DAS ACHTUNDZWANZIGSTE KAPITEL. (2.B./28.K.)

 

WIE DAS HÖCHSTE GUT ERKANNT,

UND IN DER SEELE GESCHMECKET WIRD.

 

Inhalt.

1) Gott, das vollkommenste Gut, muß im Geist und Wahrheit erkannt und ge-schmecket werden. 2) Das geschiehet in der Seele des Menschen. 3) Es muß aber der gefallene Mensch erst zu Gott bekehret werden. 4) Und durch den Glauben dem Herrn anhangen: 5) so schmecket er Gottes Freundlichkeit in-wendig im Herzen. 6) Dann fängt er an die Welt zu verschmähen, 7) und liebet Gott über alle Dinge, 8) das Vollkommene über alles Unvollkommene. 9) Also tilget die lebendige Erkenntnis Gottes die Liebe der Welt.

 

Schmecket und sehet, wie freundlich der Herr ist. Ps. 34,9.

 

Gott ist ein ewiges, vollkommenes, unendliches, lieb- und freudenreiches, we-sentliches, mitteilendes Gut, und will, dass er also im lebendigen Glauben, im Geist und in der Wahrheit erkannt werde; solches aber kann nicht geschehen, es muß ein Mensch Gottes Gütigkeit, Süßigkeit, Freundlichkeit und Trost wahrhaftig im Herzen schmecken und empfinden.

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2. Sollte nun das geschehen, so mußte etwas im Menschen sein, das sich mit Gott vergliche, auf dass der Mensch fähig würde des höchsten Guts. Das ist des Menschen Seele, darinnen wollte Gott seine Gütigkeit ausgießen, ja selbst da-rinnen wohnen und sich derselben immer mehr und mehr offenbaren und zu erkennen geben.

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3. Weil aber durch die Sünden der Mensch dieses hohen Guts verlustig worden, und dagegen den Teufel zum Einwohner und Besitzer bekommen, der sein Werk übet im Menschen, als Hoffart, Geiz, Wollust, Zorn, Neid, welches alles des Teufels Werk im Menschen ist; so muß der Mensch durch den Glauben, so Gott wirket, Kol. 2,12. zu Gott wieder bekehret werden von der Welt, ja vom Teufel zu Christo Jesu, Apost. Gesch. 26,18. und muß der Satan mit seinem Werk heraus. Denn so lange des Satans Werke im Menschen sein, und so lange wirket Gott nicht in ihm; so lange wird Gottes Werk verhindert, dass die Seele nicht empfin-den kann, wie freundlich Gott ist. Derowegen sind wenige Leute, die Gott recht erkennen, sintemal in den meisten die Werke der Finsternis und des Satans herrschen. Die meisten hangen an der Welt, an den Kreaturen, und an ihnen selbst.

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4. Die aber Gott recht erkennen und schmecken wollen, die müssen dem Herrn anhangen, und ein Geist mit ihm werden, 1 Kor. 6,17. und je mehr das ge-schiehet, desto mehr sich Gott in der gläubigen liebhabenden Seele offenbaret: je mehr das Herz von der Welt abgewendet wird zu Gott, desto mehr sich Gott mit der Seele vereiniget; denn alle Weltliebe und Kreaturliebe muß ausgehen, soll Gottes Liebe eingehen: 1 Joh. 2,15. In wem die Liebe der Welt ist, in dem ist die Liebe des Vaters nicht. Und wo Gott eine Seele findet, die leer ist von der Welt, die erfüllet er mit dem Himmel, mit ihm selber, und mit aller seiner Gütig-keit. Je leerer das Herz von der Weltliebe, desto mehr es Gott mit seinem Licht und Trost erfüllet. Darum sagt ein alter Lehrer, lässet sichs in einer leeren, stillen, ruhigen Seele mehr empfinden, als aussprechen, was Gott ist.

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5. Soll nun ein Mensch wahrhaftig wissen, dass Gott gut ist, und das höchste Gut, so muß er seine Gütigkeit im Herzen schmecken. Die Schrift zeuget davon äußerlich, aber das Herz muß es innerlich empfinden, und das lebendige Wort schmecken: Heb. 6,5. Die geschmecket haben das gütige Wort und die Kraft der zukünftigen Welt. Das Gott freundlich sei, kannst du nicht besser verstehen, als wenn du seinen Trost schmeckest; dass er ein freudenreiches Wesen sei, kann dich niemand besser lehren, als Gott selbst, wenn er sich in dir freuet; also mit allen Dingen, das Gott ist. Wo er es nicht alles selbst in dir tut und wirket, so wirst du nimmer seine lebendige Erkenntnis haben: Denn Gott erkennen ohne Gott, ist unmöglich, sagt St. Augustinus. Darum, wem sich Gott nicht selbst offenbaret und zu erkennen gibt, der wird nimmermehr recht wissen können, was Gott ist; wenn aber ein Herz das lebendige Wort Gottes empfindet, so erkennet es, dass Gott alles sei, und alles Gut, und das rechte vollkommene ewige Gut, und besser denn alles, was ein Herz wünschen und erdenken möchte; denn über dies ewige höchste Gut kann keine Kreatur etwas Bessers denken oder wünschen.

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6. So nun dasselbe erkannt, und in der Seele geschmeckt wird, wie Ps. 63,4. stehet: Herr, deine Güte ist besser, denn Leben; alsdann fängt die gläubige Seele an, die Welt zu verschmähen mit ihrer Freude und Lust. Denn sie hat an Genügen und volle Genüge, und in Summa, alles; denn die Welt mit all ihrem Reichtum ist eitel Stückwerk, unvollkommen und unbeständig, Gott aber ist das rechte vollkommene, beständige und ewige Gut.

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7. Aus diesem Grunde spricht David: Ps. 73,25. Herr, wenn ich nur dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erde. Das ist eine solche Seele, die das voll-kommene Gut geschmecket hat, in welcher alle Kreatur- und Weltliebe ver-schwindet, und die keine Lust noch Freude hat an den Kreaturen, am Irdischen, an der Welt, sondern allein an Gott, dem höchsten Gut. Und das ist die rechte empfindliche Erkenntnis Gottes, ja die rechte Liebe Gottes über alles, so im Herzen geschmeckt wird; denn wenn Gott recht erkannt wird, so wird er auch über alle Dinge geliebt, gelobt und geehret.

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8. Wenn man nun das ewige vollkommene Gut hat, in dem alles Gut ist, und welches alles allein ist, warum wollte man denn das unvollkommene lieb haben? Denn wenn das rechte vollkommene Gut erkannt wird, da wird es auch geliebt über alles unvollkommene, das ist, über alle Kreaturen in der ganzen Welt.

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9. Also tilget nun die lebendige Erkenntnis Gottes aus die Liebe der Welt; und so fängt ein Mensch an, die Welt zu verschmähen mit ihrer Eitelkeit, und spricht mit dem König Salomon: Es ist alles eitel und nichtig, ja eitel Jammer, was unter dem Himmel ist, Pred. 1,2. Also wird die Weltliebe im Herzen zunichte, und bleibet allein Gottes Liebe, und das ewige Gut, das ewig bleibt.

 

Gebet um die lebendige Erkenntnis Gottes.

 

O Gott! der du allein gut bist, und deine Güte allen mitteilen willst, die ihre Herzen dir einräumen; ach! bereite meine Seele durch deinen heiligen Geist zu deinem Sitz und Tempel, und gib dich mir lebendig und kräftig zu erkennen. Laß mich in deiner Liebe und Erkenntnis nehmen zu etc.

 

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