DAS NEUNUNDDREISSIGSTE KAPITEL. (2.B./39.K.)

 

EIN GESPRÄCH DER GLÄUBIGEN SEELE MIT GOTT.

 

Inhalt.

1) Die gläubige Seele darf getrost mit Gott reden, 2) und unerachtet ihres natür-lichen und sündlichen Nichts, wie Abraham mit dem Herrn sprechen. 3) So oft ein gläubiges Herz Gott anrufet, so oft antwortet ihm der Herr; wie die ganze heilige Schrift bezeuget, 4) welche nichts anders ist, denn ein Gespräch der gläubigen Seele mit Gott.

 

Willst du denn ewig über uns zürnen und deinen Zorn gehen lassen für und für? Willst du uns denn nicht wieder erquicken, dass sich dein Volk über dir freuen möge? Herr, erzeige uns deine Gnade, und hilf uns! Ps. 85,6.7.8.

 

Dies ist ein freundliches Gespräch der gläubigen Seele mit Gott. Denn mit wel-chem Fürsten oder Könige hätte wohl ein Mensch Macht also zu reden? Wenn der Fürst oder König zornig ist, darf man ihn auch also ansprechen? Ich denke es nicht. Aber Gott hat die gläubige Seele also lieb, die ist gleich als Gottes Kammerdienerin, die darf zu Gott hineingehen, ohne Anklopfen. Sobald die kommt, spricht Gott: Was willst du? Komm herein, und fürchte dich nicht. Es ist bedeutet durch die Bathseba, 1 Kön. 1,16. die ging zu David in seine Kammer, neigete sich, und betete den König an, und der König schwur ihr etc. Item: durch die Esther, die zum Könige Ahasvero hinein ging, und er legete seinen Szepter auf ihr Haupt, Esth. 5,1.

----------

2. Wenn hohe Personen mit ihren Untertanen reden, achtet man solches für eine hohe Gnade, Herrlichkeit und Leutseligkeit, und gereichet denselben zum be-sondern Lob. Daher man lieset, weil Titus, der römische Kaiser, so leutselig gewesen, haben seine Untertanen ihn nicht höher wissen zu rühmen, als dass sie ihn die Liebe und Wollust des menschlichen Geschlechts genennet haben, weil die Leute an ihm ihre Lust und Freude gehabt. Viel größere Herrlichkeit, Lust und Freude ist es, dass Gott, ein Herr aller Herren, und König aller Könige, von dem Ps. 47,3. spricht, dass er der Allerhöchste sei, erschrecklich, ein großer König über den ganzen Erdboden, mit den armen Menschen redet, die nicht allein Staub und Asche sind, wie Abraham spricht: Siehe, ich habe mich unter-wunden, mit dem Herrn zu reden, wiewohl ich Staub und Asche bin, 1 Mos. 18,27. sondern dass er auch mit den Menschen, als armen Sündern, welche durch die Sünden von ihm abgeschieden, Jes. 59,2. ein freundliches Gespräch hält. Denn wenn ein christliches Herz die Majestät und Hoheit Gottes, auch seine und des menschlichen Geschlechts niedrige Ankunft, elenden Zustand und sündliche Unwürdigkeit betrachtet, so ist kein Zweifel, es werde mit David, Ps. 8,5. ausrufen: Herr! was ist der Mensch, dass du sein gedenkest, und des Men-schen Kind, dass du ihn so achtest? Sintemal ein jeder Mensch bekennen muß, dass er unwürdig sei, mit Gott zu reden, wie hoch und heilig er auch ist; welches der fromme Abraham auch beherziget, da er für die Sodomiter bat, und damit Gott seine Rede nicht ungnädig aufnehme, spricht er: Ach Herr! zürne nicht, dass ich noch einmal rede, 1 Mos. 18,30.32. So oft nun Abraham redet, so oft ant-wortet ihm der Herr. Das ist ein herrlicher Spiegel des Gesprächs Gottes mit der gläubigen Seele, denn Abraham ist der Vater aller Gläubigen.

----------

3. Derowegen ist ganz gewiß und ungezweifelt, so oft ein gläubiges Herz Gott anrufet, so oft antwortet ihm Gott der Herr durch wahren Trost. Nehmet euch dessen ein Exempel aus Ps. 85,1. seq. da redet David Gott den Herrn also an: Herr, der du bist vormals gnädig gewesen deinem Volk, der du die Missetat vormals vergeben, und allen deinen Zorn aufgehoben hast, tröste uns. Willst du uns denn nicht wieder erquicken? Ach! dass ich hören sollte, dass der Herr redete etc. Darauf hat er eine Antwort im Herzen bekommen. Darum spricht er: Doch ist ja seine Hilfe nicht ferne. Hie spricht er: Ach! dass ich hören sollte, dass der Herr redet! Und im 50. Ps. v. 7. antwortet Gott: Höre, mein Volk, laß mich reden. Im 6. Ps. v. 1. redet die betrübte Seele: Ach, Herr! strafe mich nicht in deinem Zorn; darauf antwortet der 103. Ps. v. 8. Barmherzig und gnädig ist der Herr, geduldig und von großer Güte. Im 139. Ps. v. 7. Herr! wo soll ich hinfliehen vor deinem Angesicht? Darauf antwortet der Herr: Matth. 11,28. Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken, Jer. 10,23. Ich weiß, dass des Menschen Tun nicht stehet in seiner Gewalt, und stehet in niemands Macht, wie er wandele, und seinen Gang richte. Darauf antwortete der Herr: Ps. 32,8. Ich will dich unterweisen, und dir den Weg zeigen, den du wandeln sollst. Ich will dich mit meinen Augen leiten. Im 86. Ps. v. 11. spricht die gläubige Seele: Weise mir, Herr! deinen Weg, dass ich wandele in deiner Wahr-heit. Darauf antwortet der Herr: Joh.14,6. Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Willst du nicht irre gehen, ich bin der Weg; willst du nicht verführet werden, ich bin die Wahrheit; willst du nicht im Tode bleiben, ich bin das Leben. Im 38. Ps. v. 4,6. klaget die gläubige Seele: Es ist nichts Gesundes an meinem Leibe vor deinem Dräuen, und ist kein Friede in meinen Gebeinen vor meiner Sünde. Meine Wunden stinken und eitern vor meiner Torheit. Darauf antwortet Gott: Jes. 53,5. Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Friede hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilet. Jer. 17,14. spricht die gläubige Seele: Heile du mich, Herr! so werde ich heil, hilf mir, so ist mir geholfen. Darauf antwortet der 103. Ps. v. 3. Der dir alle deine Sünden vergibt, und heilet alle deine Gebrechen. Mit Manasse klaget die gläubige Seele: Meine Sünden sind groß und viel, wie der Sand am Meer. Geb. Man. v. 9. Darauf antwortet Gott: Jes. 43,25. Kap. 44,22. Ich tilge deine Sünde wie eine Wolke, und deine Missetat wie einen Nebel, und gedenke deiner Sünden nimmermehr. Ach! ich bin ein großer Sünder, spricht die Seele. Darauf antwortet Christus: Matth. 9,13. Ich bin gekommen die Sünder zur Buße zu rufen, und nicht die Gerechten. Ps. 25,7. spricht die gläubige Seele: Gedenke nicht der Sünde meiner Jugend, noch meiner Übertretung. Darauf antwortet Gott: Ezech. 18,22. Wenn sich der Gottlose bekehret, so soll er leben und nicht sterben, aller seiner Sünden soll nicht gedacht werden, Ps. 51,4. Wasche mich wohl von meiner Missetat und reinige mich von meiner Sünde. Antwort: Jes. 1,18. Ob eure Sünde gleich blutrot ist, wie Rosinfarbe, soll sie doch wie Wolle werden. Ps. 143,2. Herr, gehe nicht ins Gericht mit deinem Knecht, denn vor dir ist kein Lebendiger gerecht. Antwort: Joh. 3,17. Gott hat seinen Sohn nicht gesandt in die Welt, daß er die Welt richten soll, sondern dass die Welt durch ihn selig werde. Wer an ihn glaubet, der wird nicht gerichtet, und kommt nicht ins Gericht. Ps. 51,12. Schaffe in mir, Gott! ein reines Herz, und gib mir einen neuen gewissen Geist. Antwort: Ezech. 36,26. Ich will ihnen ein neues Herz und einen neuen Geist geben, dass sie in meinen Geboten wandeln sollen. Ps. 38,2. Ich bin elend, den ganzen Tag gehe ich traurig. Antwort: Jes. 61,2. Der Herr hat mich gesandt zu trösten alle Traurigen. Ps. 25,18. Siehe an meinen Jammer und Elend. Antwort: Jes. 66,7. Ich sehe an den Elenden, und der zer-brochenes Geistes ist. Ps. 56,9. Zähle meine Flucht. Antwort: Matth. 10,30. Alle eure Haare auf dem Haupte sind gezählet. Ps. 42,3. Wann werde ich dahin kommen, dass ich Gottes Angesicht schaue? Antwort: Joh. 12,26. Wo ich bin, da soll mein Diener auch sein. Ps. 13,2.3. Ach Herr! wie lange verbirgest du dein Antlitz vor mir? Wie lange soll ich sorgen in meiner Seele, und mich ängstigen in meinem Herzen täglich? Wie lange soll sich mein Feind über mich erheben? Antwort: Jes. 54,7.8. Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen, aber mit ewiger Gnade will ich mich deiner erbarmen. Halt gegen einander dein Leiden und die ewige Gnade; und ob die Verheißung verzeucht, so harre ihrer, sie wird gewißlich kommen, und nicht verziehen. Hab. 2,3. Ps. 22,12. Sei nicht ferne von mir, denn Angst ist nahe, und ist hie kein Helfer. Antwort: Ps. 91,15. Ich bin bei ihm in der Not, ich will ihn herausreißen und zu Ehren machen. Ps. 13,4. Er-leuchte meine Augen, dass ich nicht im Tode entschlafe. Antwort: Hos. 13,14. Ich will sie aus der Hölle erlösen, und vom Tode erretten. Phil. 1,23. Ich begehre aufgelöset zu werden, und bei Christo zu sein. Antwort: Luk. 23,43. Heute wirst du mit mir im Paradies sein.

----------

4. Summa, die ganze Schrift ist nichts anders, als ein Gespräch der gläubigen Seele mit Gott. Und so oft ein gläubiges Herz Gott seine Not klaget, oder zu Gott seufzet, so oft antwortet ihm Gott darauf durch innerlichen Trost oder durch den Trost seines göttlichen Worts.

 

Gebet um beständige Gnade, mit Gott ein Gespräch zu halten.

 

Wie hoch würdigest du doch, mein Gott! uns arme, nichtige und sündhafte Men-schen, dass wir je und allezeit, und in allem unserm Anliegen, ungescheut vor das Angesicht deiner hochheiligen Majestät treten mögen, Hilfe von dir zu bitten; ja, dass wir uns in ein vertrautes Gespräch mit dir, als ein Freund mit dem an-dern, einlassen dürfen? Ach! verleihe, dass ich mich solcher herrlichen Gnade nicht selbst unwürdig und verlustig mache, sondern allezeit zu dir halten, und in steter Gemeinschaft und herzlichem Vertrauen mit dir bis an mein Ende ver-harren möge! Amen.

 

- Zum nächsten Kapitel -