DAS SECHSTE KAPITEL. (1.B./6.K.)

 

WIE GOTTES WORT MÜSSE IM MENSCHEN DURCH DEN

GLAUBEN SEINE KRAFT ERZEIGEN, UND LEBENDIG WERDEN.

 

Inhalt.

1) Der ganze neue Mensch wird in der Schrift abgebildet. 2) Darum muß Gottes Wort in uns lebendig werden, sowohl das alte Testament, 3) als auch das neue Testament. 4) Das heißt, dem Bilde Christi ähnlich werden. 5) Christus aber muß in uns sein. 6) Und da wird im Glauben alles erfüllet. 7) Denn alle Schrift geht auf den Menschen, 8) und Christi Wunderwerke müssen auch geistlich in uns ge-schehen. 9) Summa, der äußerliche Buchstabe der Schrift muß im Geist erfüllet werden.

 

Sehet, das Reich Gottes ist inwendig in euch. Luk. 17,21.

 

Dieweil alles an der Wiedergeburt und Erneuerung des Menschen gelegen ist, so hat Gott alles das, was im Menschen geistlich im Glauben geschehen müsse, in die äußerliche Schrift verfasset, und darin den ganzen Menschen abgebildet. Denn dieweil Gottes Wort der Same Gottes in uns ist, so muß er je wachsen in eine geistliche Frucht, und muß das daraus werden durch den Glauben, was die Schrift äußerlich zeuget und lehret, oder es ist ein toter Same und tote Geburt. Ich muß in Geist und Glauben tröstlich empfinden, dass dem also ist, wie die Schrift sagt.

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2. Es hat auch Gott die heilige Schrift nicht darum offenbaret, dass sie auswendig auf dem Papier, als ein toter Buchstabe soll stehen bleiben, sondern sie soll in uns lebendig werden im Geist und Glauben, und soll ein ganz innerlicher neuer Mensch daraus werden, oder die Schrift ist uns nichts nütze. Es muß alles im Menschen geschehen durch Christum in Geist und Glauben, was die Schrift äußerlich lehret, als zum Exempel, besiehe die Historien Kains und Abels, so wirst du in ihren Arten und Eigenschaften dasjenige finden, was in dir ist, nämlich den alten und neuen Menschen mit allen ihren Werken. Diese beiden sind in dir wider einander. Denn Kain will immer den Abel unterdrücken und erwürgen. Was ist das anders, als der Streit zwischen dem Fleisch und Geist, und die Feind-schaft des Schlangensamens und Weibessamens. Die Sündflut muß in dir geschehen, und die böse Unart des Fleisches ersäufen. Der gläubige Noah muß in dir erhalten werden, Gott muß einen neuen Bund mit dir machen, und du mit ihm. Das verworrene Babel darf in dir nicht aufgebaut werden in seiner Pracht. Du mußt mit Abraham ausgehen von aller deiner Freundschaft, alles lassen, auch dein Leib und Leben, und allein in dem Willen Gottes wandeln, auf dass du den Segen erlangest, ins gelobte Land und ins Reich Gottes kommest. Was ist das anders, als was der Herr Luk. 14,26. sagt: Wer nicht verlässet Vater, Mutter, Kinder, Schwester, Haus, Äcker, Güter, ja sein Leben, der kann nicht mein Jünger sein; dass ist, ehe er Christum wollte verleugnen. Du mußt mit Abraham streiten wider die fünf Könige, die in dir sind, nämlich Fleisch, Welt, Tod, Teufel und Sünde. Du mußt mit Lot aus Sodom und Gomorra ausgehen, das ist, das ungöttliche Leben der Welt verleugnen, und mit Lots Weibe nicht zurücke sehen, wie der Herr Luk. 17,32. spricht. Summa, Gott hat die ganze heilige Schrift in den Geist und Glauben gelegt und muß alles in dir geistlich geschehen. Hierher gehören alle Kriege der Israeliten wider die heidnischen Völker. Was ist das anders, als der Streit zwischen dem Fleisch und Geist. Hieher gehöret das ganze mosaische äußerliche Priestertum mit dem Tabernakel, mit der Lade des Bun-des, mit dem Gnadenstuhl; das muß alles in dir geistlich sein durch den Glauben, mit dem Opfern, Räuchern, Beten. Dein Herr Christus muß das alles in dir sein, er hat alles zusammengefasset in dem neuen Menschen, und in dem Geist, und wird alles in dem Glauben vollbracht, ja oft in einem Seufzen; denn die ganze Bibel fließt zusammen in ein Centrum, oder Mittelpunkt in dem Menschen, gleich-wie durch die ganze Natur.

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3. Also, was ist das neue Testament dem Buchstaben nach anders, als ein äußerliches Zeugnis, dass es alles im Menschen also muß im Glauben ge-schehen. Denn das ganze neue Testament muß ganz und gar in uns sein, und dringet auch mit Gewalt dahin, weil das Reich Gottes in uns ist. Denn wie Christus ist durch den heiligen Geist im Glauben von Maria leiblich empfangen und geboren, also muß er in mir geistlich empfangen und geboren werden; er muß in mir geistlich wachsen und zunehmen. Und weil ich aus Christo bin eine neue Kreatur geschaffen, so muß ich auch in ihm leben und wandeln; ich muß mit ihm und in ihm im Exilio und Elend sein; ich muß mit ihm in Demut und Verschmähung der Welt, in Geduld und Sanftmut, in der Liebe wandeln; ich muß mit ihm meinen Feinden vergeben, barmherzig sein, die Feinde lieben, den Willen des Vaters tun; ich muß mit ihm vom Satan versucht werden, und auch überwinden; ich muß mit ihm um der Wahrheit willen, die in mir ist, verspottet, verachtet, verhöhnet, angefeindet werden, und so es sein soll, auch den Tod um seinetwillen leiden, wie alle seine Heiligen, zum Zeugnis vor ihm und allen Aus-erwählten, dass er in mir und ich in ihm gewesen, und gelebt habe durch den Glauben.

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4. Das heißt recht dem Bilde Christi ähnlich werden, nämlich mit ihm und in ihm geboren werden, Christum recht anziehen, mit ihm und in ihm wachsen und zu-nehmen, mit ihm im Elend wallen, mit seiner Taufe getauft werden, mit ihm verspottet werden, mit ihm gekreuziget werden, mit ihm sterben und auferstehen, mit ihm auch herrschen und regieren, und dasselbe nicht allein durchs heilige Kreuz, sondern auch durch tägliche Buße und innerliche Reue und Leid über die Sünde.

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5. Da mußt du täglich mit Christo sterben, und dein Fleisch kreuzigen, Röm. 6,5.6. Gal. 5,24. oder du kannst mit Christo, als deinem Haupt, nicht vereiniget bleiben; du hast ihn auch sonst nicht in dir, sondern außer dir, außer deinem Glauben, Herz und Geist, und da wird er nicht helfen, sondern in dir will er leben-dig sein, trösten und selig machen.

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6. Siehe, das tut der Glaube alles, der macht das heilige Wort Gottes in dir leben-dig, und ist in dir ein lebendiges Zeugnis alles dessen, wovon die Schrift zeuget. Und das heißt, der Glaube ist ein Substanz und Wesen, Heb. 11,1.

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7. Also ist hieraus genug offenbar, wie alle Predigten und Reden, so aus Christi, der Propheten und Apostel Munde gegangen, und die ganze heilige Schrift, stracks gerichtet sei auf den Menschen und auf einen jeden unter uns; alle Parabeln Christi gehen auf mich, und auf einen jeden insonderheit, samt allen Wunderwerken.

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8. Und darum ists auch geschrieben, dass es in uns geistlich geschehe. Denn Christus hat andern geholfen, er muß mir auch helfen; denn er ist in mir, er lebt in mir. Er hat Blinde sehend gemacht; ich bin auch geistlich blind, darum muß er mich auch sehend machen; und also mit allen Wunderwerken. Da erkenne dich für einen Blinden, Lahmen, Krüppel, Tauben, Aussätzigen, so wird er dir helfen. Er hat Tote lebendig gemacht; ich bin auch tot in Sünden, er muß mich in ihm lebendig machen, auf dass ich Teil habe an der ersten Auferstehung.

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9. Summa: der Glaube tut dies alles im Menschen, was die Schrift von außen zeiget. Sie beschreibt das Bild Gottes von außen, das muß in mir sein durch den Glauben; sie beschreibt das Reich Gottes äußerlich im Buchstaben, das muß in mir sein durch den Glauben; sie beschreibt Christum von außen, er muß in mir sein durch den Glauben. Die Schrift beschreibt den Adam, seinen Fall und Wiederbringung, er muß alles in mir sein (wahrgenommen werden). Die Schrift beschreibt das neue Jerusalem, das muß in mir sein, und ich muß es selbst sein. Die Schrift zeuget von außen von der neuen Geburt, von der neuen Kreatur, das muß alles in mir sein, und ich muß es selbst sein durch den Glauben, oder die Schrift ist mir nichts nütze. Das ist alles der Glaube, und des Glaubens Werk in uns, ja Gottes Werk, und das Reich Gottes in unsern Herzen etc.

 

Gebet um die Liebe des göttlichen Worts. (Siehe im Paradiesgärtlein.)

 

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