DAS SIEBENTE KAPITEL. (4.B./2.T./7.K.)

 

WELCHE DINGE DER SEELE DIENEN,

UND DIE SEELE ENTWEDER ERFREUEN ODER LEHREN.

 

Inhalt.

1) Die Welt ist dem Menschen nicht nur zum Dienst des Leibes, sondern auch zur Lehre seiner Seele erschaffen. 2) Alle Kreaturen dienen dem Menschen teils zur Freude, 3) teils zur Lehre, und machen ihn Gott zum höchsten verpflichtet.

 

Frage das Vieh, das wird dichs lehren, und die Vögel unter dem Himmel werden dirs sagen; oder rede mit der Erde, die wird dichs lehren, Hiob 12,7.

 

Nicht allein aber ist die Welt dem Menschen zum Dienst seines Leibes ge-schaffen, sondern vielmehr zur Lehre seiner Seele. Denn es ist keine Kreatur, die den Menschen nicht etwas Sonderbares lehre, oder aus welcher der Mensch nicht eine sonderbare Lehre schöpfen könnte zu seinem Besten; daher alle Kreaturen dem Menschen dienen zur Lehre und zur Freude. Wir wollen erstlich sehen, wie die Kreaturen dem Menschen zur Freude dienen.

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2. Allein der Mensch ist also von Gott geschaffen, dass er sich dessen erfreue, was er hat; das können andere Kreaturen nicht tun, denn sie verstehen ihr eigen Gut nicht. Gold und Silber freuen sich nicht ihres habenden Guts, denn sie haben deß keinen Verstand. Weil es nun der Mensch verstehet, so freuet er sich, dass Gott ihm zu gut so schöne Kreaturen geschaffen hat. Ist nun das nicht ein großes Wunder und Gütigkeit des Schöpfers, daß alles, was die Kreaturen haben, des Menschen Freude sein soll, und nicht der Kreaturen selbst? Denn Gott hat den Kreaturen alle ihre Freude genommen über ihrem Gut, auf dass sie der Mensch allein habe; alle Freude, so das Wasser haben sollte, wegen seiner Süßigkeit, Klarheit und einwohnenden Güte, die hat das Wasser nicht, sondern der Mensch. Und alle Freude, so eine Rose haben sollte, wegen ihres Geruchs, die hat sie selbst nicht, sondern der Mensch. Und alle Freude, so die Sonne haben sollte wegen ihrer Schönheit und Lichts, das hat der Mensch. Daher ist offenbar, dass alle Freude, welche die Kreaturen an ihnen selbst haben sollten, die hat der Mensch, und nicht sie selbst. Ja, der Mensch hätte keine Freude, wenn die Krea-turen nicht wären, denn er wüßte nicht, dass er die edelste Kreatur wäre, wenn keine anderen Geschöpfe wären; aus den Vergleichungen aber anderer Dinge verstehet der Mensch wohl, dass er die edelste Natur habe unter allen; und darum verstehet er auch wohl, dass ihn Gott über alle Kreaturen liebe, denn aus lauter Güte hat Gott den Menschen über andere Kreaturen so erhoben, und allen vorgezogen. Es besehe nur der Mensch die Statur seines Leibes, und halte sie gegen andere Kreaturen, so wird er seinen Adel vor allen Kreaturen wohl er-kennen. Denn alle Tiere sehen unterwärts auf die Erde, der Mensch allein hat sein Angesicht gen Himmel gerichtet, und man siehets, wie wohl es dem Men-schen anstehet, wenn er gen Himmel siehet. Ja, der Mensch besehe seine Seele, so wird er seinen Adel über alle Kreaturen wohl erkennen. Denn die Seele des Menschen ist nach Gottes Bilde geschaffen, und sonst keine sichtbare Krea-tur mehr. Wenn nun der Mensch sich selbst recht erkennet, das ist eine große Weisheit; sich selbst aber nicht erkennen, ist die höchste Torheit.

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3. Wie nun alle Kreaturen dem Menschen zur Freude erschaffen, also auch zur Lehre. Denn der Mensch siehet ja wohl aus den Kreaturen, dass sein endliches höchstes Gut nicht bestehe in irdischen und greiflichen Dingen, und in Belusti-gung des Leibes, als in Essen, Trinken und Wollust, denn dasselbe haben die Tiere auch. Daher sollte ja der Mensch erkennen, dass er andere Güter haben müsse, welche übertreffen die, so auch den Tieren gemein sind, sintemal der Mensch das Vieh weit übertrifft; derowegen muß ja in dem nicht die höchste Glückseligkeit sein, was auch andere Tiere haben, als Essen, Trinken etc. Darum muß ein edler Essen, Trinken und Freude sein, davon die Tiere nichts wissen, weil der Mensch edler ist, denn alle Tiere. Ja, der Mensch hat den meisten Teil der Weisheit aus den Kreaturen erlernet. Denn die Kunst der Arznei entspringet ja aus den Kreaturen; die Musik haben die Philosophen aus dem Klange der Metalle erfunden, und so fort. Derowegen ist die ganze Kreatur dem Menschen zur Freude und zur Lehre geschaffen; dannenhero so folget auch, weil der Mensch so viele Guttaten aus den Geschöpfen Gottes empfähet zu seines Lei-bes Nutzen, und zur Lehre seiner Seele, dass er Gott vor allen Kreaturen zum höchsten verpflichtet ist, denn er empfähet von allen Kreaturen Wohltaten. Diese Verbindlichkeit ist das erste Band, damit der Mensch Gott verbunden ist, und so ist der Mensch Gottes Schuldner. Das ist die Wurzel und Grund der Verbindlich-keit des Menschen gegen Gott.

 

Gebet um Bewahrung vor Missbrauch der Freude über den Kreaturen.

 

Weil du, o Vater aller Dinge! aus den Kreaturen von dem Menschen willst erkannt und gepriesen werden, und dieselbe auch uns zu Lehrmeistern vorgestellet, un-sere Herzen mit Speise und Freuden zu erfüllen, so verleihe mir auch, dass ich nur auf dich, als den Geber, möge aufsehen, und alle Geschöpfe mich zu dir führen lassen, und in dir meine einzige Freude suche und habe, hie zeitlich und dort ewiglich, Amen.

 

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