DAS DREIUNDZWANZIGSTE KAPITEL. (2.B./23.K.)

 

EIN MENSCH,

DER SEINE EIGENE NICHTIGKEIT NICHT ERKENNET,

UND NICHT ALLE EHRE GOTT GIBT,

BEGEHET DIE GRÖSSTE SÜNDE UND DES TEUFELS FALL.

 

Inhalt.

1) Der nichtige Mensch wird einem Schatten und Traum verglichen. 2) Wer dies vergisset, der fällt ab von Gott in sein eigenes Nichts. 3) Solche Hoffart ist die größte Sünde und die größte Strafe. 4) Sie ist des Satans Fall, und will Gott selbst sein. 5) Sucht Hilfe und Trost bei den Kreaturen, ja beim Teufel, welches die größte Torheit ist.

 

Wie gar nichts sind alle Menschen, die doch so sicher leben! Ps. 39,6.

 

Daß der Mensch seine Nichtigkeit erkennen solle, darum vergleichet ihn der 39. Ps. v. 7. einem Schatten, und spricht: Sie gehen dahin, wie ein Schatten. Und Ps. 90,5. vergleichet den Menschen einem Traum: Sie sind wie ein Schlaf. Was ist nun ein Schatten? Es ist eine tote, leblose Gestalt des Dinges, daran er hängt, und für sich selbst kein Wesen und Leben, sondern ist nichts. Also hat auch der Mensch von sich selbst weder Leben noch Wesen, weder Kraft noch Vermögen, sondern hänget an Gott, als ein Schatten am Leibe, als ein Schein an der Sonne; ist von sich selbst leb- und kraftlos, und gar nichts, hat auch nichts, das er für sein Eigentum rühmen könnte. Denn was hat ein Schatten, das sein ist? Ist er doch selbst nichts, wie kann er etwas haben, das sein ist? Was ist aber ein Traum? Nichts als Eitelkeit, Sir. 34,2.

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2. Wenn nun ein Mensch das vergisset, dass er als ein Schatten an Gott hanget an dem, der alles allein ist, ist und meint, er sei etwas, da er doch nichts ist, der betrügt sich schändlich, Gal. 6,3. denn er fällt ab von dem wahren Wesen, das alles allein ist, und sein eigenes Nichts; von dem wahren, ewigen, höchsten Wesen fällt er in das, so nichts ist, von dem unbeweglichen Gut in die Eitelkeit, und von der Wahrheit in die Lügen.

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3. Das ist nicht allein die größte Sünde, sondern auch die größte Strafe. Denn je mehr ein Mensch sich von Gott abwendet zu sich selbst, zu seiner eigenen Liebe und Ehre, Kraft und Vermögen, desto mehr er sich wendet und kehret zu seinem größten Jammer und Elende. Und das ist seine Strafe und des Menschen eigene Schuld. Dann aber wendet sich der Mensch von Gott ab, und verläßt den Fels seines Heils, 5 Mos. 32,15. wenn er sich selbst große Kraft, Kunst und Vermö-gen, Weisheit, Ehre und Würdigkeit zuschreibt, dadurch der Mensch etwas sein will, da doch dies alles nicht des Menschen, oder einiger Kreatur ist, sondern allein Gottes. Denn alles, was Leben, Kraft, Vermögen, Stärke, Weisheit, Ehre und Würdigkeit heißt, das ist alles Gottes, und gebühret keiner Kreatur. Denn jede Kreatur ist ein bloßer Schatten, und nichts von sich selbst, und ihr Leben, Wesen, Vermögen, Weisheit, Kraft und Stärke ist Gottes und nicht der Kreatur.

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4. Eignet nun ein Mensch dasselbe alles, oder dessen etwas sich selbst zu, so ist es ein Abfall von Gott. Denn das war des Satans Fall, dass er nicht blieb in der Art und Eigenschaft einer Kreatur, welche ihr Leben, Wesen und Kraft in Gott hat und haben soll, wie ein Schatten seine Bewegung vom Leibe hat, sondern maßete sich dessen an, das Gottes ist, wollte eigene Ehre haben, eigenen Ruhm, Weisheit und Herrlichkeit, da doch dieses keiner Kreatur gebühret, son-dern allein Gott, weil alles Gottes ist. Darum ließ ihn Gott fallen, und seine Gnade erhielt ihn nicht mehr. So gehts auch allen Menschen, die aus Hoffart und Ehr-geiz sich etwas zuschreiben, das Gottes ist, die müssen fallen; denn Gottes Gnade erhält sie nicht, weil sie sich von Gott abwenden, ja, eben das sein wollen, was Gott ist. Gott ist allein alles, Gott ist allein gut, und alles Gut wesentlich; darum alles, was gut ist, soll sich keine Kreatur zuschreiben. Darum spricht der Herr: Niemand ist gut, denn Gott allein, Matth. 19,17. d.i. er ist das wesentliche Gut, und alles Gut allein. Darum wollte auch unser Herr nicht aus eigener Ehre, im Stande seiner Niedrigkeit, sich dasselbe zueignen, das Gott allein ist, weil er für einen pur lautern Menschen gehalten und angesehen ward.

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5. Damit will uns der Herr lehren, dass sich kein Mensch selbst zueignen soll, was Gottes ist, und die Ehre annehmen soll, die allein Gottes ist. Tut es aber ein Mensch, so begehet er die rechte Hauptsünde, und raubet Gott, was sein ist, ja will selbst Gott sein, und dadurch wendet sich der Mensch von Gott ab zu sich selbst. Darum suchet auch ein solcher elender Mensch seine Hilfe, Rat und Trost nicht allein bei Gott, sondern bei den Kreaturen, ja oft bei dem Teufel selbst; welches die höchste Verblendung ist, und die größte Torheit, nämlich Gutes suchen bei den Bösen, das Leben bei dem Tode, die Seligkeit bei den Ver-dammten, Hilfe bei den Verderbten, den Segen bei den Verfluchten, das Licht bei der Finsternis. Im Gegenteil ist die höchste Weisheit, das Gute suchen bei dem Brunnen und Ursprung alles Guten, das Leben bei dem Ursprung und Brunnen des Lebens, die Seligkeit bei dem Ursprunge des Heils, die Hilfe bei dem, der alles vermag, dem kein Ding unmöglich ist, Luk. 1,37.

 

Gebet um wahre Demut. (Siehe im Paradiesgärtlein.)

 

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