DAS ZWANZIGSTE KAPITEL. (2.B./20.K.)
VON DER KRAFT UND NOTWENDIGKEIT DES GEBETS,
IN DIESEN GÖTTLICHEN BETRACHTUNGEN.
Inhalt.
1) Ohne Gebet kann man Gott und Christum nicht erkennen. 2) Das Gebet aber hat drei Stufen. 3) Das mündliche Gebet; 4) das innerliche Gebet; und das über-natürliche Gebet. 5) Da lernt man Gott recht erkennen und schmecken. 6) oft in einen Blick, den die Seele wieder zu bekommen suchet. 7) Durch das mündliche kommt man zum innerlichen, durch dies zum übernatürlichen Gebet. 8) Durch das Gebet werden wir zu Gott gezogen. 9) Man muß aber mit ganzem, und nicht mit halbem Herzen beten: 10) nach dem Exempel Christi. 11) So hat man an der Frucht des Gebets nicht zu zweifeln. 12. Siehe deinen betenden Jesum an, und lerne im Gebet verharren: 13) so wirst du gewiß, gleichwie er, erhöret werden. 14) Sonderlich betrachte fleißig Christi Leiden und Tod; 15) denn dadurch wird das Gebet erwecket und stark. 16) Wirst du auch angefochten, so bete desto heftiger, und bleibe in der Demut. 17) Denn der kleinmütigen und geistarmen Menschen Gebet ist Gott so angenehm, als der starkgläubigen.
Ich will suchen, den meine Seele liebet. Hohelied Sal. 3,2.
Weil die lebendige Erkenntnis Gottes, und auch des gekreuzigten Christi nicht kann erlanget werden, man lese denn täglich und ohne Unterlaß in dem Buche des unschuldigen und heiligen Lebens Christi Jesu, unsers Herrn; und aber dieselbe Betrachtung und Erhebung des Gemüts zu Gott nicht kann geschehen ohne ein andächtiges, gläubiges, demütiges und fleißiges Gebet, welches nicht allein ein Gespräch des Mundes, sondern vielmehr des gläubigen Herzens und Gemüts, und aller Kräfte der Seele Erhebung ist, Ps. 19,15. so ist vonnöten, dass man die Art und Tugend des Gebets verstehen lerne. Denn ohne Gebet findet man Gott nicht: das Gebet ist ein solches Mittel, dadurch man Gott suchet und findet. Matth. 7,7.8.
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2. Dasselbe ist nun dreierlei: mündlich, innerlich und übernatürlich, wie Paulus sagt: Ich will im Geist beten, und mit dem Gemüte, 1 Kor. 14,15.
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3. Das mündliche Gebet ist eine feine, demütige äußerliche Übung, welche zu dem innerlichen Gebet führet, ja welches den Menschen in sein eigenes Herz führet; sonderlich wenn man im Glauben andächtig betrachtet die Worte, so man betet. Denn dieselben bewegen und erheben den Geist und die Seele zu Gott, dass man ein gläubiges Gespräch in kindlicher Zuversicht mit Gott hält.
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4. Das innerliche Gebet geschiehet ohne Unterlaß im Glauben, Geist und Ge-müte, wie Joh. 4,23. unser lieber Herr sagt: Die wahren Anbeter werden den Vater im Geist und in der Wahrheit anrufen. Und Ps. 19,15. Laß dir wohlgefallen das Gespräch meines Herzens vor dir. Item: Ps. 77,7. Mein Herz redet, mein Geist muß forschen. It. Röm. 8,15. Durch welchen wir rufen: Abba, lieber Vater! Durch ein solch innerliches Gebet wird man denn geführet zu dem übernatürli-chen Gebet, welches geschieht, wie Taulerus sagt, durch wahre Vereinigung mit Gott durch den Glauben; da unser erschaffener Geist verschmelzet und ver-senket wird in den unerschaffenen Geist Gottes, da alles in einem Augenblick geschieht, was sonst von allen Heiligen mit Worten und Werken von Anfang der Welt her geschehen, und so klein ein Heller ist gegen tausend Mark Goldes, so viel besser ist dieses Gebet gegen das auswendige. Denn hie wird das Gemüt durch wahren Glauben also mit Gottes Liebe erfüllet, dass es nicht anders gedenken kann, als Gott; und wenn ein anderer Gedanke ins Herz und Gemüt fällt, so ist es der Seele leid. Ein solches Gemüt läßt die Zunge nicht reden Ps. 37,7. oder ja sehr wenig, seufzet immer zu Gott, dürstet nach Gott, Ps. 42,3. und 63,2. hat seine eigene Lust und Liebe an Gott, und schließt die ganze Welt aus, und alles, was in der Welt ist, und wird immer mehr und mehr mit Gottes Er-kenntnis, Liebe und Freude erfüllet, Ps. 84,3. welches die Zunge nicht ausreden kann. Denn was die Seele alsdann erkennet, ist unaussprechlich, und wenn sie in solcher hohen Andacht gefragt würde: Was erkennest du? Würde sie ant-worten: Ein Gut, das alles Gut ist. Was siehest du? Eine Schönheit, die alle Schönheit übertrifft. Was empfindest du? Eine Freude über alle Freude. Was schmeckest du? Eine Freundlichkeit über alle Freundlichkeit. Ja, sie würde sprechen: Alle Worte, die ich davon rede, sind nur ein Schatten; denn das Köst-liche, so ich in meiner Seele empfinde, kann ich nicht aussprechen. Das ist des ewigen Wortes Stimme und Rede zu der liebhabenden Seele, wie Joh. 14,21. geschrieben ist: Wer mich liebet, dem will ich mich offenbaren, und was man alsdann siehet und empfindet ist über die Natur; da höret man unaussprechliche Worte und Stimmen, welche heißen Worte des Verstandes und Gemüts.
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5. Da lernet denn die Seele Gott recht erkennen und schmecken. Und indem sie Gott erkennt, liebt sie ihn, und indem sie ihn liebt, begehrt sie ihn ganz zu haben. Und das ist das rechte Zeichen der Liebe, dass sie das Geliebte ganz haben, sich mit demselben ganz vereinigen, und sich in dasselbe ganz verwandeln will.
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6. Dies wird oft in der Seele des Menschen empfunden, als in einem Blick, der bald vergehet; so suchet denn die Seele emsiglich, ob sie diesen himmlischen Blick und Geschmack könnte wieder bekommen, dass sie sich mit dem Geliebten möge vereinigen, und fängt dann an zu beten mündlich und innerlich; denn sie siehet wohl, dass man solche himmlische Lust und Erquickung durch das Gebet wieder suchen muß. Denn also hat es die göttliche Weisheit verordnet, und die-selbe tut nichts ohne die allerschönste Ordnung, und gibt auch allen Dingen ihre Ordnung.
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7. Darum hat sie es also geordnet, dass niemand ohne das mündliche Gebet kommen kann zu dem Gebet des Gemüts und ohne dasselbe kann niemand kommen zum übernatürlichen Gebet und Vereinigung mit dem höchsten und lieblichsten Gut, welches man zwar empfindet, aber nicht aussprechen kann.
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8. Darum hat Gott das Gebet so ernstlich, so oft und so beteuerlich befohlen, Ps. 50,15. dieweil das Gebet ist ein Pfand und ein Band, dadurch uns Gott zu sich ziehet, dadurch er uns desto öfter und länger bei sich behalten will, dadurch wir auch desto näher zu ihm kommen könnten, und uns mit ihm, als dem Ursprung alles Guten, vereinigen, und sein in allen Dingen nicht vergessen sollen. Sonst dächten wir selten an ihn, und würden seiner Güter nicht teilhaftig.
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9. Wenn du nun recht beten willst, so mußt du mit ganzem und nicht mit halbem Herzen beten. Und dazu gehöret große Übung und großer Fleiß, sonst wirst du die Frucht des Gebets nicht erlangen. Im Gegenteil, wenn du andere äußerliche Dinge tust, so mußt du sie also tun, dass du nicht mit ganzem Herzen daran hangest; als wenn du issest und trinkest, oder andere äußerliche Dinge tust, da muß nicht dein ganzes Herz daran sein, sondern dein Herz soll ganz in Gott sein, dass du durchs innerliche Gebet stets an Gott hangest. Und je mehr du also beten wirst, desto mehr wirst du erleuchtet werden. Je klarer du nun wirst Gott erkennen, je lieblicher du das höchste Gut empfinden wirst, und je mehr du wirst in der Liebe Gottes angezündet, und fähiger werden des höchsten Gutes, wel-ches du übernatürlich in deiner Seele, als das allerköstliche, so nicht auszu-sprechen ist, schmecken wirst.
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10. Dieses dreierlei Gebets-Exempel, Lehre, Art und Weise haben wir in unserm Herrn Jesu Christo, wenn wir seine Weise zu beten recht ansehen. Denn er hat oft etliche Tage und Nächte im Gebet verharret, Luk. 6,12. und mit allen Kräften gebetet, Kap. 22,44. und sich im Gebet und im Geist gefreuet, Kap. 10,21. Da-rum er uns mit Worten und Werken, mit seinem Exempel hat lehren beten, Matth. 6,9. wie er sprach zu seinen Jüngern: Wachet und betet, dass ihr nicht in Ver-suchung fallet, Kap. 26,41. Und wie sehr oft ermahnet er uns zum Gebet, zu bezeugen, dass ihm nichts Liebers und Angenehmers sei, als unser Gebet, und dass er uns wahrhaftig also lieb habe, dass wir durch das Gebet das edelste und köstlichste Gut der Seele erlangen möchten.
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11. Und damit wir keine Entschuldigung hätten, als könnten wir diese edle hohe Frucht des Gebets nicht erlangen, so hat er nicht allein gesagt: Bittet, so werdet ihr nehmen, dass eure Freude vollkommen sei, Joh. 16,24. sondern er hat mit seinem Exempel uns zum Gebet bewegen wollen, indem er für uns gebetet in seinem Leiden, wie der Evangelist sagt: Es kam aber, dass er mit dem Tode rang, und betete heftiger. Es war aber sein Schweiß wie Blutstropfen, die fielen auf die Erde, Luk. 22,44.
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12. Setze diesen Betspiegel vor deine Augen, und lerne im Gebet verharren; und ob du schwach bist im Gebet, so siehe deinen Herrn Jesum an. Denn er hat nicht für sich, sondern für dich gebetet, und dadurch dein Gebet geheiliget, gesegnet und kräftig gemacht. Siehest du das? Dein Erlöser, ob er gleich als wahrer Gott alles hatte, so hat er doch, als ein Mensch, alles durch das Gebet von seinem himmlischen Vater erlanget und erbetet um deinetwillen. Darum sein ganzes Leben nichts anders gewesen ist, als ein stetes Gebet und Seufzen, den Willen Gottes zu tun. Darum er auch sein Leben am Kreuz mit dem Gebet beschlossen hat, Luk. 23,46.
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13. So nun der Herr Christus um deinetwillen so heftig gebetet, und erhöret worden ist; ach, so wird er dich ja auch umsonst nicht beten lassen. Und so dein Herr und Erlöser durch das Gebet alles erlanget hat dir zu gut: meinest du denn, dass du ohne Gebet etwas erlangen wirst? Du weißt ja, dass ohne Gottes Gna-de, Licht, Erkenntnis und Glauben niemand kann selig werden. Willst du aber Gottes Gnade, Licht und Erkenntnis haben, so mußt du beten. Denn ohne Gebet wirst du es nicht erlangen. Bitte um den Glauben, um die Liebe, um die Hoffnung, um Demut, um Geduld, um den heiligen Geist, um alle christliche Tugenden, sie werden dir gegeben und vermehret werden durch den, der sie hat. Denn der sie nicht hat, der kann sie nicht geben. Der sie dir aber geben kann, von dem mußt du sie erbitten.
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14. Du kannst aber nimmer brünstiger und andächtiger beten, du setzest dir denn den Spiegel des demütigen Leidens Christi vor deine Augen, seine Armut, Ver-achtung, Schmerzen, und seinen schmählichen Tod. Wenn du in dies Gebetbuch siehest, so wird dein Herz und Gemüt angezündet werden mit inniglichem, brünstigem, feurigem Seufzen, und werden dir zwar viele Anfechtungen des Teufels und deines Fleisches begegnen, aber du wirst sie durch Beten über-winden.
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15. Durch das Anschauen des gekreuzigten Christi wird das Gebet erwecket und wird stark. Dadurch wird auch das Herz gereiniget, ohne welche Reinigung des Herzens durch den Glauben kein rechtes Gebet geschehen kann. Und durch sol-ches Gebet kommt der heilige Geist zu dir, wie am Pfingsttage über die Apostel, als sie beteten, Ap. Gesch. 2,2.
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16. In deinen Anfechtungen aber über deinem Gebet tue, wie der Herr Jesus tat: Je heftiger er angefochten ward in seinem Gebet am Ölberg, desto heftiger er betete. Luk. 22,44. so wirst du auch durch das Gebet überwinden. Durchs Gebet offenbaret sich Gott den Menschen, durchs Gebet wird die Demut recht geübet. Da kommt denn zusammen das Höchste und niedrigste, das demütigste Herz und der höchste Gott. Und durch solche Demut wird viel Gnade in des Menschen Seele eingegossen. Denn je mehr die Gnade Gottes den Menschen demütiget, desto mehr in solcher Demut die Gnade Gottes wächset und zunimmt; und je mehr Gottes Gnade im Menschen zunimmt, desto mehr sich die Seele demütiget.
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17. Die größte Anfechtung und Hinderung aber des Gebets ist, wenn Gott die Gnade der Andacht und Inbrünstigkeit entziehet, und dann sollst du am meisten beten. Denn obwohl Gott ein inbrünstiges Gebet sehr lieb ist; so ist ihm doch das Gebet viel lieber, welches du in solcher deiner Seelennot in deiner Anfechtung, Betrübnis und Traurigkeit tust. Denn gleichwie es einen natürlichen Vater viel-mehr jammert, wenn ihn ein krankes Kind mit kläglicher Stimme anwinselt, als wenn ihn ein starkes gesundes Kind mit vollen Munde anruft; also ist dem lieben Gott eines kleinmütigen, schwachgläubigen, trostlosen, geistarmen Menschen innerlich heimliches Leiden und Seufzen viel lieber, als eines Starkgläubigen Ge-bet, der voller Freude ist. Gott wird dir seine Gnade zu seiner Zeit wohl wiederge-ben, und dieselbe dir nicht missgönnen oder versagen.
Gebet um Gnade, recht zu beten.
O Herr! mein Gott! du hast nicht nur allein mir befohlen zu beten, sondern auch gewisse Erhörung zugesagt, wenn ich mich als einen wahren Anbeter erzeigen werde. Weil ich aber nicht weiß, was ich beten soll, wie sichs gebühret; ach! so gib mir, um Jesu Christi willen, den Geist der Gnaden und des Gebets, der mir in das Herz und in den Mund lege, was und wie ich im Geist und in der Wahrheit beten möge; ja, so laß diesen deinen Geist selbst aufs Beste mich stets vertreten mit unaussprechlichem Seufzen, auf daß, wohin ich gehe ober stehe, was ich rede oder tue, mein Herz, Mund und Sinn auf dich gerichtet sei, dass ich verlan-ge und erwarte, was mir nützlich und selig ist, Amen.