DAS NEUNUNDZWANZIGSTE KAPITEL. (2.B./29.K.)

 

WIE DIE LIEBHABENDE SEELE

GOTT IN SEINEN WOHLTATEN ANSCHAUET,

ALS DIE MILDESTE GÜTIGKEIT.

 

Inhalt.

1) Gott tut alles, den abgekehrten Menschen wieder zu sich zu wenden. 2) Der närrische Mensch aber will solches nicht verstehen. 3) Wir wollen demnach die leiblichen und geistlichen Wohltaten Gottes betrachten. 4) 1. Die leiblichen, als: den Schutz der Engel. 5) Den Himmel mit Sonne, Mond und Sternen. 6) Die Luft und Wolken, Donner, Blitz, Hagel etc. 7) Die mancherlei Art der Winde, 8) und Gattungen der Fische und Vögel. 9) Die Erde, als Gottes große Speisekammer. 10) 2. Die geistlichen Wohltaten der heiligen Dreieinigkeit. 11) Alle göttlichen Wohltaten sind Gottes Boten, uns zu Gott zu bringen. 12) O Mensch! können diese Flammen dich nicht zur Liebe entzünden? 13) Gegen Gott, der deiner Liebe am meisten würdig ist? 14) Du kannst dich ja der Liebe Gottes nicht er-wehren, sie umgibt dich allenthalben. 15) Halt doch dein Herz so lang an dies,

bis es entzündet werde.

 

Daran ist erschienen die Liebe Gottes gegen uns, dass Gott seinen einge-bornen Sohn gesandt hat in die Welt, dass wir in ihm leben sollen. Darinnen besteht die Liebe, nicht dass wir Gott geliebt, sondern dass er uns geliebt hat, und gesandt seinen Sohn zur Versöhnung für unsere Sünden. 1 Joh. 4,9.10.

 

Alles, was Gott der Herr mit dem Menschen handelt und vornimmt, es seien Wohltaten oder Strafen, das tut er alles zu dem Ende, dass er den Menschen, der von ihm abgewendet ist, wieder zu sich wende und bekehre.

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2. Der Mensch aber ist närrisch und dumm wie das Vieh, Ps. 32,9. und verstehet nicht die Ursache, warum ihm Gott große Wohltaten erzeiget, nämlich, dass er ihn damit zu sich locke, dass er Gott lieben soll; bedenket auch nicht, warum ihn Gott strafe, nämlich, dass er ihn zu sich bekehre, und zu sich wende.

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3. Wir wollen aber erstlich die leiblichen Wohltaten betrachten, darnach die geist-lichen und ewigen.

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4. 1) Gott hat nichts erschaffen, das dem Menschen nicht diene, es sei sichtbar oder unsichtbar. Die Unsichtbaren, die uns dienen, sind die heiligen Engel, derer Weisheit, Stärke, fleißige Hut und Wache über uns die göttliche Schrift an vielen Orten rühmet und offenbaret, also, dass viele Engel auf einen Menschen warten müssen; wie die Geschichte des Erzvaters Jakob und Elisäi bezeuget, 1 Mos. 32,1.2. 2 Kön. 6,17. Alldieweil auch viele böse Geister auf einen Menschen lauern, ihn zu verderben, so sind auch dagegen viele heilige Wächter von Gott verordnet. Wie sie sich auch freuen über unsere Buße und Gebet, lehret der Herr, Luk. 15,10. Diese Wohltat, weil sie unsichtbarer Weise geschieht, achten viele Leute für gering; aber ein Weiser, der nicht allein die sichtbare Welt an-schauet, sondern auch die unsichtbare, der verstehet wohl, dass im unsichtbaren Wesen, darinnen Gott wohnet, viel größere Herrlichkeit, viel ein größeres Volk und Kriegsheer, viel größere Herrschaften und Fürstentümer sein müssen, als in dieser sichtbaren Welt. Und dieweil uns Gott seine eigenen Diener zu Wächtern gibt, seine Fürsten und Herrschaften, so siehet man ja wohl, wie dieses eine überaus große Wohltat ist. Gleich als ein Fürst durch seine eigenen Diener einen begleiten und beschützen lässet, der etwa durch eine Wildnis reisen soll, oder durch der Feinde Land.

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5. Schau den Himmel an, wie Gott denselben zu deinem Dienst verordnet hat. Siehe an den wunderbaren Lauf der Sonne und des Mondes, warum laufen sie so unverdrossen Tag und Nacht, und stehen nicht einen Augenblick stille? 1 Mos. 1,16. sind sie nicht fleißige und emsige Diener des Menschen? Denn Gott bedarf ihres Dienstes nicht, er bedarf ihrer Wirkung, ihres Lichts nicht, der Mensch aber bedarfs. Die Sonne dienet dir als ein unverdrossener Knecht, der frühe aufstehet alle Tage, und das Licht und die schöne Fackel vor sich her trägt, erinnert dich des ewigen Lichts, welches ist Christus und sein göttliches Wort, das soll deiner Seele Licht und Leuchte sein, dass du sollst als ein Kind des Lichts wandeln. Der Mond und die Nacht decket dich zu mit einem Schatten, als mit einem Bette, bringet dir Ruhe, lehret dich unter dem Schatten des Höchsten bleiben und wohnen, Ps. 91,1. Der Mond ist wie eine unverdrossene Magd, die holet Wasser, und befeuchtet die Erde. Ja es ist kein Stern, er hat seinen Segen dem Menschen zu gut empfangen, und leuchtet um des Menschen willen.

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6. Siehe an die Luft und die Winde, wie schön und klar machen sie den Himmel, vertreiben die Wolken, und treiben die Wolken zusammen, als große Wasserfälle und Schläuche, Ps. 33,7. gießen es hernach aus auf die Erde. Und ist sehr zu verwundern, dass Gott das Wasser in den Wolken unter dem Himmel zu-sammenhält, als in einem Schlauch, und die Luft muß es tragen und halten. Und sind die Wolken nichts als ein feuchter Dunst, welcher sich hernach auflöset in Tropfen, Hiob 26,8. Kap. 36,27. Auch dienet uns der starke Donner, Blitz und Hagel etc. Hiob 37,2. seq. dass wir Gottes Gewalt darinnen erkennen, beten und Gott danken, wenn er uns errettet hat im schrecklichen Wetter, wie Ps. 18,8. lehret.

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7. Siehe die mancherlei Art der Winde an, die regieren die Schifffahrt, und wo ein Wind hinstreicht, da fährt das Schiff mit als ein Vogel, der durch die Luft fliegt. Dadurch können alle Örter und Heimlichkeiten der Welt besucht werden, auf dass nichts verborgen bleibe, was Gott dem Menschen zu gut geschaffen, Ps. 135,7.

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8. Siehe die mancherlei Arten der Fische im Meer an, 1 Mos. 1,20.21. Ps. 104,25. die haben ihre Zeit und Monden, wenn sie kommen, so präsentieren sie sich an, heben sich aus der Tiefe hervor in die Höhe, stehen da, als eine Herde Schafe, ja so dick, als das Getreide auf dem Felde, als sprächen sie: Jetzt ist unsere Zeit, jetzt ist die Ernte des Meers, greift zu, ihr Menschen. Also ist es auch mit den Vögeln, wenn ihre Zeit ist, fliegen sie haufenweise, und zeigen sich den Menschen.

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9. Siehe die Erde an, die große Speise- und Schatzkammer Gottes, die gibt hervor Speise und Trank, Arznei und Kleidung, unsere Häuser und Wohnung, und mancherlei Metalle, Gold und Silber. Ein jeder Monat gibt seine Blumen, die treten hervor, als sprächen sie: Hier sind wir, und bringen unsere Gaben und Geschenke, und verehren euch es so gut, als wir es von unserm Schöpfer empfangen haben. Ja, siehe den Wald an, welcher eine Behausung ist des Wildes; das hat Gott den Menschen in ihre Hand gegeben, und sie zu Herren darüber gesetzet. Und wenn man alle leiblichen Wohltaten Gottes zählen sollte, wäre es ja unmöglich, eines einigen Landes Wohltaten alle zu zählen. Denn es ist ja nicht der geringste Apfel oder sonst eine Frucht, es ist eine Wohltat Gottes, die zähle nur einer, wenn er so geschickt ist; und wir sollten den wohltätigen und gütigen Gott nicht daraus lernen erkennen? Ps. 65,10.11.12. Wenn ein großer Potentat und Herr sein ganzes Reich, alle seine Herrschaft, Ritterschaft und Gewaltigen, ja alle seine Untertanen, dir dienstbar machte, und geböte, dass sie dich behüten, bewahren, kleiden, arzneien, speisen, tränken sollten, und bei Leibesstrafen zusehen, dass dir nichts mangle, wolltest du ihn darum nicht lieb haben, und für einen wohltätigen, liebreichen Herrn halten? Ein Tor müßte sein, der das nicht täte. Wie kannst du denn Gott deinen Herrn nicht lieben, der dir alles, was im Himmel und vom Himmel ist, was auf Erden und allenthalben ist, zu deinem Dienst verordnet hat, und sich nichts vorbehalten? Denn er bedarf keiner Kreaturen für sich, und hat nichts ausgenommen aus allen Heerschaaren der heiligen Engel, unter den Sternen und allen seinen Geschöpfen, das dir nicht dienen sollte. Wenn wir nur wollen, stehen sie uns zu Dienste, ja auch die Hölle muß uns dienen in dem, dass sie uns eine Furcht und Schrecken einjagt, dass wir nicht sündigen, ja, indem sie alle Gottlosen und unsere Feinde strafet und peiniget, mehr als ein Mensch wünschen möchte.

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10. 2) Lasset uns nun an der Leiter der Kreaturen zu Gott dem Schöpfer hinauf-steigen, und die geistlichen Wohltaten betrachten. Hat nicht die heilige Dreifaltig-keit, eine jede Person insonderheit, dem Menschen große Gnade und Wohltat erzeigt? Der Vater hat uns seinen Sohn geschenket, wie sollte er uns nicht alles mit ihm schenken? Röm. 8,32. Hat sich nicht Gott der Sohn uns selbst gegeben, mit allem, was er ist, und was er hat? Röm. 5,8. Darum preiset Gott seine Liebe gegen uns, dass Christus für uns gestorben ist, da wir noch Sünder waren etc. Ist nicht der heilige Geist in uns, der unsere Seelen erleuchtet, reiniget, lehret, tröstet, schmücket und zieret mit seinen Gaben? Röm. 8,16. Er gibt Zeugnis unserm Geist, dass wir Gottes Kinder sind.

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11. Summa, Gottes Barmherzigkeit gießt sich gar über uns aus, und läßt nichts unterwegen, dadurch sie den Menschen zur Liebe Gottes bewegen könne. So viele Wohltaten, als uns Gott erzeiget, so viele Boten sendet er uns, wir sollen zu ihm kommen, und seiner Liebe genießen. Wenn du Gottes Wort, Engel, alle Propheten, Apostel und alle Heiligen fragest, ja alle Kreaturen fragen wirst: Wo kommt ihr her? So werden sie sagen: Wir sind Boten der Barmherzigkeit Gottes, wir tragen Feuer und Flammen, damit des Menschen Herz, so mit einer tödlichen Kälte erfroren und übereiset ist, möchte in Gottes Liebe wieder erwärmt werden. Dennoch vermögen so viele feurige und flammende Boten Gottes nicht das tot-kalte und erfrorne Herz zu erwärmen. Und ist demnach dieses das höchste Wunderwerk des Teufels, das er kann: dass er ein menschliches Herz so eiskalt macht, dass es so viele Flammen der Liebe Gottes nicht erwärmen können.

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12. Darum merke auf, du menschliches Herz! und siehe, wohin dich dein Schöpfer gesetzt hat. Mitten unter so vielen feurigen Wohltaten, da die leuch-tenden Engel um dich her gehen mit ihrer feurigen Liebe, da so viele Kreaturen und Boten Gottes sind, die dir alle seine Liebe ankündigen. Was hat nun der allmächtige Gott wider dich gesündiget? Womit hat er es verschuldet, dass du ihn nicht lieben und loben willst, oder kannst? Ist es zu wenig, was er getan, siehe, so erbietet er sich noch mehr zu tun. Er will dir noch einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen, und eine neue schöne himmlische Stadt erbauen, welche seine Herrlichkeit erleuchten soll, ja, er will dich mit seiner Herrlichkeit und Licht erleuchten, Offenb. 21,10. seq. Sage mir, wie könnte ein junges Weibs-bild so erkaltet sein, dass sie nicht lieben sollte einen jungen schönen Bräutigam, dessen Schönheit und Frömmigkeit sie Tag und Nacht hörete rühmen, ja der sie vom Tode errettet, und sie schön schmückte über allen Schmuck? Wäre sie nicht eine große Närrin, wenn sie denselben nicht wollte lieben? Darum erkenne du, menschliche Seele! wie du vom Teufel erkaltet bist, dass du gar nicht kannst in der Liebe Gottes erwärmt werden.

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13. Und dieweil ja Gott allen menschlichen Herzen die Liebe eingepflanzt hat, so sage mir, wenn deine Liebe zu kaufen wäre, wem wolltest du sie lieber verkau-fen, denn Gott deinem Herrn? Meinest du aber, Gott habe dir deine Liebe nicht teuer genug abgekauft und bezahlt? Hat er dir nicht seinen Sohn dafür gegeben, und Himmel und Erde dazu? Denn alles, was du von der Welt hoffest und er-wartest, dass sie dir für deine Liebe geben sollte, ist nichts dagegen, was dir Gott gegeben hat, und was er künftig bereitet denen, die ihn lieb haben, 1 Kor. 2,9. Jes. 64,4. Die Welt gibt dir etwa eine Hand voll Ehre und Reichtum, und damit viele Schmerzen; noch liebest du sie: warum liebest du Gott nicht vielmehr, der das einzige Gut ist? Ist aber deine Liebe umsonst zu langen, wie kann ihr etwas Bessers anstehen, als dass sie das höchste, ewige und schönste Gut liebe? Denn ein jedes Ding, das man liebt, das ist seine Schönheit und Schmuck. Wirst du Gott lieben, so wirst du keine bessere Schönheit und Schmuck haben können.

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14. Und letztlich ist es ja billig, dass wir den lieben, der uns zuerst geliebet hat, 1 Joh. 4,19. Rechne alle Wohltaten Gottes zusammen, so wirst du finden, dass alle Kreaturen voll sind der Liebe Gottes; dieselbe geht dir nach, und umgibt dich, dass du dich derselben gar nicht erwehren kannst, und kannst dich nicht vor ihr verbergen; sie ist zu stark, sie überwindet dich, du mußt ihr genießen, es wäre denn, dass du nicht leben wolltest.

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15. Nun lieben ja alle Tiere die, von welchen sie geliebt werden: wolltest du denn ärger sein als ein Tier, und deinen Liebhaber hassen, in dessen Liebe du lebest und webest, stehest und gehest, schläfest und wachest? Gleichwie man aber dasjenige, was man anzünden und anbrennen will, so lange zum Feuer halten muß, bis es brennend wird; also mußt du auch dein Herz so lange halten zu dem Feuer der Liebe Gottes, bis es in derselben entzündet und brennend werde, welches geschiehet durch stete Betrachtung der Wohltaten Gottes. Wie vor Zeiten die Priester mit dem heiligen Feuer die Opfer mußten anzünden, 3 Mos. 6,12. also muß der ewige Hohepriester, Christus Jesus, durch das Feuer seines heiligen Geistes das Opfer deines Herzens anzünden. Und hat dies heilige Feuer seiner Liebe von Ewigkeit her gegen uns gebrannt, denn vor der Welt Grund sind wir in Christo geliebt. Es hat sich aber darnach herrlich ereignet in des Herrn Menschwerdung und Geburt, und sonderlich in seinem heiligen Leiden und Sterben, dadurch er uns die höchste Liebe erzeigt, und wird das Feuer seiner Liebesflamme auch in Ewigkeit gegen uns nicht erlöschen. Zu demselben Feuer halte dein kaltes Herz, dass du erwärmet, und mit der Liebe Christi entzündet und vereiniget werdest.

 

Gebet um rechte Erkenntnis der Wohltaten Gottes.

 

Deine Liebe, mein lieber Gott! hast du gegen mich in unzähligen geistlichen und leiblichen Wohltaten erscheinen lassen, wodurch du mich zu schuldiger Gegen-liebe zu erwecken suchest. Ach! dass ich doch einmal recht angeflammet würde, dich einig und innig zu lieben, und mich dir ganz und gar aufzuopfern. Gieß sehr tief in mein Herz hinein die Flamme deiner Liebe. Du süße Liebe! schenk mir deine Gunst, laß mich empfinden deiner Liebe Brunst, dass ich dich herzlich liebe in Zeit und Ewigkeit, Amen.

 

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