DAS ELFTE KAPITEL. (3.B./11.K.)

 

GOTT IST ALLEIN DER SEELEN LICHT,

UND LEUCHTET VON INNEN HERAUS,

IN CHRISTLICHEN TUGENDEN

UND WERKEN GEGEN DEN NÄCHSTEN,

SONDERLICH IM RICHTEN UND URTEILEN.

 

Inhalt.

1) Gott, das schönste Licht, erleuchtet die Seelen, so der Welt absagen. 2) Dies innerliche Licht leuchtet von innen heraus in christlichen Tugenden; 3) sonderlich in Geduld, Sanftmut, Demut, und gelindem Urteil vom Nächsten, 4) in dessen Gebrechen man seine eigene Fehler siehet.

 

Gott ist ein Licht und ist keine Finsternis in ihm. 1 Joh. 1,5.

 

Gott ist das höchste, lauterste, reineste, subtileste, kläreste und schönste Licht, und hat eine unermeßliche Liebe zu des Menschen Seele, sie zu erleuchten und sich mit ihr zu vereinigen; wird aber verhindert durch die Finsternis, welche die Menschen mehr lieben, denn das Licht, Joh. 1,5. Kap. 3,19. Die Finsternis aber der Seele ist die Liebe dieser Welt und die eigene Liebe, dieselbe hindert Gott und sein edles göttliches Werk im Menschen. Soll nun die Seele das göttliche Licht empfahen, so muß sie sich nicht selbst mit den Kreaturen verfinstern, mit Geiz, mit Zorn, mit eigener Liebe, mit Hoffart, mit Fleischeslust; denn solches ist die Finsternis, darin der Gott dieser Welt herrschet, 2 Kor. 4,4. Darum muß der Mensch ablassen von alle dem, was Gott nicht selbst ist, von sich selber, und von allen Kreaturen, denn das heißt absagen alle dem, was er hat. Luk. 14,33. Einem solchen Menschen schmecket allein Gott, und niemand anders, und der-selbe wird in der Wahrheit erleuchtet, und so er mit der Welt muß umgehen, brauchet er alles in demütiger Furcht, und behält den Grund seiner Seele rein von den Kreaturen und von der Welt; so erleuchtet denn Gott von innen, denn es muß von innen aus hervor quellen aus Gott.

----------

2. Dies innerliche Licht leuchtet denn auswendig in den Werken, und was du dann tust, oder redest, oder leidest, ist nicht dein oder der Natur, sondern deines Gottes, dem du dich gelassen hast. Denn sage mir, wessen ist das Werk, der es tut oder der es leidet? Es ist freilich dessen, der es tut. Womit dich Gott nun be-weget, es sei heilige Begierde, gute Meinung, Gebet oder Dankbarkeit, so ist es alles sein und nicht dein. Darum laß Gott in dir wirken und seinen Willen in dir haben, also tust du alles in ihm, und er in dir; also muß alles in Gott gehen und in Gott geschehen, Joh. 3,21. dass wir in ihm leben, beten und alles tun. Und das Allergeringste von Gott getan, ist besser, denn aller Kreaturen Werke. Daher kommen die rechten Tugenden, denn die Tugend ist nicht eine Tugend, sie komme denn von Gott oder durch Gott, oder gehe zu Gott oder in Gott. Je größer aber die Lust der Kreaturen und die Weltliebe in dir ist, je ferner dir Gott ist; je näher dir aber Gott ist im innern Grunde deiner Seele, je mehr seine Liebe und Barmherzigkeit gegen den Nächsten in deinen Werken hervor leuchtet. Denn unser lieber Herr spricht: Ich bin das Licht der Welt, Joh. 8,12. darum sollen wir haften an der wahren Liebe unsers Hauptes, so werden wir erleuchtet in Christo.

----------

3. Denn alle unsere Werke sind allein Licht, die aus Gott gehen und sollen leuch-ten in der Finsternis unsers Nächsten, in Geduld, in Sanftmut, in Demut, im Trösten und Mitleiden, in Besserung und sonderlich in geduldmütiger Strafe und Urteil. Denn vom übermütigen Urteil des Menschen über seinen Nächsten ent-steht ein eigenes Wohlgefallen seiner selbst, und aufgeblasene Hoffart, Ver-achtung und Vernichtung des Nächsten. Dasselbe ist eine böse Wurzel vieler Sünden, und des Teufels selbst, die aus dem Samen der Hoffart gewachsen; und daselbst ist der heilige Geist nicht mit seinem Licht. Wo er aber ist, da beurteilet er den Menschen nicht eher, denn aus hoher Notdurft, mit großer Gelindigkeit, und erwartet der Zeit und des Orts, da es sich wohl füget, auf dass man nicht zehn Wunden schlage, ehe man eine heilet. Man soll auch den Menschen in seinem urteilen nicht verkleinern und vernichten in keines andern Menschen Herzen, es sei geistlich oder weltlich, sondern es soll gehen aus einer lautern Liebe, Freundlichkeit und Sanftmut; so bleibet der Mensch selbst in Demut und Armut seines Geistes, und wandelt seinem Herrn nach, wird sanftmütig als ein Lamm, gegen die, so ihm zuwider sein. Die urteilenden Menschen aber sind wie die Schlangen, so die alte Schlange der Teufel ausgebrütet, dieselbe schleicht und gießt ihr Gift in sie, dasselbe gießen sie wieder aus, mit Verkleinerung und Vernichtung des Nächsten. Sie erkennen und sehen nicht, wer sie selber sind, und wollen andere richten. O Mensch! nimm diesen deinen falschen Grund wahr, und richte dich selbst und sonst niemand, Luk. 6,37. Denn das falsche natürliche Licht betrügt dich, und scheinet auswendig in Hoffart und eigenem Wohlgefallen, in eigenem Ruhm und Urteil anderer Menschen. Darum wisse, dass dies nicht ist Gottes Licht in dir, sondern des Satans Finsternis.

----------

4. Aber das wahrhaftige göttliche Licht, das erniedriget sich, und hält sich klein und gering in allen Dingen; es pranget nicht äußerlich, sondern es sucht den inwendigen Grund, daraus es geboren ist, nämlich Gott, da eilet es wieder zu mit allen Kräften, und dünket sich der Geringste, Schnödeste, Krankeste und Blindeste, denn es ist etwas Bessers da, das ist Gottes und nicht sein. Darum siehe vor allen Dingen auf dich selbst, und nicht auf andere Leute, sonderlich auf ihre Sünden, damit du nicht selbst in Missfallen und Bitterkeit des Gemüts deinen Nächsten beurteilest. Denn dasselbe tut so großen Schaden in des Menschen Seele, dass es zu erbarmen ist. Darum kehre dich davon, so lieb als dir Gott selbst ist, und kehre dich zu dir selbst, und besiehe, ob du die Gebrechen nicht auch in dir findest, dass du sie entweder in vergangener Zeit gehabt, oder jetzt habest. Findest du sie in dir, so gedenke, dass es Gott also gefügt hat, dass du dieselben an einem andern siehest, dass du dadurch kommen solltest zur Er-kenntnis und Reue derselben und Besserung deines Lebens; alsdann bitte für denselben, dass ihm Gott Erkenntnis und Besserung verleihe nach seinem Willen. Also wird ein gutes Herz gebessert von anderer Leute Gebrechen, und vor allem Missfallen und Urteil des Nächsten behütet.

 

Gebet um Vermeidung des unchristlichen Richtens.

 

O du Licht der frommen Seelen, o du Glanz der Herrlichkeit, leuchte in und aus mir, dass alles gehe aus dir, deiner Kraft und Wirkung, ich an das Licht kommen und meine Werke offenbar werden mögen allen Menschen, die dich darob prei-sen, und dadurch sich erwecken lassen, abzulegen die Werke der Finsternis, und anzulegen die Waffen des Lichts, und dir nachzufolgen, auf dass sie und ich das Licht des Lebens haben, Amen.

 

- Zum nächsten Kapitel -