DAS FÜNFUNDDREISSIGSTE KAPITEL. (1.B./35.K.)
OHNE EIN HEILIG CHRISTLICHES LEBEN
IST ALLE WEISHEIT, KUNST UND ERKENNTNIS UMSONST,
JA AUCH DIE WISSENSCHAFT
DER GANZEN HEILIGEN SCHRIFT VERGEBLICH.
Inhalt.
1) Das christliche Leben bestehet in der Liebe. 2) Die rechte Liebe liebet Gott und den Nächsten frei umsonst. 3) Wer die nicht hat, ist ein Heuchler, und Gottes Wort nützt ihm nichts. 4) Eigene Ehre macht alles zum Gräuel vor Gott. 5) Das werden an jenem Tage die falschen Propheten erfahren. 6) Almosen ohne Liebe, aus Ehrsucht sind verwerflich. 7) Also auch das Heuchelfasten und Kasteien des Leibes. 8) Wie der Heiden und Papisten Exempel bezeugen. 9) Ohne Gottes und des Nächsten Liebe ist alle Weisheit und Werke nichts.
Es werden nicht alle, die zu mir sagen: Herr, Herr! in das Himmelreich kommen, sondern die den Willen tun meines Vaters im Himmel. Matth. 7,21.
Der heilige Apostel Paulus 1 Kor. 13,1. versteht durch die Liebe das ganze hei-lige christliche Leben. Denn es ist alles in die Liebe verfasset, was zum christ-lichen Glauben gehört; und Christi Leben ist nichts anders, als eitel reine, lautere, herzliche Liebe.
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2. Der rechten Liebe Art aber ist, dass sie Gott lauter in allen Dingen meinet und suchet, und nicht im Geringsten das Ihre suchet, oder sich selber liebet, meinet, ehret, rühmet, auch keinen Nutzen oder Lohn, Ruhm oder Ehre suchet, in allen, was sie tut, sondern tut alles frei aus lauter Liebe Gottes und der Menschen, ohne Hoffnung des Lohns und eigener Ehre, und liebet Gott und den Nächsten frei und umsonst, nur darum, weil Gott das höchste und edelste Gut ist.
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3. Wer nun diese Liebe nicht hat, der ist ein Heuchler; denn er meinet und suchet in all seinem Tun sich selber, und nicht lauter und allein Gott, darum ist es eine falsche Liebe. Darum, wenn gleich ein solcher die ganze heilige Schrift auswen-dig wüßte, und könnte mit eitel Engelzungen davon reden, so wäre er doch nur ein bloßer Schall ohne Kraft. Denn es soll Gottes Wort in das Leben verwandelt werden, sonst ist es nichts nütze. Gleichwie eine natürliche Speise dem Leibe nichts hilft, wenn sie nicht in Fleisch und Blut verwandelt wird, also hilft auch Gottes Wort und Sakrament nicht, wenn es nicht in ein heiliges Leben verwandelt wird, wenn nicht ein heiliger, bekehrter, neugeborner, liebreicher Mensch daraus wird.
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4. Darum spricht St. Paulus: 1 Kor. 13,2. seq. Wenn ich weissagen könnte, und wüßte alle Geheimnisse und Erkenntnis etc. und hätte der Liebe nicht, so wäre ich nichts. Das ist, wenn ich meine Ehre damit suchte, und nicht lauter und allein Gott und den Menschen damit meinte, so wäre es vor Gott ein Gräuel und nicht angenehm.
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5. Daher werden die falschen Propheten sagen an jenem Tage: Matth. 7,22. Herr, Herr, haben wir nicht in deinem Namen geweissaget, haben wir nicht in deinem Namen Teufel ausgetrieben, und Taten getan? Da wird er sagen: Ich kenne euch nicht, ihr habt mich nicht lauter gemeint, sondern euch selber.
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6. Ja, spricht St. Paulus: 1 Kor. 13,3. Wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe, und hätte der Liebe nicht, so wäre mirs nichts nütze. Wieso, lieber Paule? Kann denn einer wohl alle seine Habe den Armen geben, und der Liebe nicht haben? Ja freilich, wenn man nicht hierin lauter und allein Gott meinet, sondern sich selber, will Lohn, Ruhm und Ehre davon haben. Wie die Pharisäer viele Opfer stifteten und andere beredeten, ihre Güter zum Tempel und zum Opfer zu geben, davon sie Ehre und Ruhm hatten, und vergaßen der Barmherzigkeit an den Armen, denen sie aus lauter freier Liebe Barmherzigkeit erzeigen sollten. Welches der Herr den Pharisäern aufrücket und spricht: Matth. 23,14. Sie fressen der Witwen Häuser und wenden lange Gebete für, wollen dafür beten. Wie denn auch zu unsern Zeiten viele Leute alle ihre Güter zu Stiften und Klöstern gegeben haben, dass die Pfaffen und Mönche sollen für ihre Sünden opfern und beten, welches alles eine falsche, betrogene Liebe ist, die sich selbst suchet und mei-net. Denn wenn man zusiehet, so ist hiemit der Menschen Ehre gesucht, und nicht Gottes.
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7. Der Gerechte wird seines Glaubens leben, Hab. 2,4. Du mußt wahre Buße tun, und selbst ein Opfer Gottes werden, Röm. 12,1. durch Tötung und Kreuzigung des Fleisches, und alle Werke der Liebe frei, lauter und umsonst tun, und nicht um dein selbst willen aus eigener Liebe, Nutz und Ehre, sondern aus freier, reiner, lauterer Liebe zu Gott, oder es ist dir alles nichts nütze. Ja, wenn du deinen Leib brennen ließest, und hättest eine solche reine, lautere, freie Liebe nicht, die allein Gott und seine Ehre meinet, so wäre dirs nichts nütze. Denn, was ists, wenn etliche ihren Leib geißeln, ihnen Male brennen, und ihrem Leib wehe und übel tun, wie der Prophet spricht: Jes. 58,3. Was suchen sie hiemit als sich selbst? Sach. 7,5.6. Wollen besondere Heiligkeit damit bezeugen, selbst erwählte Geistlichkeit, welches doch alles Gott zu Ehren nicht geschieht, sondern sich ein Ansehen dadurch zu machen. Ja, etliche geraten in solche Verblendung, und in solche kräftige Irrtümer, dass sie sich darauf brennen lassen, wollen Christi Märtyrer sein, da sie doch Christum nicht suchen, sondern sich selbst, ihren gefaßten Irrtum damit zu bestätigen, haben sich vorgesetzt, nicht davon abzu-stehen, und sollte es ihnen das Leben kosten. Das nennet St. Paulus: Wirkung des Satans und kräftige Irrtümer, 2 Thess. 2,9.11. die Ursache macht einen Märtyrer, nicht die Marter.
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8. Sehet an, wohin der Teufel die Heiden gebracht hat, unter welchen er etliche so verblendet, dass sie sich willig haben lassen schlachten, töten und opfern, ihre falsche heidnische Religion und Teufelsdienst damit zu bestätigen. Was ists Wunder, dass es noch geschieht, sonderlich nun unter dem Schein des christ-lichen Glaubens? Die Heiden haben viel getan, mit Verlust ihres Lebens, um sich einen unsterblichen Namen zu machen. Hat nicht auch zu unsern Zeiten die falsche eigene Liebe und eigene Ehre Mönche und andere Leute betört, Könige und weltliche Potentaten zu erstechen, die katholische Religion, wie sie sie nennen, damit fortzupflanzen, die auch ihr Leben haben müssen lassen, und daran strecken? welches nicht um Christi willen geschehen ist, sondern um des Papstes willen, und um eigenen Lobes, Ruhms und unsterblichen Namens willen. Dies ist die falsche, betrogene Liebe, von einem falschen Licht betrogen.
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9. Darum ist nun alles, was ein Mensch weiß, es sei so große Kunst, Weisheit und Erkenntnis als er immer wolle, und wenn er auch Salomon gleich wäre, ja die ganze Wissenschaft der ganzen heiligen Schrift, auch alles, was ein Mensch tut, und wenn er auch Leib und Leben dahin gäbe, ohne die rechte Liebe Gottes und des Nächsten, und ohne ein rechtes christliches Leben lauter nichts. Ja, Gottes Wort haben, wissen, und nicht darnach leben, macht die Verdammnis größer, wie der Herr Joh. 15,22. spricht: Wenn ich nicht kommen wäre, und hätte es ihnen gesagt, so hätten sie keine Sünde; nun aber haben sie nichts vorzuwenden, ihre Sünden zu entschuldigen etc.
Gebet um Weisheit. (Siehe im Paradiesgärtlein.)