DAS FÜNFTE KAPITEL. (3.B./5.K.)

 

WIE EIN MENSCH KANN ZU GOTT GEZOGEN WERDEN.

ITEM: WAS GEISTLICHE ARMUT SEI,

UND VON DEN GRADEN UND STUFEN DER DEMUT.

 

Inhalt.

1) Nächst dem Glauben ist wahre Demut der beste Weg zur Gemeinschaft mit Gott; 2) welche uns durch sechs Stufen zum himmlischen Salomon hinauf führet.

 

Wer sich selbst erniedriget, der wird erhöhet werden. Luk. 18,14.

 

Viele Menschen suchen viele Mittel, mit Gott vereiniget zu werden, mit auswen-digem Lesen und anderer Andacht. Aber in Wahrheit ist nächst dem wahren lebendigen Glauben, welcher das Herz reiniget von der Kreaturliebe, wie oben gelehret, und im folgenden 9. Kapitel weiter erklärt wird, kein besserer und leichterer Weg dazu, als die wahre gründliche Demut, dieselbe aber muß nicht bestehen in Worten oder äußerlichem Schein, sondern im Grunde des Herzens, dass der Mensch wahrhaftig sich für nichts halte in allen Dingen, es sei in geist-lichen oder natürlichen Gaben; also, dass er inwendig recht geistlich arm sei, Matth. 5,3. und dass er kein Ding in der Welt so lieb habe, es sei Gut, Ehre, Leib oder Seele, Freude oder Ruhe, wenn Gott ein anders von ihm haben wollte, dass er nicht gerne williglich und Gott zu Lob und Liebe, nach seinem göttlichen, väterlichen Willen, verlasse. Ja, wenn er auch der Hölle Pein leiden sollte, dass er sich derselben noch wert achte, den Willen Gottes lobe, und lasse ihm den-selben wohl gefallen. Dies ist die wahre geistliche Armut, die bereit ist, alle Dinge durch Gott fröhlich und willig zu lassen und zu leiden, wie es der liebe Gott will, wie unser Herr Jesus tat, da er bereit war, den Willen Gottes zu leiden, Matth. 26,39. und zu tun, ein Fluch und Wurm zu werden, und den Tod des Kreuzes zu leiden, darum hat ihn auch Gott erhöhet, Phil. 2,9. Wer nun eine solche Ernie-drigung des Herzens hat, der ist recht geistlich arm, und wenn er gleich ein Königreich hätte, so verhinderte es ihn doch nicht an der göttlichen Einigkeit. Das ist der rechte Elende und Arme, der da schreiet, wie Ps. 34,7, geschrieben ist: Da dieser Elende rief, hörete es der Herr. Und wenn dieser elende Mensch über hundert tausend Meilen Wegs, wenn es möglich wäre, von Gott abwesend wäre, Gott müßte ihn zu sich ziehen wegen seiner überschwenglichen Erbarmung und Gütigkeit, denn der Reichtum göttlicher Gnade versenket sich in des Menschen Elend, und kann sich vor demselben nicht verbergen, so wenig als ein Vaterherz sich vor seinem elenden Kind verbergen kann. Derohalben als das kananäische Weiblein sich so unwert hielt in ihrem Herzen, als ein Hund, ja als ein Hündlein, da ward sie vom Herrn gewürdiget seiner Hilfe, Matth. 15,27.28. Denn es kommt niemand zu der lebendigen Wahrheit, denn durch diesen Weg, nämlich durch Erkenntnis seines eigenen Nichts. Wer diesen Grund versteht, dem ist nicht unlieb seine Verachtung, Schmach und Kreuz, sondern hat dasselbe lieb, und freuet sich der Trübsal mit den heiligen Aposteln, auf dass sich Gott mit seiner Herrlichkeit in sein Elend senke. Darum ist nun kein besserer Weg, dadurch man zu Gott und in Gott gezogen werde, denn gründliche Demut des Herzens, und geistliche wesentliche Armut des Geistes.

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2. Solches ist fein abgebildet in dem goldenen Thron oder Stuhl Salomons, 1 Kön. 10,19. welcher sechs Stufen hatte, auf welchen man hinauf stieg, und auf der siebenten findet man den Sitz und Thron des Friedens. Also sind sechs Grade der Demut, wenn man dieselbe aufsteiget, so findet man den himmlischen Friedenskönig, Salomon, in seinem Thron, und den rechten Frieden des Her-zens. Der erste Grad ist, sich in seinem Herzen geringer halten, als andere Leute, und gerne gering sein. 2) Niemand verachten oder richten, sondern allezeit auf sich selbst sehen. Andere mögen tun, was sie wollen, sei du nur selbst deiner eingedenk. 3) Angebotene Ehre fliehen und meiden, und wenn man dieselbe haben muß, darob trauern. 4) Verachtung geduldig leiden, und sich darob freuen. 5) Mit geringen Leuten gern umgehen, und sich nicht besser achten, denn sie, ja sich für den elendesten Menschen und größten Sünder halten. 6) Gerne und willig gehorsam sein, nicht allein den Großen, sondern auch den Geringsten. Durch diese Stufen steigen wir auf bis zu der siebenten in den Thron Salomons, und zum wahren Frieden. Der Weg ist niedrig, aber das Vater-land hoch, sagt Augustinus. So du nun das Vaterland verlangest, so mußt du diesen Weg wandeln.

 

Gebet um wahre Demut. (Siehe im Paradiesgärtlein.)

 

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