DAS ACHTZEHNTE KAPITEL. (2.B./18.K.)

 

WIE WIR DURCH DIE TRAURIGKEIT UND SCHMERZEN CHRISTI

SOLLEN LERNEN DIE WOLLUST DES FLEISCHES DÄMPFEN.

 

Inhalt.

1) Das dritte Stück des Kreuzes Christi ist unaussprechliche Traurigkeit und Schmerzen, 2) welche stets gewähret und unaussprechlich sind, 1. weil die Sünde ein unaussprechliches Übel ist. 3) 2. Weil er für alle Sünden aller Men-schen gelitten. 4) 3. Weil er Gott seinen Vater vollkommen liebete. 5) 4. Weil er das menschliche Geschlecht inbrünstig liebte. 6) 5. Weil er von Gott verlassen gewesen. 7) 6. Weil er wahrer Gott war. 8) 7. Weil er den unschuldigsten, hei-ligsten, zartesten Leib hatte. 9) Da nun Christus die Trübsal mit seinem Exempel geheiliget; 10) so sollen wir, aus Liebe zu ihm, auch alles gerne leiden.

 

Meine Seele ist betrübt bis in den Tod. Matth. 26,38.

 

Das dritte Stück der Trübsal und des Kreuzes Christi ist seine große unaus-sprechliche Traurigkeit und Schmerzen, welche sich mit ihm von Mutterleibe angefangen. Denn weil seine allerheiligste menschliche Seele mit dem Licht göttlichen Erkenntnisses und Weisheit, durch die persönliche Vereinigung, erfüllet und erleuchtet war; so hat sie auch alles Zukünftige, was ihr begegnen sollte, als gegenwärtig gesehen; darüber sie auch mit höchster Traurigkeit und inniglichem Leiden von Anfang erfüllet worden. Denn sie hat zuvor gesehen ihre undenkliche und unsägliche Seelenangst und unaussprechliche Leibesschmer-zen. Denn je zarter, reiner, unschuldiger die menschliche Natur in Christo ist, desto größere Angst, Schmerzen und Pein sie erlitten hat: welches man siehet an aller innerlichen geistlichen Seelenangst. Denn je edler die Seele ist, als der Leib, wegen der Unsterblichkeit; desto größere Schmerzen sie auch leidet, als der sterbliche Leib. Darum ist der Herr Christus nicht froh worden für sich selbst, oder seinethalben; sondern seine Freude ist gewesen, dass sein himmlischer Vater von den Menschen möchte recht erkannt, geehret, und die Werke Gottes offenbar werden. Darum freuete er sich im Geist, da die siebenzig Jünger wieder kamen, Luk. 10,21.

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2. Weil er alles wußte, was ihm begegnen würde, und von wem, nämlich von seinem eigenen Volk: so hat es nicht anders sein können, als dass er in steter Traurigkeit und Schmerzen gewesen; und je näher sein Leiden, je trauriger; wie er spricht: Ich muß mit einer Taufe getauft werden, und wie ist mir so bange, ehe ichs vollbringe! Luk. 12,50. Da nun die Zeit kam, sprach er: Meine Seele ist be-trübt bis in den Tod, Matth. 26,38. Da er die allerhöchste Traurigkeit und Seelen-angst erlitten, darüber er auch blutigen Schweiß geschwitzet, Luk. 22,44. Seine Seelenangst und Leibesschmerzen, so er am Kreuz erlitten, kann keines Men-schen Zunge ausreden: Erstlich weil die Sünde so ein unendliches und unaus-sprechliches Übel ist. Denn es hat die vollkommene Bezahlung und Strafe der Sünden dem Sohn Gottes an Leib und Seele unaussprechliche, und keinem pur lautern Menschen erträgliche Angst und Schmerzen gemacht.

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3. 2) Weil er die Sünden der Welt getragen, d. i. er hat nicht allein für die Sünden gelitten, so vom Anfang der Welt geschehen, sondern auch für die, so bis ans Ende der Welt geschehen sollten. So viel nun alle und jede Menschen Sünden gehabt, so viele Schmerzen hat Christus gelitten, ja um einer Sünde willen un-zählige Schmerzen, und so große Sünden, so große Schmerzen und Pein. Da-rum bittet er am Ölberg: Vater! willst du, so nimm diesen Kelch von mir, Matth. 26,39.

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4. 3) So ist auch sonst noch ein höherer und unaussprechlicher Schmerz Christi, den er empfunden, wegen seiner vollkommenen Liebe. Denn je größer die Liebe, desto größer der Schmerz. Denn was man nicht liebt, macht keinen Schmerz. Weil aber Christus seinen himmlischen Vater vollkommen liebt, so hat es ihm an seiner Seele auch vollkommen und unaussprechlicher Weise wehe getan, dass Gott, sein himmlischer Vater, so hoch beleidiget worden durch die Sünde. Und haben ihm unsere Sünden mit aller ihrer Strafe so wehe nicht getan, als dass Gott, der die Liebe selbst ist, durch die Sünde so hoch beleidiget wird. Und um der Liebe willen des Vaters, die billig von keiner Kreatur sollte beleidigt werden, hat Christus den allerschmählichsten Tod, und die allergrößten Schmerzen und Pein auf sich genommen, uns armen Menschen die Liebe und Gnade des Vaters wieder zu erwerben, auf dass, so hoch die Liebe des Vaters durch Menschen beleidiget worden, er dieselben so hoch wieder versöhnete.

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5. 4) Hat auch Christus die höchsten Schmerzen erlitten wegen der vollkomme-nen Liebe des ganzen menschlichen Geschlechts. Denn gleichwie er für alle gestorben, und aller Sünden getragen, so wollte er auch gerne, dass sie alle selig würden. Und ist also der Menschen Unbußfertigkeit ihm das höchste Leiden gewesen. Denn das ist seiner Liebe zuwider, sonderlich deren Verderben und Verdammnis er zuvor gesehen, dass sie nicht würden Buße tun; zu geschwei-gen, dass ihm an seiner liebreichen Seele wehe getan der große Haß und Neid, Feindschaft und Lästerung derer, die er doch wollte selig machen. Daher spricht er: Die Schmach bricht mir mein Herz, und kränket mich, Ps. 69,21. Welches er nicht seinetwegen allein klaget und betrauert, sondern vielmehr derer halben, die solche Schmach an ihm übeten.

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6. 5) So ist das auch sein größter Schmerz und Pein gewesen, dass er, als Gottes Sohn, dennoch von Gott verlassen gewesen. Gott konnte ihn zwar nicht verlassen, denn er war ja selbst Gott, ja er war und blieb Gott, da er am Kreuz hing, da er starb, da er begraben ward; und klaget dennoch, Gott habe ihn ver-lassen, Ps. 22,2. Matth. 27,46. Aber er hat mit seinem kläglichen Geschrei an-zeigen wollen, dass ihm Gott, als einem Menschen seinen Trost entzogen, sich vor ihm verborgen, und dass er uns sein großes Elend durch sein klägliches Geschrei offenbarete.

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7. 6) Ist auch Christi Schmerz und Pein unaussprechlich gewesen wegen seiner Person, denn er war wahrer Gott. Darum alle Schmach und Lästerung, so ihm widerfahren, ein unendliches Übel war, weil es der ganzen Person widerfuhr, die Gott und Mensch war, und also Gott selbst; welches der Seele Christi ein hohes und unaussprechliches Leiden gewesen.

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8. 7) Was die leibliche Pein und Marter dem unschuldigsten, heiligsten, jungfräu-lichen, zartesten Leibe des Herrn für Schmerzen gemacht, wer kann das aus-denken? Einen so unschuldigen, zarten, edlen, reinen Leib, von dem heiligen Geist empfangen, mit der ewigen Gottheit persönlich vereiniget, mit dem heiligen Geist und aller Fülle der Gottheit erfüllet, schlagen, geißeln, verwunden, zer-stechen, kreuzigen, töten, das ist ein Leiden über alles Leiden auf Erden. Keine Kreatur kann es aussprechen. Was ist dagegen all unser Leiden und Kreuz, die wir Sünder sein, und den ewigen Tod und Verdammnis verdienet haben? Und wir fliehen davor, murren dawider; da es doch so eine heilsame Arznei ist. Wahrlich eine Seele, die Christum lieb hat, soll kein anderes Leben und Stand in dieser Welt wünschen, als einen solchen, wie Christus unser Herr, gehabt. Das soll man für den größten Gewinn halten in dieser Welt, und dessen soll sich eine liebha-bende Seele freuen, dass sie würdig ist, mit Christo zu leiden.

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9. Und weil wir wissen, dass Trübsal uns muß begegnen auf dem Wege zum Himmelreich, dadurch wir kommen zu einer so großen unaussprechlichen Herr-lichkeit, Ap. Gesch. 14,22. warum wandeln wir denselben Weg nicht mit Freu-den? Ja, auch darum, weil der Sohn Gottes diesen Weg gegangen, und ihn mit seinem heiligen Exempel geheiliget, und in sein Reich nicht anders hat wollen eingehen, als durch Leiden, Luk. 24,26. Ja, auch darum, weil auf so kurzes Lei-den, solche immerwährende Freude folget.

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10. Gleichwie nun Christus aus Liebe gegen uns seiner selbst in keinem Ding verschonet hat, sondern alles williglich um unsertwillen erlitten; also sollen wir auch ihn hinwieder lieben, und nicht müde werden in einiger Trübsal.

 

Gebet wider die böse Lust des Fleisches. (Siehe im Paradiesgärtlein.)

 

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