DAS SECHSTE KAPITEL. (3.B./6.K.)

 

WIE SICH DAS HÖCHSTE UND EWIGE GUT

OFT IN UNSERER SEELE EREIGNET IN EINEM AUGENBLICK,

UND WO DIE STATT UND SITZ GOTTES SEI IN DER SEELE.

 

Inhalt.

1) Gott offenbaret sich oft in einem Augenblick im Grunde der Seele. 2) Daher kommen alle Seufzer der Heiligen und der Vorgeschmack des ewigen Lebens; 3) wenn Christus mit seiner Liebe im Grunde der Seele Freude und Wonne er-wecket.

 

Wo ist dein Freund hingegangen, o du Schönste unter den Weibern.

Hohel. Sal. 5,17.

 

Unser Freund ist allezeit bei uns, aber er läßt sich nicht allezeit merken, ohne wenn das Herz stille ist, wenn alle Sinnen hinein gekehret sein, zur Ruhe ge-bracht, und in Gott gesammelt; wenn im Verstand kein irdisches Ding scheinet, sondern die tierische Weisheit untergangen ist, und in eine Nacht oder göttliche Finsternis verwandelt ist, so gehet denn das göttliche Licht auf, und gibt einen Blick und Strahl von sich, und scheint in der Finsternis. Das ist das Dunkel, darinnen der Herr wohnet, und die Nacht, in welcher der Wille schläft, und mit Gott vereiniget ist, darinnen das Gedächtnis vergessen hat der Welt und der Zeit, so beweget alsdann in einem Augenblick das göttliche Licht den Verstand, die himmlische Begierde den Willen, und die ewige Freude das Gedächtnis und es kanns doch weder Verstand, Wille oder Gedächtnis begreifen oder behalten, denn es bleibt nicht in den Kräften der Seele, sondern ist verborgen im innersten Grund und Wesen der Seele. Es kann aber wohl erwecket werden durch das Wort, dass wir im Herzen rufen mit der heiligen Monica: Lasset uns wegfliegen, lasset uns wegfliegen zur ewigen Freude!

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2. Daher kommen alle Seufzer der Heiligen, die auch unaussprechlich sind. Als St. Paulus die Süßigkeit geschmeckt hatte, sprach er: Ich bin gewiß, dass uns weder Leben noch Tod, noch einige Kreatur scheiden kann von der Liebe Gottes, Röm. 8,38. verstehe, damit mich Gott liebet, die ich empfunden habe. Daher St. Augustinus spricht: Ich empfinde oft eine Bewegung in mir, wenn dieselbe immer in mir bliebe, so könnte dieselbe nichts anders sein, als das ewige Leben. Diese ist es, die unsere Seele gern wollte füllen und nach sich ziehen; und daraus lernen wir schmecken, was das ewige Leben sei, denn solcher Lieblichkeit und Freude wird die Seele ewig voll sein. Daher die liebhabende Seele im Hohel. Sal. Kap. 7,8. spricht: Meine Seele ist gar zerflossen und zerschmolzen, das ist: Meine Seele jammert und seufzet immer darnach, dass sie diesen ihren lieb-lichen Bräutigam möchte finden, und sich in seiner Liebe sättigen, ihren rechten himmlischen Adel wieder erlangen, welcher besteht in der rechten Vereinigung mit Christo; dass sie nicht ihre Lust und Freude am Nichtigen, Vergänglichen, vielweniger an der Sünde und Fleischeslust haben möge.

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3. Von diesem Adel der Seele wissen nicht viele Leute, auch die Weisen und Klugen dieser Welt nicht; die, so von der Seele und ihren Kräften geschrieben haben, sind nie auf den rechten Grund gekommen. Christus ist der Seele rechte Kraft, ihr Verstand, ihr Wille, ihr Gedächtnis, das ist, ihr Licht im Verstand, ihre Lust im Willen, ihre Freude im Gedächtnis; also ist auch Christus die rechte Heiligung, Zierde und Schmuck der Seele, dass ein Mensch wegen dieser Liebe Christi, die er empfindet, nicht mag sündigen, wie Joh. 1 Ep. 3,6.9. sagt: Wer in ihm bleibet, sündiget nicht, und wer aus Gott geboren ist, der tut nicht Sünde, denn sein Name bleibet in ihm, und kann nicht sündigen. Ja, aus dieser Liebe Christi entspringt oft eine Freude und Wonne. Wenn du um Christi willen Kreuz und Schmach leiden sollst, Ap. Gesch. 5,41. alsdann wird Leiden die höchste Freude. Und die entspringt im Grunde deiner Seele aus Gott, denn Gott hat sich selbst im Menschen eine Statt geheiligt, und also gefreiet und geeignet, dass weder Engel noch Menschen noch keine Kreatur darein kommen kann. Das ist das edle lautere Wesen der Seele, dieselbe Statt will der ewige Gott sich selber allein haben, und will sie auch mit keinem andern gemein haben. Denn der ewige Gott wohnet mit großer Lust in der reinen lautern Seele, wie er spricht: Meine Seele ist bei den Menschenkindern, Spr. Sal. 8,31. und was das für eine Lust sei, kann niemand aussprechen, als wer es empfindet, und kann doch niemand voll-kommen davon reden.

 

Gebet um Gottes gnädige Gegenwart in der Seele.

 

Niemand ist gut, denn du, Gott! und du willst dich selbsten mit aller deiner Güte den gläubigen Seelen mitteilen. Ach! laß mich schmecken deine Güte im Herzen, und stets nach dir dürsten, seufzen und schreien; du süße Liebe! schenk mir deine Gunst, dass ich empfinde der Liebe Brunst; ja gieß deine Liebe aus in mein Herz durch den heiligen Geist, und erfülle mich mit aller Gottesfülle aus der Fülle Jesu, Amen.

 

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