DAS ACHTUNDZWANZIGSTE KAPITEL. (1.B./28.K.)

 

WIE UND WARUM DIE LIEBE DES SCHÖPFERS

ALLER KREATURLIEBE SOLL VORGEZOGEN WERDEN;

UND WIE DER NÄCHSTE IN GOTT SOLL GELIEBT WERDEN.

 

Inhalt.

1) Die Liebe ist das edelste Affekt und gebühret Gott. 2) Wer Gott liebt, meint es mit jedermann gut. 3) Nichts ist besser, als Gott lieben. 4) Nichts billiger und nützlicher, als Gott lieben. 5) Gottes Liebe und Furcht behütet vor Sünden. 6)

Wo diese fehlt, da ist Weltliebe, Haß, Sorgen, Grämen. 7) Wo diese wohnt, da vergißt man die Welt. 8) Ein rechter Liebhaber Gottes liebt Gott allein, denn er findet in ihm Alles. 9) In Gott, dem wesentlichen Gut, liebt er auch den Nächsten. 10) Denn Gottes und des Nächsten Liebe ist unzertrennlich.

 

Wer die Welt lieb hat, in dem ist die Liebe des Vaters nicht. 1 Joh. 2,15.

 

Des Menschen Herz ist also von Gott geschaffen, dass es ohne Liebe nicht leben kann; es muß etwas lieben, es sei Gott oder die Welt, oder sich selbsten. Dieweil nun der Mensch etwas lieben muß, so soll er das Allerbeste lieb haben, welches ist Gott selbst, und soll diesen Affekt, welchen Gott in das Herz gepflanzt, und durch den heiligen Geist angezündet hat, Gott wieder geben, und bitten, dass er seine Liebe in ihm je mehr und mehr anzünde. Denn Gott liebt dich zuerst, und entzündet deine Liebe mit seiner Liebe; liebest du ihn aber wieder, so wirst du von ihm geliebt werden. Wer mich liebet, wird von meinem Vater geliebt werden, Joh. 14,21.

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2. Ist nun Gottes Liebe in uns, so können wir es mit keinem Menschen böse meinen; denn Gottes Liebe meinet es mit keinem Menschen böse, und kann keinem übel wollen. Wer nun keinen Menschen übel will aus Art und Kraft der Liebe Gottes, der wird auch keinen Menschen betrügen, noch beleidigen mit Worten und Werken. Sehet, das wirket die Liebe Gottes in uns.

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3. Es sind viele, ja die meisten Leute, mit der Weltliebe so besessen, dass Gottes Liebe nie in ihr Herz gekommen ist, welches sie mit der falschen Liebe gegen ihren Nächsten bezeugen, mit Vorteil und Betrug etc. Die Welt und alles, was in der Welt ist, soll nicht also geliebt werden, dass Gottes Liebe dadurch beleidigt oder verhindert werde. Denn wie ist doch die Nichtigkeit und Eitelkeit dieser Welt zu rechnen gegen die Hoheit und Vortrefflichkeit Gottes? Denn gleichwie Gott unendlicher Weise übertrifft alle seine Kreaturen, also ist auch seine heilige Liebe überschwenglich ohne alle Vergleichung, adelicher und köstlicher als alle andere Liebe, womit die Kreaturen geliebt werden. Darum sind alle Kreaturen viel zu nichtig und zu gering, dass um ihret- und ihrer Liebe willen Gottes Liebe sollte beleidigt werden.

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4. St. Paulus spricht: 1 Kor. 9,7. Weß ist die Frucht des Baums, ohne deß, der ihn gepflanzt hat? Wer pflanzt einen Weinberg, und isset nicht von seinen Früchten? Also, wen solltest du mehr lieben als den, der die Liebe in das Herz gepflanzt hat, durch welches Liebe du lebest? Durch die Liebe Gottes in Christo leben wir Alle, an dieselbe Liebe sollen wir uns halten in unserm ganzen Leben, es gehe uns, wie es wolle. Und gleichwie die Schiffleute im großen Ungestüm des Meers Anker auswerfen, daran sich das Schiff hält; also, wenn diese Welt, welche ein ungestümes Meer ist, das Schifflein unsers Herzens beweget, durch die Wellen der mannigfaltigen Laster, Hoffart, Zorn, Ungeduld, Geiz und fleisch-licher Wollust etc. sollen wir uns an die Liebe Gottes und Christi halten, als an einen Anker, und uns nicht so bald von der Liebe Christi abreißen lassen, Röm. 8,38. sq. Also auch in geistlichen Nöten, wenn Sünde, Tod, Teufel und Hölle, Trübsal und Elend wider uns streiten als Meereswellen, sollen wir uns an Gottes und Christi Liebe halten. Denn das ist der Berg, der dem Lot gezeigt ward, als er aus dem Feuer zu Sodoma ging, darauf er seine Seele erretten sollte, 1 Mos. 19,17.

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5. Also muß ein Christ, das Sodoma dieser Welt fliehen, und sich an die Liebe Gottes halten, will er nicht in die Straßen der weltlichen Lüste fallen, welche ärger sein, als das Feuer zu Sodoma. Die Liebe und Furcht Gottes ist es, die einen Menschen behütet vor der Welt, wie den Joseph vor des Potiphars Weib, 1 Mos. 39,9.

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6. Dass ein Mensch diese Welt so lieb hat, kommt nur daher, dass er nie ge-schmecket hat die Liebe Gottes. Dass ein Mensch seinen Nächsten hasset, neidet, betrügt, vervorteilt, kommt nur daher, dass er die Liebe Gottes nicht hat. Woher kommen so viele Sorgen und Gram? Allein daher, dass man Gott nicht herzlich liebet. Denn die Liebe Gottes ist so lieblich und süß, dass sie einen Menschen in allen Trübsalen, auch mitten im Tode freudig und getrost macht.

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7. Der Liebe Art ist, dass sie das allein groß achtet, was sie lieb hat, und vergißt alles, auf dass sie nur das Geliebte möge erlangen. Warum vergißt denn ein Mensch nicht alles, was in der Welt ist, Ehre, Wollust und Reichtum, auf dass er Gott allein haben möge, weil er spricht, er liebe Gott? Das haben vor Zeiten getan die Heiligen Gottes, welche der Liebe Gottes und derselben Süßigkeit so sehr nachgetrachtet haben, dass sie die Welt und sich selbst darüber vergessen. Derowegen sie in der Welt für Narren sein geachtet worden, und sind doch die Weisesten gewesen. Denn wer ist der Weiseste? Der das ewige Gut über Alles liebt und sucht. Darum sind das die größten Welttoren gewesen, welche solche heilige Leute für Toren gehalten haben, 1 Kor. 3,19. Kap. 4,10.

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8. Ein rechter Liebhaber Gottes sucht und liebt Gott so, als wenn sonst nichts anders unter dem Himmel wäre, als Gott; und also findet er in Gott alles, was er je in der Welt lieben könnte. Denn Gott ist Alles, er ist die rechte Ehre und Freu-de, Friede und Luft, Reichtum und Herrlichkeit; das alles wirst du in Gott besser finden, als in der Welt. Liebest du etwas Schönes, warum liebest du Gott nicht, der aller Schönheit Ursprung ist? Liebest du etwas Gutes, warum liebest du Gott nicht, der das ewige Gut ist? Und ist niemand gut ohne Gott, Matth. 19,17. der ist das höchste Gut in seinem Wesen. Alle Kreaturen sind gut, darum, dass sie ein kleines Fünklein und Tröpflein von der Gütigkeit Gottes empfangen haben, und ist doch solches mit vielen Unvollkommenheiten umgeben.

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9. Warum liebest du nun Gott nicht vielmehr, den Ursprung und Brunnen, und die höchste Vollkommenheit alles Guten, der wesentlich gut ist, und alles Guten in allen Dingen Ursprung ist? Je weniger von der Erde oder irdischen Schwere ein Ding an sich hat, je leichter es ist, je eher es sich in die Höhe erhebt; also, je mehr ein menschliches Herz mit irdischen Dingen beschwert ist, je weniger es sich emporheben, und in der Liebe Gottes erfreuen kann; je weniger Weltliebe, je mehr Gottesliebe, je mehr Liebe des Nächsten; diese sind nicht geschieden.

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10. Daraus folgt, dass, wer Gott liebt, der liebt auch den Nächsten, und wer Gott beleidigt, der beleidigt auch den Nächsten.

 

Gebet um die Liebe Gottes und des Nächsten.

 

Mein Gott! weil du allein gut und liebenswürdig bist, so gieß deine Liebe aus in mein Herz durch deinen heiligen Geist, dass ich schmecke und sehe, wie freund-lich, süß und vergnügend du seiest; und daher nichts nach der Welt, nichts nach Himmel und Erde frage, wenn ich nur dich habe, und von deiner Liebe unge-schieden bleibe in Not und Tod, Amen.

 

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