DAS DREIUNDDREISSIGSTE KAPITEL. (4.B./2.T./33.K.)

 

GOTTESLIEBE UND EIGENLIEBE

SIND ZWEI TÜREN UND LICHTER

DER ERKENNTNIS DES MENSCHEN.

 

Inhalt.

1) An Gottes- und der Eigenliebe hanget alle Erkenntnis des Guten und Bösen im Menschen. 2) Aus der Eigenliebe entspringet Hoffart, Wollust, Geiz und alle an-dere Laster.

 

Fleischlich gesinnet sein, ist eine Feindschaft wider Gott. Röm. 8,7.

 

Weil nun von derselben zweifachen Liebe alles geschieht, alles kommt, alles regieret wird, was des Menschen Wille tut, und sind ein Ursprung aller andern Liebe, so folget, dass an ihnen hange alle Erkenntnis anderer Dinge, es sei Gutes oder Böses. Denn Gottes Liebe ist ein Anfang, zu erkennen alles, was gut ist am Menschen, und eigene Liebe ist ein Ursprung, zu erkennen alles, was böse ist im Menschen. Und wer Gottes Liebe nicht kennet oder weiß, der weiß auch nicht das Gute, so im Menschen ist; und wer seine eigene Liebe nicht kennet, der kennet alles das Böse nicht, so im Menschen ist. Denn wer die Wur-zel und Ursprung des Guten und Bösen nicht kennet, der weiß nicht, was böse oder gut ist. Die Liebe Gottes ist ein erleuchtendes Licht, darum gibt sie zu er-kennen sich selbst und sein Gegenteil, nämlich die eigene Liebe; und die eigene Liebe ist eine Finsternis, die die Menschen verblendet, dass sie sich selbst nicht sehen noch erkennen können, was gut oder böse ist in ihnen selbst. Also haben wir zwei Wurzeln, des Guten und des Bösen, und zwei Türen zu denselben; wer dieselben nicht weiß, der kennet auch die zwei Städte nicht, nämlich die Stadt des Bösen und Guten.

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2. Denn dieweil der Mensch zwei Teile hat, Leib und Seele, daher entsteht zwei-erlei unterschiedliche Liebe: eine wegen der Seele, die andere wegen des Lei-bes. Aus der Seele entspringt die Liebe der Hoheit oder Vortrefflichkeit. Aus dem Leibe entspringt die Liebe der Wollust. Derohalben, wer zuerst sich selber liebt, der liebt alsobald seine eigene Ehre und Hoheit, oder liebt die Wollust des Fleisches; und diese zwei Dinge liebt er, als zwei seiner großen und hohen Güter. Und aus dieser zweifachen Liebe wachsen darnach viele andere, nämlich alles, was zur Erhaltung eigener Ehre und des Leibes Wollust dienet; alle Dinge müssen denn notwendig geliebt werden um der eigenen Ehre und Wollust willen. Daher kommt die Liebe des Gelds und Reichtums, die Liebe der Künste und Dignitäten, welche alle die eigene Ehre erhalten. Derohalben entspringen aus der eigenen Liebe drei andere, welche da sind drei Laster: 1) Hoffart, welche ist die Liebe der eigenen Ehre und Vortrefflichkeit. 2) Wollust und Fraß, welche sind die Liebe der fleischlichen Wollust. Und denn zum 3) der Geiz, welcher ist eine un-ordentliche Liebe der zeitlichen Dinge, und des Geldes. Wer nun die eigene Ehre lieb hat, der ist allem demjenigen feind, was die eigene Liebe zerstören kann. Daher kommt der Zorn und die Rachgier; daher entspringt auch der Neid, wel-cher ist ein Haß des Guten, so eines Andern ist, welches unsere eigene Ehre kann verkleinern; daher entspringt auch die Faulheit, und Meidung der Arbeit, die der fleischlichen Wollust zuwider ist; und also kommen alle Laster aus der eige-nen Liebe.

 

Gebet um rechte Gottesliebe und Vermeidung der Eigenliebe.

 

O du Vater des Lichts! laß deine Liebe, als ein erleuchtendes Licht, in meinem Herzen aufgehen, damit ich dich und mich recht erkennen, in deiner Liebe brennen, aus Liebe dein Wort halten, und dir im tätigen Glauben, und gläubigen Gehorsam dienen möge all mein Leben lang, Amen.

 

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