DAS FÜNFTE KAPITEL. (2.B./5.K.)

 

DASS NICHT DIE WISSENSCHAFT UND ANHÖRUNG DES GÖTTLICHEN WORTS EINEN WAHREN CHRISTEN BEWEISE, SONDERN GOTTES WORT INS LEBEN VERWANDELN, UND GOTT VON GANZEM HERZEN ANRUFEN, DASS SEIN WORT IN UNS FRUCHT SCHAFFE UND LEBENDIG WERDE, ALS GOTTES SAME.

 

Inhalt.

1) Durch wahre Buße und heiliges Leben erlangt man die wahre Weisheit. Nach solchem heiligen Leben verlangt David heftig, 2) und setzet zwei Mittel dazu, nämlich emsiges Gebet und emsigen Fleiß, sich in Gottes Wort zu üben, 3) unter mancherlei Kreuz und Anfechtungen. 4) Denn nicht Gottes Wort wissen und hören, sondern tun, beweiset einen rechten Christen, welches mit vielen Gleich-nissen und Sprüchen erläutert wird. 5. Der Mensch ist greulich verderbt, darum muß er eine neue Kreatur werden. 6) Solches müssen wir von oben herab er-bitten, 7) und allezeit wacker sein, 8) Damit wir die Stimme des inwendigen Herzenslehrers, Christi, hören.

 

Wer sich gerne läßt weisen, da ist gewißlich der Weisheit Anfang; wer sie aber achtet, der läßt sich gerne weisen. Wer sich gerne weisen läßt, der hält ihre Gebote. Wo man aber die Gebote hält, da ist ein heiliges Leben gewiß. Wer aber ein heiliges Leben führet, der ist Gott nahe. Buch Weish. 6,18 seq.

 

Dieser schöne Spruch lehret uns, wie wir die Weisheit erlangen sollen, damit wir Gottes Freunde werden, nämlich, wenn wir von Herzen Buße tun, und unser Leben nach Gottes Wort anstellen. Darauf folget die rechte Erleuchtung und Vermehrung aller Gnadengaben Gottes, und Gottes sonderliche nahe Verwandt-nis, dass wir auch der göttlichen Natur teilhaftig werden, so wir fliehen die fleischlichen Lüste, wie 2 Petr. 1,4. stehet. Dessen wir ein Exempel haben an Enoch, dem siebenten von Adam, weil er ein heiliges Leben führte, ward er weggenommen gen Himmel, und ward nicht mehr gefunden auf Erden, 1 Mos. 5,24. Nach einem solchen heiligen Leben verlangt David, darum betet er aufs heftigste, Ps. 119,145.146. und setzet zwei Mittel zu einem heiligen Leben: 1) Das emsige Gebet, 2) emsiger Fleiß, sich in Gottes Wort zu üben, und spricht: Ich rufe von ganzem Herzen, erhöre mich, dass ich deine Rechte halte. Ich rufe zu dir, hilf mir, dass ich deine Zeugnisse halte.

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2. Hie lehret uns der heilige Prophet, wie schwer es sei, ein guter rechtschaffener Christ zu sein, und Gottes Wort mit der Tat und mit heiligem Leben zu halten. Denn 1) Fleisch und Blut widerstrebt von Natur dem Worte Gottes; 2) so ist es zu schwach, läßt sich zu bald und zu oft zurücktreiben; 3) so ist der leidige böse Feind da, und verhindert uns zur Rechten und zur Linken; 4) böse Leute feiern auch nicht mit Ärgernissen und Verfolgungen. Dawider muß man sich setzen mit allen Kräften der Seele, wie hie David spricht: Ich rufe von ganzem Herzen. Das ist sein Bitten und Begehren, dass er möge ein heiliges Leben führen, Gottes Wort ins Leben verwandeln, und Gottes Willen vollbringen, auf dass er Gottes Gnade nicht möge verlieren. Daran soll uns auch am meisten gelegen sein, und mehr als an allem, was in der Welt ist. Wer Gott zum Freunde hat, dem kann aller Welt Feindschaft nicht schaden. Von ganzem Herzen beten, ist der erste Grad. Das andere Mittel zu einem heiligen Leben ist, dass er spricht: Ich komme frühe und schreie, auf dein Wort hoffe ich. Ich wache frühe auf (vor Tage, ehe die Nachtwache aus ist), dass ich rede von deinem Wort, dass ich dasselbe Wort betrachte, Ps. 119,147.148. Diese Worte sind beide von einem sonderbaren Fleiß und Emsigkeit zu verstehen, und von einem sonderbaren Ernst und Liebe zu Gottes Wort, und dann auch von der nächtlichen Zeit und den Frühestunden, in welchen man sonderlich scharf und tief denken kann; besonders aber, wenn man mit hohen Anfechtungen und geistlicher Traurigkeit geplagt wird, da man des Trostes wartet von einer Morgenwache bis zur andern, Ps. 130,6. da Gott der Herr einem die Augen hält, dass er muß wachen und hoffen, Ps. 77,5. da man ist wie ein einsamer Vogel auf dem Dache, wie ein Käutzlein in den zer-störten Städten, Ps. 102,7.8. das allein sitzt und klirret; da unser lieber Gott einen so müde macht von Seufzen, dass man kaum Atem holen kann, Ps. 6,7.

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3. Sehet, das ist die rechte Kreuzschule aller Heiligen. Wer in diese Schule nicht gekommen ist, weiß nicht viel von Gottes Wort. Gott zerbricht uns alle Lebens- und Seelenkräfte, auf dass er allein unsere Kraft sei. Er will uns durch solches Kreuz das fleischliche Leben nehmen, auf dass er in uns lebe, und wollte gern sein Wort in uns lebendig machen. Denn dahin soll unser Leben und Christentum gerichtet sein, dass wir das vollbringen und tun mögen, was wir aus Gottes Wort hören.

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4. Darum lerne nun hie diese Lehre mit allem Fleiß, was einen rechten Christen beweiset; nicht Gottes Wort wissen und hören, sondern tun. Denn erstlich ist uns sonst Gottes Wort nichts nütze, sintemal es uns nicht darum gegeben ist, dass wir es allein hören sollen, sondern dass wirs tun sollen. Denn gleichwie eine Arznei nichts hilft, wenn sie der Patient nur ansiehet, und davon hört reden, wenn er sie nicht auch zu sich nimmt: also, weil Gottes Wort unserer verdorbenen Natur Arznei sein soll, so wird sie dich nicht viel bessern, und aus dem Tode lebendig machen, wenn du nicht willst dein Leben darnach richten. Dazu gehöret ein emsiges Gebet Tag und Nacht, dass du tun mögest, wie du hörest aus Gottes Wort, wie hie David betet. 2) Was hilft es einem Künstler, dass er seine Kunst weiß, und übet sie nicht? Muß er nicht darüber verderben? Also, was hilft dir es, dass du Gottes Willen weißt, und tust ihn nicht? Der Knecht, der seines Herrn Willen weiß, und tut ihn nicht, wird mit viel Streichen geschlagen werden, Luk. 12,47. St. Petrus sagt: Es wäre besser, du hättest den Weg der Wahrheit nicht erkannt, 2 Petr. 2,21. 3) Hält auch ein Vater seinen Sohn, der ihm in allen Dingen widerstrebt, für sein Kind? Mit nichten; sondern er spricht: Willst du meinen Willen nicht tun, so sollst du mein Kind nicht sein. Also beweisen die bloßen Worte kein Kind Gottes, sondern wenn wir als Kinder Gottes leben, wie der Herr sagt: Joh. 8,39. Wäret ihr Abrahams Kinder, so tätet ihr auch Abrahams Werke; weil ihr aber des Satans Werke tut, und trachtet mich zu töten, so seid ihr von eurem Vater, dem Teufel. Das ist eine gewisse Probe: wessen Werk einer tut, dessen Kind ist er, dessen Natur hat er. 4) Was ist ein Baum im Garten nütze, wenn er keine Früchte trägt? Er gehört ins Feuer, es ist Feuerholz, wie Luk. 13,6. von dem Feigenbaum, der das Land hinderte, und keine Früchte brachte, ge-schrieben ist. 5) Wenn dich einer überreden wollte, dass ein Rabe ein Schwan wäre, und spräche zu dir: Siehe, welch ein schöner weißer Schwan ist das! würdest du nicht lachen, und sprechen, er wäre toll? Denn du siehest weder Farbe noch Gestalt eines Schwans an einem Raben. Also, wenn jemand auf das jetzige Leben der Welt zeiget, oder spricht: Siehe, das ist ein Christ, und sie sind alle Christen, mag einer nicht unbillig denselben für toll achten. Es gilt hie nicht Überredens, es gilt Beweisens. Das Reich Gottes bestehet nicht in Worten, son-dern in der Kraft. 1 Kor. 4,20. Denn man siehet ja keine christlichen Werke an den meisten, die sich Christen nennen, wie zu Rom L. Valla gesagt hat, da er das Evangelium Matth. 5,7. seq. gelesen: Selig sind die Barmherzigen, die Fried-fertigen etc. Das ist gewiß, entweder ist dieses nicht wahr, oder wir sind keine Christen. 6) Viele Tiere und Vögel übertreffen die Menschen an Tugend: die Taube mit Einfalt, die Ameise mit Fleiß und Arbeit, Spr. Sal. 6,6. Der Storch mit Ernährung seiner Jungen, ein Kranich mit Wachen, der Hund mit Liebe und Treue, der Ochs und Esel mit Erkenntnis seines Herrn, Jes. 1,3. Das Schaf mit Sanftmut, der Löwe mit Tapferkeit und Verschonen der kleinen Tierlein, der Hahn mit Wachsamkeit, die Schlange mit Klugheit; aber der natürliche Mensch übertrifft alle Tiere an Bosheit. Er ist unbarmherziger als ein Wolf, arglistiger als ein Fuchs, hoffärtiger als ein Pfau, gefräßiger als ein Schwein, giftiger als eine Otter, grimmiger als ein Bär. Wie denn der Herr Christus selbst Herodes einen Fuchs nennet, Luk. 13,32. St. Johannes die Pharisäer Otterngezüchte, Matth. 3,8. St. Paulus Nero einen Löwen, 2 Tim. 4,17. Ja die Laster und Untugenden, die man an einem Tiere insonderheit findet, die findet man alle an einem natürlichen Menschen; dass wohl St. Paulus den menschlichen Leib einen Leib der Sünde nennt, Röm. 6,6. der mit vielen Sünden behaftet und erfüllt ist. Zudem so ist kein Tier so böse, es ist doch noch zu etwas gut; der Fuchs und Wolf zu Pelzen, und so fort an. Aber, Lieber! siehe, was ist doch von Natur Gutes am Menschen, da alles Dichten und Trachten des menschlichen Herzens böse ist, von Jugend auf immerdar? 1 Mos. 6,5. Die Vernunft braucht er zum Betrug, den Leib zur Hoffart und Unzucht; inwendig und auswendig ist er verdorben. Denn alle seine Glieder sind Waffen der Ungerechtigkeit, Röm. 6,13. 7) Gottes Wort beschreibt nicht ohne Ursache unsere verderbte Natur so schrecklich, und stellt uns unser Conterfait vor die Augen: Röm. 3,10. seq. da ist nicht, der gerecht sei, auch nicht einer; da ist niemand, der nach Gott frage. Sie sind alle abgewichen, und alle-samt untüchtig worden; da ist niemand, der Gutes tue, auch nicht einer. Ps. 14,3. Ihr Schlund ist ein offenes Grab, mit ihrer Zunge heucheln sie, Ottergift ist unter ihren Lippen; ihr Mund ist voll Fluchens und Bitterkeit. In ihren Wegen ist lauter Unfall und Herzeleid, und den Weg des Friedens wissen sie nicht. Ihre Füße eilen, Blut zu vergießen. Es ist keine Gottesfurcht vor ihren Augen.

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5. Sehet, das ist das natürliche Bild eines Menschen; dieser Gräuel ist allen Menschen von Natur angeboren. Da sagt mir nun, wie kann ein Mensch das Reich Gottes sehen, wenn er also bleibt, wenn er nicht neu geboren wird? Darum uns auch St. Paulus befiehlt, Eph. 4,23. Kol. 3,10. und spricht: Erneuert euch im Geist eures Gemüts. Ziehet den alten Menschen mit seinen Lüsten aus, und ziehet den neuen Menschen an, der nach Gott geschaffen ist in rechtschaffener Gerechtigkeit. Ja er spricht: Ihr habt Christum nicht also gelernet, so ihr anders wisset, dass in Christo ein rechtschaffen Wesen ist, Eph. 4,20.21. Ja er spricht: Die Christum angehören, kreuzigen ihr Fleisch samt den Lüsten und Begierden, Gal. 5,24. Ach, lieber Gott! gehören wir nun Christo nicht an, wenn wir in solchem sündlichen Leben bleiben, und die Glieder der Bosheit nicht töten; so kann es ja anders nicht sein, als dass solche Leute müssen dem Teufel angehören, und werden demnach das Reich Gottes nicht erben, die ihr Fleisch nicht kreuzigen. Wir müssen eine neue Kreatur werden in Christo, sollen wir vor Gott bestehen, 2 Kor. 5,17. Denn in Christo gilt weder Vorhaut noch Beschneidung, oder einiges Ansehen der Person, sondern eine neue Kreatur, Gal. 6,15. Darum soll das unsere größte und ernste Sorge sein, wie wir täglich die Sünde in unserm sterb-lichen Leibe dämpfen mögen, dass wir Christo mögen angehören und nicht dem Satan; wie Gottes Wort in uns möge geschehen und lebendig werden; wie unser Leben Gott möge wohlgefallen, dass wir ja Gottes Gnade mögen behalten und Gefäße sein seiner Barmherzigkeit, und nicht seines Zorns, Röm. 9,23.

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6. Das ist nun die Ursache, warum der heilige David so herzlich sich ein seliges Leben wünschet, dass er möge Gottes Wort halten, wie er spricht: Ps. 119,145. Ich rufe von ganzem Herzen. Erhöre mich, Gott, dass ich deine Rechte halte. Wir müssen um ein heiliges Leben bitten. Denn die Bekehrung kommt von oben herab. Heile mich, Herr! so werde ich heil, bekehre mich, so werde ich bekehret; hilf mir, so wird mir geholfen. Denn du bist mein Ruhm, Jer. 17,14. Kap. 31,18. Darum spricht David ferner: Ich rufe zu dir, hilf mir, dass ich deine Zeugnisse halte. Gott muß uns freilich helfen und stärken, denn die Sünde und des Teufels Reich ist sonst zu mächtig im Menschen.

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7. So sollen wir es nun an unserm Fleiß nicht mangeln lassen, die Faulheit und Sicherheit uns aus den Augen wischen, wie er ferner spricht: Ich komme frühe, und schreie, auf dein Wort hoffe ich. Ich wache früh auf, dass ich rede von deinem Wort. Davon stehet ein schöner Spruch Jes. 50,4. der wohl zu merken ist: Der Herr wecket mich alle Morgen, er wecket mir das Ohr, dass ich höre wie ein Jünger. Und Hohel. Sal. 5,2. Ich schlafe, aber mein Herz wachet, und höret die Stimme meines Freundes, der anklopfet etc.

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8. Mit diesen Worten werden wir auch erinnert der väterlichen Fürsorge und Freundseligkeit des freundlichen, gnädigen Gottes, wie gerne er mit den Men-schen umgehe, mit ihnen handle und wandle, mit ihnen rede, sie unterweise und lehre. Darum er uns seinen Sohn zum Lehrmeister, zum himmlischen Doktor und Präceptor verordnet hat. Dieses ist uns fein vorgebildet in dem schönen Exempel und Bilde, da das Kind Jesus im Tempel zu Jerusalem lehret, Luk. 2,46. Das ist nicht geschehen um des jüdischen Tempels willen allein, der nun zerstöret ist, sondern es ist geschehen, erstlich um des geistlichen Jerusalems willen, welches ist die heilige christliche Kirche, da will er allein Lehrer sein durch sein Wort und Geist; und dann um des Tempels willen unsers Herzens, darinnen will er auch lehren, trösten, erleuchten, heiligen, beten, fragen, antworten, reden durch heilige Gedanken und herzliche Andacht, und das ist sein Lehramt in unserm Herzen. Darum er ganz tröstlich spricht zu seiner Mutter: Luk. 2,49. Was ists, dass ihr mich gesucht habt? Wisset ihr nicht, dass ich sein muß in dem, was meines Vaters ist? Das ist, in dem Beruf und Amt, welches mir mein Vater befohlen hat. Solches Amt hat er ja noch, und verrichtet es noch zur rechten Hand Gottes, als unser einiger Hohepriester. Er verrichtet es aber auf Erden durch sein Wort, dadurch er auch inwendig in unserm Herzen prediget durch den heiligen Geist, und gnädige Erleuchtung, ohne welche die äußerliche Predigt kraftlos und un-fruchtbar ist, wie St. Paulus sagt: Ich habe gepflanzet, Apollo hat begossen, Gott aber hat das Gedeihen dazu gegeben; so ist nun, der da pflanzet und der da begießet, nichts, sondern Gott, der das Gedeihen gibt, 1 Kor. 3,6.7.

 

Gebet um das Wort Gottes.

 

Ich rufe zu dir, mein Gott! von ganzem Herzen, erhöre mich und hilf mir, dass ich deine Rechte und Zeugnisse nicht nur höre, lese, wisse und lerne, sondern auch im Glauben fasse, ins Leben verwandle in der Liebe und im Kreuz ausübe, und also in der Tat erzeige, dass ich dein heiliges Wort lebend, wirkend, Frucht bringend und selig machend in und bei mir habe, und behalte in Ewigkeit, Amen.

 

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