DAS VIERTE KAPITEL. (3.B./4.K.)

 

WIE EINE GLÄUBIGE SEELE

GOTT INWENDIG IN IHR SELBST SUCHEN SOLL,

UND VON DER SCHÖNHEIT UND SELIGKEIT DER SEELE,

SO MIT GOTT VEREINIGET IST.

 

Inhalt.

1) Gott wird auf zweierlei Weise gesucht, in wirkender und leidender Weise. 2) Eine mit Gott vereinigte Seele ist die schönste, eine an der Welt hangende die scheußlichste Kreatur.

 

Ich habe ihnen deinen Namen kund getan, auf dass die Liebe, damit du mich liebest, sei in ihnen, und ich in ihnen. Joh. 17,26.

 

Gott wird auf zweierlei Weise gesucht: Die eine ist auswendig, die andere in-wendig. Die erste geschieht in wirkender Weise, wenn der Mensch Gott sucht; die andere in leidender Weise, wenn der Mensch von Gott gesucht wird. Die auswendige Suchung geschieht durch mancherlei Übung der christlichen Werke, mit Fasten, Beten, Stilligkeit, Sanftmut; wie denn ein Christenmensch von Gott angetrieben, oder durch gottesfürchtige Leute geführet wird. Die andere ge-schieht, wenn der Mensch eingehet in den Grund seines Herzens, und daselbst wahrnimmt des Reichs Gottes, welches in uns ist, Luk. 17,21. Denn so das Reich Gottes in uns ist, so ist Gott selbst in uns mit aller seiner Güte. Daselbst ist Gott der Seele näher und inwendiger, denn die Seele ihr selbst ist. Daselbst muß der Grund der Seele gesucht werden, welches also geschieht: Wenn ein Mensch in leidender Weise, in allen auswendigen und inwendigen Dingen, mit ihm handeln läßt, wie es Gott gefället, und lässet sich Gott ganz, lässet sich allein an Gottes Willen begnügen, wie ihn Gott haben will, arm oder reich, fröhlich oder traurig, geistreich oder trostlos. Denn dadurch wird das Herz gereiniget von den Krea-turen, und von allem dem, was die Sinne und Vernunft von außen haben einge-tragen, was nicht Gott selbst ist. Wenn die Seele also entblößet wird von allen vernünftigen, sinnlichen, kreatürlichen Dingen, das Gott nicht selbst ist, so kommt man in den Grund, da man Gott lauter findet, mit seinem Licht und Wesen. Summa, es muß alles gelassen sein, wenn du diesen Grund finden willst. Und die denselben finden, werden die allerlieblichsten Menschen, kommen auch über die Natur. Denn sie kleben nicht mehr an den Kreaturen, wie die natürlichen Menschen, sondern sind in Gott und mit Gott vereiniget, und Gott mit ihnen.

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2. Wer nun eine solche Seele sehen könnte, der sähe die allerschönste Kreatur, und das göttliche Licht in ihr leuchten, denn sie ist mit Gott vereiniget, und ist göttlich, nicht von Natur, sondern aus Gnaden. Und eine solche Seele begehret nichts in Zeit und Ewigkeit, denn Gott allein. Ja bloß und lauter begehret sie Gott allein, und nicht des Ihrigen, weder im Geist oder Natur. Und hinwieder, wer eine Seele sehen könnte, die mit aller ihrer Liebe an den Kreaturen hanget, an des Fleisches Lust, Augenlust und hoffärtigem Leben, und hätte mit ihrer Liebe der Kreaturen Form und Bild in sich gezogen, und sich damit vereiniget, der sähe ein greulich Ungeheuer vor aller Heiligen Augen, und scheußlicher und greulicher als der Teufel selbst. Und weil nun an jenem Tage eines jeden Menschen Herz und Gewissen wird offenbar, 1 Kor. 4,5. und das inwendige Auge aufgetan werden, damit eine jede Seele sich selbst erkennet, so wird alsdann eine solche unreine Seele ihren verborgenen Gräuel sehen, und wird und muß denselben ewig sehen, ohne Ende und allen Jammer, Herzeleid, Angst und Pein in ihr selbst haben; aber die lautere göttliche Seele wird Gott und das Reich Gottes in ihr selbst anschauen, und wird Gott ewiglich sehen in seinem Wesen, als Gott, und dasselbe in ihr selbst haben und besitzen, um der Vereinigung willen mit Gott. Wer nun diese Vereinigung der Seele mit Gott verstehet und betrachtet, der wird verstehen, was St. Paulus Röm. 8,39. spricht: Dass uns weder Hohes noch Tiefes kann von der Liebe Gottes scheiden. Also auch, wenn es möglich wäre, dass eine solche göttliche Seele in der Hölle wäre, so hätte sie doch das Reich Gottes und ihre Seligkeit in ihr selbst. Und wenn es möglich wäre, dass ein Ver-dammter, ja der Teufel selbst, im Paradies und im Himmel wäre, so hätte er doch seine Hölle und Pein in ihm selbst.

 

Gebet um Gnade, Gott für den höchsten Schatz und Gut zu halten.

 

Wie groß ist die Liebe, o dreieiniger Gott! dass du dein Reich in dem Menschen aufrichten, in ihm wohnen und wandeln willst; ach! reinige und vereinige mich mit dir, und laß mich dich stets in mir suchen und finden, und nichts von dir scheiden, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges etc. O Herr! nimm mich mir, und gib mich eigen dir, Amen.

 

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