gebet üben, so lernen wir bald, dass Gott alles wisse, was uns anliege, dass auch unsere Haare des Hauptes gezählet worden, ehe wir geboren waren. Das alles bleibt den Verächtern des Gebets verborgen.

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2. 2) Dass Gott nicht bedürfe langer Erzählung, wie ein Mensch, sondern wir bedürfen täglicher Übung, damit der inwendige Mensch einkehre in das Reich Gottes.

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3. 3) Dass Gott tausendmal begieriger sei (wie Dr. Taulerus sagt) zu geben, als wir zu nehmen, durch das Gebet und die Hoffnung.

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4. 4) Dass Gott nicht bedürfe unserer Zeremonien, Wachen, Fasten, Schreien, damit er erwache, der nimmer schläft, Ps. 121,3.4. und zuvor kommt, ehe wir beten, ja ehe wir ihn kennen, Jer. 1,5. sondern dass der faule, schlafende Men-sch durch diese Dinge müsse geleitet, geführet, gereizet, ermuntert und erwecket werden, dass er innen werde, wie treulich der himmlische Vater für alle Men-schen sorge.

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5. 5) Wir lernen die unermeßliche Güte, Treue und Barmherzigkeit Gottes gegen alle Menschen, Sir. 18,12. dagegen des Menschen Blindheit, Unglauben, Faul-heit und unsägliche Nachlässigkeit, indem er solche Treue nicht achtet, das Be-ten, Suchen und Anklopfen verachtet.

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6. 6) Dass Gott gerecht bleibe in allen seinen Werken, und keine Ursache sei unsers Mangels, Blindheit und Unwissenheit, sondern wir selber, die wir nicht nach seinem Befehl beten, suchen, anklopfen. Also rächet sich die Bosheit und Faulheit selbst. Ein jeder Sünder plagt sich selbst, der unparteiische Gott bleibet gerecht in seinen Werken.

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7. 7) Dass Gott weder an Zeit noch Ort gebunden, sondern darüber erhoben sei, und wolle allewege, allezeit, allenthalben im Geist und Wahrheit angebetet wer-den, Joh. 4,21.23.

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8. Diese Betrachtungen entledigen den Menschen von vielen Irrtümern, und tun ihm gleich die Augen auf, zu erkennen, was ihm sonst unbekannt bliebe. Denn solches nicht wissen, ist einem Christen eine große Schande; wissen aber und nicht üben, ist noch größere Schande.

 

Gebet um Erweckung zum Reich Gottes.

 

O Gott! wecke uns auf, so wachen wir, zeuch uns nach dir, so laufen wir den rechten Weg durch Christum ins Reich Gottes, Amen.

 

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