DAS VIERUNDZWANZIGSTE KAPITEL. (4.B./2.T./24.K.)

 

DASS EIN JEGLICHER MENSCH SCHULDIG IST,

EINEN JEGLICHEN ANDERN MENSCHEN ZU LIEBEN,

ALS SICH SELBST,

UND DASS AUCH DIESELBE LIEBE DEM MENSCHEN

ZU SEINEM EIGENEN BESTEN GEREICHE.

 

Inhalt.

1) Alle Menschen sind nach Gottes Bild erschaffen, darum sollen sie alle einan-der lieb haben. 2) Also sind zwei Bande der Liebe im Nächsten: Durchs erste ist er mit Gott, durchs andere, so aus jenem entspringen, mit dem Menschen ver-bunden. 3) Beide gereichen ihm selbst zum Besten, und sind des Menschen Hauptgut.

 

Wer nicht lieb hat, der kennet Gott nicht, denn Gott ist die Liebe. 1 Joh. 4,8.

 

Dieweil alle Menschen nach Gottes Bild erschaffen, und Gott aus herzlicher Liebe gerne wollte durch seinen heiligen Geist sein Bild in allen Menschen erneu-ern, und so viel an ihm ist, durch Christum selig machen; derowegen so sollen sich alle Menschen unter einander lieben, als sich selbst, als die, so einer Natur und eines Geschlechts sind, und soll ein jeglicher den andern achten und halten, als sich selbst, nicht als sei er weit von dem andern unterschieden. Denn es ist ein allgemeiner Gott, von dem alle Menschen ihr Leben und Wesen empfangen haben. Derowegen, was ein Mensch ihm selber will und wünschet, soll er dem andern auch wünschen, damit dem kein Leid geschehe, so Gott zu seinem Bilde erschaffen und durch Christum hat erlösen lassen. Darum soll auch unter den Menschen das stärkste Band der Einigkeit und des Friedens sein, und alle Men-schen sollen sein als ein Mensch; denn sie sind alle nach dem Bilde Gottes er-schaffen, und haben einen Erlöser und Heiland. Und gleichwie die erste Liebe von rechtswegen dem Schöpfer gebühret; also gebühret aus dem Recht der Natur die andere dem, der nach Gottes Bild erschaffen. Denn dieweil der Mensch vornehmlich nach seiner Seele zu Gottes Bilde geschaffen, so folget, dass ein jeder Mensch eines andern Seele so lieb haben soll, als seine eigene Seele.

----------

2. Also sind zwei Bande der Liebe im Menschen. Durch das erste ist er mit Gott verbunden, durch das andere mit seinem Nächsten, und das andere entspringet aus dem ersten; denn wäre das erste nicht, so wäre das andere auch nicht. Denn bedenke die wunderbare Ordnung: Gott hat die Menschen anfänglich geliebt, und liebt sie unaufhörlich; die Kreaturen aber offenbaren die unaufhörliche Liebe Gottes, mit ihrem täglichen Dienst gegen die Menschen. Also ziehet Gott die Menschen nach sich durch seine Liebe, und überzeuget sie damit, dass sie hinwieder schuldig sind zu lieben, und will nun, dass auch die Menschen sich unter einander unaufhörlich lieben, nach seinem Exempel; und darum hat er allen anfänglich sein Bild eingepflanzt.

----------

3. Die Liebe aber der Menschen gereicht ihnen selbst zu ihrem eigenen Frommen und Besten. Sintemal oben erwiesen ist, dass die erste Liebe des Menschen, so Gott gebührt, und der Gottesdienst allein dem Menschen zum Besten gereiche; so folget notwendig, dass die andere Liebe, so dem Menschen gebühret, auch allein dem Menschen zum Besten gereichen müsse, denn die andere Liebe folgt aus der ersten. Denn dass die Menschen Gottes Bild sind, dass ist ja der Menschen Nutzen und Frommen, und nicht Gottes. Und dieweil Gott und Menschen lieben die erste Pflicht ist, die ein Mensch tun soll; so folgt daraus, dass dieselbe Liebe sein muß, das vornehmste Hauptgut des Menschen. Was nun ein Mensch für Gut, Frommen und Nutzen haben soll, das muß eine Wurzel haben, daraus es entspringt, dieselbe Wurzel ist nun die Liebe. Was nun aus der Liebe nicht entspringt, das kann kein wahrhaftiges Gut und Frommen des Menschen sein. Daraus folgt nun, so viel zunimmt die Liebe Gott und des Nächsten, so viel nimmt auch zu des Menschen Hauptgut.

 

Gebet um Liebe gegen den Nebenmenschen.

 

Herr! der du jedermann Leben und Odem allenthalben gibst, und bezeugest un-aufhörlich, durch den Dienst der Kreaturen deine Liebe gegen alle Menschen, mache mich hierinnen deinem Bilde ähnlich, dass ich auch dein edelstes Ge-schöpf, meinen Nebenmenschen, um deinetwillen, und nach deinem Exempel unermüdet lieben, und was die Liebe erfordert, ihm erweisen möge, durch Jesum Christum, unsern Herrn, Amen.

 

- Zum nächsten Kapitel -