DAS NEUNTE KAPITEL. (4.B./2.T./9.K.)

 

DASS DER MENSCH MEHR SCHULDIG IST FÜR DASJENIGE,

WAS ER IN SICH SELBST HAT,

DENN FÜR ALLES, DAS IN DER WELT IST;

UND WIRD HIE BEWIESEN DIE UNSTERBLICHKEIT DER SEELEN.

 

Inhalt.

1) Der Dienst der Kreaturen lehret uns, dass im Menschen etwas Unsterbliches sei, das ist die Seele. 2) Die soll daher allein mit dem unsterblichen Gott Gemein-schaft haben. Und deswegen ist der Mensch Gott mehr schuldig für das, was in ihm, als für alles, was in der Welt ist.

 

Du Liebhaber des Lebens, dein unvergänglicher Geist ist in allen. B. Weish. 11,27. Kap. 12,1. Eure Frucht sei über alle Tiere. 1 Mos. 9,2. Gott hat den Menschen geschaffen zum ewigen Leben, und hat ihn gemacht zum Bilde, dass er gleich sein solle, wie er ist. Weish. 2,23.

 

Weil der Mensch erkennet, dass er die edelste Kreatur ist unter allen, so ist er Gott viel mehr für sich selbst schuldig und verpflichtet, denn für die ganze Welt. Denn weil alles um des Menschen willen geschaffen, so muß ja der Mensch mehr wert sein, als die ganze Welt und alle Kreaturen. Denn obwohl viel herrliche Kreaturen in der Welt sein, als die Elemente, die himmlischen Körper, und son-derlich die Sonne; dennoch weil sie alle um des Menschen willen geschaffen sind, und ihm dienen, so ist leicht zu erachten, dass des Menschen Natur höher sein muß, weil ihm so viel herrliche, große, gewaltige, mächtige Kreaturen die-nen. Durch diesen ihren Dienst aber lehren uns die gewaltigen und herrlichen Kreaturen Gottes, dass im Menschen etwas Untötliches, Unsterbliches und Ewiges sein müsse. Denn es sind ja auch die himmlischen Körper der Verder-bung nicht unterworfen, sondern währen immer ohne Abnehmen; wie sollte nun das zugehen, dass die Kreaturen, welche so herrlich sein, dass sie keiner Zer-störung unterworfen, dem Menschen dienen sollten, wenn nichts Unsterbliches und Ewiges im Menschen wäre? Derohalben, so muß im Menschen etwas Un-sterbliches sein; dieses aber ist nicht der Leib, weil derselbe stirbet, darum muß etwas anders im Menschen sein, das unsterblich ist, welches die Seele genannt wird. Darum, weil der, der da dienet, nicht größer sein kann noch muß, als dem er dienet, derohalben so muß im Menschen etwas sein, das größer, herrlicher, unvergänglicher, unsterblicher ist, denn alle himmlischen Körper, sonst wäre es gar eine widerwärtige Ordnung, ja, es wäre keine Ordnung, sondern ganz umge-kehret, und wäre wider die ganze Natur, wenn die himmlischen Körper, die nach ihrer Art untötlich sind, einem tötlichen Menschen dienen müßten, in dem keine unsterbliche Seele wäre.

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2. Dieweil die Seele nun unsterblich ist, so soll sie auch keine Gemeinschaft haben mit den tötlichen Dingen, so unter dem Himmel befindlich sind. Denn es kann doch kein tötlich Ding sich vereinigen mit einem unsterblichen; darum sollen alle unsterblichen Dinge mit der Seele vereiniget sein, vornehmlich aber Gott. Mit dem Leibe des Menschen haben alle tötliche Dinge Gemeinschaft, denn der Leib genießt ihrer; aber mit der Seele soll allein der unsterbliche Gott Gemeinschaft haben; also ist und soll Gott allein, als der König, in der Seele des Menschen seinen Sitz haben. Siehe, also ist die Seele im Menschen Gottes Stuhl, das ist der höchste Adel des Menschen, zu welchem Gott keine Kreatur in der Welt er-hoben; also ist die gläubige Seele des Menschen Gottes Bild und Wohnung, höher kann keine Kreatur gewürdiget werden, darum ist der Mensch über alle Kreaturen. Derowegen ist der Mensch Gott mehr schuldig für das, so in ihm ist, als für alles das, was in der Welt ist.

 

Gebet um christliche Dankbarkeit. (S. im Paradiesgärtlein.)

 

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