Geheiligt werde dein Name...

Geheiligt werde dein Name...

Wissen Sie eigentlich, wie man einen Namen „heiligt“? Und könnten sie jemandem beschreiben, wie das geht? Wie „heiligt“ man denn überhaupt etwas? Und wie macht man das mit einem Namen? Der ganze Ausdruck klingt merkwürdig. Und doch haben wir regelmäßig Anlass, darüber nachzudenken. Denn schließlich lautet die erste Bitte des Vaterunsers: „Vater unser im Himmel, geheiligt werde dein Name“. Man hat das schon unzählige Male mitgesprochen. Was der Wunsch aber besagen soll, bleibt erst mal in der Schwebe. Denn es kann ja kein Zweifel sein, dass Gottes Name an sich schon heilig ist. Alles ist „heilig“, was zu Gott gehört! Sein Name war’s also auch schon, als er ihn dem Mose am brennenden Dornbusch offenbarte. Dass seine Heiligkeit irgendeine Steigerung erfahren könnte, klingt nicht wahrscheinlich. Und so kann „heiligen“ in diesem Zusammenhang eigentlich nur heißen, dass die Heiligkeit, die auf Gottes Seite längst gegeben ist, auf Seiten des Menschen eine Anerkennung findet, die bisher nicht gegeben war. Es geht also nicht um ein Steigerung der Heiligkeit, sondern um die Erkenntnis und Anerkenntnis derselben, nicht um die Herstellung, sondern um die Wahrnehmung und das entsprechende Verhalten. Denn an der Ehre, die Gott in sich „hat“, kann ja nie etwas fehlen. Dass ihm seine Geschöpfe aber auch die Ehre „geben“ – da ist noch Luft nach oben! Und genau in diese Richtung zielt denn auch die so altertümlich klingende Bitte „dein Name werde geheiligt“. Wir bitten darum, dass der Name Gottes, der die höchste Achtung verdient, sie auch bekommt, und jedes Geschöpf sich innerlich vor dem Schöpfer verneigt. Denn man stelle sich nur mal vor, wie unsere Welt dann aussähe – und wie positiv es die Mentalität der Menschen veränderte! Weit und breit würde sich keiner mehr aufblasen oder sich zum Maß aller Dinge erheben, sondern die Demut wäre allgemein! Man bisse sich lieber die Zunge ab, bevor man lästerlich von Gott redete oder über Heiliges spottete! Und weil jeder Gott ehrte und liebte, gälten seine Ziele auch unstrittig als die wichtigsten. Wo Gottes Wort Klarheit schafft, würde sich keiner mit einem naseweisen „ja, aber“ davon distanzieren. Und gerade die Besten trauten Gott viel mehr, als sie sich selbst vertrauen. Man würde alles locker nehmen und könnte über alles lachen, außer über Gott und seinen heiligen Namen. Keiner müsste lang überlegen, ob Gottes Wille wohl Vorrang hat vor seinem eigenen. Keiner pflegte mehr den Dünkel, etwas aus sich selbst zu sein. Und niemand wollte das Zeitliche segnen, bevor er nicht etwas zum Ruhme Gottes getan hat. Man käme gar nicht auf die Idee, an Gottes Wort herumzukritteln, sondern würde es fraglos stehen lassen. Statt auf eigene Leistungen zu pochen, schriebe man alles der Gnade Gottes zu. Und während niemand mehr etwas auf das Gerede der Leute gäbe, wäre doch jeder besorgt, nicht etwa Gott zu missfallen. Die Menschen würden auf Gottes Namen nichts kommen lassen. Sie hörten gerne von ihm reden und schätzen seine Weisheit über alles. Selbstbewusst scheuten sie sich vor niemandem, zögen aber vor jedem Kreuz den Hut. Es drängte die Menschen viel öfter zum Abendmahl als zu Kino und Theater. Und das Gebet empfänden sie nicht als Pflicht, sondern als ein tägliches Bedürfnis wie Essen und Trinken. Die sich aber rühmten, die rühmten sich einzig dessen, dass sie Gott kennen. Denn ihre Herzen wären voller Ehrfurcht und Liebe zum Höchsten. Ja, traumhaft wär’s, weil das Land voll wäre von der Erkenntnis des Herrn, so wie Wasser das Meer bedeckt (Jes 11,9). Alle Dummheit wäre ersoffen in Einsicht, alle Lästerung wäre versunken in Lobpreis, und alle Lüge in den Fluten der Wahrheit.

Nun – immerhin kann man sich das vorstellen. Es lässt sich beschreiben, wie man den Namen Gottes heiligt. Und im Grunde wüssten wir auch, wie’s geht! Doch geschieht nicht von alledem so ziemlich das Gegenteil? Ich fürchte, gerade wir Christen, die wir jeden Grund hätten, für Gottes Ehre einzutreten, sind oft ein Volk mit unreinen Lippen (Jes 6,5). Denn da sind zahllose Getaufte, denen zu Gott nichts mehr einfällt, weil er ihnen „egal“ ist. Und da sind Pfarrer, die sich ihre Verkündigung selbst nicht mehr glauben. Da sind kirchliche Funktionäre, in deren Planungen Gott keine Rolle spielt. Da sind Mitläufer ohne Überzeugung und theologische Lehrer ohne Bekenntnis. Viele, die dem Namen nach Christen sind, reden von Gott mit Gleichgültigkeit, Skepsis und Spott. Und die Außenwirkung ist verheerend! Denn natürlich fällt unser geistliches Versagen auf den zurück, nach dem wir uns nennen und den wir in den Augen der Öffentlichkeit repräsentieren! Wo Christen gottvergessen leben, machen sie nicht nur sich, sondern vor allem Christus Schande. Und wo das Kirchenvolk aus der Spur gerät, wird es Gott zur Last gelegt. Wo sich die Seinen blamieren, scheint Gottes guter Plan gescheitert. Und wo sie mutwillig das Fundament verlassen, das er seiner Kirche gab, bleibt Gottes Ehre davon nicht unberührt. Denn dieser Zusammenhang ist unvermeidlich! Wenn Gottes Volk sein Gebot missachtet, wird deswegen Gottes Name gelästert unter den Heiden (Röm 2,17-24). Und durch unsere Untreue gerät Gott in ein schiefes Licht. Laue Christen ohne Leidenschaft schaden seinem Ansehen. Und ich muss gestehen, dass ich darum die Bitte „dein Name werde geheiligt“ lange Zeit bedrückend fand. Ich verstand sie als eine Art Selbstaufforderung und Verpflichtung, dass die so Betenden doch endlich für die Heiligung des göttlichen Namens sorgen sollen. Und dieser Appell an die eigene Adresse muss schmerzen, weil unser Gemeindeleben dem Namen Gottes so wenig Ehre macht. Die erste Bitte des Vaterunsers klingt dann wie die Erinnerung an eine uneingelöste Schuld und Verantwortung, der man in einer säkularisierten Umwelt nicht gerecht wird mit halbherzigem Gewohnheits-Christentum, mit schlecht besuchten Gottesdiensten, öden Predigten und lieblosem Miteinander. 

Aber entspricht es überhaupt dem Wortlaut des Textes, wenn wir ihn auf diese Weise kritische gegen uns wenden? Will die erste Bitte des Vaterunsers wirklich „moralisch“ verstanden werden – als ein Appell des Beters an den Beter, die an Gott gerichtete Bitte selbst zu erfüllen? Gottes Name soll geheiligt werden. Soviel ist klar. Doch der Satz im Vaterunser lässt durchaus offen, wer für die Umsetzung sorgt! Und da die erste Bitte (genau wie alle folgenden) an Gott gerichtet ist, liegt es nahe, sie im Sinne eines „passivum divinum“ zu verstehen, so dass nicht etwa der Betende, sondern Gott selbst für die Heiligung seines Namens sorgt. Der Beter hat die Erfüllung seiner Bitte nicht zuerst von sich selbst zu erwarten, sondern tatsächlich von dem, an den er sie richtet! Und nur so wird ihn die Bitte nicht überfordern. Denn genauso wenig, wie der Beter das Reich Gottes herbeiführen oder den Willen Gottes geschehen lassen kann, genauso wenig ist er in der Lage, für die Heiligung des göttlichen Namens zu sorgen. Nur Gottes Geist kann durchsetzen, worum wir da bitten! Wir aber, indem wir es uns von Herzen wünschen, fordern damit Gott zur Selbstdurchsetzung auf. Denn die Bibel appelliert zwar auch an die Gläubigen, den Namen Gottes zu loben, zu fürchten und zu verherrlichen. Jeder soll diesen Namen rühmen, preisen, erhöhen, anrufen, lieben und ehren, seiner gedenken und ihm lobsingen! Doch ist dies menschliche Tun immer nur ein Reflex dessen, dass Gott zuvor selbst seinen Namen kundgetan und „herrlich“ gemacht hat über alles (Psalm 138,2). Gott selbst macht seinen Namen groß, indem er Gnade erweist. Er selbst offenbart sich den Blinden, so dass sie seine Herrlichkeit sehen. Er selbst bringt durch machtvolle Taten die Lästerer zum Schweigen. Und nur so kann die Bitte ohne Beklemmung und zuversichtlich gesprochen werden, wenn man von Gott selbst erwartet, was von kalten Menschenherzen nicht zu hoffen wäre. Gott selbst will für die Heiligung seines Namens sorgen! Und wenn Jesus seinen Jüngern die entsprechende Bitte in den Mund legt, dann gewiss nicht, damit sie unerfüllt bleibt, sondern damit die Jünger zuversichtlich erwarten und fest damit rechnen, dass Gott in kommenden Tagen genauso handeln und sich als Gott erweisen wird, wie er es schon zur Zeit Hesekiels tat. Damals war nämlich eine ähnliche Misere entstanden. Auch der Prophet Hesekiel musste schon beklagen, dass Gottes Volk durch unreinen Wandel den Zorn Gottes provozierte. Gott hielt daraufhin ein strenges Gericht und zerstreute die Seinen unter die Heiden. Er versprengte sie in fremde Länder (Hes 36,16-21). Die dort ansässigen Heiden verstanden aber das Versagen des erwählten Volkes als ein Versagen seines Gottes, so dass Gottes Name bei ihnen entheiligt wurde. Und Gott entschloss sich (weniger um des Volkes, als um seines Namens willen), die zu recht Verstoßenen aus dem Exil heimzuholen und zu erretten: 

„So spricht Gott der Herr: Ich tue es nicht um euretwillen, ihr vom Hause Israel, sondern um meines heiligen Namens willen, den ihr entheiligt habt unter den Heiden, wohin ihr auch gekommen seid. Denn ich will meinen großen Namen, der vor den Heiden entheiligt ist, den ihr unter ihnen entheiligt habt, wieder heilig machen. Und die Heiden sollen erfahren, dass ich der Herr bin, spricht Gott der Herr, wenn ich vor ihren Augen an euch zeige, dass ich heilig bin. Denn ich will euch aus den Heiden herausholen und euch aus allen Ländern sammeln und wieder in euer Land bringen, und ich will reines Wasser über euch sprengen, dass ihr rein werdet…“ (Hes 36,22-25) 

Gottes Name ist offenbar verknüpft mit dem Schicksal des von ihm erwählten Volkes. Und obwohl dessen Versagen sein Ansehen schädigt, will Gott sich doch vor aller Welt als treu erweisen. Er will seinen heiligen Namen nicht länger schänden lassen (Hes 39,7), sondern erbarmt sich seines Volkes, weil er um seinen heiligen Namen eifert (Hes 39,25), wie denn auch das erlösende Werk darauf hinausläuft, dass Gottes Volk seinen Namen nicht länger entweiht (Hes 43,7-9). Gott selbst wacht über sein Ansehen! Denn schließlich hat er den Pharao in die Knie gezwungen, das Meer gespalten und Israel aus Ägypten erlöst, um sich einen Namen zu machen (2. Mose 9,16; Jes 63,12; 1. Chr 17,21; Dan 9,15). Er hat auch ausdrücklich geboten, seinen Namen nicht zu missbrauchen (2. Mose 20,7). Er überlässt es aber nicht etwa den Menschen, für sein Ehre zu streiten, sondern nimmt es selbst in die Hand, durch Gericht und Gnade, Strenge und Güte für die Heiligung seines Namens zu sorgen. Und Gott bewerkstelligt das (wie bei Hesekiel zu sehen), indem er tut, was er zuvor geredet hat. Durch dieses einfache Mittel bestätigt Gott seine Macht und Treue vor aller Augen, und seine Ehre tritt hervor als die volle Übereinstimmung seiner Werke mit dem, was er verheißen hat. Gegen die Reinen ist Gott rein, und gegen die Verkehrten verkehrt (Ps 18,27; 2. Sam 22,27). Und so muss zuletzt jeder gestehen, dass Gott weder seinen Freunden noch seinen Feinden auch nur das Geringste schuldig bleibt. Seine Taten zeugen davon, und sein Name schließt es mit ein, dass Gott alles kann, was er sich vornimmt, alles erfüllt, was er verspricht, und nicht das kleinste seiner Worte zurücknimmt oder vergisst. 

Freilich – noch sieht das nicht jeder. In dieser verblendeten Welt ist Gottes Wahrheit noch verborgen und strittig. Sie kann geleugnet, verlacht und geschmäht werden. Doch so sicher wie Gottes Reich kommt, wird Gottes Heiligkeit einst offenbar. Und dann werden alle Spötter verstummen, weil Erkenntnis und Anerkenntnis der Wahrheit zusammenfallen. Gott wird sich als heilig erweisen, um seines Namens willen. Und eben diesen Moment, wo sich alle Nebel lichten, sehnt der Beter in der ersten Bitte des Vaterunsers herbei. Er wünscht Gott die ihm gebührende Ehre und gibt ihm zugleich die Ehre. Eben damit aber ist die Bitte – was die Person des Betenden betrifft – auch schon erfüllt, und das Ende der Geschichte inmitten der Geschichte vorweggenommen. Denn Gott bittend und lobend „sagt“ der Beter nicht nur die Wahrheit, sondern „ist“ in der Wahrheit. Er nimmt sich dabei selbst zurück und erbittet von Gott nichts weiter als die Selbstdurchsetzung Gottes. Der Betende will somit, was Gott auch will. Er schließt sich ganz eng mit ihm zusammen. Und wie in allen derartigen Fällen, ist die Erhörung gewiss. So mag es zwar sein, dass wir unser Gebet mit unreinen Lippen beginnen und uns dafür schämen. Aber – Gott sei Dank – bleibt es nicht dabei (Jes 6,5-7)!  

 

 

 

 

 

Bild am Seitenanfang: Silence

Fernand Khnopff, Public domain, via Wikimedia Commons