Theologische Impulse G

 

GABEN UND AUFGABEN

 

1.

Gott hat jedem Menschen eine Lebensaufgabe zugedacht, die er erfüllen soll. Wer aber noch nicht weiß, welche seine ist, kann sich an vier Punkten orientieren: (1.) An seiner Verortung in der Welt, d.h. an der Stellung, die ihm durch seine Geburt zugewiesen wurde. (2.) An seiner Ausstattung mit Begabungen und „Pfunden“, mit denen sich „wuchern“ lässt. (3.) Daran, dass sich ein Beruf als konkrete Form der Nächstenliebe verstehen lassen muss. Und (4.) an dem Bedarf und der Not, mit der Gott ihn konfrontiert. Dass ein Mensch aber zu gar nichts Gutem berufen wäre und zu gar nichts taugte, kommt in Gottes Ordnung nicht vor.

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2.

Gott hat uns in seiner Schöpfung keine passive Rolle zugewiesen, sondern will, dass wir bei der Erhaltung des Lebens mitwirken. Er stattet uns mit Gesundheit, Verstand, Kraft und Zeit aus und möchte, dass unsere Talente in nützlichem Tun für andere Menschen fruchtbar werden. Je mehr Gott dem Einzelnen anvertraut hat, umso mehr kann er auch von ihm erwarten. Darum liegt in jeder Begabung eine Verpflichtung: Wir dürfen gottgegebene Stärken nicht zu eigensüchtigen Zwecken missbrauchen oder sie brachliegen lassen, sondern sollen mit den anvertrauten Pfunden „wuchern“ (Mt 25,14-30).

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„Alle deine Gaben empfängst du von Gott; alle gib also Gott auch wieder. Alle Bächlein der Güter fließen aus dieser Quelle der göttlichen Güte; darum sind auch alle Güter wieder in dieses Meer zu versenken. Die Pflanzen, welche Sonnenwende heißen, richten sich immer nach dem Laufe der Sonne, von der sie Leben und Saft empfangen: so wende dich mit allen deinen Gaben und mit aller deiner Ehre zu Gott, und gib dir nichts. Hast du etwas von dir, so magst du deine Ehre suchen und dir selbst deine Gaben geben: aber weil du nichts von dir, alles vielmehr von Gott hast, darum musst du auch nicht deine, sondern Gottes Ehre suchen.“ (Johann Gerhard)

 

„Alle eigene Liebe, eigener Ruhm, Ehre und Nutz ist aus dem Teufel, und ist des Teufels Fall, dadurch er vom Himmel verstoßen ist. Denn, nachdem Gott den Luzifer zum schönen Engel geschaffen, ihn mit besondern hohen Gaben, Schönheit, Weisheit, Licht und Herrlichkeit begabt, hat er sich in seinen eigenen Gaben gespiegelt, als ein Pfau in seinen Federn, und angefangen sich selbst zu lieben, zu ehren und zu rühmen; das ist der Anfang seines Falls, dass er die Ehre nicht Gott, sondern sich selbst gegeben, seine Liebe von Gott abgewandt zu sich selbsten, da hat ihn Gott verstoßen mit seinen Engeln, die er verführt hatte mit seiner Hoffart.“ (Johann Arndt)

 

„So sind alle Gaben nicht dein, sondern Gottes, und ohne Gottes Erleuchtung bleibst du ein toter, stinkender Erdklumpen. Und wenn Gott seine Gaben nicht in dich legt, so bleibst du ein leeres Gefäß. Gleichwie die Kleinodien, die man in ein Kästlein legt, nicht des elenden bloßen Kästleins sein, sondern dessen, der sie hinein gelegt hat; also sind die Gaben nicht dein, du bist nur ein bloßes Gefäß dazu. Sollte das elende Gefäß stolzieren wegen des fremden Gutes?“ (Johann Arndt)

 

Keiner alles, keiner nichts. So hat‘s Gott temperieren wollen, dass beiden dem Hoch- und Kleinmut gewehrt würde. Keiner hat alles. Was dies Leben gibt, ist nur Stück- und Brockwerk. Bist du weise? Vielleicht mangelt‘s dir an Tapferkeit, das ins Werk zu setzen, was dein weiser Sinn ersonnen. Bist du schön? Vielleicht fehlt‘s an Gesundheit und Stärke; was hilft dem Apfel seine Röte, wenn ein Wurm drin steckt? Hast du Gold und Silber? Vielleicht ist kein fröhlich Herz dabei, Reichtum ist ein schlechter Tröster, wenn man betrübt ist. Warum brüstest du dich denn? Gefällst du dir so wohl, wenn du dich in deinen Pfauenfedern bespiegelst? Lieber, wie stehen dir deine kranken Füße an? Du hast doch nicht alles. Was verachtest du den, der geringere Gaben hat, als du? Hat er doch auch etwas, vielleicht was Besseres und Nützlicheres als du. Scheint‘s gering vor deinen Augen, ist‘s doch groß, weil‘s Gottes Gabe ist. Großer Geber. Und wer weiß, ob er mit seiner geringen Gabe nicht größeren Nutzen schafft als du mit deiner großen? Durch geringe Mittel große Dinge tun, bringt Gott die größte Ehre. Keiner hat nichts. Leib und Seele hast du ja, und ein jedes Stück ist von Gott begabt. Was neidest du denn den, der größere Gaben hat, als du? Die Gaben sind nur eine Zumaße des Glaubens. Hast du Gaben und keinen Glauben, findest du mehr Ursach dich zu beweinen als zu erheben. Ist Glaube da, und fehlt an Gaben, hast du nicht Ursach jemand zu neiden. Der Glaube ist das Hauptgut, durch den Glauben kannst und sollst du dich für den allergrößten und vornehmsten Menschen halten. Denn es ist ein Heil, ein Reichtum, eine Hoheit in Christo allen Gläubigen gemein; du hast eben so viel in Christo, als der Allerheiligste. Denke, dass es Gott sei, der einem jeden das Seine zuteilt, nachdem er will; mit Gottes Mäßlein sei zufrieden, Gott weiß am besten, wie viel dir dient. Hast du doch mehr als du wert bist und nützlich anlegen kannst. Je weniger dir gegeben ist, je weniger wird von dir gefordert werden. Mit vielen Pfunden muss man viel wuchern; hüte dich, dass du nicht mit der undankbaren Welt sagst: Kleine Gaben keine Gaben; das gereicht zur Verachtung des Gebers, der in die kleinsten Dinge seine größte Ehre gelegt hat. Danke Gott für die kleinen Gaben, und bitte, dass er dadurch großen Nutzen schaffe; nicht allein die Gaben, sondern auch die Wirkung kommt vom Himmel, und Gott hat bisweilen große Ursach, geringere Gaben mit mehrerem Nutzen zu segnen, als die größeren, weil er größere Aufrichtigkeit bei den Geringern sieht, welche die Schärflein der Witwen schwerer macht als die großen Goldstücke der Pharisäer. Ich will vorlieb nehmen mit dem, was Gott gibt. Alles zu begehren wäre nur Torheit, weil mir alles nicht werden kann. Etwas hat mir ja Gott gegeben. Er gebe nun auch, dass ich‘s so anlege, damit ich dermaleinst die erwünschte Freudenstimme hören möge: Wohlan, du getreuer und frommer Knecht, du bist über wenig getreu gewesen, ich will dich über viel setzen, gehe ein zu deines Herrn Freude.

(Heinrich Müller)

 

GEBET

1.

Eigentlich sollte das Beten einem Christen so natürlich sein wie das Atmen. Doch als „Anrede des Menschen an den Willen, den er über sich weiß“ wirkt das Gebet oft naiv oder anmaßend. Allerdings liegt seine Berechtigung gar nicht darin, dass es uns vernünftig und möglich erscheinen könnte, sondern allein darin, dass Gott es fordert. Er selbst beginnt das Gespräch durch sein biblisches Wort. Er redet uns an. Und nicht zu reagieren, wäre sehr unhöflich – zumal Gott selbst für gelingende Kommunikation sorgt: Es ist Gottes eigener Geist, der durch uns betet, wenn wir zu Gott beten.

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2.

Beten ist keine menschliche Möglichkeit, denn als Sünder sind wir „unreiner Lippen“ und haben Grund, den offenen Austausch mit Gott zu scheuen. Keine „Gebetstechnik“ vermag diese Distanz zu überwinden, solange wir im eigenen Namen beten. Das Gebet im Namen Christi dagegen findet Gehör, weil Christi Brüder und Schwestern seinen Vater mit Fug und Recht „Vater unser“ nennen dürfen. „Gebetstechnik“ spielt dabei keine Rolle. Denn der Heilige Geist vertritt uns vor Gott, wie es ihm gefällt.

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3.

Jesus hat seine Jünger gelehrt, dass sie nicht nur beten dürfen, sondern dass sie beten sollen. Der Sinn des Gebets liegt aber nicht darin, dass ich Gott über etwas informiere, was er sonst nicht wüsste, oder bei ihm etwas erreiche, was er mir sonst nicht gegeben hätte, sondern darin, dass ich mit Gott im Gespräch bin. Der Betende sucht Gottes Nähe um dieser Nähe willen. Das Ziel des Gebets liegt darum nicht irgendwo „jenseits“ des Gebets, so dass es nur Mittel zum Zweck wäre, sondern das Ziel liegt im Gebet selbst – in dem ich mich für Gott, und Gott sich für mich öffnet.

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4.

Ein Gebet versucht Gott nichts „abzuschwatzen“, was er nicht geben will, sondern bittet nur um das, was Gott aus Gnade zu geben versprochen hat – und fordert ihn auf, sich auch im Leben des Beters als der zu erweisen, der er nach biblischem Zeugnis ist und sein möchte. Gott wird zu nichts „überredet“, wird aber an seine Verheißungen erinnert. Bei deren Erfüllung möchte der Beter nicht übersehen werden, sondern macht betend auf sich aufmerksam, damit Gottes Güte auch auf ihn, seine Situation und seinen Umkreis Anwendung finde.

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Lieder zum Thema: Vaterunser und Gebet

 

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Da Gott ein lebendiger Gott und die allmächtige Liebe ist, so hört und erhört er die Gebete seiner Kinder, d.h. er gibt ihnen auf Grund ihres Gebets etwas Gutes und Heilsames, sei es das, was sie gewünscht haben, oder etwas Besseres und Nützlicheres.

(H. Zeller, Biblisches Wörterbuch)

 

Das Gebet ist ein Hilfsmittel für eine heilige Seele, ein Trost für den guten Engel, eine Todespein für den Teufel, ein Gott wohlgefälliger Dienst, eine Ausrottung der Laster, eine Mutter der Tugenden, ein Spiegel der Seele, eine Kräftigung des Gewissens, ein Sporn der Liebe, der Weg der Erkenntnis, eine Nahrung des Vertrauens, eine Erquickung nach der Mühsal, die Ursache der Zerknirschung, die Pforte des Himmels, eine Vertilgerin der bösen Gedanken, eine Sammlung des Geistes nach Zerstreuungen, ein Schutzmittel wider heftige Aufregungen des Gemüts, eine Nachfolge der Engel, eine Erfleherin aller geistigen Gnaden. 

(Laurentius Justiniani, gest. 1455)

 

Das Gebet ist ein Aufsteigen des Gemütes zu Gott.

(Joh. Damascenus, gest. 280)

 

Das Gebet ist die erste und vorzüglichste Religionsübung. Das Gebet erleuchtet den Geist, erquickt das Herz, stärkt den Willen; es festigt den Glauben, belebt die Hoffnung und entflammt die Liebe; es nährt jede Tugend. Das Gebet hebt den Menschen vom Irdischen und Vergänglichen hinauf zum Ewigen, zu Gott. Das Gebet öffnet den Himmel, es entwaffnet den Zorn Gottes, bewegt seine Barmherzigkeit und zieht seine Gnade und seinen Segen auf uns nieder. Moses betete, und das Volk Israel siegte über seine Feinde. Elias betete, und ein erquickender Regen befruchtete das ausgedorrte Erdreich. Der kranke Ezechias betete, und er wurde gesund. Salomon betete, und er ward mit Weisheit erfüllt. Susanna betete, und ihre falschen Ankläger wurden zu Schanden gemacht. Der Zöllner im Tempel betete, und er ging gerechtfertigt nach Hause. Stephanus betete unter der Steinigung, und er erwirkte die wunderbare Bekehrung des Saulus. Der Schächer am Kreuz betete, und Christus öffnete ihm die Pforten des Paradieses. 

(Thomas von Aquin)

 

Das Gebet ist eine Stätte der Zuflucht und des Trostes für alle Betrübten, der Inbegriff der Heiterkeit, das Mittel zur Erlangung süßer Wonne; es ist ein Seehafen für alle, welche vom Sturm verschlagen wurden; ein Anker für die, welche auf dem Meer herumgeworfen werden, eine Stütze für die Niedergebeugten, ein Schatz für die Armen, eine Schutzwehr für die Reichen, ein Heilmittel für die Kranken, ein Bewahrungsmittel für die Gesunden. 

(Chrysostomus, gest. 407)

 

Wenn ihr Gott um Zeitliches bittet, so bittet mit Maß, bittet mit Furcht, stellt es allzeit Gott anheim, dass, wenn es eurer Seele frommt, er es euch gebe, es euch aber nicht gebe, wenn er weiß, dass es eurem wahren Glücke schade. 

(Augustinus, gest. 430)

 

Das ist nicht im Namen Jesu gebeten, was im Widerspruch mit dem Heilsgeschäft gebeten wird. Bittet, sagt Jesus, und ihr werdet empfangen, dass eure Freude vollkommen sei. Unter dieser vollkommenen Freude versteht er aber nicht die sinnliche, sondern die geistige Freude, welche jedoch erst im Himmel vollkommen sein wird. Was immer also gebeten wird, muss sich auf die Erlangung dieser vollkommenen Freude beziehen, das heißt, es muss im Namen Jesu erbeten werden. Anders beten ist so viel als nichts bitten; weil all die irdischen Dinge nichts sind im Vergleich mit dem, was unsere Seele verlangt. 

(Augustinus, gest. 430)

 

Da Jesus am Ölberg betete, beugte er die Kniee und fiel auf sein Angesicht nieder. Lerne hieraus die Art und Weise zu beten. Wahrhaftig, da du betest, sprichst du mit dem Allmächtigen. Wen muss nicht die Gegenwart der göttlichen Majestät mit Ehrfurcht erfüllen? Darum, wenn du betest, erwäge wohl, wer du bist, und wer der ist, mit dem du redest. Das wird dich Demut lehren und dein Herz zerknirschen. 

(Laurentius Justiniani, gest. 1455)

 

Wenn ihr Gott nicht vergeblich suchen wollt, so sucht ihn in Wahrheit, sucht ihn mit Beharrlichkeit, sucht nichts anderes neben ihm und verlasst ihn um nichts anderes. Denn eher wird Himmel und Erde vergehen, als dass, wer also sucht, nicht finde, wer also verlangt, nicht empfange, wer also anklopft, nicht Einlass erhalte. 

(Bernardus, gest. 1253)

 

Drei Gefahren drohen dem Gebet: die Verzagtheit, die Lauheit und die Vermessenheit. Die erste entsteht von dem Kleinmut des Geistes und von unmäßiger Furcht, wenn der Mensch seine eigene Niedrigkeit dergestalt betrachtet, dass er die Augen nicht auf die göttliche Milde wendet. Die Lauheit entsteht, wenn das Gebet nicht aus lebendigem Triebe des Herzens emporsteigt. Vermessenheit endlich ist da, wenn wir nicht als Menschen beten, welche Sünden begangen, nicht Gerechtigkeit geübt haben, wenn wir nicht mit zerknirschtem Herzen und im Geist der Demut um Verzeihung unserer Sünden bitten. – Das verzagte Gebet dringt nicht in den Himmel, weil die unmäßige Furcht das Gemüt so sehr zurückhält, dass das Gebet nicht aufsteigen kann. Das laue Gebet hingegen schmachtet während des Emporsteigens und vergeht, weil es ihm an Kraft gebricht. Das vermessene Gebet endlich steigt zwar empor, allein es fällt zurück, weil es Widerstand findet, und es erhält nicht nur keine Gnade, sondern Schuld trifft dasselbe. Ist dagegen das Gebet getreu, demütig und voll des heiligen Eifers, dann wird es ohne allen Zweifel in den Himmel dringen und gewiss von da nicht leer zurückkehren. 

(Bernardus, gest. 1253)

 

Keine Ursache hast du, zu klagen, wohl aber Grund zu inniger Danksagung, da dein Gott eine so große Sorgfalt für dich hegt, dass er, so oft du ohne dein Wissen begehrst, was dir nicht frommen würde, er dich hierin nicht erhört, sondern eine nützlichere Gabe dir spendet. So gibt auch ein leiblicher Vater dem Kindlein gerne Brot, wenn es ihn darum bittet; doch willigt er keineswegs in seine Bitte, wenn es ein Messer von ihm begehrt, sondern lieber bricht er ihm selbst, oder lässt durch einen seiner Diener das Brot ihm brechen, das er ihm gegeben hat, damit es nicht gefährdet werde und sich nicht weh tue. 

(Bernardus, gest. 1253)

 

Jesus heißt Heiland, Heilbringer. Der also betet im Namen Jesu, des Heilandes, welcher um das bittet, was zum wahren Heile dient. Denn wenn er um etwas bittet, was nicht heilsam ist, so wird der Vater nicht im Namen Jesu gebeten. 

(Gregorius)

 

„Welches Gebet meint wohl St. Peter? Meint er das Gebet des Mundes, das manche Menschen Gebet nennen, nämlich oft den Psalter zu lesen? Nein, das meint er nicht, sondern er meinte das Gebet, von dem unser Herr Jesus Christus sprach als dem wahren Gebet und den wahren Anbetern: sie beten im Geist und in der Wahrheit (Joh. 4,24). Die Heiligen und die Meister sagen: Das Gebet ist ein Aufgang des Gemütes in Gott. Lesen und Beten mit dem Munde dient manchmal dazu, und insofern kann es löblich sein. So ist es auch mit meiner Kappe und meinen Kleidern: Das bin ich nicht selbst, aber sie dienen mir. Ebenso dient alles Gebet des Mundes etwas zu dem wahren Gebet, ist es aber nicht, sondern da muss der Geist und das Gemüt unmittelbar in Gott gehen. Das allein ist das Wesen des wahren Gebetes und nichts anderes. Dass das Gemüt mit Liebe in Gott eingehe, in innigem Begehren, in demütiger Unterwerfung unter Gott, das ist allein das wahre Gebet.“

(Johannes Tauler)

 

„Fromm sein und beten, das ist eigentlich eins und dasselbige. Alle Gedanken von einiger Wichtigkeit, die in uns entstehen, mit dem Gedanken an Gott in Verbindung bringen, bei allen Betrachtungen über die Welt sie immer als das Werk seiner Weisheit ansehen, alle unsere Entschlüsse vor Gott überlegen, damit wir sie in seinem Namen ausführen können, und selbst im fröhlichen Genuss des Lebens seines allsehenden Auges eingedenk sein, das ist das Beten ohne Unterlass, wozu wir aufgefordert werden, und eben das macht das Wesen der wahren Frömmigkeit aus.“

(Schleiermacher)

 

„Wer nicht betet noch Gott anruft in seiner Not, der hält ihn gewisslich nicht für einen Gott, gibt ihm auch nicht seine göttliche Ehre.“

(Martin Luther)

 

„Ohne Gebet findet man Gott nicht; das Gebet ist ein solches Mittel, dadurch man Gott sucht und findet.“

(Johann Arndt)

 

„Fromm sein und Beten, das ist eigentlich ein und dasselbe.“

(Schleiermacher)

 

„Beten ist in der Religion, was Denken in der Philosophie ist. Beten ist Religion-machen. Der religiöse Sinn betet, wie das Denkorgan denkt.“

(Novalis)

 

„Es ist ... gerade das Beten, worauf wesentlich der religiöse Lebensprozess des Individuums beruht, der Prozess der sich allmählich vollziehenden reellen Einwohnung Gottes in dem menschlichen Individuum und das religiöse Leben des letzteren. Deshalb wird mit Recht der Nichtbetende als religiös tot betrachtet.“

(Richard Rothe)

 

„Religion ist überall da, wo sie im Menschen lebendig ist, Gebet.“

(Adolf Deißmann)

 

„Nimm das Gebet aus der Welt, und es ist, als hättest du das Band der Menschheit mit Gott zerrissen, die Zunge des Kindes gegenüber dem Vater stumm gemacht.“

(Gustav Th. Fechner)

 

„Religion und Gebet fallen nicht zusammen, aber sind miteinander verbunden wie Leben und Atmen, wie Geist und Sprache. So wenig es eine echte Religion gibt ohne die Gottesidee und ohne den Ewigkeitsgedanken, so wenig gibt es ein echtes religiöses Leben ohne Gebetsleben. Das Gebet ist das Offenbarwerden des Gottesbesitzes, der im Jenseits sich vollendet, im Diesseits aber sich anbahnt in Glauben, Hoffen, Lieben. Gottesglauben, Gottvertrauen, Gottesliebe, in heiliger Gemeinsamkeit verbunden und lebendig geworden in Geist und Gemüt, ausgesprochen laut vor der Gemeinde oder still vor Gott allein, mit oder ohne Wortsprache – das ist das Gebet, wie es als heilige Übung in ununterbrochener Kette von den Gottesfreunden aller Zeitenfolge ist gepflegt worden. Und wenn es gilt, den Weg anzugeben, auf welchem die Religion ihren Segen an die Menschheit vermittelt, so kann auch die höchste theologische Spekulation und die glänzendste Form der religiösen Beredsamkeit sich nicht vergleichen mit dem echten, schlichten, herzenswarmen Gebete. Im Gebete kommt die Erkenntnis der religiösen Wahrheit zu unmittelbarer Fruchtbarkeit, fließt der Strom der Tröstung über die Erde, quillt die sittliche Kraft, die dem religiösen Gedanken innewohnt, in die Seelen, besiegelt sich das Band, welches die Menschen mit ihrem Gott vereint, aber zugleich auch miteinander zu einer großen Familie zusammenschließt. Wer darum in keiner Weise betet, von dem ist zu sagen, dass er aus dem Vaterlande der Menschheit, aus dem Quellenbereiche der religiösen und sittlichen Hoheit fortgegangen ist in die Fremde.“

(Joseph Zahn)

 

„Da das Gebet derjenige Akt ist, durch den wir unser Wollen zu Gott wenden, besteht die Religion vor allem im Gebet. Religiös sein heißt beten können; irreligiös sein heißt unfähig zum Gebet sein. Der Kampf um die Religion ist der Kampf um das Gebet; die Theorie der Religion ist die Philosophie des Gebets. Normales Gebet ist normale Religion, verdorbenes Gebet verfälschte Religion.“

(A. Schlatter)

 

„Das Gebet ist ein völlig zutreffender Gradmesser für das religiöse Leben der Seele. Wenn man wüsste, was und wie ein Mensch betet, so würde man seinen ganzen Besitz an Religion klar überschauen können. Wenn der Mensch ohne Zeugen mit seinem Gott redet, dann steht die Seele unverhüllt vor ihrem Schöpfer. Was sie dann zu sagen hat, zeigt ganz deutlich, wie arm oder reich sie ist.“

(Karl Girgensohn)

 

„Ich kann mir keine schönere Aufgabe denken als die Geschichte des Gebets, d.h. die Geschichte dessen, was die Kreatur zu ihrem Schöpfer gesprochen hat, eine Geschichte, die uns lehren würde, wann und warum und wie der Mensch dazu gekommen ist, Gott all sein Elend und sein Glück, all sein Bangen und Sehnen zu enthüllen.“

(Montalembert)

 

„Was meint der schlichte, von keiner Reflexion angekränkelte Fromme, wenn er betet? Er glaubt mit dem unmittelbar gegenwärtigen, persönlichen Gott zu reden, mit ihm zu verkehren, mit ihm in lebendigem, innerem Austausch zu stehen. Es sind näherhin drei Momente, welche die innere Struktur des Gebetserlebnisses bilden: der Glaube an den lebendigen, persönlichen Gott, der Glaube an seine reale, unmittelbare Präsenz und der dramatische Verkehr, in den der Mensch mit dem als gegenwärtig erlebten Gott tritt. Jedes Gebet ist eine Hinwendung des Menschen an ein anderes Wesen, dem er sich innerlich aufschließt und mitteilt, Rede des Ich zu einem Du. Dieses Du, dieser andere, mit dem der Fromme in Beziehung tritt, dem er im Gebet gegenübersteht, ist kein Mensch, sondern ein übersinnliches, übermenschliches Wesen, von dem er sich abhängig fühlt, aber ein Wesen, das deutlich die Züge der menschlichen Persönlichkeit trägt: Denken, Wollen, Fühlen, Selbstbewusstsein. „Das Gebet ist das Sichwenden des persönlichen Geistes an einen persönlichen Geist“ (Tylor).“

(Friedrich Heiler)

 

„Der Glaube an die Persönlichkeit Gottes und die Gewissheit seiner Gegenwart sind die beiden Voraussetzungen des Gebets. Das Gebet selbst ist aber kein bloßer Glaube an die Realität eines persönlichen Gottes – ein solcher Glaube liegt auch einer theistischen Metaphysik zugrunde – und keine bloße Erfahrung seiner Präsenz – diese begleitet das ganze Denken und Leben der großen Frommen. Das Gebet ist vielmehr eine lebendige Beziehung des Menschen zu Gott, ein Fühlungnehmen, eine Zuflucht, eine unmittelbare Berührung, ein innerer Kontakt, ein persönliches Verhältnis, ein wechselseitiger Austausch, eine Zwiesprache, ein Umgang, ein Verkehr, eine Gemeinschaft, eine Vereinigung zwischen einem Ich und Du.“

(Friedrich Heiler)

 

„Die phänomenologische Untersuchung der Anbetung und Andacht lässt das Wesen des Gebets im schärfsten Lichte hervortreten. Das Gebet ist kein bloßes Erhabenheitsgefühl, keine bloße weihevolle Stimmung, kein bloßes Niedersinken vor einem höchsten Wert; das Gebet ist vielmehr ein wirklicher Umgang des Menschen mit Gott, ein lebendiger Verkehr des endlichen Geistes mit dem unendlichen. Eben deshalb, weil der moderne Mensch keine rechte Vorstellung hat von der Unmittelbarkeit und Innigkeit des Gebetsverhältnisses, in dem der naive Fromme zu Gott steht, verwechselt er die Anbetung und Andacht, diese allgemeineren religiösen Phänomene, die ihre Analogien auch außerhalb der religiösen Erlebnissphäre haben, mit dem echten Gebet. Weil der in den Vorurteilen einer rationalistischen Philosophie befangene neuzeitliche Mensch sich sträubt gegen den urwüchsigen Realismus des naiven Betens, ist er geneigt, in vager Andachtsstimmung und in ästhetischer Kontemplation das Wesen und Ideal alles Betens zu erblicken. Aber einem in die Tiefe dringenden psychologischen Studium enthüllt sich das Wesen des Gebets mit unzweideutiger Klarheit: Beten heißt mit Gott reden und verkehren, wie der Schutzflehende mit dem Richter, wie der Diener mit dem Herrn, wie das Kind mit dem Vater, wie die Braut mit dem Bräutigam.“

(Friedrich Heiler)

 

„Das Gebet ist ein lebendiger Verkehr des Menschen mit Gott. Das Gebet bringt den Menschen in unmittelbare Berührung mit Gott, in ein persönliches Verhältnis zu ihm. Durch das Gebet wird die Religion ein Leben in Gott, eine Gemeinschaft mit dem Ewigen. Ohne das Gebet bleibt der Glaube eine theoretische Überzeugung; ohne das Gebet ist der Kultus nur äußeres Formwerk; ohne das Gebet entbehrt das sittliche Tun der religiösen Tiefe; ohne das Gebet bleibt die Gottesliebe stumm; ohne das Gebet bleibt der Mensch Gott ferne, gähnt ein Abgrund zwischen dem Endlichen und Unendlichen.“

(Friedrich Heiler)

 

„Müde bin ich, geh zur Ruh. Schließe meine Augen zu. Vater, lass die Augen dein über meinem Bette sein. Hab ich Unrecht heut getan, sieh es, lieber Gott, nicht an. Deine Gnad’ und Christi Blut machen allen Schaden gut! Alle, die mir sind verwandt, Gott, lass ruhn in deiner Hand. Alle Menschen, groß und klein, sollen dir befohlen sein! Kranken Herzen sende Ruh, nasse Augen schließe zu. Lass in deiner Engel Wacht sanft uns ruhn in dieser Nacht!“

(Luise Hensel)

 

„Bleibe bei uns, Herr, denn es will Abend werden, und der Tag hat sich geneigt. Bleibe bei uns und bei allen Menschen. Bleibe bei uns am Abend des Tages, am Abend des Lebens, am Abend der Welt. Bleibe bei uns mit deiner Gnade und Güte, mit deinem Wort und Sakrament, mit deinem Trost und Segen. Bleibe bei uns, wenn über uns kommt die Nacht der Trübsal und Angst, die Nacht des Zweifels und der Anfechtung, die Nacht des bitteren Todes. Bleibe bei uns und bei allen deinen Kindern in Zeit und Ewigkeit.“

(Altes Kirchengebet)

 

„Es gibt keine denkbare Entschuldigung für die Gebetslosen. Ein Mann, der Hungers stirbt, wenn Brot vor ihm liegt, und an einer Krankheit dahinscheidet, wenn das Heilmittel in seiner Hand ist, verdient kein Mitleid; und wer unter der Last seiner Sünden zur Hölle sinkt, weil er nicht beten will: «Gott sei mir Sünder gnädig», verdient alles, was in dem Worte Verdammnis liegt. Vergebung, Leben, Seligkeit, alles ist zu haben, wenn man nur darum bittet; und wenn der, welcher nicht bittet, nicht empfängt, wer will die Gerechtigkeit oder die Barmherzigkeit Gottes tadeln?“

(Spurgeon)

 

„Dies Gebet hat große Kraft, das ein Mensch leistet mit aller seiner Macht. Es macht ein saures Herz süß, ein trauriges Herz froh, ein armes Herz reich, ein dummes Herz weise, ein blödes Herz kühn, ein krankes Herz stark, ein blindes Herz sehend, eine kalte Seele brennend. Es zieht hernieder den großen Gott in ein kleines Herz; es treibt die hungrige Seele hinauf zu dem vollen Gott.“

(Mechthild von Magdeburg)

 

Ein tägliches Gebet:

„Lieber himmlischer Vater,

ich bekenne – und du siehst es ja auch –, dass ich überall, wo ich gehe oder stehe, inwendig und auswendig mit Haut und Haar, mit Leib und Seele ins höllische Feuer gehöre. Und du siehst auch, Vater, dass nichts Gutes in mir ist, das ich vorweisen könnte. Da ist nicht ein einziges Haar auf meinem Kopf, das nicht der Verdammung wert wäre. Was soll ich darüber viele Worte machen? Aber, lieber Vater, – ich sei nun, was ich wolle – ich bitte dich alle Tage, dass du deine Aufmerksamkeit nicht auf mich richtest und deine Augen nicht zu mir wendest als auf den elenden Sünder, der ich bin (da wäre es aus mit mir), sondern ich bitte dich, dass du meiner immer als eines Menschen gedenkst, der zu deinem lieben Sohn Jesus Christus gehört. Betrachte mich keine Sekunde und schau mich nicht an, ohne immer zugleich seiner zu gedenken, ja, sieh mich überhaupt nur mit ihm zusammen, so als wenn Christi Gesicht das meine wäre. Denn so will er das haben – er will mein Fürsprecher, Verteidiger und Erlöser sein – und um seinetwillen vergiss bitte, was ich für mich allein genommen bin. Denke mich jederzeit in Christus inbegriffen – und sei mir dann um seinetwillen gnädig. Denn dein Sohn zahlte am Kreuz den denkbar höchsten Preis. Er brach den Fluch, der auf mir lag. Darum, himmlischer Vater, lass seinen Einsatz für mich nicht vergeblich gewesen sein, sondern halte mir zugute, was Christus für mich tat. Lass seinen Gehorsam für meinen gelten und rechne mir seine Gerechtigkeit an, weil ich doch selbst keine habe. Anders kann ich nicht vor dir bestehen. Und einen anderen Grund, warum du mir vergeben solltest, weiß ich nicht zu nennen. Umso entschiedener berufe ich mich aber auf das, was Christus mir freundlich zugesagt hat – dass er für mich gerade stehen und mich nicht hinausstoßen will – damit du, wenn du einmal meine Seele von mir forderst, sie nicht verdammen musst, sondern Christus in mir und mich in Christus findest. In deine treuen Hände befehle ich meinen Geist. Amen.“

(frei nach einem Gebet Luthers)

 

Gebote

Dies ist das gerechte Strafurteil Gottes, dass der Mensch, der einst Macht und Herrschaft über alle anderen Geschöpfe hatte, sich aber stattdessen freiwillig und in Missachtung des göttlichen Gebots dem Willen seiner Untergebenen unterwarf, nun, da er Gottes Gebot erfüllen will, erkennen und erfahren muss, wie alle Geschöpfe, die ihm eigentlich untertan sein sollten, sich hochmütig über ihn erheben und sich zwischen ihn und seinen Gott stellen. Die Wolke des Nichtwissens (Anonym, 14. Jh.)

 

Ein für alle Mal schreibt dir darum ein kurzes Gebot Folgendes vor: Liebe und tu, was du willst! Wenn du schweigst, schweige aus Liebe; sprichst du, so sprich aus Liebe; wenn du tadelst, tadle aus Liebe; wenn du verzeihst, verzeih aus Liebe. Die Wurzel der Liebe soll das Innerste deines Herzens sein: Aus dieser Wurzel kann nichts als Gutes hervorkommen. Augustin

 

Martin Luther ist in seinem Leben durch manche Anfechtungen und Prüfungen gegangen. Sein letzter Halt war das erste Gebot: „Wenn mir alles unbegreiflich vorkommt, ja, wenn sogar das Bild des Heilandes mir zeitweilig verdunkelt wird, dann ist mein letzter Halt das, was Gott im ersten Gebot gesagt hat: Ich bin der Herr, dein Gott! Also die Wahrheit: Ich habe mich nicht selbst erschaffen, ich bin nicht allein mit mir selber und mit meinem Schicksal. Ich stehe in der Hand dessen, ohne den ich keinen Atemzug tun könnte. Gott hätte mich nicht erschaffen, wenn er kein Ziel mit mir hätte. Er fängt kein Werk an, um es dann unvollendet wegzuwerfen und liegen zu lassen!”

 

Sehnsucht zum Licht ist des Lebens Gebot. Henrik Ibsen

 

GEBOTE GOTTES

1.

Gottes Gesetz ist die „Hausordnung“, die der Schöpfer seiner Schöpfung gegeben hat. Ihre Notwendigkeit und Güte müsste eigentlich jeder einsehen. Für uns Sünder allerdings, die wir das geforderte Gute nicht vorbehaltlos bejahen, wird das Gesetz zur Bedrohung, weil es unser Versagen schonungslos aufdeckt. Die Einsicht in das eigene Versagen ist aber in Wahrheit ein Gewinn: Das Gesetz zwingt uns dadurch, nicht auf die eigene Moralität, sondern auf die Gnade Gottes zu vertrauen.

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2.

Unser Scheitern an Gottes Geboten verdirbt uns die Lust daran. Denn Gottes Gesetz scheint für nichts anderes zu taugen, als dass es unser Versagen aufdeckt. Es ist der Eisberg, an dem die „Titanic“ menschlicher Selbstsicherheit zerschellt. Doch ist das in Wahrheit gut so! Denn was da zerbricht, war eine Illusion. Erreicht der Schiffbrüchige aber das Rettungsboot, das man Kirche nennt, und schlüpft bei Christus unter, so kommt er unter Jesu Führung an das Ziel, zu dem ihn seine „Titanic“ (sein stolzes Bemühen um Vervollkommnung) niemals hätte bringen können.

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GEBRECHEN

„Das Pferd macht den Mist im Stall, und obgleich der Mist einen Unflat und Stank an sich hat, so zieht dasselbe Pferd doch den Mist mit großer Mühe auf das Feld, und daraus wächst schöner Weizen und der edle, süße Wein, der niemals wüchse, wäre der Mist nicht da. Also trage deinen Mist - das sind die Gebrechen, die du nicht abtun, ablegen noch überwinden kannst - mit Mühe und mit Fleiß auf den Acker des liebreichen Willens Gottes in rechter Gelassenheit deiner selbst. Es wächst ohne Zweifel in einer demütigen Gelassenheit köstliche, wohlschmeckende Frucht daraus.“

(Johannes Tauler)

 

Gebrechlichkeit

Aus sich nichts machen und andere gern für besser und höher achten, als man selber sein mag – das ist große Weisheit und Vollkommenheit. Und sähst du einen andern öffentlich sündigen oder einen schweren Fall tun: So halte dich deshalb nicht für besser als ihn. Denn sieh: Du weißt ja nicht, wie lange du selbst noch im Guten feststehen wirst. Gebrechlich sind wir alle, aber gebrechlicher als du sei in deinen Augen keiner. Thomas von Kempen

 

GEBURT

Manchem erscheint seine Religion „zufällig“, weil er – anderswo geboren – etwas anderes glauben würde. Doch unterlaufen dabei mehrere Denkfehler. Der Betreffende wäre „woanders geboren“ gar nicht er selbst, sondern „ein anderer“. Und wenn dieser „andere“ etwas anderes glaubte – was besagt das schon? Im Übrigen handelt es sich um einen zirkulären Schluss: man hält die Religion für zufällig, weil man voraussetzt, die Geburt sei zufällig. Das ist aber eine ganz willkürliche, mit dem christlichen Schöpferglauben nicht vereinbare Unterstellung.

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„Die Kinder Gottes haben dreierlei Geburtstage. Durch den ersten kommen sie zu dem Licht dieser unteren Welt. Da weint das Kind aus gutem Grund; aber die Eltern freuen sich. Durch den zweiten, den Gnadengeburtstag, nämlich die Wiedergeburt, werden sie stufenweise aus dem engen finstern Naturzustand ins Licht der Gnade versetzt. Da weint der Mensch auch meistens; aber es freuen sich die Engel im Himmel, sobald ein Sünder Buße tut. Das, was wir Tod nennen, das nannten und feierten die ersten Christen als einen Geburtstag der Märtyrer und Heiligen. Dieser dritte Geburtstag, der leibliche Tod, erlöst Gottes Kinder aus dieser bangen Welt, aus dem Gefängnis des Leibes und aus aller Seelengefahr, da sie versetzt werden in die Weite der lieben Ewigkeit. Zwar geht es auch bei dieser letzten Geburt oft sehr unansehnlich und bedrängt her, dass das Gnadenkind stöhnen und weinen muss, bis es durchkommt. Aber alles zu seinem Besten. Bald ist’s getan, da es mit Jesus wird heißen: „Es ist vollbracht.“ Die Engel stehn bei dieser Geburt schon bereit, das zur seligen Ewigkeit geborene Kind auf ihre Arme zu nehmen und in Gottes Schoß zu tragen. Da freuen sie sich, dass ein Mensch zur Licht- und Freudenwelt geboren ist.“ (Gerhard Tersteegen)

 

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Als du auf die Welt kamst, weintest du, und um dich herum freuten sich alle. Lebe so, dass, wenn du die Welt verlässt, alle weinen und du allein lächelst! Aus China

 

Geboren werden heißt, zu sterben anfangen. Laotse

 

Wer das Licht der Welt erblickt, wird das Dunkel schon noch kennenlernen. Joachim Ringelnatz

 

Was ist das, ein Mensch? Macht ihn seine Geburt dazu? Nein, nennt ihn wie ihr wollt, sie macht ihn nur zum Sohn seines Vaters. Pierre Carlet de Marivaux

 

GEBURT CHRISTI

1.

Selten wird der Maler zum Bild und der Töpfer zum Topf. Doch Gott wird Mensch. Der Schöpfer wird das, was er gemacht hat, damit, was er gemacht hat, nicht zugrunde geht. Er gibt der Menschheit nicht, was sie verdient, sondern gibt ihr – sich selbst. Er teilt sich der Menschheit mit, indem er ihr Leben mit ihr teilt. Er eignet sich ihr Elend an, um es zu überwinden. Er stellt sich zu den Verlorenen – und macht sie damit zu Gefundenen. Das Gewicht seiner Liebe zog Gott auf die Erde hinab! Er schlüpfte in unser Leben und durchlief all seine Stationen, um wieder herzustellen, was kaputt war und wiederzufinden, was verloren war.

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2.

Die Geburt Christi