DAS VIERZEHNTE KAPITEL (1.B./14.K.)

 

EIN WAHRER CHRIST MUSS SEIN EIGENES LEBEN IN DIESER WELT HASSEN, UND DIE WELT VERSCHMÄHEN LERNEN, NACH DEM BEISPIEL CHRISTI.

 

Inhalt.

1) Drei Stücke gehören zum Selbsthaß. 2) Erstlich, dass man der Eigenliebe absage, denn sie machet eitel Unruhe. 3) Gottes Liebe aber macht eine ruhige Seele. 4) Die Eigenliebe hindert die himmlische Weisheit, 5) Eigenliebe und Gottesliebe sind wider einander. 6) Christus ist der Weg, die Wahrheit und das Leben. 7) Beide in seinem Verdienst und mit seinem Exempel. 8) Darum muß unser Leben dem Leben Christi ähnlich werden. 9) Aber ach! wie wenig Nach-folger hat der niedrige Jesus unter den Christen. 10) Das macht die Eigenliebe, die Wurzel der Unbußfertigkeit und des ewigen Verderbens. 11) Um der himmli-schen Perle willen muß man alles verlassen. 12) Eine reine Braut Christi muß eine Jungfrau sein, und nichts, als Christum lieben; 13) wie ehemals die Priester mußten Jungfrauen nehmen. 14) Willst du dies sein, so mußt du dich selbst hassen.

 

So jemand zu mir kommt, und hasset nicht sich selbst, ja sein eigenes Le-ben, der kann nicht mein Jünger sein, Luk. 14,26. Wer sein Leben lieb hat, der wird es verlieren, und wer sein Leben in der Welt hasset, der wird es erhalten zum ewigen Leben. Joh. 12,25.

 

Soll ein Mensch sich selbst hassen, so muß er erstlich sich selbst nicht lieben. Zum andern muß er täglich den Sünden absterben. Zum dritten muß er täglich mit sich selbst, das ist, mit seinem Fleische kämpfen.

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2. Erstlich ist kein Ding auf Erden dem Menschen mehr schädlich an seiner Seligkeit, als sich selbst lieben, welches nicht von natürlicher Liebe und Erhal-tung seiner selbst, sondern von der fleischlichen, unordentlichen Liebe und Selbstsucht im ganzen Buch zu verstehen. Denn es soll nichts geliebt werden, als Gott allein. Liebet sich nun der Mensch selbst, so macht er sich selbst zum Gott, und ist sein Selbstgott. Was ein Mensch liebet, darauf ruhet sein Herz, daran hänget sein Herz, ja das nimmt einen Menschen gefangen, und machet ihn zum Knecht, und beraubet ihn seiner edlen Freiheit. So viel irdische Dinge du lieb hast, so vieler Dinge Knecht und Gefangener bist du. Ist nun deine Liebe lauter, rein, und einfältig auf Gott gerichtet, so bleibest du von allen Dingen ungefangen, und behältst alle deine Freiheit. Du sollst nichts begehren, was dich hindern mag an der Liebe Gottes. Willst du Gott ganz haben, so mußt du dich ihm ganz ge-ben. Liebest du dich selber, und hast an dir selber Gefallen, so wirst du viele Sorge, Furcht, Unruhe und Traurigkeit für dich selbst haben; liebest du aber Gott, und hast deinen Gefallen an ihm, und ergibst dich ihm ganz, so wird Gott für dich sorgen, und wird keine Furcht und Traurigkeit auf dich fallen. Ein Mensch, der sich selbst liebet, und in allen Dingen sich selbst suchet, seinen Nutzen, Lob, Ehre, der hat nimmermehr eine Ruhe; denn er findet immer etwas, das ihm selbst zuwider ist, dadurch er selbst beunruhigt wird. Derowegen ist dir nicht ein jegli-ches Ding, das zu deinem Nutzen, Lob und Ehre gereichet, gut, sondern das ist dir gut, so du es verschmähest, und die böse Wurzel ausrottest, denn es hindert dich an der Liebe Gottes.

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3. Dein eigener Nutzen, Lob und Ehre ist alles mit der Welt vergänglich, Gottes Liebe aber ist ewig. Der Friede und die Ruhe, so aus der Liebe deiner selbst und der zeitlichen Dinge kommt, bestehet nicht lang; denn aus geringen Ursachen kann entstehen, dass diese Ruhe zerstört wird; wo aber das Herz allein in Gott und seiner Liebe ruhet, da ist ewiger Friede. Alles, was nicht aus Gott kommt, das muß vergehen, und ist eitel. Darum merke eine kurze Regel: Verlaß alle Dinge, so findest du durch den Glauben alle Dinge. Denn Gott wird nicht gefun-den von einem Liebhaber seiner selbst, oder der Welt.

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4. Eigene unordentliche Liebe ist irdisch, und nicht aus Gott, eigene Liebe hindert die himmlische Weisheit. Denn die wahre himmlische Weisheit hält nicht viel von sich selbst, und suchet nicht, dass sie auf Erden gelobt werde; darum ist sie ein schlechtes und geringes Ding, und ist fast in Vergessenheit gekommen; wiewohl viel von ihr geprediget wird, aber weil man mit dem Leben fern davon ist, so bleibt dies edle Perlein vor vielen verborgen. Willst du sie aber haben, so mußt du menschliche Weisheit, eigenes Wohlgefallen, und eigene unordentliche Liebe verlassen; also kannst du für die hohe, köstliche, irdische, menschliche Weisheit, die himmlische erlangen. Du bekommst für die hohe Weisheit dieser Welt ein geringes und schlechtes Ding vor der Welt, welches aber himmlisch und ewig ist.

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5. Es kann niemand Gott lieben, er muß sich selbst hassen, das ist, er muß an sich selbst und seinen Sünden ein Missfallen haben, seinen Willen töten und hintansetzen. Und je mehr ein Mensch Gott liebt, je mehr er seinen bösen Willen und Affekten hasset, sein eigenes Fleisch kreuziget samt den Lüsten und Be-gierden. Und so viel ein Mensch von sich selbst und seiner Liebe ausgehen mag durch des heiligen Geistes Kraft, so viel mag er in Gott und seine Liebe eingehen durch den Glauben. Denn gleichwie auswendig nichts begehren, den innern Frieden macht: also kommt man zu Gott, wenn man inwendig alles verläßt, und an keiner Kreatur mit dem Herzen hanget, sondern allein an Gott.

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6. Wer nun sich selbst will verleugnen, der muß nicht sich selbst und seinem Willen, sondern Christi folgen: Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben, spricht er Joh. 14,6. Denn ohne Weg geht man, ohne Wahrheit erkennet man nicht, ohne Leben lebet man nicht. Ich bin der Weg, den du gehen sollst. Ich bin die Wahrheit, die du glauben sollst, und das Leben, das du leben und hoffen sollst. Ich bin der unvergängliche Weg, die unbetrügliche Wahrheit und das unendliche Leben. Ich bin der richtigste Weg des ewigen Lebens in meinem Verdienst, die höchste Wahrheit in meinem Wort, und das ewige Leben in Kraft meines Todes. So du auf diesem Wege bleiben wirst, so wird dich die Wahrheit zum ewigen Leben führen. Willst du nun nicht irren, so folge mir; willst du die Wahrheit erkennen, so glaube mir; willst du das ewige Leben besitzen, so tröste dich meines Todes.

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7. Was ist aber dieser sichere, richtige Weg, diese unbetrügliche Wahrheit, dies edelste und beste Leben? Der Weg ist Christi heiliges und teures Verdienst; die Wahrheit ist Christi ewiges Wort; das Leben ist die ewige Seligkeit. Willst du nun in den Himmel erhoben werden, so glaube an Christum, und demütige dich auf Erden, nach seinem Exempel, das ist der Weg. Willst du nicht betrogen werden von der Welt, so halte dich an sein Wort im Glauben, und folge demselben im heiligen Leben, das ist die Wahrheit. Willst du mit Christo leben, so mußt du mit ihm, in ihm und durch ihn der Sünde absterben und eine neue Kreatur werden, das ist das Leben. Also ist Christus der Weg, die Wahrheit und das Leben, beide in seinem Verdienst und mit seinem Exempel.

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8. Seid Christi Nachfolger, als die lieben Kinder, sagt St. Paulus Eph. 5,1. Darum soll auch unser Fleiß dahin gerichtet sein, dass unser Leben dem Leben Christi ähnlich werde. Wenn sonst nichts anders wäre, die falschen Christen zu wider-legen, die nur mit dem Namen Christen sein, so wäre doch das Exempel Christi genug. Ein Christ soll sich schämen in Wollust und Freude zu leben, da unser Herr Christus sein Leben in Jammer und Elend zugebracht hat. Kein rechter Kriegsmann kann seinen Obersten sehen kämpfen bis in den Tod, der nicht vergesse seiner Wollust. Wenn du siehest deinen Fürsten Schmach tragen, und du trachtest nach Ehren, ist es nicht ein großes Zeichen, dass du nicht unter seinem Fähnlein bist?

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9. Wir wollen alle Christen sein, und wenig sind ihrer, die Christi Leben nach-folgen. Wenn es einen guten Christen machte, nach Reichtum und eitler Ehre zu trachten, so hätte Christus nicht befohlen, dieselben gering zu achten gegen die ewigen Güter. Siehe an sein Leben und Lehre, so wirst du sehen, wie ungleich dieselben sind gegen dieser argen Welt. Seine Krippe, der Stall, die Windeln, sind alles Spiegel der Verschmähung dieser Welt. Nun ist der aber nicht ge-kommen, dass er dich mit seinem Exempel verführe; nein, sondern dass er dich auf den rechten Weg führe mit seinem Exempel, und mit seiner Lehre. Darum spricht er: Er sei der Weg und die Wahrheit. Weil er erwählet hat, durch Schmach und Leiden in die Herrlichkeit einzugehen, so erwählest du ohne Zweifel, durch Ehre und große Pracht in die Hölle einzugehen. Darum kehre um von deinem breiten Wege, und gehe den Weg deß, der nicht irren kann, folge der Wahrheit, die nicht betrügen kann, lebe in dem, der das Leben selber ist. Dieser Weg ist die Wahrheit, und diese Wahrheit ist das Leben. O große Blindheit! dass ein armer Wurm auf Erden so groß sein will, und der Herr der Herrlichkeit ist auf Erden so klein gewesen! Darum, du gläubige Seele! wenn du siehest deinen Bräutigam, den himmlischen Isaak, dir zu Fuß entgegen gehen, so sollst du dich schämen, auf einem großem Kamel zu reiten. Wie Rebekka ihren Bräutigam Isaak sahe kommen, und sie saß auf einem Kamel, verhüllte sie ihr Angesicht, stieg eilends herunter, und ging zu Fuß zu ihm, 1 Mos. 24,64. Steige du auch herunter von dem hohen Kamel deines Herzens, und gehe zu Fuß mit tiefer Demut deinem Bräutigam entgegen, so wird er dich lieb haben, und mit Freuden aufnehmen.

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10. Gehe aus deinem Vaterlande und aus deines Vaters Hause, sprach Gott zu Abraham, in ein Land, das ich dir zeigen werde. 1 Buch Mos. 12,1. Gehe du aus dem Lusthause deiner eigenen Liebe und deines eigenen Willens. Die eigene Liebe macht verkehrte Urteile, verdunkelt die Vernunft, verfinstert den Verstand, verführet den Willen, beflecket das Gewissen, und schließt zu die Pforte des Lebens; sie erkennet Gott nicht und den Nächsten, vertreibet alle Tugend, trachtet nach Ehre, Reichtum und Wollust, liebet die Welt mehr als den Himmel. Wer also sein Leben liebt, der wird es verlieren, Joh. 12,25. Wer es aber ver-lieret, das ist seiner eigenen Liebe absaget, der wird es zum ewigen Leben erhalten. Eigene unordentliche Liebe ist eine Wurzel der Unbußfertigkeit und ewigen Verderbens. Denn die so mit eigener Liebe und Ehre besessen, sind ohne Demut und Erkenntnis der Sünden; darum sie keine Vergebung ihrer Sünden je erlanget, wiewohl sie dieselbe mit Tränen gesuchet. Denn sie haben sich mehr bekümmert und Leide getragen um ihren eigenen Schaden, als weil sie Gott hatten beleidiget. Es sind gewesen Tränen, nicht wegen des beleidigten Gottes, sondern wegen ihres eigenen Schadens.

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11. Matth. 13,45.46. stehet: Das Himmelreich ist gleich einer Perle, um welcher willen ein Kaufmann alles verkaufte und kaufte dieselbige Perle; das ist, es muß ein Mensch in seinem Herzen alles verlassen, und sich selbst, wenn er die edle Perle, das ist, Gott selbst, und das ewige Leben haben will. Siehe deinen Herrn Christum an, der ist vom Himmel gekommen, nicht dass er sich selbst suchte, liebte, sich selbst nützete, sondern dir, Luk. 19,10. Warum suchest du auch nicht den allein, der seiner selbst vergessen hat, und sich selbst für dich gegeben?

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12. Das ist eine rechtschaffene Braut, die sonst niemand gefallen will, als ihrem Bräutigam; warum willst du der Welt gefallen, so du doch Christi Braut bist? Die Seele ist eine reine Braut Christi, die sonst nichts liebt in der Welt, als Christum; derowegen mußt du alles, was in der Welt ist, gering achten, und in deinem Herzen verschmähen, auf dass du würdig werdest, von deinem Bräutigam geliebt zu werden. Die Liebe, die nicht Christum allein liebet und meinet in allen Dingen, die ist eine Ehebrecherin, und nicht eine reine Jungfrau; die Liebe der Christen soll eine Jungfrau sein.

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13. Es ist im Gesetz Mosis geboten, dass die Priester sollen Jungfrauen nehmen, 3 Mos. 21,14. Christus ist der rechte Hohepriester, der will eine Seele haben, die eine Jungfrau ist, die sonsten nichts mehr lieb hat in der Welt, als ihn allein, ja auch sich selbst nicht, darum der Herr spricht: Wer zu mir kommt und hasset nicht sich selber, dazu sein eigen Leben, der kann mein Jünger nicht sein, Luk. 14,26.

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14. Merket nun, was heißet, sich selbst hassen. Wir tragen den alten Menschen am Halse, und sind selbst der alte Mensch; dessen Art und Natur ist nichts anders, als sündigen, sich selbst lieben, seine eigene Ehre und Nutzen suchen, dem Fleisch seine Lust büßen; denn Fleisch und Blut läßt seine Unart nicht, es liebet sich selbst, ehret sich selbst, rühmet sich selbst, sucht sich selbst in allen Dingen, läßt sich bald erzürnen, ist neidisch, feindselig, rachgierig. Dies alles tust du selbst, ja du bist dies alles selbst, es kommt aus deinem eigenen Herzen, und ist dein eigenes Leben, das Leben des alten Menschen. Darum mußt du dich selbst hassen, und dein eigen Leben, willst du Christi Jünger sein. Wer sich selbst liebt, der liebt seine eigene Untugend, seine Hoffart, Geiz, Zorn, Haß, Neid, seine Lügen, Falschheit, Ungerechtigkeit und bösen Lüste. Diese Dinge mußt du nicht lieben, entschuldigen, beschönen, sondern du mußt sie hassen, ihnen absagen und absterben, willst du ein Christ sein.

 

Gebet um Verschmähung der Welt. (Siehe im Paradiesgärtlein.)

 

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