DAS SIEBENUNDZWANZIGSTE KAPITEL. (2.B./27.K.)

 

WIE SICH DER HERR JESUS DER LIEBHABENDEN SEELE

OFFENBARET UND ZU ERKENNEN GIBT,

ALS DIE HÖCHSTE LIEBE UND DAS HÖCHSTE GUT.

 

Inhalt.

1) In dem gekreuzigten Christo siehet man die allerreineste und vollkommenste Liebe. 2) Wer diese schmecket, der wird nichts anders wünschen; 3) denn Christus ist der gläubigen Seele einige Liebe. 4) In dieser Liebe Christi sollen alle unsere Werke geschehen. 5) Dieses höchste Gut ist Gott bereit und willig uns zu geben. 6) Der Geschmack dieser Liebe erfreuet mehr, als die ganze Welt. 7) Ent-zieht sie sich, so ist da größeres Leid, als wenn die ganze Welt verloren wäre. Ohne dieselbige ist den Gläubigen das ganze Leben bitter.

 

Wer mich liebet, dem will ich mich offenbaren. Joh. 14,21.

 

Wenn du den gekreuzigten Christum recht wirst anschauen, so wirst du nichts, als lauter reine, vollkommene, unaussprechliche Liebe in ihm sehen; und er wird dir sein Herz zeigen, und sprechen: Siehe, in diesem Herzen ist kein Betrug, kei-ne Lügen, Jes. 53,9. sondern die höchste Treue und Wahrheit. Neige dein Haupt her, und ruhe auf meinem Herzen; reiche deinen Mund her, und trinke aus mei-nen Wunden die allersüßeste Liebe, welche aus meines Vaters Herzen durch mich entspringet und quillet.

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2. So du nun diese Liebe schmecken wirst, so wirst du der ganzen Welt darüber vergessen, und vor dieser überschwenglichen Liebe verschmähen, und nichts mehr als diese Liebe wünschen, und zu deinem Herrn sagen: Ach Herr! gib mir nicht mehr, als die Süßigkeit deiner Liebe, ja wenn du gleich mir die ganze Welt geben wolltest, so will und begehre ich nichts anders, als dich allein und deine Liebe.

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3. O selig ist die Seele, die diese Liebe empfindet! denn in derselben Seele wird Christus recht erkannt und offenbaret, dass er nichts anders sei, als lauter reine Liebe, und dass er sei die Liebe der Seelen. Welche Worte einen hohen Ver-stand und Erfahrung in sich begreifen; denn dass Christus die Liebe unserer Seelen sei, offenbaret er durch seine geistliche Zukunft und liebliche Erquickung der Seele, und wenn davon unsere Seele einen kleinen Tropfen oder Blick empfindet, so ist sie zum Höchsten erfüllet mit Freuden; denn die unendliche Liebe ist so groß, dass sie unser Herz nicht fassen noch begreifen kann. Solches erkannte der heilige Märtyrer Ignatius, der den Herrn Jesum allezeit seine Liebe genennet hat, und gesagt: Meine Liebe ist gekreuziget.

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4. In dieser Liebe Christi sollen alle unsere Werke geschehen, 1 Kor. 16,14. so gehen sie aus Christo und aus dem wahren Glauben, und gefallen Gott wohl, wir essen, oder trinken, oder schlafen, oder verrichten die Werke unsers Berufs. Es wird alles lieblich vor Gott und den Menschen, was aus der gläubigen Liebe gehet; denn das geschieht in Gott und wird in Gott getan. Joh. 3,21.

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5. Ob nun wohl diese Liebe Christi das allerhöchste Gut ist im Himmel und auf Erden; denn in dieser Liebe ist alles Gute begriffen: dennoch ist Gott so willig und bereit, uns dies hohe Gut zu geben, dass er auch seinen lieben Sohn in dies Elend gesandt, uns durch ihn dieses unaussprechlichen Schatzes teilhaftig zu machen, durch den Glauben; und ist er viel williger uns dies hohe Gut zu geben, als wir bereit sein, dasselbe zu empfangen.

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6. Diese Liebe, so durch den heiligen Geist ausgegossen wird in unser Herz, Röm. 5,5. so sie empfunden wird, erfreuet mehr als die ganze Welt: und wenn alle Kreaturen da gegenwärtig ständen, so ließe eine gläubige liebhabende Seele dieselben fahren, und sähe sich nicht darnach um, um der überschwenglichen Süßigkeit willen der Liebe Gottes. Und wenn alle Kreaturen anfingen zu reden, so wäre doch die Stimme der Liebe Gottes stärker und lieblicher, als aller Kreaturen Stimme; denn diese Liebe bindet das Gemüt, und vereiniget es mit Christo, und erfüllet es mit allem Gute höher und besser, als alle Kreaturen vermögen. Wel-ches hohe Gut zwar im Geist erkannt, gesehen und geschmecket wird, aber es kann mit keinen Worten ausgesprochen werden; denn alle Worte sind viel zu wenig, nur den Schatten anzuzeigen, weil keines Menschen leibliche Zunge das köstliche und liebliche Gut, so der Geist des Menschen empfindet, erreichen kann. Daher St. Paulus im Paradies unaussprechliche Worte gehöret hat, die kein Mensch aussprechen kann, 2 Kor. 12,4.

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7. Und wenn ein solch köstliches Gut sich von der Seele entziehet, da ist größeres Leid, als wenn die ganze Welt verloren wäre. Da ruft man: O du hold-selige Liebe, ich habe dich kaum recht geschmecket, warum verlässest du mich? Meiner Seele gehet es, wie einem Kinde, das von der Mutter Brüsten abgesetzet ist, Ps. 131,2. Ach! deine Güte ist besser, denn Leben, Ps. 63,4. laß mich die-selbe empfinden. Meine Seele dürstet allein nach dir, Ps. 42,2. sonst kann mich nichts sättigen noch erfreuen.

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8. Diese holdselige Liebe macht auch, dass ohne dieselbe der gläubigen lieb-habenden Seele das ganze Leben bitter wird und für einen lautern Tod und Elend geachtet wird; ja um dieser Liebe willen begehrt ein Mensch zu sterben, und die irdische Hütte abzulegen, und wollte gerne daheim sein bei dem Herrn, wie St. Paulus spricht, 2 Kor. 5,8.

 

Gebet um die Offenbarung Christi in der Seele.

 

Liebster Jesu! schenke mir deine Gunst, offenbare dich meiner Seele in der Liebe Brunst, dass ich schmecke und sehe, wie süß und freundlich du seiest, und nichts mehr verlange, als gesättiget zu werden von den reichen Gütern deines Hauses, in Zeit und Ewigkeit, Amen.

 

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